Ein Hüter des Deutschthums im Elsaß
Ein Hüter des Deutschthums im Elsaß.
Zehn Jahre sind in’s Land gegangen, seit wir das Elsaß wieder unser nennen – eine lange Zeit, in der sich Manches vergißt. Unser Volk hat es fast vergessen, daß es einst sehnsüchtig über den Rhein nach den Vogesen blickte und den Straßburger Münsterthurm sich als das Wahrzeichen einer alten politischen Schuld ersah. Heute – über dem geräuschvollen Aufsuchen und Ausbauen nationaler Lebenswege – schweigt die Erinnerung an die schönen Tage, da wir das Reich noch in der Phantasie sahen, da das Elsaß nur noch ein Ziel unserer Sehnsucht war. Damals saß in dem entrissenen Lande ein Häuflein wackerer elsässischer Männer auf schwierigem, undankbarem Posten, unsere Statthalter, die das Deutschthum drüben über dem Rhein für uns verwalteten. Wer erinnert sich ihrer heute noch mit jenem innigen Gedenken, das ihnen gebührt? Und doch sind die Stoeber, Mühl, Otte, Hackenschmidt und Andere, diese elsässischen Dichter, Gelehrten und Pfarrer für alle Zeit vollgültiger Beweis, daß Deutschland nicht ein ihm entfremdetes Land gewaltsam annectirt, sondern einen ihm geistig unverbrüchlich angehörigen Gau sich wieder verbunden hat.
Das moderne Geschlecht hat für das, was Mitlebende gethan – Heroenarbeit vielleicht ausgenommen – ein schlechtes Gedächtniß, und erst wenn der Tod irgendwo anpocht, ein verdienstliches Leben hinwegzunehmen, pflegt auch die Erinnerung an dasselbe dauerndere Formen zu gewinnen.
So mußte auch einer der obenerwähnten elsässischen Männer, Gustav Mühl, der liebenswürdige Dichter, von der Erde scheiden, bis seinen Verdiensten als deutscher Patriot im Elsaß unter französischer Hoheit und als elsässisch-deutscher Dichter Gerechtigkeit und Anerkennung wurde. Als sein lorbeerbekränzter Sarg am Sonntagnachmittag des 29. August 1880 aus dem Patrizierhaus der Düsergasse zu Straßburg nach dem Helenen-Kirchhof bei Schiltigheim getragen wurde, erst da dachte wohl Mancher der Leidtragenden daran, daß einer der getreuen Palatine deutschen Geistes im Elsaß, ein Hüter deutscher Sprache und Sitte dahingegangen. Der deutsche Statthalter fehlte im Trauerzug: – er wußte wohl nicht, daß Einer zur Ruhe getragen wurde, der ehedem auch ein Statthalter im Elsaß war, ein Statthalter des Deutschthums, [610] das er, so lange es seines Amtes war, mit Begeisterung und Ausdauer verteidigte.
Gustav Adolf Mühl wurde zu Straßburg am 7. Mai 1819 als der dritte und jüngste Sohn des Rentners Andreas Mühl geboren. Seine beiden Brüder und eine Schwester leben heute noch in Straßburg. Das Elternhaus Mühl’s war ein altelsässisches, echtstraßburgisches Bürgerhaus, und seine Jugenderziehung ging von dem Princip aus, daß er einst, wenn nicht französischer Beamter, so doch französischer Bürger werden sollte. Vielleicht war es ein deutsches Gedicht, ein deutsches Buch, das dem Knaben in die Hände fiel, das ihn alsdann so sehr für das Land Luther’s, Lessing’s, Schiller’s und Goethe’s begeisterte, daß diese Begeisterung zu seiner idealen Lebensarbeit werden konnte. Deutschland war seine erste Liebe, darf man füglich sagen, und was in dem Knaben schüchtern keimte, diese freudige Hinneigung zu einem damals von seinen Landsleuten wegen politischer Ohnmacht geringschätzig betrachteten Lande, das durchwogte seine Jünglingsseele mit Feuer und bewegte den Mann, bis der Tag der Erfüllung hereinbrach und er sich sagen durfte: „Ich hab’ erlebt, was ich als schönsten Traum durch’s ganze Leben trug.“
In den Kreuzgängen des Straßburger Gymnasiums und im Garten desselben – einer alten Klosteranlage – wandelte oft in den dreißiger Jahren ein ergrauter Professor, an seiner Seite ein begeistert aufhorchender Jüngling. Ihr eifriges Gespräch galt dem Lande über’m Rhein, dem der beredte Lehrer eine glänzende Zukunft verhieß. Sie sprachen über deutsche Literatur, die vor Kurzem zum andern Mal sich einen Ehrenplatz im Schriftthum der Völker errungen. Die feurigen Worte des Lehrers weckten in der Brust des Schülers verborgene Kräfte. Da übergab der Schüler eines Tages dem Professor sein erstes deutsches Gedicht und trat damit in die Genossenschaft der elsässisch-deutschen Poeten ein. Schweighäuser hieß der Professor – Gustav Mühl hieß der Schüler. Und dieser Schüler hat seinem ehrwürdigen Lehrer, der von der französischen Regierung seiner deutscher Gesinnung wegen „kaltgestellt“ wurde, zeitlebens ein dankbares Andenken bewahrst
Die ersten Verse unseres Poeten veröffentlichte der Straßburger Buchdrucker Danbach in seinem „Anzeige- und Unterhaltungsblatt“. Um den jungen Dichter schaarte sich ein Häuflein treugesinnter Freunde, die seine Begeisterung und Neigung für das alte Stammland mehr oder minder theilten. Zu diesen zählte Karl August Candidus, Mühl’s nachmaliger Schwager, welcher, ein nicht genug geschätzter Dichter, anfangs der siebenziger Jahre als reformirter Pfarrer zu Odessa starb und dessen bedeutsamstes Werk sich „Der deutsche Christus“ betitelt. Neben Candidus standen in diesem Kreise die Brüder Stoeber, der Theologe Ungerer, der treue Freund des Mühl’schen Hauses, jetzt Inspector der Neuen Kirche in Straßburg, dann der Dichter Jaeger, der heute noch in einer elsässischen Gemeinde als Pfarrer amtet, der Archivar Schneegans, der schon in den fünfziger Jahren starb und dessen Tod Mühl mit großem Schmerz erfüllte.
Diese jungen Männer haben nicht für ein „literarisches Deutschland“ geschwärmt – im Gegenteil, sie wollten Deutschland politisch groß und mächtig, einig und frei – Gefühle, denen Mühl in einem größeren Gedicht, „Hambach“, Ausdruck gegeben hat, das im Jahre 1842 in Separatdruck erschienen ist.
Zum äußeren Lebensberuf wählte sich Mühl die Heilkunde. Er studirte dieselbe in seiner Vaterstadt und promovirte im Jahre 1847 als doctor medicinae, doch hat er sich niemals der ärztlichen Praxis gewidmet. Nach Beendigung seiner Studierzeit verbrachte er mehrere Jahre auf Reisen. Er besuchte Deutschland wiederholt und lebte längere Zeit in Berlin und Stuttgart, wo er meistens in gelehrten und literarischer Kreisen verkehrte.
Im Jahre 1858 vermählte sich Mühl mit Wilhelmine Candidus, und nun begann für ihn nach der Zeit des Wanderns die der Rast in schöner Häuslichkeit. An der Seite der schönen und edlen Frau verlebte er glückliche Jahre. Im Winter wohnte er in Straßburg; der Sommer verlebte er gewöhnlich in Schiltigheim. Freudig wirkte er für sein Ideal: die Brücke für die geistigen Beziehungen nach Deutschland hinüber zu unterhalten, bei seinen Landsleuten geschichtliche Kenntnisse über das Elsaß früherer, und zwar deutscher Zeiten, zu verbreiten und in Deutschland selbst das Interesse für den nach seiner Anschauung nur zeitweise verlorenen Gau wach zu erhalten. In diesem Sinne hat er an deutschen und elsässischen Zeitschriften rege mitgearbeitet und für deutsche Zeitungen correspondirt. Als getreuer Mitarbeiter des von August Stoeber herausgegebenen „Elsässischen Sagenbuchs“ half er den herrlichen Schatz an charakteristischen Sagen heben, der das Land am Wasgenwalde birgt. Er veröffentlichte ferner Gedichte in den „Elsässischen Neujahrsblättern“ von August Stoeber und Friedrich Otte und lieferte historische Aufsätze für die „Alsatia“, eine literarisch historische Zeitschrift, die August Stoeber von 1851 bis 1874 herausgab. Von früh auf hat er an deutschen belletristischen Unternehmungen mitgearbeitet, nicht von persönlichem Interesse geleitet, einzig um seiner Lebensaufgabe gerecht zu werden.
Gustav Mühl war ein tätiges Mitglied eines Comités für Volksvorlesungen , die in deutscher Sprache zu Straßburg Jahre hindurch abgehalten wurden und kurze Zeit vor dem Kriege erst eingingen, nachdem allmählich alle Mitglieder bis auf den Maire Küß und unsern Dichter ihre Theilnahme versagt hatten. In Vorlesungen suchte Mühl die geschichtlichen Kenntnisse über Deutschland bei seinen Landsleuten auf jede Art zu fördern, um so auf indirecte Weise sein Ideal zu predigen. Dabei hielt er mit seiner edlen Gattin darauf, daß das eigene Heim von französischen Einflüssen gesellschaftlicher Art allenthalben frei blieb: in seinem Hause wurde nur Deutsch gesprochen, und was er in dieser Beziehung für sich und bei der Seinigen that, dafür trat er jeder Zeit mit edlem Mannesmut öffentlich ein, er, der im Leben fast ängstlich schüchtere Mann. Was er für alle diese Mühe und Arbeit bei seinen Landsleuten geerntet, das läßt sich leicht denken. Keine Lorbeeren, dagegen aber vielfach Haß und Mißachtung, und als die Zeit der Erfüllung seiner Träume kam, da hatte die aufgeregte Menge auch für ihn, gleichwie für den eindringenden Sieger, das brandmarkende Wort: „Schwob“.
Mühl war ein tiefreligiöses Gemüth, das ehrfurchtsvoll allem Hohen und Heiligen gegenüberstand. Es war ihm als Dichter keine glutvolle Phantasie eigen; seine Werke strömten nicht mit begeistertem Klange dahin; dagegen war ihm in hohem Grade Innigkeit und Sinnigkeit und eine edle Begeisterung verliehen, und wenn die Flamme, die er auf seinem Altar schürte, niemals grell aufloderte, so leuchtete sie um so mehr mit keuschem und heiligem Lichte. Er war lyrischer Dichter von leisem und innigem Empfinden, und seine Dichtung gleicht der Blume, die bei sinkender Sonne ihren Kelch dem geheimnißvolleren Lichte des Mondes und der Sterne erschließt. Ein Sehnen nach dem Ueberirdischen durchzitterte seine Seele, und nur das Gute war ihm heilig; nur das Heilige erschien ihm groß.
„Trink’ Sokrates! – es wird ein And'rer nahen,
Ein heilig-stilles Wesen liebeshehr –
Der wird noch einen größ’ren Kelch empfahen,
Gefüllet aus der Menschheit Thränenmeer –“
apostrophirt er in einem tiefempfundenen Gedichte den zum Giftbecher verurtheilten Weisen. Leise öffnet die Muse dieses elsässischen Sängers den Mund, gilt es seine innersten Gedanken in Verse umzusetzen, aber kraftvoll wird ihr Ton, lehnt der Dichter seine Empfindung an eine große Idee oder an eine weltgeschichtliche That an. So ruft er in seiner am 5. December 1870 gedichteten „Wacht auf den Vogesen“ energisch aus:
„Hier schaut mein Blick in Zorn entbrannt,
Hinüber dann in’s welsche Land:
Im tiefsten Mark hat’s dir gegraust,
Als du gefühlet meine Faust;
Nun hüt’ dich ferner, hüt’ dich fein
Vor meines Schwertes Blitzesschein!“
Erst kurz vor seinem Heimgange, im Jahre 1878, stellte Mühl eine Auswahl seiner Gedichte in einem Bande zusammen der unter dem Titel „Aus dem Elsaß. Gedichte von Gustav Mühl“ von K. I. Trübner in Straßburg verlegt wurde. Die Sammlung enthält unter Anderem Perlen von seinen Stimmungsbildern aus dem Leben der Seele wie der Natur. Manchen dieser Perlen fehlt ein Geringes: da und dort bleibt der poetische Ausdruck nicht auf seiner Höhe, aber man bedenke: Mühl war elsässischer Poet, dem in seiner engeren Umgebung lange Jahre hindurch das Hochdeutsche nicht aus lebendiger Quelle floß, wogegen ihm als einziger Sprachquell das Straßburgische Dialektdeutsch mit seiner allemannischen Schlichtheit des Ausdrucks zu Gehör kam.
Schlichtheit in Bild und Wort ist die Signatur der ganzen Gruppe elsässischer Dichter, die in den Brüdern Adolf und August Stoeber, unserem Mühl und dem leider auch zu früh dahingegangenen [611] Mühlhauser Georg Zetter (sein Dichtername ist Friedrich Otte) ihre vorzüglichsten Repräsentanten findet. Diese Dichtergruppe bildet gewissermaßen einen Anhang zur schwäbischen Dichterschule: wie die Schwaben sind auch die Elsässer schlicht und knapp im poetischen Ausdrucke; auch sie sind vorzugsweise bemüht, den Sagenschatz der Heimath zu heben und poetisch zu verwerten sowie geschichtliche Vorgänge ihres Landes dichterisch zu gestalten. Nächst einem verwandtschaftlichen Zuge, der den allemannischen Elsässer zum benachbarten Schwaben führte, ist es auch die halb im Dialekte stecken gebliebene schlichte Ausdrucksweise, die den elsässischen Poeten nahezu ohne Ausnahme eigen ist und welche diese veranlaßt haben mag, die schwäbische Dichterschule zu Muster und Vorbild zu nehmen. Es ist bemerkenswerth, daß Keiner der Elsässer in den poetischen Spuren eines Heine oder Freiligrath, die doch Zeitgenossen von Uhland waren, gewandelt ist – das rührt wohl nur daher, daß diesen Poeten sprachbildnerische Voraussetzungen in gewissem Maße von Haus aus abgegangen sind.
Von dieser elsässischen Dichtergruppe wird in nicht allzu ferner Zeit kein Name mehr unter den Lebenden verzeichnet sein; wir werden dieselben nur noch in den Büchern finden – wie lange aber wird es dauern, bis unser nun heimgeholtes Elsaß Poeten zeitigt, die mit freudiger und voll Herzen gehender Theilnahme all der deutschen Literatur wieder mit arbeiten, wie ein Mühl und seine Genossen? Aus dem heutigen Geschlechte werden sie schwerlich erstehen. Um so treuer möge die deutsche Nation den Männern elsässischer Dichterzunge ein ehrendes Andenken bewahren, den Männern, die in ruhmloser Zeit ihr Scherflein freudig in die deutsche Wage legten!
Als die französische Kriegserklärung vor elf Jahren über den Rhein herüber kam, da sprach es Gustav Mühl im Kreis intimer Freunde freudig aus, daß nun der Tag der Abrechnung kommen müsse. Er kam. Als die Kanonen ihre vernichtenden Geschosse in die alte Münsterstadt warfen, war seine Seele mit tiefer Trauer erfüllt; denn er liebte sein Straßburg und sein Elsaß mit treuem Herzen und empfand jede Wunde auf's Schmerzlichste, die dem Land und den Mitbürgern geschlagen werden mußte. Sein Schmerz war aber ein verklärter: er wußte, daß eines Tages die weiße Fahne auf dem Münsterthurm das Ende der Leidenszeit verkünden und sein Straßburg zu einer deutschen Hauptstadt am Oberrhein machen müsse. Als die Deutschen in Straßburg eindrangen und von der Stadt Besitz nahmen, stellte unser Dichter den neuen Behörden, die zu amtiren begannen, seinen Rath und seine Unterstützung rückhaltslos und freudig zur Verfügung. Er war ja kein Besiegter.
Nicht immer haben die Herren, die zuerst in dem zurückeroberten Land das Regiment führten, des redlich deutsch denkenden Mannes Rath gebührend gewürdigt; manchmal wurde er übergangen, wo man ihn hätte rufen sollen; denn die neuen Herren erachteten es als ihre Aufgabe – und oft zu ihrem Nachtheil – auch das schmollende, ja das offenbar französisch gesinnte Element hätschelnd herbeizuziehen. Wenn bei solchen kleinpolitischen Schachzügen Gustav Mühl mancherlei Schmerzliches erfahren mußte, so erlebte er wieder Freudiges, das ihm Trost war für alle Unbill. Dahin gehört die Gründung der Universität Straßburg.
Wer ihn an jenem denkwürdigen 1. Mai 1872, dem Tage der Einweihung gesehen, als im Saale der „Réunion des arts“ zu Straßburg sein Lied:
„Es kam heran der schöne Monat Mai;
Jetzt füllt das Glas! Des Elsaß Weine glühen –“
von Tausenden deutscher Studenten gesungen wurde, wie sein neues blaues Auge in innerer Seligkeit ausleuchtete, als Hunderte zu Gruß und Handschlag sich an ihn herandrängten, der sagte sich wohl: „Für diesen Mann hat der Tag eine tiefere Bedeutung“ – Gustav Mühl war der einzige öffentliche Vertreter des Elsasses bei jenem herrlichen Feste.
Bisher hatte der Dichter als freier und unabhängiger Privatmann gelebt. Das französische Kaiserreich konnte dem deutschen Patrioten kein Amt bieten – er hätte es zurückgewiesen Die deutsche Regierung bot ihm die Stelle eines Bibliothekars an der neugegründeten Universitätsbibliothek an, die der Dichter aus innerer Neigung für diesen Beruf übernahm. Er pflegte mit der ihm eigenen Treue und Gewissenhaftigkeit die elsässische Abtheilung, liebevoll die Schätze an Schriftwerken, Bildern und Blättern ordnend, die da zusammenströmten.
Es waren wieder glückliche Jahre, die Mühl verlebte. Er verfaßte um diese Zeit mit liebevoller Pietät die Biographie des elsässischen Bildhauers Andreas Friedrich, die als Broschüre erschien. Das Lebensbild dieses Meisters von altem Schrot und Korn zu entwerfen, das war so recht eine Aufgabe für unsern Mühl; denn der wackere Meister Friedrich, der aus Rappoltsweiler im Oberelsaß gebürtig war, ist in seiner Kunst ein Zeuge für die Zusammengehörigkeit der Lande links und rechts am Oberrhein – das beweisen die verschiedenen Denkmale, die in badischen Städten und Flecken, wie Offenburg, Achern, Baden, Steinbach und Oberachern stehen, und die größtenteils vom Künstler den betreffenden Orten ohne Entgelt überlasten wurden.
Doch es war, als erregte das Glück unseres Dichters den Neid dämonischer Mächte, die ihre Opfer am liebsten suchen, wo zufriedene Menschen wohnen. Vier liebliche Töchter waren dem Mühl'schen Hause herangeblüht. Die Aelteste folgte einem preußischen Ingenieurhauptmann zum Altar; die Zweite verlobte sich mit einem jungen deutschen Juristen. Auch für dieses Paar wurden schon die Kränze geflochten, die den hochzeitlichen Altar schmücken sollten – da riß der unerbittliche Tod im December 1879 die blühende Braut aus den Armen des Bräutigams. Der unerwartete Schlag traf den zärtlichen Vater in’s tiefste Lebensmark. Wie oft wandelte er in düstersinnenden Gedanken hinaus auf den Helenen-Kirchhof bei Schiltigheim, wo man ihm ein teures Kleinod unter die Erde gebettet. Am 26. August 1880 war er wieder am Grabe – sein letzter Gang. Der Schmerz hatte seines Lebens Kraft gebrochen; der Dichter starb in derselben Nacht.
Am Sonntag den 29. August 1880 trug man ihn hinaus und bettete ihn neben der geliebten Tochter zur ewigen Ruhe. Nahe dem wuchtigen Denkmal, das Straßburg seinem letzten Maire Küß errichtet, ruht der deutsche Patriot und Dichter. Der Traum seiner Seele hat sich erfüllt: er hat das Grab gefunden in elsässischer Erde, die wieder deutsches Land ist. An der offenen Gruft sprach der Vorstand der Universitär- und Landesbibliothek, Professor Euting; er pries die trefflichen Eigenschaften des Verewigten sowohl als Bürger wie als Beamter der Bibliothek und legte einen Kranz auf den Sarg nieder. Dann sprach der Verfasser dieses Aufsatzes einen poetischen Nachruf, dessen Schlußstrophen hier Platz finden mögen:
„Eins konntest du, o Tod, ihm nicht versagen,
Die Heimatherde, die ihn nun verhüllt.
Ihr galt sein Jubel einst; ihr galt sein Klagen;
Von ihr war seine Dichterbrust erfüllt.
Und Manchem glänzt ein Mal in Erz und Stein –
Auch diesen Sänger, seine Saitenspiele
Schreib’ in die Chronik deiner Ehren ein!
Er hat für dich, du schönes Land, gestritten
Er hat für dich, du schönes Land, gelitten,
Und doppelt trug um dich er heißen Schmerz.
Noch wenig Kränze hast du ihm gegeben
Doch bist du reich, o Land, all Blüth’ und Duft,
Gieb um so reichern Schmuck nun seiner Gruft!“
Der Sprecher legte einen Kranz im eigenen wie im Namen seiner Freunde Ludwig Eichrodt und Ludwig Auerbach auf die düsteren Erdschollen.
Nicht nur das Elsaß, ganz Deutschland möge den Namen des Mannes in das Buch der Ehre schreiben, der sich als Lebensberuf das schwere Amt eines Hüters der deutschen Sache im damals französischen Elsaß erkoren hat! Er hat das Amt in Ehren verwaltet; er war als Mensch edel und liebevoll, als Freund treu, aufrichtig und ergeben.[1]
- ↑ In Straßburg hat sich bereits vor Monaten eine Vereinigung gebildet,
welche für die Errichtung eines Mühl-Denkmals Sorge tragen
will. Auch sind, wie man hört, in Berlin, Frankfurt am Main, Lahr
und anderen Orten solche Vereinigungen in der Bildung begriffen. Der
Schatzmeister des Straßburger Comités, Herr Hoff, (Blauwolkengasse 15,
Straßburg) nimmt Beiträge zum Mühl-Denkmal gern entgegen.
D. Red.