Die Toten von Hawara
Die Toten von Hawara.
Als im ersten Jahrhundert unserer christlichen Zeitrechnung der römische Schriftsteller Plinius Secundus der Aeltere sein bekanntes enzyklopädisches Werk unter dem Titel „Naturgeschichte‟ niederschrieb, beklagte er bitter den zu seiner Zeit eingetretenen Verfall der Porträtmalerei.
Früher hätten Könige und Völker danach getrachtet, ihre berühmten Männer durch gemalte Bildnisse zu verherrlichen, um ihre Züge der Nachwelt zu überliefern, jetzt, d. h. zu seiner Zeit, habe der herrschende Luxus die alte gute Sitte verdrängt. Niemand denke mehr daran, ausgezeichnete Männer oder Mitglieder der eigenen Familie von einem lebenden Künstler porträtieren zu lassen, um das Andenken an dieselben auch nach ihrem Tode im Bilde zu erhalten. Man lege zwar Privatsammlungen alter Gemälde bekannter und unbekannter Personen an, doch lediglich nur zu dem Zwecke, um mit dem Kunstwerth und den dafür gezahlten Preisen zu prahlen. Wie ganz anders sei es doch vordem gewesen! Man habe dafür Sorge getragen, im eigenen Hause die Porträtbilder der Familienmitglieder malen zu lassen, dieselben von Geschlecht zu Geschlecht den Nachkommen zu überliefern und die herkömmliche Sitte zu beobachten, bei Begräbnissen nicht nur die Ueberlebenden, sondern auch die Bilder der Vorfahren einer Familienleiche folgen zu [629] lassen. Davon sei, wie gesagt, zu seiner Zeit keine Rede mehr, denn man ziehe es vor, das Haus mit Bildwerken ausländischer Größen in Gold, Silber und Erz zu schmücken, die Wände aus Marmor oder Granit herzustellen und das Gestein mit eingelegter musivischer Arbeit zu verzieren.
Zu Plinius’ Zeiten war also das Porträtieren, wenigstens in Rom und Italien, aus der Mode gekommen, und nur wenigen lag es am Herzen, die alte Sitte zu wahren und die feiernden Künstler zu beschäftigen, und wo dies noch geschah, spielte gewöhnlich der Hochmuth seine Rolle, wie es beispielsweise dem berüchtigten Kaiser Nero einmal beliebte, sich in ganzer Gestalt und in einer Höhe von 120 Fuß auf Leinwand malen zu lassen, etwas bis dahin vollständig Unbekanntes, da man die Bilder sonst nur auf Holz zu malen pflegte.
Demselben Plinius verdanken wir sehr ausführliche, wenn auch bisweilen ziemlich unkritische Nachrichten über die Geschichte der ältesten Malerei, deren Anfänge er bis in das 8. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung hinaufrückt. Nach seinen Ausführungen bediente man sich damals nur einer Farbe bei den Malereien, und erst später sah man sich nach Mitteln um, die Zeichnungen mit mehreren Farben auszufüllen. Der berühmteste Maler des Alterthums, Apelles, ein Zeitgenosse Alexanders des Großen, wandte bereits vier Farben (Weiß, Gelb, Roth und Schwarz) an, um seine herrlichen Werke zu schaffen, die an vortrefflicher Zeichnung, Perspektive, richtiger Vertheilung von Licht und Schatten, Durchgeistigung und Anmuth den Preis davontrugen und als unerreichte Muster für die Zeitgenossen und alle nachfolgenden Künstler gepriesen wurden.
Als Malstoffe benutzten die Alten die sogenannten Wachsfarben, d. h. mit Wachs oder außerdem mit einem Zusatz von Oel verbundene Farbstoffe hauptsächlich aus dem Pflanzen- und Mineralreich. Die von Plinius und anderen Schriftstellern überlieferte und als „enkaustisch“ bezeichnete, d. h. auf dem Wege des Einbrennens verfahrende Manier bei der Uebertragung der Farbstoffe auf eine Holztafel, wobei ein heiß gemachter Metallstichel seine Dienste leistete, bedarf immer noch einer genaueren Erklärung. Daneben machte man von der sogenannten Temperamanier einen häufigen Gebrauch; in diesem Falle übertrug der Pinsel die Farbe auf den eigentlichen Malstoff.
Leider haben uns erhaltene Reste aus den Zeiten des Alterthums nur wenige Proben der antiken Malerei geliefert. Mit Ausnahme der Wandmalereien in den verschütteten Städten Pompeji und Herculanum, auch an einzelnen anderen Stellen wie z. B. in Rom, ist bis jetzt so gut wie nichts ans Tageslicht getreten.
Um so überraschender wirkte vor mehreren Jahren die Kunde, daß fern von Griechenland und Italien, und zwar auf ägyptischem Boden, eine Reihe von beinahe hundert Porträtbildern antiken Ursprunges entdeckt worden sei. Arabische Ausgräber hatten an einer einsamen Stelle der Wüste, welche in Gestalt eines Höhenzuges, nördlich vom Josephskanal, zwischen Mittelägypten und der Provinz des Fayum den Kulturboden unterbricht, eine Totenstadt in der Nähe des Dorfes El-Rubaijat entdeckt; dort lagen die Bilder theils frei unter einer dünnen Sandschicht, theils auf den einbalsamierten und in ihren Särgen ruhenden Leichen selber. Durch Vermittlung eines mir befreundeten Beduinenscheichs ging die Sammlung durch Ankauf in den Besitz eines Wiener Kaufmannes, des Herrn Theodor Graf, über, der es sich angelegen sein ließ, die merkwürdigen Funde in den Hauptstädten Europas öffentlich auszustellen und durch photographische Aufnahme derselben für eine möglichst weite Verbreitung der Bilder zu sorgen.
Die Porträts von Männern, Weibern und Kindern, welche etwa vor 2000 Jahren im Lichte der Sonne auf ägyptischer Erde gewandelt hatten, traten in den lebendigsten Farben und in wohl gelungenster Ausführung den Blicken der modernen Beschauer gegenüber und gaben den reichsten Stoff zu zahlreichen Besprechungen und Betrachtungen in den öffentlichen Blättern. Sie überraschten nicht nur durch ihre vollständige Erhaltung, die sogar manchen Zweifeln in Bezug auf moderne Uebermalung und Restaurationen begegnete, sondern noch vielmehr durch die gewonnene Ueberzeugung, daß die Menschen von damals gerade so aussahen wie das heutige Geschlecht. Man konnte sich in der That nur schwer des Eindruckes erwehren, daß die Bilder nicht unter den Händen antiker Künstler entstanden seien. Die genauesten Prüfungen ergaben indes den alten Ursprung sämmtlicher ausgestellten Porträtbilder, und die Kritik mußte sich vor der unbestreitbaren Thatsache beugen, daß für die Geschichte der Malerei im Alterthum ein kostbares Material gefunden war.
Die Köpfe waren in Vorderansicht auf dünnen Holztafeln in Lebensgröße gemalt, das Kolorit ließ alle uns bekannten Farbentöne erkennen, die Zeichnung war dabei vortrefflich, der Ausdruck meist voller Lebenswärme und Charakter. Selbst die Bekleidung, soweit diese unterhalb der Halsgegend hervortrat, sammt den Schmuckgegenständen weiblicher Personen, Ohrringen und Halsketten, erinnerte durchaus nicht an unsere landläufigen Vorstellungen vom Antiken. Im Gegentheil riefen sie das einfach Bürgerliche in unserer eigenen Zeit ins Gedächtniß zurück, und man legte sich unwillkürlich die Frage vor, ob seit der Entstehung jener Bilder wirklich 2000 Jahre verflossen seien. Sie trugen weder den Namen der dargestellten Personen noch den des Künstlers, welcher das Werk in enkaustischer oder in Temperamanier geschaffen hatte. Waren es auch keine Künstler ersten Ranges, bisweilen sogar sehr mittelmäßige Meister, welche auf Bestellung die Porträts angefertigt hatten, so wäre es immerhin [630] von besonderem Werthe gewesen, aus den Namen auf ihre Nation einen Schluß zu ziehen. Nur das eine dürfte mit Sicherheit angenommen werden, daß es nicht eingeborene Aegypter, sondern griechische Maler waren, welche sich im alten Lande der Pharaonen niedergelassen hatten und durch die malende Kunst ihr liebes Brot verdienten. Seitdem Alexander der Große Aegypten im Jahre 332 v. Chr. erobert und die neugegründete Residenz Alexandrien zu einem Mittelpunkt des Welthandels und der griechischen Bildung gemacht hatte, strömten die Fremden, und an ihrer Spitze Macedonier und Griechen, in das geöffnete Nilthal ein, um aus dem Handel und sonstigen Beschäftigungen ihren gewinnbringenden Vortheil zu ziehen. Dazu kam, daß die Verwaltung an den Hauptsitzen des Landes nach griechischem Muster eingerichtet und als amtliche Schriftsprache das Griechische eingeführt war, ganz wie im modernen Aegypten früher das Türkische, später das Französische und endlich das Englische als Beamtensprache diente und das letztere bis zur Stunde noch dient.
Die Landschaft des Fayum, an deren Ostseite, auf den Rändern der Wüste, die Totenstädte zum größten Theile gelegen waren, gehörte zu denjenigen Gegenden Aegyptens, in welchen sich das Griechenthum besonders breit gemacht hatte. Der Mörissee und ein weit verzweigtes Kanalsystem mit Hafenstellen und eingedämmten Teichen, dazu ein mildes gemäßigtes Klima hatten von alters her dieser der Wüste abgewonnenen und künstlich bewässerten Oase besondere Fruchtbarkeit verliehen, die in der heutigen Bezeichnung des Fayum als eines „Rosengartens von Aegypten“ ihr neuzeitliches Spiegelbild findet.
Der erste Ptolemäer hatte der alten Hauptstadt der Provinz, der sogenannten „Krokodilstadt“, nach seiner Schwester und Gemahlin den Namen Arsinoë verliehen und in der griechischen Neustadt eine Kultusstätte der irdischen Königin als Göttin gestiftet. Arsinoë, die junge Stadt, baute sich im Süden der älteren auf und besaß eine Reihe nach griechischen Mustern aufgeführter Gebäude für öffentliche Zwecke und Versammlungen. Die Aegypter traten den Griechen gegenüber in den Hintergrund und bestanden neben einer heruntergekommenen und verarmten Priesterkaste eigentlich nur noch aus Handwerkern, Bauern und Dienern. Der Grieche spielte den Herrn und den Träger einer jungen, aber reich entwickelten Intelligenz. Der altägyptische Geist hatte sich abgelebt und führte neben dem neuen aufsteigenden Genius ein Scheindasein, in welchem der Kult thierköpfiger Götter, die geheimnißvollen Mysterien im Zusammenhang mit dem Dienste der heiligen Dreiheit Osiris, Isis und Horus und die Gebräuche bei der feierlichen Bestattung der Toten die lebenswarmen griechischen Anschauungen über das Götterwesen ersetzten.
Daß die griechische Kunst und der griechische Künstler bei der Gründung der Neustadt Arsinoë, in deren Ruinen ich tagelang Ausgrabungen leitete, ohne auf andere Gegenstände als solche mit griechischem Stempel zu stoßen, ihre Rechnung inmitten der gemischten Bevölkerung fanden, darf als feststehend bezeichnet werden. Selbst dem eingeborenen, in dem Glauben seiner Väter aufgewachsenen und erzogenen Aegypter leistete sie ihre Dienste, um nicht nur sein Leben in dieser, sondern auch in jener Welt zu verschönen. Der Maler trat in den Dienst der ägyptischen Leichenbestattung und schuf unbewußt eine neue Epoche der Mumienbehandlung, die zu den merkwürdigsten Beobachtungen Anlaß giebt.
Es war nämlich altherkömmlich, die einbalsamierte Leiche mit regelrecht gelegten Binden zu umwickeln und sie mit einer bemalten Maske aus einer kartonartigen Masse zu schmücken, welche das Gesicht des Toten männlichen oder weiblichen Geschlechtes darzustellen bestimmt war. Die alte Sitte währte bis in die Ptolemäerzeiten hinein, in welchen bereits an Stelle der einfachen Malerei eine Vergoldung des Gesichtes trat. Unter der römischen Herrschaft nahm diese Gewohnheit im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung in ausgedehntem Maßstab zu, denn nicht nur das Gesicht, sondern die ganze von griechischer Künstlerhand angefertigte und bis zur Brust hin verlängerte Maske wurde mit einer blendenden Vergoldung überzogen. Man fügte selbst Arme und Hände hinzu, wobei man die Halsketten, Ohrringe, Armspangen und Ringe eines Frauenleibes in plastischer Weise wiedergab und in die eine Hand einen Rosenstrauß steckte, die Rosen ausnahmslos mitten in der übrigen Vergoldung durch rothe Bemalung andeutend.
Ungefähr um die Mitte des zweiten Jahrhunderts verschwand die vergoldete Maske, und ihre Stelle ward durch ein auf Holz gemaltes Porträtbild der verstorbenen Person ersetzt. Es lag oben auf den Binden, welche um den Kopf gewickelt waren, und wurde durch rahmenartig gelegte und zusammengekniffene Zeugstreifen an seinem Platze befestigt.
Die in dieser Weise hergestellte Porträtmumie wurde jedoch nicht sofort der Grabstätte übergeben, sondern nach älterer ägyptischer Sitte zunächst im eigenen Hause, also mitten unter den Ueberlebenden, aufrecht an eine Wand gestellt, so daß die Nachkommen täglich Gelegenheit fanden, ihre im Tode vorangegangenen Familienmitglieder von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Die Zeit verwischte allmählich den Schmerz und damit die ursprüngliche Sorge um die gute Erhaltung der Mumiengesellschaft mitten in einem Familiensitze, besonders wenn jene sich ansehnlich vermehrt hatte oder älteren Jahrgängen angehörte. Die Mumien kamen, wie man zu sagen pflegt, in die Rumpelkammer oder selbst in einen wenig geschützten Hofraum, allen Unbilden von Menschenhand und Witterungsverhältnissen bis zu Regengüssen hin ausgesetzt. Bei zufälligen oder muthwilligen Verstümmelungen fühlte wohl dieses oder jenes lebende Familienmitglied ein stilles Erbarmen und führte selbständige Restaurationen der Bilder aus, die jedoch nichts weniger als künstlerische Leistungen waren und noch heutigen Tages an den aufgefundenen Mumien sichtbar sind. Am Ende wurde im Familienrath der Beschluß gefaßt, den angesammelten Mumienbestand nach der nächst gelegenen Totenstadt überzuführen, wobei man es nicht an Kränzen, Blumengewinden, Totenkrügen und sonstigen Beigaben fehlen ließ. Die Mumien wurden in einem einfachen Familiengrab oder in einer oft nur einen Fuß unter der Oberfläche liegenden Grube beigesetzt, ohne Sarg oder sonstige schützende Umhüllung, und darauf mit dem Sande der Wüste bedeckt. Das Geschäft der Bestattung hatte damit sein Ende erreicht.
Zu den zahlreichen Totenstädten im Fayum gehörte auch diejenige, welche sich in unmittelbarer Nähe des Josephskanales nördlich von der Ziegelpyramide von Hawara befindet. Die letztere bildet das ehemalige Grabmal eines uralten Königs Namens Amenemhê III. (um 2300 v. Chr.), dem zugleich die Anlage des südlich davon gelegenen und bis auf wenige Spuren verschwundenen Labyrinthes und die Gründung des künstlich ausgegrabenen Mörissees, ein wenig landeinwärts nach der Stadt Arsinoë hin, zugeschrieben wird. Die erwähnte Totenstadt, welche einen Flächeninhalt von ungefähr 50 000 Metern ins Geviert umfaßte, beherbergt Tausende von Leichen, die von der Mitte des dritten Jahrtausends an bis gegen das Ende der heidnischen Zeiten der ägyptischen Geschichte auf diesem einsamen Plateau der Wüste ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Die ältesten Gräber, aus tiefen in den Kalkstein der Wüste gebahnten Felsenschachten bestehend, sind fast durchweg von den Späteren ausgeplündert worden, so daß sie für die heutige Forschung so gut wie keine Ausbeute geboten haben. Zu den jüngsten neben ihnen bestatteten Geschlechtern gehören jene Mumien mit bunten und vergoldeten Masken sowie jene mit Porträtbildern, von denen ich oben ausführlicher gesprochen habe. Es darf angenommen werden, daß sie der Mehrzahl nach aus der Hauptstadt Arsinoë und aus der Umgegend derselben herrührten, ebenso aber auch, daß sie von gut bürgerlicher Herkunft gewesen sein müssen. Auf alle Fälle hatten die darin verpuppten Leichen den Künstlern und Handwerkern reichliche Beschäftigung geboten, denn nicht nur das Malen der Bilder, sondern auch das Weben der unendlich langen Leinwandstreifen für die Umhüllung der einbalsamierten Körper erforderte einen gewissen Aufwand von geschulten Kräften.
Meiner Absicht, auf dem Totenfelde persönlich Ausgrabungen zu leiten, lag die Hoffnung zu Grunde, möglicherweise auf unerwartete wissenschaftlich werthvolle Funde zu stoßen, denn auch in diesen Dingen hängt alles vom glücklichen Zufall ab.
Als ich mich im April dieses Jahres an Ort und Stelle begab, um die Oertlichkeiten näher in Augenschein zu nehmen, fand ich mich in meinen Voraussetzungen ziemlich enttäuscht. Von einer systematischen Ausgrabung konnte kaum die Rede sein. Der Boden zeigte sich nach allen Richtungen hin durchwühlt, Hügel erhob sich neben Hügel, und Knochen und zersetzte Mumienbinden lagen zerstreut umher oder sahen aus dem Erdreich nach allen Richtungen hin hervor. Aus dem Anblick allein schon ließ sich der richtige Schluß ziehen, daß die Totenstadt in älteren und jüngeren Zeiten [631] von Ausgräbern planlos durchwühlt worden war. Ein Engländer, Mr. Flinders Petrie, bekannt durch seine überaus glücklichen Funde auf ägyptischem Boden, war der letzte gewesen, welcher vor zwei Jahren die ausgedehnte Gräberstadt nicht ohne gute Erfolge durchsucht hatte. Unter solchen Umständen blieb es das Gerathenste, auf gut Glück hin die Ausgrabungen auf den freien Plätzen zwischen den Hügeln zu beginnen und die Erfolge abzuwarten.
Ich konnte mich vom ersten Tage meiner Versuche an nicht beklagen, denn die unerwartetsten Funde traten zu Tage, und die Erde öffnete ihren Schoß, um mir Mumien mit buntbemalten oder vergoldeten Masken, vor allem aber solche mit Porträtbildern zu überliefern. Meine freudige Ueberraschung steigerte sich aber gleichzeitig, als sich unter den Bildnissen nicht nur solche zeigten, welche in enkaustischer Manier auf Holz gemalt waren, sondern auch mehrere, welche die unbekannten Künstler mit Hilfe von Temperafarben auf Leinwand hingeworfen hatten, darunter Frauenköpfe von auffallender Frische und Schönheit, die Augen groß, das Haar reich frisiert und die Wangen von lieblicher Röthe. Das waren nicht die Abbilder von Leichengesichtern, die mich aus dem Sande anstarrten, sondern lebenswarme Züge, die mir aus ihrem zweitausendjährigen Versteck im Boden der Wüste entgegenzulächeln schienen. Jeder neue Fund führte zu einer neuen Aufregung, und die Spannung wuchs in dem Grade, als der Zufall sein loses Spiel trieb. Die vornehmeren Mumien waren größtentheils von Rosengewinden oder sonstigem Blumenschmuck umgeben, wenigstens fehlte niemals ein Rosenkranz, während die zu den ärmeren Klassen der Bevölkerung gehörenden masken- und bilderlosen Leichen nur in selteneren Fällen von den Kindern der Flora ihren gebührenden Antheil erhalten hatten. Aus dem Schatze dieser Funde von Hawara geben die beiden Bilder auf S. 629 eine Probe.
Die vorhin erwähnten Porträtbilder auf Leinwand liefern zum ersten Male Beispiele dieses Genres aus den Zeiten des Alterthums und können zugleich als Bestätigung für die von Plinius überlieferte Nachricht dienen, daß Kaiser Nero sich in ganzer Gestalt mit der kolossalen Höhe von 120 Fuß auf Leinwand habe malen lassen. Und namentlich findet diese Angabe, nur von der kolossalen Größe der Darstellung abgesehen, eine merkwürdige Bestätigung durch eine altägyptische Leinwand, die einst als äußere Mumienhülle diente und auf welcher die betreffende männliche Person in ganzer Figur und in der Tracht ihrer Zeit sich dem Beschauer zeigt. Das merkwürdige Bild, ein Unikum in seiner Art, ward bei einer Mumie in den Gräbern von Saqqarah, also auf dem Gebiet der ehemaligen Totenstadt von Memphis, aufgefunden und von mir für die Königlichen Sammlungen in Berlin in diesem Jahre an Ort und Stelle erworben. Daß es dereinst in der Geschichte der malenden Kunst eine hervorragende Rolle spielen wird, darf mit Recht schon jetzt vorausgesetzt werden. Vielleicht sind ähnliche Funde an denselben Oertlichkeiten der Zukunft noch vorbehalten.
Es ist nicht anzunehmen, daß die beschriebenen Bilder, Köpfe sowohl als in ganzer Gestalt ausgeführte Personen, ägyptischen Künstlern ihre Entstehung verdanken. Schon die Darstellungen in Vorderansicht sprechen dagegen, da die ägyptischen Meister, Bildhauer wie Maler, nur Profilbilder auf Grund gewisser Proportionen zu schaffen verstanden. Müssen wir auch die von Plinius bestrittene Angabe, daß die Anfänge der Malerei bei den Aegyptern zu suchen seien, ihrem vollen Umfang nach aufrecht erhalten, so steht es andererseits ebenso fest, daß sich der ägyptische Künstler niemals der idealen Freiheit in der Kunst bewußt war, sondern unter dem Zwange altherkömmlicher priesterlicher Vorschriften seine Arbeiten gleichsam handwerksmäßig fertigte. Daß von den Zeiten an, in welchen ihm griechische Vorbilder als Muster entgegentraten oder griechische Künstler und Lehrer seine Hand leiteten, eine Wandlung zum Besseren eingetreten sein könnte, läßt sich in keiner Weise vermuthen, vor allem nicht mit Bezug auf die Zeit des zweiten und dritten Jahrhunderts nach Christus, in welcher die Bildermumien plötzlich in den Vordergrund traten.
Hierzu tritt ein anderes schwerwiegendes Zeugniß. Beschriebene Steine nach Art unserer Leichensteine und mit Schrift bedeckte Papyrusstücke, welche gelegentlich in der unmittelbaren Umgebung der Bildermumien aufgefunden worden sind, lassen nur griechische Buchstaben und griechische Sprache bis zu den Eigennamen hin erkennen, so daß es sich der Hauptsache nach um griechische Einwohner aus dem Fayum handelt, welche nach ägyptischer Weise mumifiziert und bestattet wurden. Auch sonst liegen für diesen Brauch ganz bestimmte Beweise vor. Fast in allen europäischen Museen, in welchen ägyptische Alterthümer zur Schau ausgestellt sind, befinden sich Leichen von Griechen und Römern – die Sarginschriften lassen darüber auch nicht die leisesten Zweifel bestehen – die in einzelnen Städten Aegyptens gelebt hatten, oft in vornehmen Stellungen als höchste Beamte der Regierung, und nach ihrem Tode ganz nach ägyptischer Weise einbalsamiert und mumienhaft behandelt worden waren.
Trat der Aegypter in diesen Fällen als wohlgeübter Leichenbesorger ein, so war es im Gegensatz zu ihm der griechische Künstler, welcher die Bildnisse der Verstorbenen auf eine Holztafel oder ein Leinwandstück von entsprechender Größe malte, und zwar mit einer kunstgerechten Technik, wie sie dem Aegypter vollständig unbekannt war. Eine Sammlung derartiger Bilder, von denen noch Tausende im Boden der Erde verborgen liegen – eine von mir entdeckte Totenstadt ist überhaupt noch unberührt geblieben – dürfte eines der sehenswerthesten Museen für die griechische Porträtmalerei bilden, soweit sich die ältesten Spuren derselben überhaupt verfolgen lassen. Vielleicht daß in Deutschland die Mittel dazu aufgebracht werden, um eine Sammlung der beschriebenen Art ohne Zeitverlust ins Leben zu rufen, ehe uns andere Nationen mit dem Antritt eines so kostbaren Erbes der Vorzeit zuvorkommen.
Ich will zum Schlusse einen Punkt berühren, der mich während meiner Ausgrabungen aufs lebhafteste beschäftigt hat und jedem Leser dieser Zeilen in gleicher Weise nahetreten muß. Er betrifft die Frage, ob die namenlosen Maler ihre Aufträge erst nach dem Hinscheiden eines Familienmitgliedes ausführten, ob sie nach dem Leben gemalte Originale benutzten, oder ob diese Originalbilder nach dem Tode einer geliebten Person gleichsam von der Wand genommen und auf der Gesichtsstelle ihrer Mumien in der oben beschriebenen Weise angebracht wurden.
Die Bilder weisen mit aller Deutlichkeit auf die verschiedensten Lebensalter hin, vom jungen Manne an bis zum weißbehaarten Greise: darüber lassen Zeichnung, Kolorit und der allgemeine Gesichtsausdruck auch nicht die geringsten Zweifel übrig. Nur bei Kindern tritt ein auffallender Unterschied hervor. Ihre Bilder sind, wie man zu sagen pflegt, über einen und denselben Leisten geschlagen. Das kindliche Gesicht ist durchweg nach demselben Schema, und zwar in nichts weniger als sauberer Temperamanier durchgeführt, wie etwa ein flüchtiger Entwurf aus dem Gedächtniß und nach eigener Phantasie des Malers. Die Lebenswahrheit, wie sie sich in den Zügen der erwachsenen Personen ausprägt, tritt bei den Kindergesichtern vollständig in den Hintergrund. All mein Nachdenken reicht nicht aus, diesen Unterschied anders als in der folgenden Weise zu erklären.
Was Plinius in dem Abschnitt über die Malerei so sehr bedauert, daß zu seiner Zeit die Porträtierung ganz in Vergessenheit gerathen und die gute alte Sitte aufgegeben sei, in den Häusern die Bilder der lebenden Familienmitglieder aufzubewahren, das hatte in Aegypten im griechischen Familienleben bis in das dritte Jahrhundert hinein seinen Fortbestand, ja die alte Sitte wurde sogar eifrig gepflegt. Bei dem Tode einer erwachsenen Person wanderte das Bild auf die Mumie, um mit derselben vereinigt auf längere Zeit im Hause zu bleiben und schließlich nach der Totenstadt befördert zu werden. Die Kinder im Hause, deren Bedeutung für das Leben erst die spätere Zukunft bieten konnte, ließ man einfach unbeachtet und schloß ihre Bildnisse vorläufig aus. Bei ihrem frühen Tode standen dem Maler also keine Vorlagen zu Gebote, ihr Konterfei nach dem Leben auf Holz oder auf Leinwand in sauberer Ausführung zur Darstellung zu bringen. Er schuf deshalb mehr oder minder flüchtig gemalte Phantasiestücke, die sich beinahe wie ein Ei dem andern gleichen und in ihrer Art mit den ausdruckslosen Engelsköpfchen auf mittelmäßigen Bildern unserer älteren Malerschulen zusammengestellt werden können. Die Vorstellung, daß die Bilder von erwachsenen Personen erst nach dem Tode derselben gemalt worden seien, trägt die größte Unwahrscheinlichkeit in sich, denn wer die besseren Porträtbilder mit ihrer vollen Charakteristik gesehen hat, muß jeden Gedanken daran beiseite schieben. Unter solcher Annahme würden ähnliche Bildnisse wie bei den Kinderporträts entstanden [632] sein, nicht aber wirkliche Meisterwerke, wie ich sie selber dem Schoße der Erde entrissen habe.
Auch auf dem Gebiet der Porträtmalerei auf Holz und Leinwand liefert der besprochene Gegenstand einen neuen Beweis für den alten Satz, daß es eigentlich nichts Neues unter der Sonne mehr giebt. Wer hätte es sich jemals träumen lassen, daß wenige Fuß unter dem Boden der Wüste Aegyptens eine ganze Auswahl antiker Porträtbilder verborgen liegt, welche die Kunst des Porträtierens zunächst etwa 2000 Jahre vor unserer eigenen Zeit als allgemein bekannt und ausgeübt bezeugen! Und das in einer abgelegenen Provinz des großen römischen Reiches, fern von der Weltstadt Rom mit ihrer Pflege der Kunst! Dazu bezeichnen die ägyptisch-griechischen Porträts nicht erst den Anfang dieser Kunst, sondern in einem gewissen Sinne das Ende derselben nach einer geschwundenen Blüthezeit der unmittelbar vorangegangenen Jahrhunderte. Da uns aus dieser Glanzperiode keine Probe erhalten ist, so schenken wir gern den begeisterten Schilderungen Glauben, welche uns klassische Schriftsteller von den Werken eines Zeuxis, Parrhasios, Apelles und anderer Meister hinterlassen haben.
Der Anblick der Bilder von Hawara rechtfertigt vollkommen unsere Voraussetzung, daß die Kunst der Alten auf ihrer Höhe vielleicht von keinem Maler der späteren Zeiten bis auf unsere Tage hin übertroffen worden ist.