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Ein Züricher Brief

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Ein Züricher Brief
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 832
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[832] Ein Züricher Brief. Sie sollen sich, mein lieber Freund, nach einer Erziehungspension in der deutschen Schweiz für eine junge deutsche Dame erkundigen. Ich gebe Ihnen gern Auskunft. Zunächst freue ich mich, daß Sie von der deutschen Schweiz sprechen. Die französische Schweiz ist zwar der eigentliche Sitz der Erziehungsinstitute für junge Damen. Die deutschen Schweizer selbst, wenn sie es eben können, schicken ihre Töchter mindestens auf ein Jahr in eine Pension der französischen Schweiz, und können sie es nicht, so tauschen sie in der Art, daß sie ihr Kind dorthin auf ein Jahr in eine Familie geben, wogegen diese ihnen ihr Kind auf so lange zusendet. Eine Sitte, die schon ein Schriftsteller zur Zeit Zwingli’s eine alte nennt. Aber dazu, daß die jungen Mädchen französisch parliren lernen, reicht das eine, wie das andere aus. Sie lernen in den Instituten auch Musik und etwas Englisch und ein Stückchen Botanik und Physik und ein wenig Geschichte hinzu, auch, da diese Institute. wenn sie sich dort halten wollen, fromm sein müssen, in diesem Sinne Religion. Eine gründliche und harmonische Ausbildung des Geistes und des Herzens zu verschaffen, dazu möchten aber nur sehr wenige der Dameninstitute in der französischen Schweiz im Stande sein. Für den Augenblick ist mir keine, die den Anforderungen genügen dürfte, bekannt, ich habe freilich keine specielle Bekanntschaft in der welschen Schweiz. Früher, weiß ich, war das berühmte Institut der Madame Niederer in Genf.

Um so mehr könnte es nun verwundern, daß in der deutschen Schweiz im Ganzen überhaupt ein Mangel an weiblichen Erziehungsinstituten herrscht. Man begnügt sich hier meist mit dem, was man in Deutschland höhere Töchterschulen nennt. Der Grund leuchtet indeß ein. Es ist eben jener Umstand, daß die deutschen Schweizer ihre Töchter in die französische Schweiz zu schicken pflegen. Der Mangel ist fühlbar da, freilich mit Ausnahmen, aber sehr wenigen. An ausreichende Erziehungsinstitute in den kleinen Cantonen und Städten ist nicht zu denken. Von den größeren Städten habe ich zunächst über ein derartiges Institut in Basel nichts gehört. Die Baseler sind auch wohl zu fromm. In Bern ist eine ausgezeichnete höhere Töchterschule unter der Leitung des Director Fröhlich. Sie leistet für Bern und den Canton außerordentlich viel Gutes. Aber sie ist, so viel ich weiß, nur Schule, keine Pension, jedenfalls mehr jenes als dieses.

Der Sitz ausgezeichneter weiblicher Erziehungsinstitute war früher Zürich und ist es jetzt wieder. Den bedeutendsten und verdientesten Ruf hatte früher das Institut des Fräulein Stadlin, jetzt Frau des hiesigen Regierungs-Präsidenten Zahnder. Sie hatte es aber schon vor zehn Jahren eingehen lassen. Darauf folgte das Institut Brugg. Töchter des Dr. Brugg leiteten es mit Talent, Geschick und Glück. Der Vater starb, darauf die eine Schwester; die andere hat sich verheirathet. So mußte es ebenfalls eingehen. In völlig würdiger Weise ist seitdem an seine Stelle das Institut Kapp getreten. Es existirt noch, es ist noch in vollem, frischem Aufblühen begriffen.

Dr. Kapp, Prorector und erster Oberlehrer am Gymnasium zu Soest in Westphalen, hatte dort mit seiner Frau Ottilie, geborene von Rappard, der bekannten Schriftstellerin, schon im Jahre 1842 ein weibliches Erziehungsinstitut errichtet, das vortrefflich geleitet wurde. Als er im Jahre 1854, müde der fortwährenden Vexationen des Ministeriums Manteuffel-Raumer, die ihn nicht minder als seinen Bruder, den bekannten ausgezeichneten Gymnasialdirector Friedrich Kapp in Hamm, trafen, seinen Abschied genommen hatte, siedelte er mit seiner Familie nach Zürich über, um sich hier ausschließlich der Erziehung der weiblichen Jugend zu widmen. Er hatte anfangs mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, fremd im fremden Lande, es war natürlich. Er hat sie überwunden, und sein Institut ist, wie gesagt, in vollster und frischester Blüthe. Schon das muß für seinen Werth bürgen.

Ich kann Ihnen aber auch selbst für diesen einstehen. Ich habe schon mehrere junge Damen aus Deutschland hin empfohlen. Sie waren aufgehoben, wie zu Hause, sie lernten etwas Tüchtiges, Solides, sie kamen reich ausgebildet an Geist und Herz, und natürlich und ungeziert zurück. Was wollen Sie mehr? Die Eltern waren mir dankbar und sind es noch. Ich bin überzeugt, auch die Angehörigen der jungen Dame, für die Sie anfragen, werden mir für die Empfehlung Dank wissen. Einzelnes brauche ich Ihnen danach wohl nur noch wenig zu schreiben. Die Eltern der Dame werden sich ja auch an Kapp selbst wenden. Ich bemerke Ihnen daher nur, daß Kapp und seine Frau selbst Unterricht ertheilen und zwar mit ihren beiden Töchtern. Von diesen war die Eine mehrere Jahre Lehrerin im Elisabeth-Institut zu Berlin, die Andere Erzieherin in einer englischen Familie. Außerdem ist eine Französin für den Unterricht und die Conversation in der französischen Sprache, sowie eine Engländerin für das Englische da, wie einzelne Lehrer aus der Stadt noch in einzelnen Fächern unterrichten; ein Prediger besorgt den Religionsunterricht. In dem Institute sind gegenwärtig junge Mädchen – von zwölf bis achtzehn Jahren – aus Deutschland, England, Frankreich (unter Andern drei aus Bordeaux), Italien und der Schweiz, auch aus der französischen. Manche davon wollen sich zu Lehrerinnen und Erzieherinnen[WS 1] ausbilden, und nicht blos von diesen habe ich schriftliche Ausarbeitungen gesehen, die meine Bewunderung erregt haben.

So, mein lieber Freund, glaube ich, können Sie auch mit gutem Gewissen jene junge Dame hierher schicken lassen, nach dem schönen Zürich, dem schweizerischen Athen, wie sie in der Schweiz selbst es nennen, an den herrlichen See, den mancher andere an Großartigkeit und wilder, romantischer Schönheit übertreffen mag, aber an Anmuth und Lieblichkeit keiner.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Erzieherinen