Eine Enttäuschung (Die Gartenlaube 1854)
[90] Eine Enttäuschung. Unsere praktische Zeit und die Wissenschaft zerstören den Romantikern eine Illusion nach der andern. Das schöne spanische Gedicht von „dem gar tugendhaften und tapfern Cid, dem berühmten Geliebten der Ximene“ wird den meisten unserer Leser bekannt sein. Fast alle Geschichtsschreiber hatten bis dato theils angenommen, theils nachgewiesen, daß der Cid ein tapfrer, edler Feldherr des Königs von Spanien gewesen und diesem große Dienste in den Kämpfen gegen die Mauren geleistet, bis er in Ungnade fiel und als Rebell triumphirend auftrat. Jetzt aber weist der Professor Dozy in Leyden durch christliche und maurische Documente nach, daß der edle Cid nichts als ein „treuloser Räuber war, der Verträge und Eide brach, seine Gefangenen durch langsames Feuer verbrennen oder durch Hunde zerreißen ließ und zwar nicht, wie die Inquisition zum größern Heil ihrer Seelen, sondern lediglich, um sie zu zwingen, ihre Schätze anzuzeigen.“ – Anfangs diente der edle Ritter, dieser Repräsentant der religiösen Begeisterung Spaniens, wie ein ächter Landsknecht, dem Erbfeind des Christenthums, den Mauren, die ihn in ihren jetzt aufgefundenen Manuscripten als „galicischen Bluthund“ bezeichnen, der die schönsten Landschaften der Halbinsel plünderte, die Heiligthümer entweihte, viele liebliche Jungfrauen (wenn sie sich das Gesicht mit Milch wuschen, hüpfte das Blut ihrer Wangen, die Koralle stritt mit den Perlen in ihrem Munde) mit seiner Lanze durchbohrte und sie wie die Blätter des Herbstes unter seinen Füßen zertrat.“ – Später diente er dem allerchristlichsten Herrn, und den Spaniern gilt er jetzt noch als der Inbegriff des Tapfern und Frommen.