Eine Dame am Putztisch (Gemälde der Dresdener Gallerie)
Es war eines Abends, eben beim Beginne der Dämmerung, daß der Maler Kaspar Netscher, welcher seine übrigen Schüler bereits entlassen hatte, sich mit dem talentvollsten derselben, Aart de Sluyner, in dem Atelier allein befand. Augenscheinlich hatte der Meister, auf dessen blondem Scheitel schon ein Anflug von Weiß sich zeigte, nach seiner bekümmerten Miene dem Schüler etwas Wichtiges zu sagen.
Der junge Maler schien dies zu ahnen. Er wäre sicherlich gern dieser Unterredung überhoben gewesen; er war hier im Atelier nur mit Widerstreben. Absichtlich trug er eine solche Störrigkeit zur Schau, daß Kaspar Netscher wirklich einen Augenblick schwankte, ob er das, was er beabsichtigte, ausführen, oder den unzugänglich aussehenden, halsstarrigen Schüler sich selbst und seiner eignen Leitung überlassen wolle. Die Gutmüthigkeit, das liberale Temperament Netschers trug jedoch den Sieg davon.
Der Maler näherte sich langsam dem jungen Aart de Sluyner, legte die magere, aber fast durchsichtig weiße Hand auf die Schulter desselben und sprach mit sehr sanfter Stimme:
– Aart, mein Sohn, vernimm, was ich Dir ans Herz zu legen habe. Du wandelst über den Abgründen des Verbrechens und des Todes!
[83] Der Schüler hatte bisher vor seiner Staffelei gesessen und ohne zu malen, ohne selbst nur etwas sehen zu können, mit zusammengezogenen Augenbrauen starr auf das, auf derselben ausgespannte halbvollendete Gemälde geblickt.
Bei diesen Worten Netschers aber wandte er sich unwillkürlich um, erhob sich sehr betroffen und schaute dem sonst so geliebten Meister mit einem großen Blicke in’s Auge.
Mynheer . . . sagte er stammelnd.
– Es ist gut, Aart; fuhr Netscher fort. Ich sehe, Dich trifft die Wahrheit meiner Worte. Vergiß Alles, mein Sohn, außer Deiner Kunst und etwa mir, Deinem Meister und Freunde. Das Gemüth eines Jünglings, der gleich Dir berufen ist, die glänzendste Höhe der Kunst zu erklimmen, muß stark genug sein, um den Gedanken an ein Mädchen, dafern er ihm irgend hemmend in den Weg treten will, als der Verfolgung unwürdig, unter die Füße zu treten.
– Ach ja, Mynheer Netscher, sagte Aart mit bebender Stimme, die Kraft fehlte mir nicht; das Alles würde ich spielend vermögen, wenn nur Eines geschehen könnte . . .
– Und was ist dieses?
– Gebt der Jakobäa andere Augen, gebt ihr einen anderen Mund, der nicht so zaubergleich zu lächeln und zu flüstern versteht; nehmt ihr die unvergleichliche Blüthe der Erscheinung und diese Grazie, welche noch nie vor der Phantasie eines Malers geschwebt . . . Thut das, Mynheer, und ich betheure Euch: dann wird mein Traum aus und mein Wahnsinn zu Ende sein!
Netscher blickte auf den Schüler, welcher mit hinreißendem Pathos gesprochen, und schüttelte mitleidig das Haupt.
– Du hast also noch immer Hoffnung? fragte er.
– Die unglücklichste Liebe ist am hoffnungsreichsten; flüsterte der Schüler.
– Aart! sprach Netscher mit stärkerem Tone; Floribert van Möllern ist Jakobäa’s de Thouens proclamirter Bräutigam.
– Unmöglich! rief Aart. Beweiset mir das!
– Floribert ist heute hier gewesen und hat mich aufgefordert, seine Braut zu malen.
– O, aber sie wird’s nicht wollen . . .
– Sie hing ja an seinem Arm, Verblendeter . . .
– Und was sagte denn sie . . . sie . . .? stammelte der junge Maler.
– Sie sagte: Mynheer, Ihr werdet mich also morgen malen, und ich werde mich bemühen, möglichst schön zu sein. Mynheer van Möllern hat mir gestern mein Brautkleid und meinen Hochzeitsschmuck geschenkt und da soll ich mich im vollen Staate malen lassen . . .
– Das ist ein Wunsch, wie er für diesen bäurischen Möllern eben sich schickt! murmelte Aart grimmig. Und weiter? fragte er fast abwesend.
– Ich bemerkte, fuhr Netscher fort, daß in dem Bilde besser eine Art von Situation anzubringen sei und da habe ich mit diesem kunstsinnigen Paare gestritten, bis es festgestellt wurde: Jakobäa solle vor dem Putztische sitzend gemalt werden; denn sie bestand darauf, daß die Schmucksachen, welche ihr geschenkt, nothwendig mit auf dem Bilde sein müßten . . . Bist Du jetzt überzeugt, daß der arme, obgleich kunstreiche Aart de Sluyner jeder Hoffnung auf die Hand dieser reichen Jakobäa entsagen muß:
[84] Aart schwieg lange Zeit. Dann aber sagte er mit zwar tiefer, aber fester Stimme:
– Meister, noch hat Niemand in der Welt das Herz eines Weibes ergründet. Wißt Ihr, ob die tiefste Falte von Jakobäa’s Herzen nicht dennoch mein Glück birgt? Mynheer, sie hat mich zuerst geliebt; Jakobäa’s erste Liebe bin ich und nimmermehr hat ein Mädchen eine bessere und tiefere und unauslöschlichere zu vergeben.
– Du willst also . . .?
– Ja, ich werde versuchen, was ich thun kann, um diese Tigerin dennoch zu bewegen.
Netscher zuckte die Achseln und wurde ziemlich finster.
– Gute Nacht, Mynheer! sagte er, nach der Thür greifend.
Aart ging fort.
– Wenn die Menschen Narren sind, brummte der Alte für sich hin, so pflegen sie’s in den Köpfen zu haben.
Der Malerschüler aber ging rasch die Straßen vom Haag durch, bis er fast athemlos ein langgestrecktes, mächtiges Gebäude erreicht hatte, dessen herrliche Gärten sich bis zu dem damals noch näher an das „Dorf“ reichenden Busch van Haag erstreckten. Hier wohnte Mynheer de Thouens, hier weilte Jakobäa; über diese prachtvollen Schwellen war Aart de Sluyner unzählige Mal geschlüpft, als der alte de Thouens den Sohn seines armen Vetters noch für eine unverdächtige Bekanntschaft seiner geldschweren Tochter hielt.
Mit pochenden Pulsen trat der jetzt von hier feierlich Verwiesene in de Thouens’ Haus ein. Auf dem Flur umfing ihn Lichterglanz; zahlreiche Diener standen hier; man erwartete augenscheinlich Gesellschaft. Die Diener blickten den Maler mit seinem alten Barett, mit den prächtig-schwarzen Locken und den noch schwärzeren großen Augensternen halb mitleidig, halb spöttisch an. Er selbst verlor fast völlig die Fassung, als er auf sein nichthochzeitliches Kleid, auf seinen farbenbeklecksten, defecten Sammetmantel blickte.
– Ich bin einmal hier und ich werde sie sehen! rief er sich jedoch energisch zu und rannte die Treppen zu Jakobäa’s Zimmer hinan.
Oben traf er die Angebetete. Jakobäa war wirklich von großer, aber ziemlich kalter Schönheit; es war eine „sittige, genügendreiche, ehrsame Jungfrau Niederlands“, für Aart jedoch das Ideal aller vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Frauenschönheit.
– Du, Aart? rief Jakobäa, sich vom Sitze erhebend, mit ziemlicher Ruhe. Und wie siehst Du aus? Ich dachte mir’s, daß Du unklug genug wärest, um dennoch hier wieder zu erscheinen . . .
Aart athmete seit langen Tagen zum ersten Mal frei auf. Dieser Empfang? War dies nicht noch immer Liebe? Leider war hier durchaus von keiner Liebe die Rede. Die reiche Jakobäa, das körperlich auf der höchsten Blüthenstufe stehende Weib, behandelte diesen armen Aart, der ein Jahr jünger als sie selbst war, gleich einem Kinde und führte ihm in sehr ruhiger Weise seinen Unverstand zu Gemüthe, sich mit Gewalt zu ihrem Geliebten oder gar Bräutigam machen zu wollen. Aart war zerschmettert. Er hätte Alles ertragen, Zorn, wilde Beleidigungen, aber diese zermalmende Ruhe? Er hörte nur wie im Traume, als ihm Jakobäa Vorstellungen machte.
– Ich will Dich zu meinem Hochzeittage neu einkleiden lassen! sagte sie mitleidig. Du kannst ja kaum mit Anstand Dich vor den Leuten zeigen. Einen Mantel geb’ ich Dir und mein [85] Floribert wird auch noch einen dergleichen übrig haben, den er jetzt nicht mehr benutzt; dann hast Du zwei. Und dann arbeitest Du, und wirst ein großer Meister und wirst reich, wie Rembrandt und Rubens und Dow. Sieh’, Aart, und dann, wenn Du Deiner dereinstigen Geliebten einen Hochzeitsschmuck schenken können wirst, gleich dem, welchen ich von Floribert van Möllern erhielt, dann, mein armer Freund, heirathest Du auch! Sieh’ hier; so etwas verlangen heut zu Tage die Bräute von ihrem Anbeter . . .
Aart van Sluyner starrte die schöne Sprecherin an. Sie hielt ihren Schmuck sammt Perlen und Ohrgehänge in der Hand und ließ die Kostbarkeiten in dem Strahle der Lampe spielen, so daß der Maler kaum seine Augen drauf heften konnte. Nach einer kurzen Pause verließ er, ohne ein Wort zu sagen, das Gemach und lief, gleich einem Irrsinnigen, zum Hause hinaus.
Am andern Tage sprach Aart im Atelier kein Wort. Er sann und sann . . . Rache war’s, die er im Herzen trug. Etwas Düsteres ahnend, ging Kaspar Netscher und begab sich zu Jakobäa, die er mit seiner vollendeten Sorgfalt und bewunderungswürdigen Treue zu malen begann, wie sie vor ihrem reichen Putztische saß. Während dieser und der folgenden Sitzungen lenkte Jakobäa oft das Gespräch auf Aart von Sluyner; der Meister vermied, ihr zu antworten. Das Mädchen lobte den Maler wegen seiner unbeschreiblichen Sanftmuth und der unermüdlichsten Bereitwilligkeit, womit er sich in alle ihre Launen gefügt habe.
– Fast scheint es, sagte endlich der arbeitende Meister, einen Augenblick innehaltend, als hättet Ihr an Mynheer van Möllern dergleichen Eigenschaften nicht zu rühmen . . .
– Doch wohl; aber Floribert tirannisirt mich, er quält mich . . . Er hat mir diese Perlen nur geschenkt, um mich wieder zu besänftigen . . . Wißt Ihr, Floribert ist noch eifersüchtiger, als es selbst der Großsultan der Heiden sein kann . . . Und gedenke ich daran, so graut mir’s und ich erinnere mich, daß Aart von Sluyner sicherlich einer solchen unsinnigen Eifersucht nicht fähig sein würde. Wartet nur; Floribert kommt bald; ich werde das Gespräch auf Eifersucht bringen und da werdet Ihr meine Partei nehmen und ihm sagen, daß eine Braut nicht geplagt werden dürfe, denn Mynheer de Thouens steht mir gegen Floribert gar nicht bei . . .
Als Kaspar Netscher wieder zu seiner Werkstatt zurückkehrte, war’s wieder Abend geworden. Die Schüler waren lange fort. Aart aber harrte noch. Er hatte sich mit dem Kopfe auf die Tischplatte gelegt und dem Alten schien es, als habe der Jüngling, der Heftigkeit seiner Empfindungen nachgebend, geweint.
Aart wollte, bevor er nach Hause ging, erst hören, was während der Anwesenheit des Meisters in de Thouens’ Hause vorgegangen sei. Er beschwor Netscher, ihm kein Wort zu verbergen, was Jakobäa gesagt hatte. Der Meister glaubte aber guten Grund zu haben, ihm zu verschweigen, daß das Mädchen ihn mehrfach gelobt hatte. Dagegen berichtete er Floriberts eifersüchtiges Temperament und knüpfte die ernste Ermahnung daran, jeden unvorsichtigen Schritt zu unterlassen, weil derselbe unter diesen Umständen nur zu leicht zu Unglück führen könne.
Sluyner ging tiefsinnig ab. Er hatte den Punkt gefunden, um sich an dieser Jakobäa, so wie an Floribert zu rächen und den tödtlichen Schimpf abzuwaschen, womit ihn das übermüthige Mädchen überhäuft hatte. Von jetzt an kam er selten zu Netscher. Er schützte Krankheit [86] vor und er war wirklich im Herzen todtkrank. Noch einen Versuch machte er, Jakobäa zu gewinnen. Diesmal aber trafen ihn auf der Treppe de Thouens selbst und van Möllern, welche ihn ohne Umstände durch die Bedienten aus dem Hause werfen ließen.
Jakobäa’s, der Ungetreuen, Verderben war unwiderruflich bei Aart beschlossen. Er wußte sich in de Thouens’ Hause genau zu finden und schlich sich noch an demselben Abende zur Thür hinein. Mit vollkommener Kaltblütigkeit verfolgte er sein Vorhaben. Er kam in Jakobä’as Vorzimmer und durfte nicht lange suchen, was er zu besitzen strebte. Der Schmuck, die Perlen, das Geschenk Floriberts, lag noch auf dem Tische, so wie Jakobäa die Kostbarkeiten zurückgelassen hatte, als sie von ihrer Sitzung bei Netscher aufstand. Aart bemächtigte sich hastig des Schmuckes, ging auf den Corridor und sprang zum Fenster hinaus in den Garten. Am andern Morgen früh erhielt Floribert ein Briefchen und Päckchen. In dem Briefe stand dies:
„Mynheer!
- Höret auf, die Geliebte eines Andern zu lieben. Jakobäa wird nur durch den grausamen Zwang ihres Vaters bewogen, Euch die Wahrheit zu verschweigen. Ich aber sage Euch: Jakobäa, die mir Alles opferte, ist die Meinige. Ich habe noch heute Nacht ihren Schwur empfangen, daß sie lieber mit mir stirbt, als die Eurige wird. Und zum Zeichen der Wahrheit nehmt Eure miserablen Geschenke zurück, womit Ihr ein Menschenherz zu erkaufen gedachtet.
Floribert blieb bis zum Abende in seiner Wohnung. In seinem Gehirne schienen die Buchstaben des Briefes zu brennen. Er schrieb mehrere Briefe und legte sie auf den Tisch. Dann ging er zu de Thouens. In Jakobäa’s Zimmer angekommen, zog er schweigend ein Pistol, feuerte ab und schoß das Mädchen nieder. Sie starb ohne noch einmal zu seufzen. Floribert schien die Absicht gehabt zu haben, sich ebenfalls zu erschießen, denn er ergriff ein zweites Pistol. Als er jedoch Jakobäa fallen sah, verlor er die Fassung und entfloh.
Es hieß, er habe in Malta Ordensdienste gefunden. Der geniale Schüler Netschers, van Sluyner, blieb jedoch verschollen. Man hat ihn in einigen italienischen Malern wiederfinden wollen.