Eine Frage (Hebel, 1803)
Siehe auch: Eine Frage (Werkausgabe 1834) |
Sag, weisch denn selber au, du liebi Seel,
was ’s Wienechtchindli isch, und heschs bidenkt?
Denkwol i sag der’s und i freu mi druf.
O, ’s isch en Engel usem Paradies
Vom reine Himmel abe het en Gott
de Chindlene zum Trost und Sege gschickt.
Er hüetet sie am Bettli Tag und Nacht;
er deckt sie mittem weiche Fegge zu,
wird’s Aeugli hell und ’s Bäckli rund und roth.
Er treit sie uf de Händen in der Gfohr,
günnt Blüemli für sie uf der grüene Flur,
und stoht im Schnee und Rege d’ Wienecht do,
e schöne Früehlig in der Stuben uf,
und lächlet still, und het si süeßi Freud,
und Muetterliebi heißt si schöne Name.
Jo, liebi Seel, und gang vo Hus zu Hus,
der Wienechtchindli-Baum verrothet bald,
wie alli Müetter sin im ganze Dorf.
Do hangt e Baum, nei lueg me doch und lueg!
In alle Näste nüt as Zuckerbrod!
an ihrem Büebli, will em alles süeß
und liebli mache, thut em, was es will.
Gib acht, gib acht, es chunnt e mol e Zit,
se schlacht sie d’ Händ no zsemmen überm Chopf,
Jo weger Müetterli, das isch di Dank!
Jez do siehts anderst dri ins Nochbers Hus.
Scharmanti bruni Bire, welschi Nuß!
Scharmanti rothi Oepfel ab der Hurt!
ke Gufe drinn! Vom zarte Bese-Ris
e goldig Rüethli, schlank und nagelneu!
Lueg, so ne Muetter het ihr Chindli lieb!
Lueg, so ne Muetter ziehts verständig uf,
es seig der Her im Hus, se hebt si b’herzt
der Finger uf, und förcht ihr Büebli nit,
und seit: „Weisch nit, was hinterm Spiegel steckt?“
Und ’s Büebli folgt, und wird e brave Chnab;
Zwor Chinder gnug, doch wo me luegt und luegt
schwankt wit und breit ke Wienechtchindli-Baum.
Chumm, weidle chumm, do blibe mer nit lang!
O Frau, wer het di Muetterherz so gchüelt?
wie dini Chindli, wie di Fleisch und Blut
verwildern ohni Pfleg und ohni Zucht,
und hungerig by andre Chinde stöhn
mit ihre breite Rufe, schüch und fremd?
Doch lueg im vierte Hus, das Gott erbarm,
was hangt am grüene Wienechtchindli-Baum?
Viel stachlig Laub, und näume zwische drinn
ne schrumpfig Oepfeli, ne dürri Nuß!
und wärmts am Buse, luegets a und briegt;
der Engel stüürt im Chindll Thränen i.
Sel isch nit gfehlt, ’s isch mehr as Marzipan
und Zuckererbsli. Gott im Himmel siehts,
e brave Ma und Vogt und Richter gmacht,
und usem Töchterli ne bravi Frau,
wenns numme nit an Zucht und Warnig fehlt.