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Ein Wogengrab

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Textdaten
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Autor: August Schnezler
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Titel: Ein Wogengrab
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch I, S. 41–43
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Quelle: Scans auf commons und Google
Kurzbeschreibung:
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Bearbeitungsstand
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[41]
Ein Wogengrab.

Nicht weit von dem altersgrauen Schlosse Gottlieben, in welchem, zur Zeit der Constanzer Kirchenversammlung Papst Johann XXIII. und der glaubensmuthige Huß gefangen saßen, lag auf einer schmalen Erdzunge, die sich in den Untersee hinausstreckte, die einsame Hütte eines Fischers, der zwar arm, aber doch im Besitz einer Perle war, um deren Schönheit ihn viele reiche Junker beneideten. Dies Kleinod war sein einziges Töchterlein Unna; die Leute in der Gegend munkelten sich aber in die Ohren, das Mädchen, welches sich durch seltenen Liebreiz und einen gewissen Adel in ihrer ganzen Erscheinung vor allen andern Jungfrauen ihres Standes auszeichnete, sey nicht seine rechte Tochter, sondern das natürliche Kind einer vornehmen Dame, die, nachdem sie es nebst einer bedeutenden Summe Geldes unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses dem Fischer zur Erziehung übergeben, sich als strenge Büßerin in ein Kloster zurückgezogen habe, wo sie jedoch kurze Zeit darnach gestorben.

Einer der einsamen Spaziergänge, die der jüngere, zum Kloster bestimmte Sohn des bischöflichen Vogtes, welcher das Schloß Gottlieben bewohnte, öfters am Strande des See’s unternahm, führte den, in düsterm Hinbrüten über die seiner wartende freudenlose Zukunft versunkenen Jüngling zufällig zu der Fischerhütte gerade an einem Abend, wo die holde Unna auf der Bank vor der Thüre die Netze ihres Vaters, die ein schwerer Fischzug zerrissen hatte, mit ihren feinen weißen Händchen ausbesserte.

Sie sehen und in glühender, aber reiner Liebe zu der Jungfrau entbrennen, die als Verkünderin eines ganz andern [42] Himmels, als dem er im Kloster entgegenreifen sollte, ihm erschienen, war das Werk eines Augenblicks. Die erste Bekanntschaft war, schon gelegentlich der Netze, bald angesponnen, und schon einige Abende darauf, von welchen Erwin von Salenstein, so hieß der junge Mann, keinen versäumte, seine Besuche zu wiederholen, auch Unna’s Herz auf’s Innigste mit dem seinigen verwoben. Erwin schwur, eher Alles Andere, denn ein Klosterbruder zu werden und die geliebte Unna sobald als möglich als seine Gattin heimzuführen.

Eines Abends, als er eben wieder hinausfliegen wollte zu dem Ankerplatze seiner Liebe, ließ ihn sein Vater, der alte Vogt Jost von Salenstein, vor sich rufen. „Unglücklicher!“ – sprach er mit finsterer Miene zu dem bestürzten Jüngling, dem seine Bestimmung zum Mönche schon frühe eine gewisse Schüchternheit eingeprägt hatte, von der er sich nimmer ganz zu befreien vermocht, – „Unglücklicher, was mußt’ ich von dir vernehmen? Statt dein Herz zu deinem großen Berufe vorzubereiten, ließest du es von den Netzen einer jungen Dirne umstricken – Still! kein Wort zur Entschuldigung! der alte Fischer hat mir, – Gott sey gedankt, noch nicht zu spät, um einem entsetzlichen Verbrechen vorzubeugen – Alles entdeckt, ja sogar dein Gelöbniß, dich heimlich mit seiner Tochter zu vermählen. So wisse denn, welchem Abgrunde des Verderbens deine Seele nahe war: Unna ist deine leibliche Schwester, das Kind meiner Jugendverwirrung mit der Freyin von Wolfsberg.“

Im tiefsten Mark erschüttert, taumelte Erwin der Thüre zu. – „Wohin, Unbesonnener?“ ruft ihm der Vater ängstlich nach. „Auf ewig von der Schwester Abschied nehmen!“ – antwortet der Jüngling mit tonloser Stimme und stürzt unaufhaltsam hinaus.

Als der letzte Scheidekuß der Sonne auf dem Busen des See’s glühte, brannte auch Erwins von allem Irdischen geläuterter Flammenkuß auf Unna’s Lippen. Bruder und Schwester hatten keine Worte mehr. Sie halten sich lautlos fest umschlungen. Plötzlich wallt der See mit dumpfem Schäumen empor; mit donnerndem Getöse beginnt das Ufer zu beben, es wankt, und mit furchtbarem Krachen versinkt Erdzunge, Hütte und das unglückliche Paar in das gähnende Wogengrab.

[43] Es geht die Sage, die Fische hätten allmählig den lockeren Grund jener Erdzunge unterhöhlt und so deren Einsturz vorbereitet, den ein Erdbeben vollends ausgeführt.

Noch zeigen die Bewohner der Umgegend die Stelle, wo die Fischerhütte gestanden und erzählen ihre traurige Geschichte.

A. Sch.