Zum Inhalt springen

Eine Wanderung durch die Friedhöfe Weimars

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Von einem Vielgenannten
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Eine Wanderung durch die Friedhöfe Weimars
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 548–550
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[548]
Eine Wanderung durch die Friedhöfe Weimars.
Von Dr. Moritz Müller.


„Liebreiches, ehrenvolles Andenken ist Alles,
was wir den Todten zu geben vermögen.“
Goethe.

Wie vier reizende Parks die nächste und nähere Umgebung der Stadt Weimar ausmachen – Kunstgärten, die ihre eigenthümliche, zum Theil classische Geschichte haben: wir meinen den Park der Residenz selbst, dann die von Tiefurt, Ettersburg und Belvedere –, so stellen sich uns im eigentlichen Weichbilde der Stadt zwei andere, in ihrer Art nicht minder bemerkenswerthe Gärten dar, welche einem ernsten Zwecke dienen – die beiden Friedhöfe Weimars.

Merkwürdig vor vielen des deutschen Reiches, verdienen diese beiden Gottesäcker unsere volle Beachtung, und eine kurze Wanderung durch dieselben lohnt wohl die darauf verwendete Zeit. Zum älteren lenken wir der Natur der Sache nach zuerst unsere Schritte. Er befindet sich im nördlichen Bezirke der Stadt selbst, in der St. Jakobsvorstadt, und auf ihm die St. Jakobskirche (Hof- und Garnisonkirche).

Betritt man von der Jakobsstraße aus den beregten Platz, so wird der Blick unwillkürlich von einer sogleich rechts oberhalb der Umfassungsmauer eingegrabenen, in Goldlettern prangenden Inschrift gefesselt; sie lautet:

Schiller’s erste Begraebnisstaette.

Welche Erinnerungen, die sich an diese wenigen Worte, an diese kleine Stelle knüpfen! Hier also ist der Ort, dem die irdische Hülle eines der bevorzugtesten Geister aller Jahrhunderte, des Lieblings der deutschen Nation in der Nacht vom elften zum zwölften Mai 1805 übergeben wurde, nachdem zwei Tage vorher seine Seele der untergehenden Sonne, welcher seine letzten Blicke zugewendet gewesen, nachgeeilt war. – Es ist ein in seiner Art einziges Drama, das sich an jene Begräbnißnacht anschließt, ein Drama, das zu seiner Zeit weit und breit von sich reden machte und manche Stimme der Entrüstung hervorrief. Schiller, der Gefeierte, so einfach, gleich dem geringsten Tagelöhner bei Nacht und Nebel, ohne Sang und Klang hinausgetragen – das fand man unverzeihlich, entwürdigend. Man setzte das in der gegebenen Weise dem großen Todten bereitete Schicksal in Parallele mit dem des Goethe’schen Werther, des Selbstmörders: „Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet.“ Freilich wußte man auswärts nicht, daß die ominöse Nachtstunde in Weimar die für die Beerdigung ausgezeichneter Personen übliche, ja, eine ehrende war und daß gewöhnlich Tags darauf in der Kirche für sie ein feierlicher Gedächtnißgottesdienst, „Collecte“ genannt (für Schiller einer der feierlichsten), gehalten wurde. Ferner und vor Allem schien nicht bekannt, daß die Wittwe des Dichters im Einverständnisse mit sämmtlichen Verwandten ein stilles Begräbniß ausdrücklich gewünscht hatte. Auch an der Eile, womit dieses vollzogen worden, nahm man Anstoß, ohne den Zustand der Leiche, der solche gebot, in Rechnung zu bringen. In Hinsicht auf das Hinaustragen des Todten wäre wohl das Richtigere gewesen, wenn die Männer aus höheren Ständen mit den Bürgern abgewechselt hätten. Gehört Schiller ja Allen an. Nein, nicht daß man ihn so gepränglos, so schleunig der Erde übergab, nicht daß Handwerker, wie dies in Weimar auch bei Hochgestellten Sitte war, ihn tragen sollten – das Alles nicht konnte und kann Vernünftige so überaus empören, wohl aber mußte als höchst auffällig, ja ungerechtfertigt erscheinen, daß man volle einundzwanzig Jahre hingehen ließ, ehe man sich wieder um den Zustand der Schiller’schen Ueberreste in dem feuchten „Cassengewölbe“ (Eigenthum der Landschaftscasse, daher der Name) bekümmerte, jenem Orte an dem Schiller beigesetzt worden war, und der überhaupt zur Todtenwohnung für solche im Range hervorstechende Abgeschiedene diente, die kein eigenes Erbbegräbnis besaßen. Dem Bürgermeister der Stadt, Hofrath Karl Schwabe, bleibt das Verdienst, in dem Cassengewölbe, worin er die mühevollsten Nachforschungen anstellte, im Jahre 1826, wo eine sogenannte „Aufräumung“ jenes Gewölbes bevorstand, das heißt wo die Sargtrümmer, Todtengebeine etc. zusammengelesen und irgendwo auf dem Gottesacker eingegraben werden sollten, beim Suchen nach Schiller’s Gebeinen wenigstens seinen Schädel unter dreiundzwanzig anderen entdeckt zu haben.[1] Am Sonntagsmorgen des 17. September 1826 wurde dieser unter einer entsprechenden Feierlichkeit in dem Postamente der Dannecker’schen Büste des Dichters auf der großherzoglichen Bibliothek zur Aufbewahrung niedergelegt.

Wir setzen unsere Wanderung auf dem alten planirten Friedhofe weiter fort. An das Gotteshaus herantretend, erinnert sich gewiß Jeder, der früher schon einmal diese Stelle besuchte, an ein dort jetzt verschwundenes, noch immer aber vorhandenes [549] Denkmal besonderen, altertümlichen Charakters: das Lucas Cranach’sche. Zum Schutz gegen Beschädigung wurde es im Jahre 1859 in die Haupt-, und Stadtkirche, nahe dem berühmten Altarbilde des Meisters, versetzt. Wir folgen ihm dahin und verweilen dankbar segnenden Blickes an dem Grabmal Anna Amalia’s, der Begründerin der großen Zeit Weimar’s, und an demjenigen Herder’s, welches letztgenannte den Wahlspruch des Verklärten: „Licht, Liebe, Leben“ als Inschrift trägt.

Zum alten Friedhofe zurückkehrend, werden wir an den dort bestatteten, im Jahre 1819 verstorbenen Minister Karl August’s, Christian Gottlob von Voigt gemahnt, den ausgezeichneten Staatsmann und Gelehrten, der zugleich für die weimarischen wissenschaftlichen und Kunstanstalten viel gethan hat, wie er denn auch die ersten Geister zu seinen engsten Freunden zählte. Welche Hochachtung vor Allen Goethe ihm zollte, geht aus dem von Otto Jahn herausgegebenen Briefwechsel desselben mit Voigt hervor. – An der südlichen Kirchwand tritt uns das Grabmonument von Johann Karl August Musäus, dem lieben Dichter der klassischen Volksmärchen der Deutschen, entgegen. Jean Paul nennt ihn einen „echten Humoristen“, und er eben durfte ihn so nennen. Mit Wieland und Herder innig befreundet, von seiner Fürstin Anna Amalia hochgeschätzt, erfreute er, der gutmüthige, wohlwollende und immer heitere Mensch, sich der Liebe Aller, die ihn kannten. „Er hatte keinen Feind,“ durfte ihm Herder in seiner Gedächtnißrede auf ihn nachrühmen. Er starb 1787.

Der alte Friedhof nahm noch andere Kunstjünger aus Weimar’s ruhmvollen Tagen auf; so Mieding, den Theaterdecorateur und Maschinisten, den Goethe in seinem Gedichte „Auf Mieding’s Tod“, seiner besten einem, verherrlicht hat; so den Schauspieler Malcolmi, den „Unvergeßlichen“, wie Goethe ihn nennt; so Christiane Neumann, verehelichte Becker, die viel zu früh verblühete, welcher der Dichter die Elegie „Euphrosyne“ widmete, und von der Wieland urtheilte: „wenn sie nur noch einige Jahre so fortschreitet, so wird Deutschland nur eine Schauspielerin haben,“ und Iffland sagte: „sie kann Alles; denn nie wird sie in den künstlichen Rausch von Empfindsamkeit, das verderbliche Uebel unserer jungen Schauspielerinnen, verfallen.“

Auf demselben Friedhofe wurde gebettet Goethe’s Frau, Christiane, geb. Vulpius (starb 1816). Bekanntermaßen ward eine Bittschrift für ihren Bruder, die sie auf dem Wege nach Oberweimar Goethe überreichte, der nächste Eheprocurator. Nie sprach sie von ihm, ohne ehrfurchtsvoll ihm seinen Titel „der Herr Geheimbde-Rath“ zu geben. Ihren Verlust empfand Goethe sehr schmerzlich.

Wir haben nicht weit zu Friedrich Justin Bertuch, Gründer des weltberühmten Industrie-Comptoirs und des Geographischen Institutes, Herausgeber des allgemein beliebten Bilderbuches für Kinder. Auf Karl August’s Veranlassung trat er an Goethe seinen Garten am fürstlichen Park ab, wofür ihn jener durch das Grundstück am Schwansee entschädigte, das Bertuch so schön cultivirte. Er war einige Zeit Karl August’s Secretär, dabei, wo es galt, erfindungsreicher Festordner. Sein Grab hat er sich im weiten Garten seines stattlichen Hauses, umschattet von selbstgepflanzten Bäumen, mitten unter den Büsten der vier weimarischen Dichter, gewählt. Der Name des Trefflichen (starb als Fünfundsiebenziger 1822) fügt sich eng in die Kette der Männer, die das kleine Weimar groß gemacht haben. Als Gelehrter hat er uns vorzugsweise die spanische Literatur nahe gebracht; so durch seine Uebersetzung des Don Quixote.

Im Jahre 1818 wurde der neue Friedhof angelegt. Der ältere Theil desselben bietet zugleich die wichtigeren Erinnerungen und Anhaltspunkte. Vom Eingange (durch das Portal des Leichenhauses) aus erstreckt sich eine mit Linden eingefaßte, sanft aufsteigende Allee, durchschnitten von einem Quergange, bis zur Höhe. Nach allen Seiten hin theils majestätische Laub- und Nadelholzbäume, theils wohlgruppirtes höheres oder niederes Gesträuch, unter dessen Rasenflächen und Blumeneinfassungen die Gräber offener oder versteckter hervorschauen. Die Fürstengruft begrenzt den Blick. Dahinter die sogenannte griechische Capelle, im Jahre 1862 in morgenländischem Stile erbaut. Um sie und weiter hinauf ein neues Leichenfeld. In sich schließt diese dicht an die Fürstengruft stoßende und unterirdisch mit ihr verbundene Capelle, deren Kuppeln weithin strahlen, das neben dem ihres Gemahls ruhende Irdische der Großherzogin Maria Paulowna, Großfürstin von Rußland (starb 1858), der erhabenen Gönnerin und Pflegerin der Kunst und Wissenschaft, die jahrelang noch die weimarische Glanzzeit gesehen und zu ihrer Förderung und Verbreitung so Manches beigetragen hat. Zur Einzugs- und Vermählungsfeier der hohen Frau in Weimar dichtete Schiller bekanntlich seine herrliche „Huldigung der Künste“. Der so begrenzte Blick wird aber festgehalten von jenem massiven Gebäude, dem denkwürdigen Todtentempel, in dessen dem Tageslichte verschlossenen Hallen ein ewiges Schweigen herrscht, und die doch so laut und beredt erzählen von vordem hochgestellten Menschen, die, als sie noch dem vollen Leben angehörten, durch die irdische Gewalt, die in ihre Hände gelegt war, und durch ihr ausgebreitetes Wirken über die gewöhnliche Menge weit hervorragten.

Aber auch von Herrschern im Reiche des Geistes wissen sie zu berichten, deren wunderbare Macht einen bestimmenden Einfluß auf die Bildung und Gesittung der Welt ausübte und auf Jahrhunderte hinaus behaupten wird. Unter jenen fürstlichen Häuptern befinden sich gefeierte Namen, vor allen der eines Karl August (starb 14. Juni 1828), dessen Bedeutung zu schildern wir viel zu spät kommen würden. Aus seinem von zwei Gebrüdern Straube, die der Fürst hatte ausbilden lassen, kunstvoll gefertigten Zinnsarge treten uns die Worte entgegen: Tapfer und weise, gerecht und milde. Ihm zur Seite ruht seine Gemahlin Luise (starb 1830), der Schutzgeist von Stadt und Land in schwerer Zeit (1806), und sein Sohn Karl Friedrich (starb 1853), einer der gütigsten und edelherzigsten Fürsten Weimars.

Um in die Gruft zu gelangen, betritt man, nachdem von der Allee aus eine breite Freitreppe erstiegen ist, durch die Eingangspforte des Gebäudes zunächst die „Capelle“, welche zur Abhaltung von Leichengottesdiensten dient, und in deren Mitte die Oeffnung zum Hinablassen der Särge sich zeigt; von da zur Linken führt eine Treppe in das Gewölbe selbst hinab. Diese Todtenstätte ist nun auch das Heiligthum, welchem aus Karl August’s Anordnung die Ueberbleibsel seiner zwei Dichter, Schiller und Goethe, übergeben worden sind, „einstweilen“ nur, wie er dies zunächst in Bezug auf Schiller’s „Relicten“ in einem Handbillet an Goethe vom 24. September 1827 hervorhob, auch an die Landesdirection verfügte, bis ein für Beide später auf der Anhöhe des neuen Friedhofs zu errichtendes gemeinsames Grabmonument, wie es der Bürgermeister Schwabe dem Großherzoge vorgeschlagen hatte, hergerichtet sein würde. Die Ausführung des schönen Gedankens, den auch Goethe günstig aufnahm und zu dessen Verwirklichung er schon einleitende Schritte gethan hatte, scheiterte, man weiß nicht recht an welcher Klippe. Für Schiller’s Gebeine, die von Goethe aufgefunden, unter Beihülfe von Fachmännern zusammengesetzt und dem Schädel angefügt worden waren, ward, um sie der fürstlichen Gruft einzuverleiben, ein angemessener Sarkophag gefertigt und derselbe am 16. December 1827 in feierlicher Morgenstille von der großherzoglichen Bibliothek aus nach dem Friedhofe gebracht. Fünf Jahre darauf folgte Goethe seinem Freunde in dieselben Räume nach. Dort in dem Todtengewölbe der fürstlichen Personen, links vom Eintritt in dasselbe, ruhen denn die Beiden neben einander, jeder in einem auf steinernen Postamenten stehenden Zinnsarge mit einem Futteral von gebeiztem Eichenholze; an den Seitenwänden der Särge liest man die in Metall gegossenen Namen der Dichter; ganz in deren Nähe schläft eine im Jahr 1858 in noch nicht vollendetem achtem Lebensjahre verstorbene Tochter des jetzt regierenden Großherzogs.

Vom Plateau und den Stufen der Fürstengruft aus halten wir Ueberschau über die Gräber einer Anzahl anderer Schläfer, viele unserer vollen Beachtung werth. Auf der rechten Seite vom Eingange zum Friedhofe her, dicht beim Eintritt in die andere Abtheilung desselben, stoßen wir auf das von Schardt’sche Familienbegräbniß; in ihm befindet sich neben zwei anderen der Sarg der Frau Charlotte von Stein, gebornen von Schardt (starb 1827), Goethe’s berühmter Freundin, die, obwohl mehrere Jahre älter als er, ihn länger als irgend eine der Frauen, die seinem Herzen theuer waren, zu fesseln wußte. Zu bedauern ist [550] immer, daß sie ihre Briefe an Goethe, die sie sich von ihm hatte zurückgeben lassen, vernichtet hat. Das Grab Stephan Schütze’s (starb 1839), des gemüthlichen Dichters „für Liebe und Freundschaft“, der an Goethe’s Cirkeln regen Antheil nahm, auch die der Johanna Schopenhauer fleißig besuchte, ziert eine einfache Lyra. An derselben Mauer finden wir das Grab Johann Friedrich Röhr’s (starb 1848), den Karl August aus Ostrau bei Zeitz nach Weimar berufen, des unerschrockenen Kämpfers für evangelische Wahrheit und Freiheit dessen Reformationspredigt 1838 gegen die Jesuiten Weltruf erlangte. Er hielt Karl August, dessen Gemahlin Luise und Goethe die Gedächtnißreden, Muster in ihrer Art. Gleichfalls an der westlichen Wand hebt sich hervor das Hauptreliefbild Johann Nepomuk Hummel’s (starb 1837), letzten Schülers von Mozart. Wie er das Glück hatte, in Wien von dem frischen Hauche der großen Musikperiode dieser Stadt angeweht zu werden, so sollte er, als der letzte weimarische Capellmeister bei Goethe’s Lebzeiten, den er durch sein herrliches Spiel oft erfreute, wenigstens die ablaufende Zeit unserer classischen Literaturepoche in unmittelbarster Nähe noch schauen. In gar mancher seiner Compositionen wird er fortleben; unerreicht ist er noch heute als Improvisator auf dem Clavier.

Unter dem deutschen Baum, der Linde, schlummert Johannes Daniel Falk (starb 1826), der mit Goethe mannigfach verkehrte, auch ein Buch über ihn schrieb, als Satiriker viel genannt, im Leben aber der harmloseste Mensch, ein warmer Kinderfreund. Seine in bedrängten Zeiten gestiftete Anstalt für arme verwaiste, zugleich sittlich verwahrloste Kinder („Gesellschaft der Freunde in der Noth“) wirkt in Weimar noch heute segensreich fort.

Nächstdem fällt uns das Grab des Geheimen Hofraths Franz Kirms in die Augen, des im Vereine mit Goethe nach der Verwaltungsseite hin rastlos thätigen Vorstehers des Theaters. Obgleich auf einem Auge blind, sah er für Drei. Zu erwähnen ist überdies, auch als ein für das Theater rüstig Mitwirkender – Goethe, sein Schwager, bezeichnet ihn als „immer thätigen Theaterdichter“ – Christian August Vulpius (gestorben 1827), der bekannte Verfasser des Rinaldo Rinaldini und anderer Unterhaltungsschriften. Als Bibliothekar nahm er sich des Interesses der Anstalt treulich an. Er war ein kleines hageres Männchen, hochblond, etwas gerötheten Gesichts, gesprächig und dienstfertig. Sein Amtsnachfolger Friedrich Wilhelm Riemer zählte zu den strenggläubigsten Goethe-Anbetern; er ließ sich sogar zu der Behauptung fortreißen: alles Gute, was Schiller gehabt, habe er seinem Freunde Goethe listig abgeschwatzt oder gestohlen. Riemer’s griechisches Lexikon, so viele Mängel es auch hat, ist noch immer besser als seine Goethe ängstlich nachgedrechselten kalten Verse. Ein in der Nähe der Fürstengruft sichtbares Erbbegräbniß enthält den Sarg eines Mannes, der sich nicht blos als Staatsbeamter bemerklich machte, sondern auch für die Erscheinungen in der Literatur ein seltenes Verständniß besaß. Mit Goethe war er viel zusammen. Sein Stil ahmt fast zu absichtlich den vornehm-ceremoniösen, geglätteten Goethe’s aus seinen späteren Jahren nach. Es ist der Kanzler und Geheimrath Friedrich von Müller. Auch Goethe’s Hausarzt, Staatsrath Dr. Vogel, hat ein gutes Buch über ihn geschrieben („Goethe in amtlichen Verhältnissen“), das in dem betreffenden Literaturzweige eine vorzügliche Stelle einnimmt. Der Kunstkenner und Freund Goethe’s, Meyer, und auch der einstmalige Redacteur des Stuttgarter Kunstblattes, Dr. von Schorn, ruhen hier.

In nicht allzuweiter Entfernung ist um ihren Lehrer Goethe her eine Anzahl von dramatischen Kunstjüngern gebettet, einst der Stolz und die Zierde der Weimarer Bühne; unter ihnen der vorzüglichste von Allen: Pius Alexander Wolff. Etwas mehr abwärts liegt Ludwig Oels begraben, der schöne Mann mit dem Apollohaupte, wie ihn uns sein Medaillonbrustbild auf seiner Grabtafel noch zeigt, seines vorgedachten Collegen, dem er ergreifende Worte in’s Grab nachrief, würdiger Genoß. Ebenso August Durand, Friedrich Lortzing, der treffliche Komiker und Charakterdarsteller; so ferner Graff und Haide, jener der erste deutsche Wallenstein, dieser der erste Teil, und die beiden Sangesmeister Stromeier und Moltke, einstige Inhaber schönster Stimmen, wie sie Gott nicht alle Tage in die Menschenbrust und -Kehle legt. Neben seiner Gattin schläft hier auch Karl Eberwein, Componist der Holtei’schen „Lenore“ und Dirigent der Goethe’schen Hauscapelle, dem Goethe bezeugt: „er dirigirte meisterhaft“. Der Genast’sche Begräbnißplatz befaßt die Hüllen Anton Genast’s, Goethe’s bewährten Regisseurs, seines Sohnes Eduard, der, noch unter Goethe Anfänger, ein so tüchtiger Künstler wurde, und dessen „Tagebuch eines alten Schauspielers“ Unterhaltendes und mehrfach Belehrendes enthält, und der Gattin desselben, Christine, geb. Böhler, dieser feinsinnigen Schauspielerin, welcher auch Goethe seine Achtung nicht versagen konnte.

Nur wenige Schritte von der Fürstengruft befindet sich das Grab Johann Peter Eckermann’s (starb 1854). Sein fürstlicher Zögling, der Großherzog Karl Alexander, hat ihm, „dem Freunde Goethe’s“, in Dankbarkeit einen Grabobelisk setzen lassen. Die Bedeutung Eckermann’s, den sein Wissensdurst vom armen Hirtenknaben aus Winsen im Hannoverschen zum Gelehrten emporhob und der in seinem fünfundzwanzigsten Jahre noch das Gymnasium in Hannover besuchte, besteht weniger in dem, was er selbst geschaffen, als in dem Verdienste, das er sich durch die Herausgabe der in mehrere europäische Sprachen, auch in’s Türkische übersetzten „Gespräche mit Goethe“ erwarb. – Auf der Höhe, im Bereich der griechischen Capelle, leuchtet uns entgegen der Stein eines der Auserwählten der Kunst, eines gewaltigen Dichters auf der Leinwand, dessen Hand Pinsel und Palette noch immer zu früh entsanken: Bonaventura Genelli’s (starb 1868). Hoch hielt Karl August seinen berühmten Orgelmeister Gottlob Töpfer, den genialen Verbesserer des Orgelbaues. Seine zahlreichen Schüler und Freunde haben ihm ein geschmackvolles Denkmal gestiftet. Auf eben dem Friedhofe, für dessen freundliche Anlage er gleich von vornherein gesorgt und auf dem er ein Leichenhaus, das erste in Deutschland, hatte bauen lassen, ruht der Mann, dem wir in der Schiller’schen Begräbnißangelegenheit, worin er so entschlossen vorging, bereits begegneten: der um seine Vaterstadt wohlverdiente Bürgermeister Karl Leberecht Schwabe. Hier fanden auch ihr Grab der vormalige Bibliothekar Theodor Kräuter, und der Ordner und Aufseher der Goethe’schen Sammlungen, Johann Christian Schuchardt.

Im Vorbeigehen fällt unser Blick noch auf ein schlichtes Grab mit der Bezeichnung: „Hier ruht in Gott Georg Gottfried Rudolph, geboren den 5. August 1778 zu Unterweißbach, starb den 24. April 1840 zu Weimar.“ Es war dieser Rudolph Schiller’s treuer, letzter Diener, der seinen geliebten Herrn noch mit in den Sarg eingelegt hat.

So viele andere ehrenwerthe Namen auch noch die Stätte nennt, aus der wir unsere Wanderung zurückgelegt und kurze Umschau gehalten haben, so glaubten wir doch vorzugsweise auf diejenigen Persönlichkeiten unser Augenmerk richten zu müssen, welche in nächster und näherer Beziehung zu der großen Zeit Weimars standen. Weihen doch sie vor Allen die Friedhöfe dieser Stadt zu den anziehenden Wallfahrtsorten, die sie sind.

  1. Alles Nähere über die ganze Angelegenheit findet man in der trefflichen Schrift von Dr. Julius Schwabe: „Schiller’s Beerdigung und die Aufsuchung und Beisetzung seiner Gebeine etc. Leipzig. Brockhaus. 1852.“