Ein süddeutscher Humorist
Es ist auffallend, wie gut im badischen Lande die Humoristen gedeihen. Ob’s am Boden, Wasser oder Wein liegt, wer kann’s sagen? Oder an der Rasse, der durch die große und alte Völkerstraße, das Rheinthal, stets fremde Elemente zugeführt wurden, wer kann’s wissen? Aber die Humoristen waren und sind noch da vornehmlich zu Haus: zu Willstett bei Kehl der satirische Gesichteseher Moscherosch, zu Renchen der allerdings „hergelaufene“ Simplicianer Grimmelshausen, zu Meßkirch der Fastenprediger Abraham a Santa Clara. Dann müssen wir an Joh. Pet. Hebel, Gottfried Nadler, Jos. Vikt. Scheffel und an den Mann denken, dem diese Zeilen gelten: Ludwig Eichrodt.
Am Lichtmeßtag (das ist den 2. Februar) 1827 zu Durlach bei Karlsruhe geboren, durfte Eichrodt in diesen Tagen seinen 61. Geburtstag feiern.
Mit seinem Landsmann, dem jüngst verstorbenen Scheffel, hat Eichrodt vieles gemeinschaftlich: Beide traten ziemlich gleichalterig die Bubenschuhe in den Straßen zu Karlsruhe aus und quakten als „Frösche“ in einem „Teich“. Beide haben bewiesen, daß Karlsruhe später eine Malerstadt werden sollte, weil Beide Maler werden wollten. Beide hatten aber nicht genug Talent. Als echte Karlsruher Kinder, deren Ideal eine schönere Gegend ist, verlegten sie sich auf die Landschaftsmalerei
und hatten, als es nicht ging, noch Humor genug, um humoristische Dichter zu werden. Dazu wurden sie Juristen, aber höchst ungern. Beide hätten von Anfang an lieber das corpus juris an die Wand geworfen, aber nur Scheffel hat diesen Wurf später gewagt, weil er wenig Geschwister hatte. Beide waren von der schwülen Luft der badischen Reaktionszeit in den fünfziger Jahren angewidert, weshalb Scheffel nach Italien ging, Eichrodt aber in sparsamer Weise „Wanderlusten“ dichtete und zu Hause blieb. Endlich haben die Zwei dem studentischen Kommerse manches fröhliche Lied geschenkt, wobei Scheffel mehr den episch anklingenden Inhalt, Eichrodt mehr das lyrisch musikalische Moment betonte. Von da an gehen sie auseinander. Eichrodt ist durchaus und nur Lyriker, während der Andere den Roman und die poetische Erzählung kultivirte und der Lyrik nur mehr nebenher Ausdruck gab. Demgemäß äußert sich der Humor Ludwig Eichrodt’s zumeist in lyrischen Formen und Ergüssen, die ein ausgesprochen süddeutsches Gepräge tragen. Er hat etwas Clownartiges, Polichinelles, dieser Humor, der in seltsamen Wendungen und Windungen bald sich überschlägt, bald aus den Händen geht, um den verkehrten Standpunkt für die Betrachtung der Dinge zu gewinnen. Auf allen menschlichen Geistesgebieten und bei allen dichterischen Ausdrucksweisen macht er Anleihen, um seine eigenartigen kaleidoskopischen Bilder zu fixiren. Keine Situation ist zu gewagt und kein Ausdruck zu burlesk für Eichrodt’s heitere Muse, die mit dem Tollsten zurechtkommt: mag der Dichter nun die biblische Geschichte „Jakob und seine Söhne“ singen.
„Zwischen Israel und Ismael
Herrschte ein betrübsam Schismael;
Jenes züchtet Schaf und Rind,
Dieses Säu, die auch so sind.“
oder das „Vandalenlied“ anstimmen:
„Brüder traget Sturm und Brander
In die Welt mit Seelenschwung,
Hurrah hoch das Durcheinander,
Hurrah hoch die Wanderung!
Hurrah holla, hurrah heisa,
Hurrah dodro, Gensa, Geisa,
Hurrah hoch, der Völkerstrich!
Hurrah heisa, Genserich!“
Eichrodt hat das Bändchen Gedichte dieser Art „Lyrischer Kehraus“ und „Sauser“ genannt. „Kehraus“ heißt am Oberrhein bei ländlichen Hochzeitsfesten der letzte Tanz, der rasend gespielt und ebenso getanzt wird, und „Sauser“ nennt man den gährenden jungen Wein, der dem Faß die Spunde austreibt. Der Dichter hat mit diesen Titeln genugsam eine Seite seines humoristischen Ingeniums charakterisirt, er hat aber noch andere Seiten aufzuweisen.
Seine Muse schmückt sich absichtlich oft mit Federn, die fremden Federn täuschend ähnlich sehen. Dieser Zug hat die „Lyrischen Karikaturen“ gezeitigt, eine Anthologie lyrischer Nachahmungen, die bereits Anfangs der fünfziger Jahre erschienen ist. Eichrodt ist hier der mimus polyglottus, die lyrische Spottdrossel der deutschen Litteratur. Er singt lustig die Weisen Anderer; er findet das Schiller’sche Pathos und sucht den Goethe’schen Liedeston; er ahmt alles nach, was durch den Besitz einer eigenen Stimme nachahmungswürdig ist am deutschen Parnaß bis in die neueste Zeit. „Nach berühmten Mustern“, sagt man jetzt. Die Satire nimmt in diesen Karikaturen die denkbar mildeste Form an; eine Absichtlichkeit tritt nirgends zu Tage, da Eichrodt seine Zielscheibe mehr in der Form als im Inhalt der karikirten Dichtungen sucht.
Schiller hätte gewiß bei der Lektüre des „Nachschiller“ eine heitere Miene angenommen über Strophen, wie diese:
„Rauschend in den Katarakt der Wonne
Wogt die unbekannte Sonne
Des Verlustes seelenvoll dahin;
Ew’ge Harmonien wallen über,
In die bodenlosen Freudenzüber
Schöpft der Menschen Danaidensinn.
Keine Hoffnung adelt ihren Schaden,
Auch der Glückliche fühlt sich beladen,
Und den Stachel in der eignen Brust,
Sinkt er abwärts krank und schuldbewußt“ – –
Der Humor Ludwig Eichrodt’s treibt aber auch gerne Mummenschanz, gefällt sich in altfränkischer Verkleidung und spielt den Erzphilister.
So ist die Figur des „Biedermaier“ entstanden und das darauf bezügliche heitere Buch „Biedermaier’s Liederlust“. Biedermaier ist eine litterarische Gestalt, die von kulturhistorischer Bedeutung ist. Eichrodt hat das Prototyp dafür in dem Verfasser des weitbekannten „Kartoffellieds“, dem Schulmeister Samuel Friedrich Sauter gefunden und dasselbe zum Typus erweitert: Biedermaier ist jetzt der deutsche Philister der seligen Bundestagszeit, Politiker, Dichter und Philosoph zugleich, der in allem, auch in der tiefsten Prosa, poetische Stoffe entdeckt, immer singt und beharrlich den falschen Ton trifft, das kleinste Ereigniß in Schiller’scher Vortragsweise verkündet und dem größeren Stoff die selbstgenügsame Beschränktheit aufdrückt. Die grösseren politischen Aufgaben, die dem Bürger des neuen deutschen Reichs gestellt sind, die schwierigere Lebensführung in unseren Tagen haben den Typus der Biedermaier nach und nach aus dem Leben gejagt. Unsere Enkel werden aber noch mit Rührung des dahingegangenen Geschlechts altfränkischer Leute gedenken, lesen sie Eichrodt-Biedermaier’s klassische „Große deutsche Litteraturballade“:
„Gegen Abend in der Abendröthe,
Ferne von der Menschen rohem Schwarm,
Wandelten der Schiller und der Goethe
Oft spazieren Arm in Arm.
Sie betrachteten die schöne Landschaft,
Drückten sich die großen edlen Händ’,
Glücklich im Gefühl der Wahlverwandtschaft
Unterhielten sie sich excellent“ etc.
Eichrodt ist auch als hochdeutscher Liederdichter aufgetreten: er singt das einfache Lied in schmuckloser Weise und sucht den Goethe’schen Ton zu gewinnen – „Melodien“ hat er die Gedichte benannt; ferner hat er sich ein bedeutsames Verdienst um die Einführung des Dialektes der Karlsruher Gegend in die Litteratur erworben durch Herausgabe eines Bandes „Rheinschwäbischer Gedichte“.
Und der Mann? Er hat das Leben eines badischen Juristen von sechzig Jahren hinter sich, dem es niemals darum zu thun war, Berufskarrière zu machen und Anderen den Rang abzulaufen. Dafür ist sein Wesen zu vornehm, seine Seele zu edel und sein Gemüth zu humorvoll. Sein Vater war badischer Minister und starb früh. Eichrodt’s Beruf führte den Dichter dahin und dorthin im badischen Land, bald als Praktikant, bald als Referendar, bald als Richter, wie’s das juristische Amt mit sich bringt. Jetzt lebt er als Oberamtsrichter in Lahr, wo seine Mutter zu Hause ist, ein stilles behagliches Philisterdasein, schlürft zur Mittagsstunde in der „Sonne“ daselbst den Mokka, spielt und verliert im „Sechsundsechzig“, vergnügt sich des Abends beim Bier – gerade wie der Biedermaier auch. Selten thut der vergnügliche Sänger von „Schulerbubens Wanderlust“ noch eine Fahrt ins Weite, etwa nach seinem Vers:
„Nach Kroatien, nach Kroatien
Laß mich zieh’n, wo durch Dalmatien
Brummend rennt die Drau und Sau;
Wo der kluge Banus waltet,
Wo der Mantel roth sich faltet
Und fürs U man macht ein Vau –
Dahin, Alter, laß mich zieh’n!“