Eine Gigerlfamilie des 16. Jahrhunderts
Eine Gigerlfamilie des 16. Jahrhunderts.
Man ist allgemein der Ansicht, daß in der „guten alten Zeit“ die Leute mit dem Anschaffen neuer Kleidungsstücke nicht so schnell bei der Hand gewesen seien wie heutzutage, daß sich vielmehr „Anno dazumal“ die aus schlichten aber guten Stoffen gefertigten Kleider vom Vater auf den Sohn, von der Mutter auf die Tochter vererbt hätten. Dies mag bei den weniger Wohlhabenden allerdings der Fall gewesen sein. Aber unter den Reicheren gab es manche, die sich in dieser Beziehung keinerlei Zwang anthaten und einen solch merkwürdigen Kleiderluxus entfalteten, daß sie hinter unseren neuzeitlichen Kleiderfexen, genannt „Gigerln“, nicht im mindesten zurückstehen, vielmehr manchen derselben übertreffen dürften. Zwei Trachtenbücher im Herzogl. Museum zu Braunschweig geben Kunde von einer Familie, in welcher diese Kleidernarretei sogar erblich war.
Der einem angesehenen und wohlhabenden Augsburger Geschlecht entstammende Matthäus Schwarz kam nämlich 1520, als er 23 Jahre alt war, auf den eines Gigerl würdigen Einfall, sich eine Biographie seiner werthen Persönlichkeit in der Form anzulegen, daß er sich in allen Kleidertrachten abkonterfeien ließ, die er je getragen. Und zwar ging Schwarz mit der den Deutschen eigenthümlichen Gründlichkeit zu Werke, indem er schon die Windeln, welche das Wiegenkind einhüllten, für darstellungswürdig erachtete. Recht seltsam ist die folgende Tracht: er ist als Zweijähriger in Tücher eingewickelt, da man ihn für tot hielt und ihn begraben wollte. Aus den ferneren Blättern, die ihn als Knaben darstellen, sieht man, daß er ein wilder Junge wurde, der nicht recht gut that. Er kam mit sieben Jahren zu Kunz von der Rosen, Kaiser Maximilians lustigem Rathe. „Der zog,“ schreibt er, „nichts gutz (nichts Gutes) aus mir.“ Eben deshalb schickte ihn sein Vater zu einem Geistlichen nach Heidenheim, wobei man ihn unterwegs auf dem Wagen festbinden mußte, um seinen Fluchtversuchen ein Ende zu machen. Die strenge Zucht war natürlich nicht nach seinem Geschmack, er entlief dem Pfarrherrn, nachdem er in dessen Garten alle Krautköpfe abgeschlagen hatte. Auf dem Wege nach Augsburg suchte er sich sein Brot durch Singen zu verdienen und half den Hirten die Kühe hüten. Wieder im Vaterhaus, faßte der „böse Strick“ die Absicht, ein – Mönch zu werden. In Bild und Wort sind immer die Kleidungen beschrieben, welche Matthäus Schwarz bei allen diesen verschiedenen Gelegenheiten trug.
Mit vierzehn Jahren kam er in seines Vaters Geschäft und dort scheint er gut gethan und sich brauchbar erwiesen zu haben, denn er durfte schon im nächsten Jahre in Geschäftsangelegenheiten nach Lindau reiten, 1515 sogar nach Mailand.
Diese Reisen, die fremden Trachten, die er dabei sah und sich sofort ebenfalls anfertigen ließ, erweckten in ihm den Sinn für die Kleidernarretei, denn bei dem Jahre 1514 bemerkt er, daß er anfing, seine Kleider aufzuzeichnen; was er aus früheren Jahren darstellen ließ, that er aus dem Gedächtniß.
Der Aufenthalt in Mailand bot ihm zum ersten Male so recht Gelegenheit, seiner Kleiderliebhaberei die Zügel schießen zu lassen. Im Juli 1515 ließ er sich dort einen sehr bunten Anzug machen, der ihm aber im Oktober schon nicht mehr genügte. Die Mailänder, deren Land damals von König Franz I. von Frankreich erobert worden war, liebten es, in französische Tracht sich zu kleiden. Als „guter Deutscher“ äffte unser Matthäus diese Mode natürlich sofort nach; er bestellte sich einen blau- und gelbgestreiften Anzug, der mit goldenen in das Blau gestickten französischen Lilien geschmückt war. Der Farbe der Kleidung entsprechend, trug er einen blauen Hut mit breiter gelber Feder. Auch noch einen braunen Anzug verschaffte sich Schwarz, der aber auch goldene Lilien auf blauen Aermelstreifen zeigte. Dieser Anzug ward ihm am 4. April 1516 von einem Gascogner gestohlen, weshalb er sich einen anderen Anzug in wälschem Geschmack fertigen ließ. Als er in demselben Jahre in seine Vaterstadt zurückkehrte, trat er in den Dienst des Herrn Jakob Fugger, in welchem er Zeit seines Lebens verblieb. Er ward zu einer in Modeangelegenbeiten tonangebenden Persönlichkeit in Augsburg, zu einem hervorragenden Genossen der jungen Lebewelt.
Am 28. November 1519 starb sein Vater, den er sieben Monate lang und zwar in vier verschiedenen Trauerkleidungen mit verschiedenen Abstufungen betrauerte. Es scheint, daß er sich zu Lebzeiten seines Vaters noch etwas Zwang bezüglich seiner Kleiderliebhaberei angethan hat, denn gerade nach Ablauf der Trauerzeit fröhnt er derselben in üppigster Weise. Im Jahre 1521 verschaffte er sich sieben neue Kleidungen, darunter eine besondere zum Schlittenfahren, eine für die Einholung des Erzherzogs Ferdinand, eine für die Hochzeit dieses Fürsten in Linz, der er anwohnte, und eine schwarze, weil damals die Pest in Augsburg hauste. Sie muß jedoch nicht sehr lange geherrscht haben, weil Schwarz am 20. Februar 1522 schon wieder Schlitten fuhr, natürlich wieder in einem neuen Anzug, da er sich bei jeder Schlittenpartie neu kleidete. Außer dieser Kleidung schaffte er sich in demselben Jahre noch fünf weitere an. Diese Anzüge waren aber durchaus nicht einfacher, sondern meist kostbarer und prächtiger Art, man sieht, daß ihr Träger etwas Absonderliches haben und die Augen der Leute auf sich ziehen wollte. Im März 1523 ließ er sich drei Kleidungen gleich auf einmal machen. Das Wamms der dritten hatte nicht weniger als 4800 Schlitze, aus welchen andere Stoffe hervorschauten.
Im Jahre 1524 ging Schwarz mehrmals auf Hochzeiten, allemal in einem neuen Kleide, er brachte es in diesem Jahre wieder auf sieben Anzüge – was muß dieser Herr Schwarz für einen großen Kleiderschrank und für einen großen Geldbeutel gehabt haben!
Wohl eine besondere Erfindung unseres Schwarz war ein Rock zum Umwenden, den man auf beiden Seiten tragen konnte und den er während des Bauernkrieges – 1525 – viel gebrauchte. Am 20. September 1526 ließ er sich vier Paar Hosen auf einmal machen, im Februar 1530 vier vollständige Kleidungen. Im Jahre 1538 verlobte sich Schwarz mit einer Mangoltin aus Schw. Gmünd; er hat dem lustigen Junggesellenleben nur ungern Valet gesagt, denn als Bräutigam läßt er sich von der Rückseite, sich hinter den Ohren krauend, abmalen und schreibt unter das Bild: „Als ich mich [628] unterstondt, ein Weib zu nehmen." Natürlich finden wir auch die Tracht abgebildet, in welcher er in die Kirche zur Trauung ging. Mit dem zunehmenden Alter stellten sich Gicht und andere Krankheiten ein, so daß Schwarz die Lust an den Kleidern verlor und sich z. B. in den sieben Jahren von 1554 bis 1560 nur einen einzigen Anzug anschaffte, der auf der 137. und letzten Figur seines Trachtenbuches vorgeführt wird. Matthäus Schwarz ist wahrscheinlich nicht lange nach dem letzteren Jahre gestorben.
„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamme." Matthäus’ Sohn, Veit Konrad, hatte die Liebhaberei seines Vaters für Kleider geerbt und legte sich, da er sah, daß die Welt „je länger je närrischer“ in seltsamen Kleidermoden war, ebenfalls eine solche Selbstbiographie in Kleidertrachten an, in die er aber nur die „fürnembsten", hübschesten und buntesten malen ließ. Auch Veit Konrad fängt von Kindesbeinen an; wir sehen ihn im Laufstühlchen, auf dem Steckenpferd etc. Er war ebenfalls ein böser Junge, denn er berichtet selbst, daß er aller Bosheit voll war und mit Vorliebe das that, was die Leute verdroß. Natürlich fehlte es da auch nicht an entsprechender Strafe, deren Andenken malerisch zu verewigen Veit Konrad sich nicht scheute. Dann sieht man, wie er in die Schule geschleppt wird und sich mit allen möglichen Spielen, ganz ähnlich denjenigen der heutigen Jugend, ergötzt. Mit 13 Jahren nahm ihn sein Vater in die Schreibstube der Fugger und mit 14 – 1555 – kam er nach Verona, um die italienische Sprache zu lernen. Im Juni 1555 besuchte er in einem rothen Kleide seinen Bruder zu Venedig; zu Weihnachten aber ließ er sich den Damen seines Veroneser Geschäftsherrn zuliebe einen weißen Anzug machen, denn sie sagten, „weiß stüend jungen Gesellen am besten“. Der Tochter seines Herrn, Honesta, hatte er’s angethan. Sein älterer Brnder, der von Venedig aus den Besuch erwiderte, fand, daß sie „um ihn buhlte“. „Das Schaaf was aber so einfältig, daß ers nit verstund.“ Später scheint er’s aber doch verstanden zu haben, denn als es zum Abschied kam, gab es auf beiden Seiten bittere Thränen, der ganze Kerl war aber damals noch nicht 15 Jahre alt!
Es ist nicht möglich, alle die Kleidungen und Beschäftigungen zu erzählen, von den Thorheiten zu berichten, die in dem Buche wörtlich und besonders bildlich beschrieben sind; dem Leser wird es genügen, zu erfahren, daß es der Sohn nach seiner Rückkehr nach Augsburg gerade so machte wie seiner Zeit der Vater, daß er das Leben in vollen Zügen genoß, aber nie vergaß, zu melden, in welcher Kleidung er das gethan und was diese gekostet habe; ja sogar den Bekleidungskünstler, der die „schönen“ Werke geschaffen, nannte er nicht selten. Wenn nun auch ein gesunder Mensch an diesen Narreteien keine Freude haben kann, so muß doch jeder, der sich für deutsche Kulturgeschichte, im besonderen für die Geschichte der Trachten und der Mode interessiert, den beiden Schwarz sehr dankbar sein, daß sie durch die Anlage ihrer beiden Werke ein so hochwichtiges Quellenmaterial zum Studium des Trachtenwesens der Nachwelt überliefert haben. Schade ist es nur, daß sie dies nicht mit den Kleidern selbst gethan haben; dieselben würden heute ein höchst lehrreiches und werthvolles Museum, das nicht seinesgleichen hätte, bilden.
So ausdauernd wie der Vater hat aber der Sohn seine Aufschreibungen nicht fortgesetzt, denn bei dem letzten Bilde, das ihn darstellt, zählte er erst 19 Jahre 41/2 Monate. Was ihn bewog, diese Aufzeichnungen abzubrechen, verschweigt er uns leider; nicht unmöglich wäre es, daß der unsinnige Aufwand, den er gemacht hatte und den sich heutzutage kaum ein junger Mann in seinem Alter gestatten wird – er trug Kleider, die nebst Schwert und Schmuck bis zu 290 Gulden, nach damaligem Geldwerth eine bedeutende Summe, kosteten – seinen Vater veranlaßt hat, ein Machtwort zu sprechen und den übergroßen Ausgaben einen Riegel vorzuschieben. Schwarzseher, welche in der heutigen Welt nur Verderbniß, Genußsucht und Verschwendung sehen, mögen diesen Mittheilungen entnehmen, daß es vor 300 bis 400 Jahren nicht um ein Haar anders gewesen ist, und die Bemerkung, „daß die Welt je länger je närrischer wird, und noch kein Aufhören mit den neuen seltsamen Gebräuchen der Kleidungen bis dato ist", gehört nicht, wie man vielleicht annehmen möchte, der Neuzeit an, sondern ist von Veit Konrad Schwarz bereits im Jahre 1561 geschrieben worden.