Ein Gang durch die römische Unterwelt
Der 23. November 1862 war einer der regnerischesten Tage, die über die alte Roma angebrochen, dennoch galt es trotz Schmutz und Nässe sich in die Campagna zu wagen, denn in den Katakomben von St. Callisto sollte an demselben Tage zum Gedächtniß der heiligen Cäcilie, deren Grab daselbst in der Capelle des heiligen Urban verehrt wird, Gottesdienst gehalten werden. Diese Feier lockt Fremde und Einheimische in sonst ungewohnter Menge auf die Via Appia, und ich schloß mich dem mehr neugierigen als andächtigen Pilgerzuge um so lieber an, da Cavaliere de Rossi, der berühmte Erforscher dieser Todtenwelt, an den ich von gewichtiger Seite empfohlen war, mir für diesen Tag seine Führung durch das seltsame Gräberlabyrinth zugesagt hatte. Die Katakombe liegt fast eine Miglie vor Porta S. Sebastiano. Der Weg dahin führt an den gewaltigsten Ueberresten einer dahingestorbenen großartigen Vergangenheit vorüber; wie überall in Rom, so wandeln wir auch hier auf der Spur der Todten und die öde, schweigende Campagna, einst der Schauplatz des reichsten und blühendsten Lebens der Welt, jetzt ein sumpfiges, fieberdunstiges Gefilde, sie trägt in ihrer stillen, erhabenen Trauer, wie kein zweiter Ort, den Stempel der Vergänglichkeit alles Irdischen; Grabmäler auf ihr, Gräber unter ihr.
Zu diesen unterirdischen Gräbern gehören die Katakomben, die wir heute besuchen. Aus einem einfachen Gemüsegarten führt eine neuerrichtete Holztreppe in diese Todtenstadt hinunter und wir befinden uns nun in einer Welt von Grabstätten, die mit ihren düstern Oeffnungen uns traurig entgegenstarren. Am heutigen Tage war es lebhaft und bewegt da unten, eine bunte Gesellschaft drängte sich durch die Gänge, in der Grabkammer des heiligen Urban wurde Messe gelesen, ein Altar war in dem engen Raume errichtet, und das kleine Grab der heiligen Cäcilie, in dem ihr Leichnam in derselben Lage gefunden sein soll, in welcher Madernos’ rührende Statue sie verewigt, war in schönster Weise mit Blumen geschmückt und mit Lampen erhellt, gleich wie das Grab einer geliebten Anverwandten, die uns gestern entrissen wurde. Nicht lange währte es, bis ich [199] den Cavaliere de Rossi fand, der allerdings heute durch den Besuch des damals gerade anwesenden Kronprinzen und der Kronprinzessin von Preußen und des Prinzen von Wales in Anspruch genommen war, aber, soweit seine Zeit es ihm gestattete, durch die hauptsächlichsten Grabkammern und Gräbergänge mich führte und Bau und Construction, sowie Inhalt der Malereien mir erklärte. An seiner kundigen Hand wollen auch wir eine kurze Wanderung durch dies Leichengebiet unternehmen.
Ernst und monoton ist der Weg, dichtes Dunkel umgiebt uns, eine feuchte, giftigschwere Luft läßt die Lampen und Wachskerzen nur düster brennen, und in den Sommermonaten, wo die Malaria die verderblichen Fieberdünste über die Campagna führt, wäre der Besuch dieser Orte kaum rathsam. Lange, schmale Gänge ziehen bald hoch, mit Spuren von Wölbungen, bald niedrig, daß man kaum gebückt vorwärts gehen kann, sich düster dahin. Der Boden ist uneben, führt bald hinauf, bald hinab, neue Gänge durchkreuzen die ersten und führen seitwärts ab. Aus rohen Stufen, oft nur allmähliche Anhöhen emporsteigend, gelangt man zu einer höheren Galerie, die in derselben Weise schachtartig gegraben ist, von da zu einer dritten, so daß oft drei Stockwerke übereinander liegen. Die Seitenwände öffnen sich hier und da zu kleinen Eingängen, die in ein sogenanntes Cubiculum, eine Grabcapelle, führen, meist von viereckiger, doch auch mitunter von achteckiger, auch runder Gestalt. Oefter liegen mehrere davon nebeneinander und stehen durch Eingänge mit einander in Verbindung, öfter durchbrechen sie nach oben ein Stockwerk, auch werden zwei am Gange sich gegenüberliegende zu einer verbunden, durch die dann der Gang hindurchführt, wie wir es z. B. in unserer Abbildung sehen, die eine Capelle der Katakombe von S. Agnese darstellt, in welcher die rohen Formen eines Centralbaues zu erkennen sind. Ueberhaupt ist die Architektur dieser stillen Todtenstraßen einfach und roh, wie sie eben der Spaten und die Axt der Todtengräber beschaffen konnte. Nur die erwähnten Grabkammern sind durch gegliederte Wölbung der Decke und Spuren von Säulenverzierung ausgezeichnet. Die ganze Anlage macht den Eindruck, als wäre sie mehr in ängstlicher Hast gewühlt, als mit ruhigem Fleiße ausgebaut worden. Man sieht, es war eine bewegte und bedrängte Zeit für die, welche hier unten ihre schwierige Pflicht erfüllten.
An beiden Seiten der Gänge ziehen sich in ernster Monotonie Gräber an Gräber repositorienartig neben- und übereinander angelegt dahin; es sind horizontale Oeffnungen in die Wand gegraben, genau so breit und so lang wie der menschliche Körper; eine Marmor- oder Sandsteinplatte mit einer einfachen Inschrift, meist der Name mit dem Zusatz: „in Frieden“, „in Gott“ etc., auch wohl die roh eingekratzten Figuren eines Fisches, einer Palme, eines Ankers, einer Taube darauf, schließen die sogenannte Ruhestätte, die meist für eine, mitunter aber auch für zwei und mehrere Personen bestimmt war. Ein ausgezeichneteres Grab erhielten Kirchenfürsten und Märtyrer, auch wohl später die, welche für ihr Geld sich das Recht dazu erkauften. Ihr Grab oder Loculus war nämlich mit einem in die Wand gearbeiteten Bogen nischenartig überwölbt, die Marmorplatte verschloß hier das Grab nicht von der Seite, sondern von oben; oft kamen in eine solche Grabnische mehrere Leiber, die dann übereinander gelegt wurden.
Diese Grabnischen oder Arcosolia finden wir namentlich in den erwähnten Grabkammern und Capellen. Die Bestattung in Sarkophagen gehört erst einer spätern Zeit an. In dem Mörtel, womit die Grabstätte eingemauert worden war, finden sich die Fläschchen mit Abendmahlswein, die man fälschlich für Blutfläschchen hielt, außerdem Ringe, Gläser, Lampen. Die Leichen wurden in Linnen gewickelt und Gefäße mit Wohlgerüchen dazu gestellt, die noch, als Cavaliere de Rossi sie fand, geduftet haben sollen. – Dasjenige, was uns bei unserer Wanderung vor allen auffällt, sind die an den Wänden und Decken der Grabkammern befindlichen Malereien, und die Inschriften auf den Grabsteinplatten. Die letzteren sind denn auch die Urkunden für ein ganz neues Blatt in der Geschichte der ersten Jahrhunderte des Christenthums geworden.
Es ist ein Wort, das tausend Mal wiederholt auf den Grabsteinen eingegraben steht, das ist das Wort „in pace“ (in Frieden). Und dieser Friede des Todes, dem diese Orte geweiht, spiegelt sich in diesen Bildern ab. Der ganze Ort, auf dem die Katakombe sich befindet, weist auf diesen Frieden, diese Versöhnung hin. In nächster Nähe befindet sich die Katakombe der Juden, nicht weit davon die heidnischen Columbarien und das Grabmal der Cäcilia Metella; auf kleinem Raume liegen so die Vertreter der drei großen weltgeschichtlichen Potenzen, des Christenthums, des Heidenthums und des Judenthums, vereint. Wie sie auch im Leben in steten Ueberzeugungskämpfen sich zerfleischt, der Tod hat sie nebeneinander gebettet. Und das ist nicht blos Zufall gewesen. Damals war das Christenthum noch seiner großen Aufgabe treuer gewesen, als oftmals später, die Versöhnung zu predigen und selbst bei entgegenstehender Lehre nicht von der Liebe zu lassen gegen die Person. Die heilige Cäcilie, vielleicht die liebens- und verehrungswürdigste aller katholischen Heiligen, ließ sich, halb schon zu Tode gemartert, aus ihrer Wohnung noch in die Katakombe des Calixtus tragen, aus innigem Verlangen an der heiligen Stätte begraben zu sein, aber auch aus einer Sehnsucht, nicht fern von ihren heidnischen Verwandten zu liegen, zu denen sie die Anhänglichkeit nicht verleugnete, wenigstens nicht in der Stunde des Todes. Und so sind denn auch die bildlichen Darstellungen in den Katakomben durchaus nicht in dem schroffen Gegensatz gegen die heidnische Welt befangen, wie man wohl glauben möchte. Sie haben nicht verschmäht, die würdevolle Schönheit und die heitere Anmuth in ihren Kunstwerken zu verwerthen, die das schönste Erbtheil der Heidenwelt für alle Zeiten gewesen sind, Die ersten Malereien in den Katakomben, an den Decken ihrer Grabkammern und in den Nischenbogen ihrer Arcosolien sind noch von demselben Geiste angehaucht, der den Wandgemälden von Pompeji einen so unzerstörbaren Reiz verleiht: dieselbe gefällige Leichtigkeit der Composition, derselbe harmonische Schwung der Glieder, ja auch trotz der Unbequemlichkeit des Malens in diesen unterirdischen Räumen bei künstlicher Beleuchtung derselbe Geist feiner Farbennüancirung, der an den pompejanischen Gestalten uns entzückt. Erst später wurde die Technik flüchtiger und geschmackloser, und Leidenschaft und Inbrunst der Darstellung mußten ersetzen, was ihnen an Schönheit mangelte.
Auch in der Wahl der Gegenstände und der Art ihrer Auffassung haucht uns jener Geist des Friedens und der künstlerische Sinn der Antike aus den Katakombenbildern früheren Datums an. Da ist nichts von jenen widerwärtigen Zerfleischungs- und Hinrichtungsscenen, womit die spätere Zeit ihre Märtyrer zu verewigen suchte, ja selbst das Bild des gekreuzigten Erlösers scheute man sich darzustellen. In Zeiten der Verfolgung und Bedrängniß schmückten die Christen die Gräber ihrer theilweise grausam geopferten Brüder lieber mit Bildern des Lebens und der Auferstehung, zum Zeichen, daß die, welche hier lagen, die Kämpfe und Qualen des Lebens überwunden haben, den Ueberlebenden zur Ermunterung, wie sie zu überwinden und in der Erwartung des Sieges getrost zu dulden, und wie die Begebenheiten des Alten Testamentes in ihrem sinnbildlichen Hinweis auf das Neue meist gewählt wurden, das auszusprechen, was man im Bilde noch nicht auszudrücken wagte, so griff man auch zu heidnischen Symbolen, vertiefte und bezog sie auf christliche Ideen. Allmählich erst zog man die Gestalt Jesu Christi selbst in den Kreis der Darstellungen hinein, immer aber in jener jugendlichen Idealität gehalten, in der die Antike ihre Götter darzustellen liebte, bis man endlich zur Portraitdarstellung Christi und der Apostel selbst überging und einen bestimmten Typus dafür feststellte.
Wie diese Stätten den Todten geweiht waren, so waren sie zugleich zu Zeiten der Verfolgung die einzig sichern Heiligthümer der Lebendigen. Heilige Handlungen, deren Störung man auf der Oberfläche der Erde befürchten mußte, wurden deshalb hier vollzogen, namentlich die beiden Sacramente der Taufe und des Abendmahls. Hatte doch schon der Apostel Paulus von einer Taufe über den Todten geredet, und Bischof Felix gebot am Ende des dritten Jahrhunderts geradezu, das Abendmahl nur über den Gräbern der Märtyrer zu halten. Auch auf diese beiden Sacramente bezieht sich ein Kreis der symbolischen Wandbilder in den Katakomben, so Noah in der Arche, dem die Taube zufliegt, Moses, der Wasser aus dem Felsen schlägt, ein Mann, der Fische fängt, ein Hinweis auf die Taufe, und in der Darstellung des Fischers, der den Brodkorb auf dem Rücken trägt, des Weinwunders zu Cana, des Tobias, der die Hand in des Fisches Mund steckt, ja der Abbildung Christi und seiner Jünger selbst, wie sie zu Tische sitzen und essen, eine Verherrlichung des hier gefeierten Abendmahls, worauf noch Spuren eines Credenztisches in der Wand und Scherben emaillirter [200] Glasgefäße hinweisen, die, hier gefunden, mit ähnlichen Darstellungen verziert sind.
Einen großen Triumph erregte es in Rom, als man vor einiger Zeit in der Katakombe von Sta. Agnese ein sehr zerstörtes Bild entdeckte, das eine Frauengestalt mit einem Kinde zeigte. So hatte man denn endlich in diesen unterirdischen Grabesstätten das Palladium der katholischen Kirche, die Madonna, gefunden, und vierzig blasirte Engländer ließen sich durch dies Factum sofort bewegen, vor diesem Bilde in den Schooß der alleinseligmachenden Kirche überzutreten. Uebrigens ist dieses nicht die einzige Darstellung der Maria, wir finden sie häufig in einem Bilde, das die Anbetung der drei Weisen aus dem Morgenlande uns vorführt; andere Bilder, die auf die Madonna von der katholischen Kirche gedeutet worden sind, sind mindestens zweifelhaft. Nur als ihre Verehrung geboten wurde, kehrt sie häufiger wieder, aber sie trägt in dem reichen Goldschmuck des Gewandes und dem Heiligenschein um das Haupt doch schon sehr den Stempel der spätern byzantinischen Kunst.
Mit dem Augenblicke, als das Christenthum, zur Staatsreligion geworden, Kirchen zu bauen und, statt die Decke der Grabkammern, Apsis und Triumphbogen der Basilika zu schmücken begann, hört die Malerei der Katakomben, sowie ihre Bedeutung überhaupt auf. Die künstlerische Ausschmückung dieser Todtenorte legte sich jetzt mehr auf die Sarkophage, deren Bearbeitung in den Zeiten der Verfolgung wegen der größern Umständlichkeit und der Gefahr, die sie mit sich brachte, unmöglich war. Die Darstellungen derselben sind wesentlich dieselben, wie in den Malereien, die Arbeit aber trägt schon die Zeichen des Verfalls der Kunst und ist flüchtig und roh. Auffallend ist das geflissentliche Hervorheben des Jüngers Petrus auf diesen Sarkophagbildwerken; man sieht, es ist schon jener hierarchische Zug in der Kirche erwacht, der, auf den Vorrang des Petrus gegründet, ein Uebergewicht Roms und seines Bischofs über alle andern Bischöfe und Bischofssitze beweisen wollte.
Bis zum fünften Jahrhundert hat man noch in den Katakomben begraben, und Leo der Vierte war der erste römische Bischof, der sich in der Vorhalle von St. Peter bestatten ließ. Wohl hat man noch in den Katakomben gemalt, aber die rührende Naivetät der Darstellungen ist vorüber; die zart verschleierte Symbolik, die das Unsichtbare noch nicht in sichtbarer Gestalt auszudrücken wagte, verwandelt sich in beherrschende Thatsachen. Das sichtbare Oberhaupt der Kirche trat an Stelle des unsichtbaren, feierliche strenge Bischöfe und Heiligengestalten mit ernsten, richterlichen Gesichtern an Stelle der formenschönen Sinnbilder der Auferstehung und des Lebens, und die liebliche Gestalt des guten Hirten verwandelt sich in das medusenartige, greisenhafte Christusantlitz, wie es uns aus den Mosaiken der byzantinischen Zeit starr und gespenstisch entgegenblickt.
Die christliche Kunst in ihrem Altes und Neues versöhnenden Geiste ging zu Grabe, um als kirchliche Kunst streng und fleischtödtend wieder aufzustehen. In dieser Zeit erhielten die Katakomben keine neuen Bewohner mehr, sie sind aber heilige Wallfahrtsstätten noch lange verblieben. Ein neues Geschlecht baute über ihnen die prächtigsten Kirchen des Erdkreises auf, der kleine Nischenbogen des Märtyrergrabes wurde zum Triumphbogen der stolzen Basilika. Die Gebeine der Blutzeugen, die man vor der Beschimpfung mit Mühe barg, wurden hervorgeholt, goldenen Altären erst Würde und Ansehen zu verleihen. Aber nach und nach wurden, wie alles Andere, auch diese Grabstätten vergessen; hin und wieder beklagt sich wohl eine Stimme, daß die Verehrung dieser Stätten abnähme, aber sie blieb doch nur vereinzelt; seit die Gothen, was Werthvolles in ihnen sich vorfand, geraubt und weggeschleppt hatten, verfielen die Katakomben mehr und mehr. Die wenig zugänglichen Reste wurden in Schafställe verwandelt und boten Füchsen und Räubern der Campagna einen willkommenen Schlupfwinkel dar. Und wenn eine Durchforschung und ein Besuch derselben stattfand, so geschah es nur, um die Gebeine der Märtyrer hervorzuholen und sie entweder dieser oder jener Kirche einzuverleiben, oder auch sie zu verkaufen, ein Handel, welcher der Kirche für Jahrhunderte Vortheil versprach.
Erst mit Papst Sixtus dem Fünften erfolgte eine mehr wissenschaftliche Durchforschung der Todtenlager, und eine Reihe von Männern haben sich um dieselbe bis auf unsere Tage größere oder geringere Verdienste erworben. Obenan steht in unserer Zeit der Cavaliere de Rossi, der Präsident der von Papst Pius dem Neunten ernannten Commission für christliche Archäologie, durch den nicht nur eine große Anzahl von Katakomben aufgedeckt sind, sondern auch das wissenschaftliche Material, das darin verborgen, auf das Geistreichste verwerthet worden ist. Durch ihn wurde namentlich das Eine festgestellt, daß die Katakomben nicht, wie man früher wohl meinte, die alten Sandgruben wären, aus denen man das Material zu den städtischen Bauten zog, ebensowenig, wie Andere glaubten, die Gruben, worin man die Sclaven verfaulen ließ, und daß sie, von Mönchen mit Malereien und Inschriften bedeckt, für die Grabstätten der ersten Christen ausgegeben worden wären, sondern daß sie wirklich zu dem Zwecke angelegt worden seien, dem sie dienten, die Ruheplätze zu bilden für die, welche des Lebens Kampf und Leid überwunden.
Vor allen Thoren Roms fast finden sich diese Katakomben. Im Alterthum kannte man deren vierzig, jetzt sind einige zwanzig bekannt; war es doch bei einer Stadt von so ungeheurem Umfang wie Rom von selbst geboten, verschiedene Begräbnißplätze anzulegen. Die fabelhaften Berichte, die früher über diese Todtenstraßen im Umlauf waren, als ob sie ein unterirdisches Netz bildeten, das ganz Rom unterminire und sogar bis Ostia sich erstrecke, bestätigen sich nicht, aber dennoch ist ihre Ausdehnung eine staunenswerthe, wenn man die verhältnißmäßig kurze Zeit bedenkt, die an ihnen gearbeitet, und erwägt, daß man die Bekenner nur eines unterdrückten Glaubens daselbst bestattete. Stammt doch nachweislich das erste Katakombengrab vom Jahre 71, das letzte vom Jahre 410.
Jetzt sind die Katakomben leer, der größte Theil dessen, was sie so interessant und merkwürdig macht an Malereien und Inschriften, ist, um es vor Beschädigung und Beraubung zu schützen, entfernt und in den Räumen des Lateran untergebracht worden. Nur der emsig forschende Gelehrte und der neugierige Fremde betreten noch diese stillen Gänge, und wie früher die Todtengräber beschäftigt waren, die Leichen hier zu bestatten, so sind jetzt Arbeiter thätig, die lange vermoderten Gebeine aus ihrer Ruhe wieder an’s Tageslicht zu ziehen.
Wir verlassen diese nächtlichen Orte, voll Dank gegen den gelehrten Führer, der uns ihre Bedeutung und ihren geschichtlichen Werth begreifen gelehrt hat, voll Verehrung gegen die Abgeschiedenen, an deren Gräbern wir gestanden und in denen der Geist des Christenthums reiner und großartiger sich offenbarte, als jemals später, und steigen wieder zum erquickenden Sonnenlichte empor. War es wirklich heller geworden in der Gemeinde, als sie zum Licht der Sonne aus diesen Stätten sich erhob und zu Macht und Ehre gelangte? Woher der Aberglaube, der, von Herrschsucht künstlich genährt, in jener spätern Zeit um die Gemüther gewoben wurde? Vertrug die der unterirdischen Nacht entstiegene Kirche das Licht der Sonne nicht, sehnte sie sich in das Dunkel zurück, oder gehören am Ende Druck und Kampf dazu, um selbst die höchsten geistigen Güter, sogar die Religion vor Entartung zu schützen?