Ein deutscher Festungscommandant aus dem Volke
Der dreißigjährige Krieg wird noch lange eine unerschöpfte Fundgrube für historische Forschung und Darstellung bleiben, und wie jener Krieg für Deutschland in seinen Folgen bis in unsere Gegenwart hereinwirkt, der Riß, den er und sein ebenso verderblicher Friede durch das Reich zog, bis heute nicht ausgefüllt ist, so lebt auch allenthalben im Volke noch die Theilnahme für jene Zeit und ihre großen wie ihre gräßlichen Thaten.
Eine der wohlthuenderen Erscheinungen dieses Krieges ist der Gegenstand der folgenden Darstellung. Conrad Wiederhold, ein Haudegen aus dem hessischen Ziegenhain, der von der Pike auf gedient und, nachdem er unter verschiedenen Fahnen gefochten, endlich in Würtemberg Officiersrang erwarb, ist der Held derselben.
Die für die Evangelischen so unglückliche Schlacht von Nördlingen war geschlagen, und der jugendliche Herzog Eberhard III. entfloh mit seinem Hofe von Stuttgart nach Straßburg, nachdem er Wiederhold zum Obersten und Commandanten der Veste Hohentwiel ernannt hatte, und zwar mit dem bestimmten Befehl: „die Festung um alle Welt Niemand zu übergeben, als allein ihm, ihrem rechtmäßigen Herrn.“ Kaum war dies geschehen, so hielt König Ferdinand, der Sohn des Kaisers, seinen siegreichen Einzug in Stuttgart.
Wiederhold’s erste Sorge war es, das verkommene Festungswerk auf Hohentwiel wieder in Stand zu setzen und zugleich die für die Veste gefährlichen Schlösser Mägdeberg, Hohenkrähen und Stauffen zu zerstören. Kaum war dies vollbracht und die Festung eiligst verproviantirt, so erschien ein kaiserlicher Befehlshaber, Vitzthum von Eckstädt, mit einer Schaar Dragoner vor dem hohen Felsenberge der Festung und verlangte, nach einigen fruchtlosen Sturmversuchen: „der Commandant solle alle seine Soldaten bis auf zweihundert abdanken, dann wolle man kaiserlicher Seits die Festung in Ruhe lassen.“ Wiederhold wies ihn mit derben Worten ab und ließ ihn auf’s Neue seine vergeblichen Sturmversuche machen, bis er ihm dies endlich so gründlich verleidete, daß gar bald von den Kaiserlichen nichts mehr vor der Veste zu sehen war. Wuth und Grimm erfaßten den Kaiser ob dieses Ausganges und besonders darüber, daß ein einziger Mann es wagte, von Würtemberg noch ein Stücklein besitzen zu wollen! Denn alle anderen Festungen und Schlösser waren gefallen, Wiederhold war die einzige Hoffnung des geknechteten Landes, nach ihm hinauf schauten vertrauensvoll die armen trauernden Patrioten. Und ihre Hoffnung ist nicht zu Schanden geworden. Selbst nachdem einmal auf der Veste die Pest gewüthet hatte und eine Hungersnoth ausbrach, während der Feind den Felsen umschlossen hielt, verharrte Wiederhold in männlicher Unerschütterlichkeit bei seinem Vorsatze, bis es der Feind endlich selbst für gut hielt, bei dem unüberwindlichen Aar auf dem Horste von Hohentwiel einen Friedensvergleich zu beantragen. Dieser Vergleich kam zu Stande. Hierauf hatte Wiederhold zwei Jahre Ruhe und Frieden.
In dieser Zeit war es, daß er seinem „Herrn und Herzog“, der sich zu Straßburg in großer Geldnoth befand, einen ausgehöhlten Wanderstock voll Ducaten übersandte. Kam dieses Geld auch eben recht, so dauerte es doch nicht lange, und da den armen Herrn auch das Heimweh im Herzen bedrängte, so vergab er sich’s endlich und flehte den Kaiser an, ihn in den Prager Frieden mit aufzunehmen. Dieser schenkte dem Herzog anfangs gar kein Gehör, und als er sich endlich herabließ, dem Flehen des Herzogs sein Ohr zu leihen, behielt er sich vor, daß ihm zuerst Hohentwiel zur Verfügung gestellt werden müsse, ehe er, der Herzog, auch nur das Geringste von seinem Lande wieder erhalte. Davon wollte jedoch Herzog Eberhard nichts wissen, er befahl sogar dem Commandanten der Felsenfestung, um jeden Preis sein gegebenes Wort zu halten. Endlich trieb ihn dennoch die Noth, das kaiserliche Verlangen zu erfüllen. Sofort schickte der Kaiser drei seiner Höflinge nach Hohentwiel, um Besitz von der Veste zu nehmen. Aber man hatte eine Zahl bei der Rechnung vergessen – diese Zahl war Wiederhold’s treuer, ehrenvoller Charakter. Als die Gesandten des Kaisers ihr Begehr zu erkennen [571] gaben, ließ ihnen der Held lakonisch sagen: „Daraus wird nichts!“ und auch den später anlangenden Abgeordneten seines Herzogs ward, außer den gebührenden Entschuldigungen, keine bessere Antwort. Da fand Eberhard es sogar für gut, sich bei dem Kaiser über den Ungehorsam seines Commandanten zu beklagen und um Nachsicht gegen sich selbst zu bitten. Nun schlug der Kaiser einen gütlichen Weg gegen Wiederhold ein. An Versprechungen jeder Art fehlte es nicht; aber Wiederhold blieb unerschütterlich. Endlich versuchte Eberhard ein Anderes und schrieb einen Brief voll Befehlen und Bitten, voll Drohungen und Verheißungen an seinen treuen Commandanten. Da es jedoch sonnenklar vor Wiederhold’s Geist stand, daß mit der Felsenveste die letzte Stütze Würtembergs zerbrochen werde, so schloß er sogar mit dem Herzog Bernhard von Weimar ein Schutz- und Trutzbündniß und erklärte dies ganz offen auf das Schreiben seines Herzogs.
Noch blieb dem Kaiser ein Mittel: die Garnison gegen ihren Commandanten aufzuwiegeln. Es ward versucht – aber Wiederhold war der Vater seiner Krieger, und der Plan schlug vollständig fehl. Wer dadurch in immer größere Verlegenheit gerieth, war der junge Herzog von Würtemberg; er schrieb Wiederhold immer energischere Briefe. In dem letzten heißt es: „Wofern Du, Wiederhold, uns noch mit Treue dienest, wirst Du diesem Befehl Folge leisten, Dich mit befohlener Lieferung dieses Hauses an kaiserl. Majestät nicht länger aufhalten, sondern eines Endlichen gegen uns erklären.“ Da dachte Wiederhold: „Du schreibst, weil Du mußt!“ und – gab dem Herzoge gar keine Antwort.
Mittlerweile gingen die zwei Jahre des mit dem Kaiser abgeschlossenen Friedens zu Ende. Dieser hatte dem Herzog Eberhard den Ungehorsam seines Commandanten nicht entgelten lassen, sondern ihn wieder in sein Land eingesetzt. Aber Hohentwiel hielt kaiserliche Majestät nach wie vor für einen dem Hause Habsburg eben recht gelegenen Punkt und nahm deshalb im Juni des Jahres 1639 durch den General Guyn von Gelern die Belagerung der Veste wieder auf. Man versuchte zunächst, den starren Commandanten durch den verheißenen Glanz hoher kaiserlicher Gunst zu berücken, aber dies mißlang ebenso, wie der nachherige nicht weniger kühne Versuch, die Felsen der Veste zu untergraben, und so sah sich auch Guyn von Gelern endlich genöthigt, abzuziehen; dasselbe Schicksal hatte kurze Zeit nach ihm ein Oberst, Namens Truckmüller, der sein kaum fertiges Lager wieder abbrach, weil Wiederhold es ihm zu heiß und der Winter zu kalt machte. Das war im Anfang des Jahres 1640.
Gegen das Ende desselben Jahres erschien vor der Veste ein spanischer Caballero, Friedrich Enriquez, mit einem Heere von 7000 Mann Oesterreichern und Spaniern. Nachdem Wiederhold auch diesem gegenüber die Feuerprobe der Unbestechlichkeit bestanden hatte, schlug er ihn in Verbindung mit dem zum Entsatze der Festung herbeieilenden Obersten Rose, Anführer eines Regiments französischer Truppen, dermaßen auf’s Haupt, daß von seinen 7000 Kriegern nur 700 davon kamen.
Während nun drei bis vier Jahre Ruhe auf Hohentwiel herrschte, besserten sich auswärts die Sachen der Katholischen, und ob dieses Umstandes wieder muthig geworden, verschworen sich sechs österreichische Obersten, Hohentwiel unter jeder Bedingung zu erobern. Am 25. Juli 1641 kam der Oberst Neumark, anfangs October der General Sparr mit Baiern und Oesterreichern vor der noch immer „jungfräulichen“ Veste an. In zwei langen Schreiben versuchte der Letztere bei dem ritterlichen Commandanten eine moralische Eroberung und stellte demselben hauptsächlich vor, „wie kaiserliche Majestät zu Regensburg auf allgemeinen Frieden bedacht sei, doch einzig unter der Bedingung, daß zuvor Hohentwiel übergeben werde. So also er, Wiederhold, sich noch weiter sträube, ob er dann längeres Blutvergießen verantworten und vor Gott und der Welt rechtfertigen könne?“ Dem entgegnen der hochverständige Held ganz kurz und rund: „daß der Kaiser solche Bedingung gar nicht stellen könne, da ja die Veste nicht ihm, dem Kaiser, sondern seinem Herzoge gehöre, dem allein er auch dieselbe seiner Zeit getreulich übergeben wolle.“ Darauf begann eine Belagerung, wie sie Hohentwiel noch niemals erlebt. Nach dem Zeugniß von Augenzeugen konnte man das feindliche Feuer tagtäglich einige Meilen weit sehen. Wiederhold selbst donnerte 2700 Kanonenschüsse von der Veste herab auf den Feind und warf mehr als 360 Granaten und 108 Feuerbälle in seine Lager, so daß man ein zusehends Lichterwerden der kaiserlichen Kriegsvölker bemerkte. Trotz alledem war Wiederhold’s Lage gefährlicher denn je, und er entschloß sich endlich, die schwedischen Bundesgenossen zu Breisach um Hülfe zu bitten. Hundert von seinen Reitern suchte er aus zu dem kühnen Wagestück, sich durch die Kaiserlichen hindurch zu schlagen – und muthig haben’s diese Hundert vollbracht und sind glücklich zu Breisach angekommen. Kaum sah der kaiserliche General die Schweden in Eilmarsch gegen die Veste heranziehen, als er noch viel eiliger abzog und den größten Theil seiner Munition in den Händen Wiederhold’s zurückließ. Mit Spott äußerte damals der verwunderte Held, „daß eine solche Flucht ohne Beispiel in der Kriegsgeschichte wäre.“
Danach verspürte der Kurfürst von Baiern Lust, einmal seine Kraft gegen Wiederhold zu versuchen. Dazu gehörte natürlicherweise Geld, und da es der Kurfürst mit seinem eigenen nicht riskiren wollte, so wandte er sich behufs einer Beisteuer an die Stände des Schwabenlandes. Dazu gehörte auch Würtemberg, und so kam es, daß auch Herzog Eberhard zur Eroberung seiner eigenen Festung monatlich 3000 Gulden beisteuern mußte. Die Geldmittel in Händen, erschienen nun auch alsbald die Baiern vor Hohentwiel und fingen gewaltig zu stürmen an. Indeß dauerte es nicht lange, und der Weg der Güte ward wieder einmal gewandelt. Man versprach Wiederhold nicht nur ungeheuere Summen Geldes, sondern auch dem Herzoge selbst die Zurückgabe seines ganzen Landes, mit Ausnahme von vier Klöstern. Wiederhold sollte auf der Veste bleiben dürfen, jedoch nur unter drei Bedingungen: „daß ihm noch ein zweiter Commandant beigegeben werde, daß er aus dem Bunde mit den Franzosen trete, und endlich, daß er fürder wider die Katholischen nichts weiter mehr unternehme.“ Auf diese Bedingungungen entgegnete der Biedermann: „Man habe ihm zwar schon auf verschiedene Weise zugesetzt und um seine Veste gebuhlt, doch begehre er nichts, als allein seinem Herrn treu zu dienen, was auch Andere thun sollten. Und damit hoffe er fest, das Land Würtemberg für denselben wieder zu bekommen. Wie man aber in Würtemberg an Land und Leuten hause, so plage er dieser Feinde Orte ebenmäßig, wie er könne.“ Und es dauerte gar nicht lange, so hatte er das Schlußwort in That umgesetzt und dem Feinde wieder einmal empfindlichen Schaden zugefügt. Der leitende Gedanke seiner Handlungen war klar und kurz der: Man müsse nach Kräften dazu beitragen, dem Kaiser den Krieg zu verleiden, damit er sich entschlösse, den Frieden im deutschen Lande wiederherzustellen. Und daß Wiederhold sich hierin nicht geirrt, beweist die Erklärung seiner apostolischen Majestät an Wiederhold bei Gelegenheit der Auslösung vornehmer Gefangener zu Hohentwiel, die dahin lautete, „daß man gar nicht gemeint sei, die Festung dem Herzoge zu entziehen, sondern vielmehr, daß ihm dieselbe zu Händen gestellt werden sollte. Es könne auch gar leicht dahin gerichtet werden, daß man dem Herzoge das ganze Land wieder abträte.“ Wiederhold aber traute der kaiserlichen Erklärung nicht, ließ deshalb auch diesen Fingerzeig unbenutzt und gab die öffentliche Erklärung ab: „daß sein Absehen allein dahin gehe, das zerrissene Herzogthum Würtemberg einst einmal wieder zusammen und so viel tausend bedrängte Seelen in Ruhstand zu bringen, wie auch Vergießung weiteren Christenbluts zu verhüten.“
Das schrieb seine Feder, und im Einklänge damit schrieb auch sein Schwert, so daß sich endlich der Kaiser soweit herabließ, Wiederhold die Bedingungen anheim zu geben, unter denen er gewillt sei, die Veste zu übergeben. Der Getreue stellte folgende Forderungen: 1) dem regierenden Herzog Eberhard muß das ganze Herzogthum, wie er es früher besessen, abgetreten, 2) die vier oberen Aemter müssen zum Unterhalt der Festung, wie zuvor gewesen, überlassen, 3) die Jesuiten abgeschafft und alle Klöster und Stifter in vorigen Stand gesetzt, 4) die Streitigkeiten zwischen Oesterreich und Würtemberg aufgehoben, und 5) alle kaiserliche und baierische Besatzung aus dem Lande abgeführt werden. „Geh’ es, wie es wolle,“ schrieb Wiederhold damals an einen Freund, „spreche der Kaiser ja oder nein dazu, ich stehe in meinem alten Posten und gebe nicht nach.
Indessen umhenken uns die Baiern mit ihren Schanzen, wie ein Jakobsbruder mit Muscheln. Ich hoffe aber, sie werden die längste Zeit dagewesen sein.“ Wiederhold täuschte sich nicht; ging auch der Kaiser auf seine Forderung nicht ein – so dauerte es doch nicht lange, und der Stand der Schlachtenwage zwang ihn zum Frieden. Als endlich im Herbst des Jahres 1648 der Tag des Friedens für Deutschland anbrach, saß noch immer der Held von Hohentwiel ruhig
[572]auf seiner Veste und wartete der Stunde, wo der letzte feindliche Soldat und der letzte Pfaffe aus dem Lande geschieden war. Da erst, am 4. Juli 1650, nach 10 Jahren fast unausgesetzten Kämpfens im Dienste der Treue, gab er das ihm vertraute Pfand zurück in die Hände seines Herrn. Thränen der Rührung im Auge zog Eberhard ein durch das Festungsthor von Hohentwiel, und tiefbewegt drückte er die Hand des Commandanten, während er mit gebrochener Stimme Worte des Dankes flüsterte.
Wiederhold starb, in Frieden wirkend, im 70. Jahre seines Lebens. Das Anerbieten des dankbaren Fürsten, ihn in den Grafenstand zu erheben, hatte er groß und bescheiden ausgeschlagen und statt dessen sich mit dem Amte eines Obervogts zu Kirchheim, mit der schönen Wirksamkeit eines Richters begnügt. Herzog Eberhard weinte heiße Zähren an dem Grabe des treuen Helden, das er mit einem Denkstein schmücken ließ.
Jahrhunderte waren darüber hinweggegangen, als sich (im Jahr 1834) ein neues Monument an der Stelle des alten erhob, das, ihm und seiner Gattin gewidmet, außer anderen auch die folgende Inschrift trägt:
„Der Commandant von Hohentwiel,
Fest wie sein Fels, der niemals fiel,
Des Fürsten Schild, des Feindes Tort,
Der Künste Freund, der Armen Hort,
Ein Bürger, Held und Christ, wie Gold:
So schlaft hier Conrad Wiederhold.“