Ein Malerhaus in Wien
Am äußersten Westende Wiens, hart neben der Gumpendorfer „Linie“, liegt ein mäßig großes einstöckiges Haus, welches seltsam und scharf von seiner ganzen Umgebung absticht. Während die daran grenzenden Bauten entweder dörflich bescheiden aussehen oder einen Anlauf dazu nehmen, den Hauscasernenstyl in verjüngtem Maßstabe wiederzugeben, gleicht dieses dunkle, von einem Gärtchen und hoher Mauer umschlossene Haus einem vornehmen Flüchtlinge aus weit entferntem Lande. Es ist ein deutscher Renaissancebau, bei aller Einfachheit in reinem Style aufgeführt, mit vielen Giebeln, Vorsprüngen und Erkern geziert. Die Fenstergitter erinnern an jene Zeit, da das Schmiedehandwerk noch eine halbe Kunst war; die kleinen in Blei gefaßten Scheiben lassen vermuthen, daß es hinter ihnen gar trauliche „Kemenate“ geben müsse. Ein Hauch der Vergangenheit, eine Empfindung, nur mit jener vergleichbar, die ein Gang durch Nürnbergs Straßen erweckt, faßt uns an der Schwelle dieses Hauses, das weit und breit im Munde der Leute „das Schloß“ heißt. Es ist das Heim Friedrich Amerling's, des greisen, aber immer noch jugendfrischen Künstlers, der hier inmitten seiner Schätze haust und Jeden, der sie bewundern will, als liebenswürdiger Hüter des Hortes begrüßt.
Treten wir durch die schmale Pforte in das Gärtchen, so ertönt freudiges Gebell. Zwei gewaltige Hunde – die Alten würden sie Molosser genannt haben – kommen uns entgegen und wedeln zum Zeichen der Freundschaft. Das ist eine sichere Bürgschaft für den herzlichen Empfang, der uns von Seiten ihres Besitzers erwartet. Wer sich etwas auf die Physiologie der Thiere versteht, dem kann es nicht entgehen, wie die Hunde in der Regel den Charakter ihres Herrn annehmen. Wo dir ein bissiger Köter knurrend an die Beine fährt, da ziehe schleunig von dannen – denn da ja nicht gut sein. Wo aber der vierfüßige Wächter des Hofes seinen Kopf gemüthlich an dir reibt, damit du ihn streicheln und krauen sollst, da tritt vertrauensvoll ein! Du kommst zu guten Menschen.
Während wir zwischen den zwei Hunden der Hausthür zuschreiten, hören wir einen feierlichen Choral von oben herab klingen. Es sind Orgeltöne, die langgezogen und mächtig an unser Ohr schlagen; sie passen wunderbar zu dem Hause, dessen Inneres uns wie ein Märchen aus alten Zeiten anmuthet. Kaum haben wir die erste Stufe der Treppe betreten, so ist die Gegenwart hinter uns versunken; wir sind in einem verzauberten Schlosse, das vor zweihundert Jahren oder noch länger von der Dornhecke umgeben und seitdem unverändert erhalten worden ist. Da hängen die alten Bilder in geschnitzten Rahmen, daneben Helme, Schwerter und Speere über den riesigen Eichenschränken; die Sonne scheint nur wie verstohlen durch farbige Gläser, die ein gedämpftes Licht verbreiten. Wäre nicht Alles so blank und rein, könnten wir einige Spinnennetze erblicken, wir fragten: „Wo ist Dornröschen?“ Aber hier waltet offenbar die Hand einer emsigen Hausfrau; hier herrscht frisches Leben, und plötzlich hören wir eine helle Kinderstimme, dann eine andere, und neben dem Vorhange, hinter dem wir die schlafende Prinzessin suchen wollten, taucht ein rosiger Blondkopf auf und sagt: „Papa ist zu Hause.“
Wir schlagen den Vorhang zurück, drücken auf die Klinke des schweren, alterthümlichen Schlosses und sind im Atelier. Der Meister, der noch immer an der Orgel sitzt, hat uns gar nicht bemerkt, und wir müssen ihm erst ein lautes „Bravo!“ für sein Spiel zurufen, bis er uns gewahr wird. Nun springt er mit der Lebendigkeit eines Zwanzigjährigen empor und schüttelt die dargereichte Hand so warm und herzhaft, daß es dem Gaste wohlthut. Hat man, wie das wohl vorkommt, einen Fremden mitgebracht, so fühlt sich dieser nach zehn Minuten heimisch, denn Amerling's offene, frische, allem Zwang und jeder Heuchelei feindliche Natur, sein unbefangenes Wesen voll echter Naivetät sprengen sofort die Schranken gleichgültiger Höflichkeit. In ganzen und vollen Menschen bleibt stets etwas Kindliches; es ist ihr Talisman, der sie vor jeder Berührung mit dem Gemeinen bewahrt und innerlich jung erhält. Amerling hat neben der Kunst des Pinsels auch die andere inne, niemals alt zu werden. Sein Haupt- und Barthaar sind weiß, wie es an einem Dreiundsiebzigjährigen wohl nicht anders sein kann, aber seine hohe Gestalt ist ungebeugt; seine Sinne sind scharf. Er hält sich stramm und läuft über Stock und Stein, ja vor Kurzem sah ich ihn noch im Freundeskreise ein Tänzlein wagen. Stundenlang steht er unermüdet an der Staffelei, und der kleine Blondkopf, dessen wir schon gedachten, ist der lebendige Beweis der ungebrochenen Lebenskraft, welche Fritz Amerling noch heute genießt. Manchmal hat er schon weit jüngere Männer, die ihn besuchten, dadurch fast zur Verzweiflung gebracht, daß er ihnen, selbst stehend oder auf- und niederschreitend, keinen Stuhl anbot. Der Glückliche denkt gar nicht daran, daß man müde sein könne.
Dicht aneinandergedrängt, schmücken über ein halbes Hundert Bilder von des Meisters Hand die Wände des Ateliers. Er hatte stets die Gewohnheit, interessante Personen, die er portraitirte, noch einmal für sich selbst zu malen. So hängt hier eine ganze Galerie merkwürdiger Männer und Frauen, unter den Letzteren vor allen durch ihre Schönheit hervorragend das Bildniß der einstigen Fürstin von Serbien, der reizenden Julie Obrenowich, die ihr Gemahl kurze Zeit vorher verstoßen, ehe er an der Seite seiner zweiten Braut im Parke von Toptschider ein blutiges Ende fand. Zwischen den Portraits sehen wir eine Reihe anderer Werke. Holde Frauengestalten der Mythologie oder der Dichtung entnommen, bevölkern das Atelier. Die tragische Muse zückt den Dolch; Ophelia flicht sich am Rande des Baches Blumen in die blonden Locken; ein Cromwell'scher Krieger blickt hinüber zu Shylock, der eben zu sagen scheint: „Ich wollte, meine Tochter läge todt zu meinen Füßen und hätte die Diamanten in den Ohren.“ Zu den beiden letzten Bildern hat, wie der Beschauer unschwer erkennt, ein und derselbe Bürgersmann aus der Nachbarschaft als Modell gedient, der im Leben weder einem Puritaner noch dem Juden von Venedig gleicht. Es ist merkwürdig, wie Amerling denselben Kopf für zwei grundverschiedene Typen benutzen und ihn jedesmal charakteristisch gestalten konnte. Neben dem in doppelter Ausgabe verewigten Gumpendorfer stehen die beiden jüngsten, noch unvollendeten Bilder des Meisters; das Portrait Anton von Schmerling’s mit den harten, verständigen Zügen, und eine „Lady Macbeth“. Ein ausgezeichnetes Selbstbildniß Amerling's und, als Curiosum des Ateliers, eine Landschaft von seiner Hand – denn auch in diesem Zweige der Malerei hat er sich versucht – seien noch erwähnt. Wollte man alle Bilder beschreiben, die sich hier aus den verschiedensten Epochen des Künstlers zusammengefunden und die Laufbahn eines halben Jahrhunderts bezeichnen, man würde nicht fertig werden. Auch läßt Amerling den Gästen, die er zum ersten Male bei sich sieht, gar nicht lange Zeit, die Arbeiten seines Pinsels zu betrachten, sondern er führt sie gern rasch über den Gang zu seinen Prunkgemächern, auf deren Inhalt er als echter und rechter Sammler fast stolzer ist als auf seine eigenen künstlerischen Leistungen.
[133] In den Zimmern ist hier eine solche Menge des Seltenen, Schönen und Werthvollen aufgehäuft, wie es in Wien wohl kein zweiter Privatmann besitzt. Durch Jahrzehnte hat Amerling, mit einer wunderbaren Spürkraft für verborgene Schätze begabt und mit dem feinsten Verständnisse für alle Zweige der Kunst und des Kunstgewerbes ausgerüstet, rastlos gesammelt und stets neue Stücke erworben, bis der Raum seines Hauses zu enge ward und er den weniger ausgezeichneten Sachen Plätze auf dem Dachboden anweisen mußte. Die drei Zimmer des ersten Stockwerkes, in welche Fremde Zutritt finden, enthalten die Auslese seines Besitzes. Da sind kostbare Schränke in Ebenholz und Elfenbein, andere mit reicher Intarsia, dazwischen feine Schnitzereien aus verschiedenen Zeiten und Ländern, Rüstungen, Waffen in Ueberfluß, an den Wänden Bilder berühmter Meister, darunter ein herrlicher Van Dyk, der aus dem Besitze eines leichtsinnigen Kunstgenossen in jenen Amerling’s überging und wiederholt Gegenstand vergeblicher Bewerbung von Seite öffentlicher Galerien war, Majoliken, Fayencen und Schmelzglasarbeiten von Murano, altes Wiener und Meißener Porcellan an allen Ecken und Enden. In einer Ecke eine Terracotta-Büste, die, wenn nicht Luca della Robbia selbst, sicher seiner Schule angehört. Die Mittelnische des letzten Zimmers ist geschmückt durch die Marmorcopie des „Ruhenden Mercurs“ Thorwaldsen’s , in Rom von einem seiner Schüler unter Leitung des Meisters ausgeführt. Kleine Kästchen in Holz und Bronze, deutsche und italienische Renaissance, theilweise von wunderbarer Schönheit der Ausführung, wechseln mit Thonkrügen und böhmischem Glaswerk. Dazu gesellen sich, um das Museum vollständig zu machen, Bruchstücke aller Art, so eine Dogenmütze und die Uhr Wallenstein’s, letztere von einem Nachkommen des großen Feldherrn erworben.
Haben wir die Sammlungen des ersten Stocks bewundert und gehören wir zu den Freunden des Hausherrn, dann können wir hinabsteigen in das Erdgeschoß, wo die eigentlichen Wohn- und Schlafzimmer der Familie liegen. Die Einrichtung da unten ist nicht weniger sehenswerth, denn Amerling besitzt kein einziges modernes Möbel. Die Schränke, Tische und Stühle sind alle von schöner alter Arbeit, und wenn die liebenswürdige Hausfrau uns einen Imbiß anbietet, so speisen wir von Tellern, die sich von heutiger Fabrikwaare sehr zu ihrem Vortheile unterscheiden. Der Hausherr hat selbst seinen Anzug, ohne gerade eine auffallende Tracht zu tragen, der Einrichtung etwas angepaßt. Der Maler hilft dem Schneider nach, der für ihn arbeitet. Sein Sammetrock, seine Plüschweste haben einen schöneren Schnitt, als die Mode will, und auf den weißen Haaren sitzt zu Hause ein schwarzes Barett, auf der Straße ein weicher breiter Schlapphut. Von jenem entsetzlichen Kleidungsstücke, welches die heiteren Götter „Schwalbenschwanz“, die staubgeborenen Menschen „Frack“ benennen, bleibt Amerling’s Leib unberührt wie sein Haupt vom Cylinderhute. Er hat die meisten Mitglieder des kaiserlichen Hauses gemalt und Audienzen bei dem Monarchen genommen, ohne seinen äußeren Menschen in herkömmlicher Weise zu verunstalten, denn Schönheitssinn und berechtigtes Unabhängigkeitsgefühl bilden die Grundlage seines Wesens.
Mancher jüngere Maler, der nicht gleich Makart hohen Gewinn aus seiner Kunst zieht und die schlechte Zeit bitter empfindet, mag wohl ein bischen neidisch werden, wenn er Amerling’s Haus betritt und den hohen Wohlstand desselben betrachtet. Selten gelang es einem Wiener Künstler der ältern Zeit, sich durch sein Talent allein ein so behäbiges Hauswesen zu gründen. Amerling war aber immer ein guter Wirth, warf sein Geld nicht in dummen Streichen und „genialen“ Ausschweifungen zum Fenster hinaus, sondern lebte bei aller Fröhlichkeit und Frische seines Naturells als vernünftiger, solider Familienvater. Er heirathete sehr früh. Seine erste Frau ist lange todt, aber die Jugend blieb so treu bei ihm, daß die Spätblüthe seiner zweiten Ehe sich voll und glücklich entwickeln konnte. Betrachtet man die Lebensfreudigkeit, die noch heute in ihm waltet, so möchte man glauben, er sei stets ein Liebling des Glückes gewesen und von einer freundlichen Fee gegen alle Widerwärtigkeiten beschützt worden. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Der Pfad seiner Jugend war steinig und steil; aus eigener Kraft hat er sich emporgerungen. Als Schüler der Wiener Kunstakademie – Anfangs der zwanziger Jahre – mußte er lange sparen, bis er sich die nothwendigen Geräthschaften zur Oelmalerei ankaufen konnte, und als er durch einige Portraits ein paar hundert Gulden verdient hatte, däuchte er sich ein Crösus und unternahm das Wagestück, mit diesen geringen Mitteln nach London und Paris zu reisen. Noch heute gedenkt er dankbar der freundlichen Aufnahme, welche zwei hochberühmte Meister dem armen, unbekannten Jünglinge gewährten: der Engländer Lawrence und der Franzose Horace Vernet. Sie erkannten und würdigten die hohe Begabung des bescheidenen Wieners, und ihre Aufmunterungen waren ihm ein mächtiger Hebel; ihr Lob gab ihm das Maß seiner Kraft. Bald darauf stieg sein Ruf durch einige historische Bilder („Dido auf dem Scheiterhaufen“ und „Moses in der Wüste“); er gelangte zu Ruhm und Geld. Dann zog er nach dem gelobten Lande der Kunst, nach Italien, das er seitdem mehr als ein dutzendmal besucht hat und an dem er mit wahrer Schwärmerei hängt. Dort fand er das Geheimniß der Schönheit, dort die tiefen, leuchtenden Farben, in welchen seine Gemälde prangen. Bald wollten alle hochgestellten und vornehmen Leute von ihm gemalt sein – ein Auftrag drängte den andern, und durch fast dreißig Jahre war er der gesuchteste Portraitmaler Wiens.
Zwischen den Bildnissen entstand eine Menge anderer Werke, die theilweise durch den Kupferstich ungeheure Verbreitung erlangten, so die „Lautenschlägerin“, die „Morgenländerin“, die „Schlafenden Kinder“, „Rebekka“ etc. Nicht ein einziges dieser Bilder, die vor so langen Jahren entstanden, erscheint uns heute altmodisch, während die Arbeiten der gleichzeitigen Wiener Meister bei aller sonstigen Bedeutung an einer gewissen Steifheit leiden, ja selbst in Danhauser’s Gemälden zuweilen Spuren derselben hervortreten. Amerling’s Bilder altern so wenig wie er selbst, der mit Rückert von sich sagen mag:
„Aber jung geblieben
Ist mein altes Lieben
Und der Himmelsschwung
Der Begeisterung.“
Es giebt manchen Maler in Wien, der im eigenen Hause wohnt. Der treffliche alte Schilcher, der jetzige Vorstand der Wiener Kunstgenossenschaft, der Schlachtenmaler Sigmund l’Allemand, der Sohn des „alten Fritz“ mit der unsterblichen rothen Weste und dem Räuberhute, der Landschafter Obermüllner und Andere zählen zu den Glücklichen, die jeder niedern Sorge enthoben sind. Ebenso der ewig frohe Felix; ein echter Träger seines Namens, hat er sich gar auf dem Gipfel des Kahlenbergs ein stolzes Schloß in französischem Renaissancestyl erbauen lassen, aber kein Zweiter hat sein Heim so feinsinnig geschmückt wie Amerling, und nirgends waltet so wohlthuende Herzlichkeit, wie in dem Giebelbau an der Gumpendorfer Linie, dem wahren Malerhause Wiens.