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Ein deutscher Gesangsmeister

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Textdaten
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Autor: Johann Christian Lobe
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Titel: Ein deutscher Gesangsmeister
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 324–327
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[324]
Ein deutscher Gesangsmeister.
Von J. C. Lobe.

Seit einem Menschenalter beobachte ich die stille, ernste Berufsthätigkeit eines Künstlers, der in der schwierigsten Disciplin der Musik, im Gesangunterricht, so beachtenswerthe Erfolge erzielt hat, daß er als eine Zierde deutschen Kunstlebens und Kunststrebens einen Platz im Gedächtniß der Nation verdient, nachdem in den engeren Fachkreisen sein Ruf längst über Deutschland, ja über Europa hinaus gedrungen. Oft schon war es meine Absicht, auf das künstlerische Wirken des bedeutenden Mannes aufmerksam zu machen, aber die stete Geneigtheit desselben, sich von der Oeffentlichkeit zurückzuziehen, durchkreuzte immer wieder mein Vorhaben. Die Aufzeichnungen blieben aus diesem Grunde unter meinen Papieren verborgen, bis sie jetzt wieder in die ordnende Hand des Greises fielen und mich allen Ernstes mahnten, eine gebotene Pflicht zu erfüllen und, den Widerstand des Meisters besiegend, das Leben und Wirken des gegenwärtig vielleicht gediegensten Gesangsbildners Deutschlands, wenn auch nur in kurzen Zügen, dem großen Lesekreise der „Gartenlaube“ vorzuführen.

Das Haupt einer ehrenfesten Tuchmacherfamilie in Neustadt an der Orla war Franz Götze’s Großvater. Er müßte kein Thüringer gewesen sein, wenn er an der monotonen Handhabung des Zettels und Einschlags, wie das Färberhandwerk sie erheischt, Genüge gefunden hätte.

Musik liegt dem Thüringer Völkchen im Blute; sie ist sein belebender, erheiternder Motor und kennzeichnet Land und Leute. Jedes Kind der zahlreichen Familie tractirte sein Instrument bei den fröhlichen Liedern und Tänzen der Feierstunde. Der Sohn David, Gründer einer ansehnlichen Kunst- und Schönfärberei im Orte der hundert Tuchmacher, dilettirte zugleich auf drei verschiedenen Instrumenten. Seine sämmtlichen neun Kinder waren wiederum mit Trieb und Lust zur Musik ausgestattet. Der älteste Sohn Eduard, ein entschiedenes Talent für das Clavierspiel, versuchte sich sogar in kleinen Compositionen, während er dem Handwerke des Vaters treu zugethan blieb.

Der dritte Sohn, Franz, der hier im wohlgelungenen Bildnisse erscheint, 1814 zu Neustadt an der Orla geboren, war gleichfalls für die Färberei bestimmt, und als es, wie üblich, zur Wahl eines Instrumentes kam, fiel die Wahl auf die Geige, da noch Niemand ahnte, daß der Knabe das beste Instrument in seiner Stimme mit auf die Welt gebracht hatte.

Der kleine Violinist gab bald Zeugniß von Talent und Fleiß. Als Ende der zwanziger Jahre der Vater mit seinem Geschäfte nach dem benachbarten Städtchen Pößneck übergesiedelt war, fanden sich einige junge gebildete Männer an mehreren Tagen jeder Woche bei der Färberfamilie ein, um sich an den musikalischen Unterhaltungen der beiden erwähnten kaum dem Knabenalter entwachsenen Söhne zu erfreuen. Einer der Musikfreunde, Kaufmann Sänger, der sich selbst als Clavierspieler an den Productionen gern betheiligte, wußte den Vater zu bestimmen, dem Sohne Franz gründlichen Unterricht auf der Geige geben zu lassen. Kein Geringerer als der Altmeister Spohr wurde als Lehrer ausersehen, [325] und mit dem Glauben an seinen neuen Beruf schied der fünfzehnjährige Färberlehrling von der ehrbaren Zunft, um sich in Kassel ganz der Kunst zu widmen. Spohr war als der größte Violinist seiner Zeit bekannt. Seine Virtuosität, die Kraft und Schönheit seines Tones und Spieles verfehlte nicht, großen Eindruck auf den lernbegierigen Schüler zu machen, der sich auch bald für die hervorragenden Compositionen des Meisters erwärmte, durch welche ihm der Einblick in die ideale Kunst erschlossen wurde.

Zu den Aufführungen des kurfürstlichen Hoftheaters, an dem Spohr Capellmeister war, hatten die Schüler freien Eintritt mit der Verpflichtung, zuweilen im Orchester auszuhelfen, es zu verstärken. Natürlich wurde hiervon ausgiebig Gebrauch gemacht. Die Oper übte in vortrefflichen Aufführungen unter der ausgezeichneten Leitung Spohr’s eine wunderbare Anziehungskraft aus. Die Autorität des hochgeschätzten Lehrers und die Verehrung seiner Meisterschaft war zu einem Grade gestiegen, daß in den Augen der Schüler selbst Paganini, als er sich in Kassel hören ließ und zur Bewunderung hinriß, nicht vermochte, dem deutschen Altmeister den Rang streitig zu machen.

Franz Götze.
Originalzeichnung von Adolf Neumann.

Nach den mit Fleiß und Ausdauer betriebenen Studien trat später Götze, auf Hummels Veranlassung, als erster Violinist in die großherzogliche Hofcapelle in Weimar ein.

Das Weimarische Theater stand noch von der classischen Zeit der Goethe’schen Oberleitung her in hohem Ansehen; jetzt glänzte es auch durch eine gute Oper unter Hummel’s Direction. Dem neuen Orchestermitgliede war damit andauernd Gelegenheit geboten, seine dramatisch-musikalischen Neigungen weiter zu cultiviren. Die in den bessern Umgangskreisen der Dichterstadt herrschende ästhetische Bildung regte ihn gleichzeitig zu eifrigen Studien in dieser Beziehung an. Er hatte erkannt, daß seine bisherige Schulbildung eine ungenügende gewesen, und suchte mit der ihm eigenen Gründlichkeit alles Wissenswerthe zu erlernen; nachdem er die Ueberzeugung gewonnen, daß das Ziel aller Kunst, nur auf Grund wahrer Bildung zu erstreben sei. In den Hof- und anderen Concerten errang der junge Virtuos bei Solovorträgen auf seinem Instrument neben Hummel und anderen Musikalischen Celebritäten reichen Beifall, und als Wieck mit seinem Wunderkind Clara (Schumann) in Weimar ein Concert veranstaltete, wurde Götze zu einem Duo gewonnen, das der greise Goethe sich in seinem Hause wiederholen ließ. Der gemessene freundliche Ausdruck von Seiten des unsterblichen Dichters blieb dem jungen Künstler eine theure Errungenschaft für’s Leben.

Bei den nach damaligen Verhältnissen noch sehr gering dotirten Stellen in der großherzoglichen Hofcapelle warfen noch einige zu ertheilende Privatstunden, deren ansehnliches Honorar nicht mehr als zwei gute Groschen betrug, das Nöthige zum spärlichen Haushalt ab. Die Ferienzeit benutzte Götze wiederholt zu Reisen nach Kassel, um bei Spohr zu weiterer Ausbildung Unterrichtsstunden zu nehmen. Dabei bot sich ihm auch die erste Gelegenheit, als Sänger im kleinen Kreise durch Vortrag von Liedern die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der Violoncellist Hasemann, im dortigen Orchester angestellt, gab auch Gesangunterricht und musicirte viel mit dem in Kassel anwesenden großen Tenoristen Wild aus Wien, den auch Götze dort mit Bewunderung hörte. Hasemann gewann beim Hören der klangvollen Stimme und dem natürlichen gefühlvollen Vortrag des Letztem die Ueberzeugung, daß aus dem Violinisten sich ein Sänger von Bedeutung entwickeln müsse, und gab ihm Veranlassung zu weiteren Stimmübungen.

Ein durchaus begabter Autodidakt, suchte Götze nun, allerdings unterstützt durch seine tüchtige musikalische Vorbildung, sich seine eigene Theorie für Gesangstudien und seine Methode zu gründen, ausgehend von einer gesunden Natürlichkeit der Tonbildung (dieses Problems der Gesangskunst) wie des Vortrags. Was er sich aus vorhandenen Lehrbüchern holen konnte, erschien ihm durchaus ungenügend, zum Theil verwerflich, während er, auf seiner eigenen Bahn vorgehend, erfreuliche Fortschritte bemerkte, die ihn nach einiger Zeit zu theatralischen Versuchen auf der Hofbühne zu Weimar ermuthigten. Obgleich diese zur Zufriedenheit gelangen und Beifall fanden, wurde der Platz des Violinisten im Orchester nicht aufgegeben; hinderte er ihn doch nicht, die Gesangübungen gründlich fortzusetzen!

Eine plötzliche Wendung nahm die Sache, als in Folge der Erkrankung des ersten Tenors der dortigen Bühne, des beliebten und gefeierten Knaust, eine große Verlegenheit für die Oper erwuchs. Aus ihr herauszukommen, richtete man sein Augenmerk sofort auf Götze. Derselbe lernte zunächst als Ersatzmann die erforderlichen Partien in unglaublich kurzer Zeit, trat auf und wurde durch rauschenden Beifall für seine in jeder Weise bewundernswerthen Leistungen belohnt.

Hiermit war die Entscheidung für die künftige Künstlerlaufbahn Götze’s gefallen. Er widmete sich nun ausschließlich der Bühne, bei der er als erster Tenor angestellt und bald vom Publicum zum erklärten Liebling erkoren wurde.

Mit dem ehrenvollen Engagement für das große Feld aller ersten Tenorpartien fielen ihm außer den lyrischen, seiner eigentlichen Sphäre, auch die Heldenpartien zu, denen er, bei den nicht allzu großen räumlichen Verhältnissen der dortigen Bühne, vollständig gewachsen war. Auch sein ergötzlicher Humor, in einigen komischen Darstellungen, lebt noch heute frisch in meiner Erinnerung.

Fortgesetzte vielseitige Studien hatten seine ästhetische Bildung zu einer Reife gebracht, die, getragen von einem ungewöhnlichen [326] musikalischen Verständniß, für die Darstellung und den Vortrag von großer Bedeutung war und beim Zuhörer jenes wohlthuende Gefühl anmuthenden natürlichen Gefallens erzeugte, wie es blendende Mittel und Effecthascherei niemals vermögen. Seine Stimme gehörte nicht zu den mächtigen, aber zu den sympathischen, wie ich sie im bewunderungswürdigen Cantabile lyrischer Rollen und in seelenvollen Liedervorträgen schöner nie gehört habe.

Bei den gesteigerten Anforderungen, die nun an den Künstler auf der Bühne herantraten und die er vor Allen an sich selbst stellte, arbeitete er mit einer Strenge und Gewissenhaftigkeit, wie sie ihm eigenartig, an seiner höhern, künstlerischen Ausbildung fort. Von der Richtigkeit und Zweckmäßigkeit seiner Gesangsmethode konnte er mehr und mehr überzeugt werden, da er in dieser Zeit auf Grund derselben eine junge Dame, Fräulein Rosalie Aghte, ausbildete, welche bald als Frau von Milde bei der Oper in Weimar als eine ganz hervorragende dramatische Sängerin glänzte; gleichwohl war es ihm vom höchsten Interesse zu wissen, wie Garcia, der berühmteste Gesanglehrer seiner Zeit, Unterricht ertheilte, was von ihm noch zu erlernen sei, und in wie weit derselbe mit der Methode und den Leistungen des deutschen Sängers übereinstimme. Ein zu diesem Behufe erlangter Urlaub von einigen Monaten wurde benutzt, nach Paris zu reisen, um in die vielgerühmten Geheimnisse der Stimmausbildung und des Kunstgesanges einzudringen.

Götze erlangte da die Genugthuung, daß sein bisheriger Studiengang im Grunde der rechte gewesen war, und gewann mit der Anerkennung des berühmten Gesangsmeisters die Ueberzeugung, auf dem betretenen Wege weiter gehen zu sollen; denn ein Genügen, ein Ausruhen auf dem Lorbeer giebt es für ihn überhaupt nicht; sein Streben nach Wahrheit und Vollkommenheit in seiner schönen Kunst wird erst mit ihm selbst endigen.

Von größter Bedeutung für ihn war jene Zeit, als auf der Weimarischen Bühne ein Stern erster Größe in Wilhelmine Schröder-Devrient aufging, die zu einem längeren Gastspiel eintraf. Dieser hochbegabten größten dramatischen Sängerin Deutschlands war es ein Vergnügen, hier eine stimmungsvolle edle Künstlernatur in Götze zu finden, mit dem sie eine ganze Anzahl Rollen in ihrer genialen Weise einstudirte. Der Gewinn, den Götze aus dem Zusammenwirken mit der Schröder-Devrient für Darstellung und dramatischen Gesang zog, war ein so hoher, der Eindruck, den die unvergleichliche Frau auf ihn machte, war ein so tiefer, daß seine Verehrung für sie noch heute den Lorbeer um ihr Bildniß schlingt, welches sie ihm mit einer eigenhändigen Widmung nebst einem werthvollen Ringe beim Abschiede von Weimar verehrte.

Als jüngsthin Frau Marie Wilt, die während ihres Engagements in Leipzig die Aufmerksamkeit Götze’s durch ihre phänomenalen Gesangsmittel gefesselt hatte, dem liebenswürdigen Meister des Gesanges scheidend einen Lorbeerkranz überbrachte, wollte er ihn mit den Worten zurückweisen: „Was soll ich damit? Der gebührt mir nicht – aber,“ setzte er sogleich hinzu, „da hängt das Portrait einer großen echten Künstlerin, das wollen wir damit schmücken,“ und der Kranz wurde um das Bildniß der Schröder geschlungen.

Unter Chelard’s und Liszt’s Direktion gewann das umfangreiche Repertoire der Weimarischen Hofbühne immer mehr an Ausdehnung. Es umfaßte die deutsche Oper von der classischen Periode, von den Werken Gluck’s, Mozart’s, Beethoven’s, an bis zur neuern romantischen Zeit, zu den Opern Weber’s, Spohr’s, Marschner’s etc., wie die Oper der alten und neuen Franzosen und Italiener. Götze’s vielseitiges Talent beherrschte alle die bedeutenden ersten Tenorpartien darin, unter steigender Theilnahme des kunstgebildeten Publicums.

Wenn Götze seiner ganzen Natur nach den unsterblichen Werken unserer classischen Componisten mit Vorliebe zugethan war, so hielt ihn das nicht ab, jeder Kunsterscheinung von Werth warmes Interesse entgegen zu bringen, wie er es auch in neuester Zeit der Muse Richard Wagner’s und Liszt’s widmete. In nähere freundliche Beziehung zum geistreichen Liszt trat Götze noch, indem er einer der Ersten war, der dessen Liedercompositionen vortrug, die dadurch allgemein bekannt und gewürdigt wurden.

Im weiteren Verfolge seiner Künstlerlaufbahn wurde Götze bei angestrengter Thätigkeit am Theater wiederholt leidend, und so reifte der Wunsch in ihm, von der Bühne zu scheiden und sich dem liebgewonnenen Berufe, Unterricht in seiner Kunst zu ertheilen, ganz zu widmen. Ein wiederholt vom Direktorium des Conservatoriums zu Leipzig an ihn gelangter Ruf bestimmte ihn, die Stelle als Gesangslehrer daselbst anzunehmen. Weimar empfand den schweren Verlust tief und schmerzlich, und der Großherzog würdigte die Verdienste des Scheidenden durch Verleihung des Titels als Professor der Musik.

Im Jahre 1853 trat Götze seine Stelle in Leipzig an, mit der Hoffnung, hier die Erfahrungen, die ihm ein langes geliebtes Studium verschafft, möglichst allgemein und nützlich zu verwerthen. Gewissenhaftigkeit und Consequenz, eine mit liebreicher Theilnahme verbundene Strenge waren Eigenschaften bei seiner Unterrichtsweise, die ihm eine seltene Autorität und eine Zuneigung seitens der Schüler erwarben, wie sie nur dem besten Lehrer zu Theil werden. Zahlreiche Beweise von Anerkennung und rührender Dankbarkeit wurden ihm von vielen Seiten dargebracht.

Nach einer fünfzehnjährigen Wirksamkeit am Conservatorium widmete sich Götze von 1868 an lediglich dem Privatunterricht, darin das eigentliche Mittel erkennend, stimm- und talentbegabte Schüler bis zu derjenigen Ausbildung zu bringen, die den Künstler berechtigt, vor die Oeffentlichkeit zu treten. Ist der Schüler nach langen gründlichen Studien zu jener Stufe gelangt, so weiß ihn der Meister auch bezüglich der Darstellungskunst in einem Grade vorzubereiten, daß sein erstes Auftreten die Leistung als die eines Anfängers kaum erkennen läßt.

Es würde zu weit führen, die zahlreichen Schüler, welche durch Götze zu bedeutenden und hervorragenden Künstlern gebildet worden sind, hier alle aufzuführen; es genüge, einige aus neuerer Zeit zu nennen; wie: Georg Herrschel, der als Concertsänger auch außer Deutschland, in England und Rußland, die größten Erfolge erzielt, Bulß, Hofopernsänger in Dresden, Bariton Karl Meyer am Hoftheater in Kassel, der dort in die frühere Stelle von Bulß getreten, lyrischer Tenor Landau in Hamburg bei Pollini, Bariton Goldberg in Königsberg, ferner Frau Gutschbach-Lißmann, früher in Leipzig, jetzt in Hamburg, Fräulein Lammert, jetzt Frau Dr. Damm, Hofopernsängerin in Berlin, Fräulein von Hartmann in Königsberg und Fräulein Friedländer zur Saison in London mit großem Erfolge singend.

Aus Götze’s Schule sind aber auch Lehrer, die in seinem Geiste mit der an sich selbst erprobten Methode lehren, hervorgegangen. So weit sie mir bekannt, sind es: Professor von Bernuth in Hamburg, Fritz Rebling (lange Zeit hindurch ein vorzüglicher Oratorien- und höchst brauchbarer Bühnensänger), Fräulein Natalie Schilling in Leipzig, Fräulein Elise Eicke in Bremen, Frau von Milde in Weimar und Götze’s eigene reichbegabte Tochter, Fräulein Auguste Götze in Dresden, welche die jetzt an der Frankfurter Bühne thätige vortreffliche und Aufsehen erregende Sängerin Frau Morau-Olden herangebildet hat. Mögen sie die empfangene wahre reine Lehre in alle Welt verbreiten und damit der Klage über den Verfall der Gesangslehre in Deutschlands abhelfen, die von Denen erhoben wird, welche das ernste geräuschlose Wirken Götze’s, dem freilich nichts mehr als die Reclame verhaßt ist, nicht kennen.

Zum Schlusse sei es mir noch gestattet, einige Worte über die Kunst des Gesanges, wie sie von Götze verstanden wird und von der ganzen Welt verstanden werden sollte, hinzuzufügen.

Die menschliche Stimme ist das vollkommenste aller Instrumente, weil sie, aus der schöpferischen Hand der Natur hervorgegangen, allein die Fähigkeit in sich trägt, die leisesten Regungen der Seele zum Ausdruck zu bringen; daß dieser Ausdruck aber wahrhaft künstlerisch, das heißt allezeit wahr und schön sei, dazu muß der Sänger das vorzutragende Musikstück, nachdem er es seinem Musikalischen und geistigen Inhalte nach völlig in sich aufgenommen hat, vor seiner Seele in höchster Tonschönheit hervorzurufen verstehen und seine Stimme so durchaus beherrschen, daß sie, mühelos seinem Willen gehorchend, das Empfundene ungetrübt zur Erscheinung bringt.

Diese wenigen Worte enthalten das Wesentliche aller Gesangskunst und können dem Laien wohl kaum einen Begriff von dem jahrelangen Mühen und Ringen geben, dem selbst ausgesprochene Talente sich unterziehen müssen, wofern sie über die Mittelmäßigkeit sich erheben wollen. Es gilt eben, in der Seele des Sängers ein Ideal heranzubilden, welches sein Denken und Empfinden so völlig beherrscht, daß ihm jede Unschönheit als Verneinung der Kunst widerwärtig, ja als Unmöglichkeit erscheint, [327] und zu gleicher Zeit seinem Instrumente, der Stimme, die Kraft und Geschmeidigkeit zu verleihen, deren sie zur Bewältigung der mannigfaltigen schwierigen und anstrengenden Aufgaben, welche die Kunst ihr stellt, bedarf.

Das intellectuelle und technische Können seiner Schüler nun gleichmäßig so weit zu entwickeln, wie es die Fähigkeit und der Fleiß des betreffenden Individuums überhaupt gestatten, versteht Götze in meisterlicher Weise. Vom Leichten zum Schwierigen aufsteigend, das dem Schüler von der Natur Verliehene festigend und entwickelnd, das Versagte oder Verkümmerte ihm zum Bewußtsein bringend und durch Erweckung des Sinnes dafür ergänzend, müht sich Götze rastlos; er opfert freudig seine Zeit und selbst seine Gesundheit seinen gesangspädagogischen Zwecken und sieht stets den wahren Lohn seiner Anstrengungen in den Fortschritten des Schülers. Dieser aber empfindet vom ersten Augenblicke des Unterrichts an jenes unbegrenzte Vertrauen in seinen Lehrer, das dem sichern Meister wie von selbst zufällt, das aber auch allein die überraschenden Unterrichtserfolge Götze’s zu erklären vermag. Welcher Art aber dieselben sind, davon soll ein Anderer Zeugniß ablegen, der leider zu früh verstorbene edle Dichterkomponist Peter Cornelius, der gelegentlich des Meininger Musikfestes im Jahre 1867 in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ Nr. 250 desselben Jahres Folgendes schrieb:

„Der dritte Concertabend war vorzugsweise der Gesangslyrik gewidmet. Da war ein Quartett von Schülern des Professor Götze aus Leipzig, die in dem spanischen Liederspiel von Schumann einen wahren Sturm von Beifall und da capo-Rufe über da capo-Rufe errangen. Es waren die Fräulein Emilie Wigand und Clara Martini, die Herren Joseph Schild und Paul Richter. Es läßt sich nichts Vorzüglicheres denken. Wie diese beiden Damen aussprechen, wie sie Alles ungezwungen und natürlich geben! Gewisse Worte, wie ,An ihn! an ihn!’ aus der ,Botschaft’, oder wenn Schild mit seiner goldenen Stimme sang: ,Also lieb’ ich Euch, Geliebte’, oder das ,Wer mich liebt, den lieb’ ich wieder’ des Fräulein Martini, sind für’s Leben unvergeßlich.“

Möchte es Deutschland, das seit anderthalb Jahrhundert durch seine Componisten allen Nationen der Erde voransteht, gelingen, auch den Ruhm zu gewinnen, die Kunst des Gesanges, deren Verfall in ihrem Mutterlande Italien offenkundig ist, zu neuer Blüthe entwickelt zu haben! Das aber zu erreichen, dazu dürfen uns niemals Männer fehlen, die Meister Götze gleich all ihre Kraft im Dienst des unvergänglichen Ideals einsetzen.