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Die socialen Folgen der Arbeitstheilung

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Textdaten
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Autor: Schulze-Delitzsch
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Titel: Die socialen Folgen der Arbeitstheilung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12 und 13, S. 190–192 und 205–207
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[190]
Die socialen Folgen der Arbeitstheilung.
Vortrag gehalten im Saale des großen Handwerkervereins zu Berlin von Schulze-Delitzsch.


Unter den natürlichen Factoren, welche die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse beherrschen, nimmt die Arbeitstheilung eine der wichtigsten Stellen ein. Darin, in welcher Weise und mit welchen Folgen für das individuelle Gedeihen, wie für die gesellschaftliche Gruppirung der Einzelnen sie vor sich geht, liegt das Hauptstück der socialen Frage.

I. Die Wirkungen der Arbeitstheilung auf wirthschaftlichem Gebiet.

Ueber die wirthschaftliche Seite der Sache hier nur einige flüchtige Notizen, um mit den weiteren Folgerungen daran anzuknüpfen.

Die Arbeitstheilung, die Vertheilung der vielfachen, zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse erforderlichen Thätigkeiten unter verschiedene Menschengruppen, als mehr oder weniger ausschließliche Beschäftigungszweige, wurzelt unmittelbar im Wesen des Menschen. In erster Reihe kommt hierbei das Maß und die höchst ungleiche Vertheilung der Kräfte, Anlagen und Neigungen unter den Menschen in Betracht. Vermöge derselben ist jeder Einzelne nur zu dieser oder jener, Keiner aber zu allen den vielfachen Arbeitsverrichtungen befähigt, welche erforderlich sind, um uns mit unsern sämmtlichen Bedürfnissen zu versorgen. Anstatt daher einen Jeden mit diesen Thätigkeiten insgesammt zu befassen, was für den Einzelnen geradezu unmöglich würde, finden wir sie unter verschiedene Arbeiterbranchen vertheilt, und so mittelst des gegenseitigen Austausches der verschiedenen Erzeugnisse, Allen die Möglichkeit gegeben, zur Befriedigung ihres Gesammtbedarfs zu gelangen.

Bei dieser Scheidung der verschiedenen Arbeiterbranchen, deren jede eine bestimmte Classe von Producten herstellt, bleibt es übrigens nicht. Vielmehr dringt die Arbeitstheilung, jemehr die Industrie fortschreitet, desto mehr in jede dieser Branchen selbst ein, mit der Folge, daß die zur Herstellung eines bestimmten Verbrauchsartikels aus den Rohstoffen erforderlichen Arbeitsoperationen, welche sonst von einem und demselben Arbeiter verrichtet wurden, unter mehrere vertheilt werden, die sich dabei gegenseitig in die Hände arbeiten.

Die Wirkungen der Arbeitstheilung für die Erleichterung, Vervollkommnung und Ergiebigkeit der Arbeit sind unübersehbar, und wir erinnern hier nur ganz flüchtig an das Hauptsächlichste.

Zunächst steigert sie in ganz unberechenbarer Weise die Leistungsfähigkeit der Arbeiter. Einmal kann sich nun Jeder dem speciellen Fache widmen, wozu er von Natur am meisten geschickt ist. Besonders aber ist die Concentration der Thätigkeit für die Ausbildung in jedem besonderen Arbeitszweige, die dadurch erreichte größere Erfahrung und Geschicklichkeit nicht hoch genug anzuschlagen, während, wenn die Menschen genöthigt wären, so verschiedenartige Dinge alle zu lernen und zu treiben, das höchste Lebensalter zu den Lehrjahren nicht ausreichte.

Sodann verhütet die Arbeitstheilung die Capitalsvergeudung bei der Arbeit. Zu jeder Art der Arbeit gehören bekanntlich als unerläßliche Vorbedingungen gewisse Rohstoffe, Werkzeuge und sonstige mehr oder weniger kostspielige Anlagen. Wie stände es damit bei dem Einzelnen, der sich alle seine Bedürfnisse selbst fertigen sollte? Er bedürfte aller möglichen Werkstätten und Stoffe, müßte Feld, Ackergeräth und Vieh anschaffen, Mühlen anlegen, kurz tausend Dinge haben, ehe er nur daran denken könnte, an eine einzige dieser Arbeiten selbst zu kommen, und es ist klar, daß dies allein seine Kräfte zeitlebens weit überstiege.

Endlich übt die Arbeitstheilung bei der Production den erheblichsten Einfluß auf die Mitwirkung der Naturkräfte und Schätze aus, welche bekanntlich sehr ungleich auf der Erde vertheilt sind. [191] So kann man nun an jedem Orte sich vorzugsweise auf die Herstellung solcher Arbeitserzeugnisse legen, welche sich da, Dank der Naturausstattung, am leichtesten und billigsten herstellen lassen, was schließlich durch den allgemeinen Tauschverkehr Allen zu statten kommt.

Wie die Arbeitstheilung sonach sich als unentbehrlich für unsere materiellen Bedürfnisse erweist, ist sie es in demselben Grade für unsere geistige Entwickelung, für den gesammten Culturfortschritt des menschlichen Geschlechts. Ehe Jemand daran denken kann, sich mit Ausbildung seiner höheren Anlagen, mit der Pflege der edleren Keime seiner Natur zu beschäftigen, muß erst für die leibliche Nothdurft gesorgt sein. Man muß erst dem gebieterischen Bedürfniß der sinnlichen Natur genügen, erst das Nothwendige und Nützliche schaffen, ehe man an das Schöne und Angenehme denken kann. So lange die Arbeit bei einem Volke nicht soweit entwickelt ist, daß sie einen Ueberschuß über den täglichen Gebrauch gewährt, ist von Bildung keine Rede. Nur ein solcher Ueberschuß macht einen Theil der zur Beschaffung des Nothwendigen erforderlichen Menschenkräfte frei und stellt sie für höhere Aufgaben zur Verfügung. Daß aber solche geistige Bildung im Haushalt der menschlichen Gesellschaft, ein solches Mehr der Gesammtproduction über die Gesammtconsumtion ohne die Arbeitstheilung niemals erreicht werden kann, ist unbestritten.

Als Anhalt für unsere Erörterungen fassen wir daher das Gesagte kurz dahin zusammen:

1. Die Arbeitstheilung beruht auf einer innern, in der menschlichen Natur begründeten Nothwendigkeit;

2. ohne dieselbe reichen die Kräfte der Menschen zur Beschaffung der Mittel ihrer leiblichen Existenz nicht aus, und von der Entwickelung und Bethätigung der uns eingebornen höheren Anlagen, d. h. der Erreichung wahrer Menschenbestimmung, könnte nicht die Rede sein.

II. Die socialen Uebelstände der Arbeitstheilung.

Aber wenn über die wirthschaftliche Unentbehrlichkeit der Arbeitstheilung kein Streit herrscht, so ändert sich dies, sobald man zu den weiteren socialen Folgen derselben übergeht, und es eröffnet sich ein ganzes Feld feindlicher Meinungen und ungeschlichteter Wirren, aus denen wir nur das Hauptsächlichste herausheben.

Trotz des Gesagten soll nämlich die Arbeitstheilung, so wirft man ihr vor, für die Entwickelung eines großen Theiles der Menschen geradezu hemmend, ja verderblich sein. Insbesondere wird ihr die Hervorbringung der noch immer bestehenden schroffen Classenunterschiede schuld gegeben, vermöge deren den Menschen in Beziehung auf Bildung und Wohlstand wie auf ihre gesellschaftliche Stellung so ungleiche Loose zufallen, daß es scheint, als könne das Wohlbefinden der Einen nur erkauft werden durch die Verkümmerung der Andern. Besonders verweist man hierbei auf die Nachtheile, welche die in der neuern Industrie immer mehr durchgeführte Beschränkung der einzelnen Arbeitergruppen auf ganz specielle Verrichtungen mit sich bringt, und in der That lassen sich dieselben durchaus nicht in Abrede stellen. Denn indem dadurch einer jeden solchen Gruppe nur ein geringer Bruchtheil der Production ihrer Branche zufällt, ihre ganze Thätigkeit häufig auf die unablässige Wiederholung einiger wenigen mechanischen Manipulationen beschränkt ist, verlieren sie das Ganze der Production aus den Augen, was nicht nur eine einseitige Richtung in ihrer technischen Befähigung zur Folge hat, sondern auch ungünstig auf ihre ganze Lebenshaltung zurückwirkt. „Ein Mensch,“ sagt ein bekannter französischer Nationalökonom, „der während seines ganzen Lebens nur eine Verrichtung thut, gelangt sicher dazu, sie besser und schneller auszuführen, als ein Anderer, aber zugleich wird er zu jeder andern physischen und geistigen Beschäftigung weniger geeignet, indem seine übrigen Fähigkeiten durch Nichtgebrauch erlöschen.“ Daß sich dies nicht auf das technische Gebiet beschränkt, sondern auf den ganzen Menschen erstreckt, deuteten wir schon an. Der Umstand, welche Anlagen unserer Natur bei der Berufsthätigkeit vorzugsweise zur Ausbildung gelangen, die Summe der physischen, sittlichen und intellectuellen Anregungen, welche die Art der Arbeitsverrichtung auch mittelbar in sich schließt, ist für die humane Entwickelung, für die wirthschaftliche Lage und bürgerliche Stellung der Betheiligten nicht gleichgültig. Und je stetiger ungünstige Einflüsse in dieser Richtung in einer meist von Jugend an aufgenommenen Beschäftigung auf den Menschen wirken, desto schwerer wird es, sich ihnen zu entziehen.

Können wir uns hiernach nicht entbrechen, die großen Mißstände in unsern socialen Verhältnissen in nahe Beziehung zur Arbeitstheilung zu bringen, wie dieselbe sich mit ihren Consequenzen im heutigen Wirthschaftsleben herausgebildet hat, so drängt sich uns die Frage auf: ob diese Erscheinungen principiell, mit innerer Nothwendigkeit, aus dem Wesen der Arbeitstheilung hervorgehen, so daß wir sie als ewig und unabänderlich damit verbunden zu betrachten haben? oder: ob sie im Gegentheil als krankhafte Auswüchse, als Abirrungen von der normalen Gestaltung derselben aufzufassen sind, veranlaßt durch äußere Störungen durch fremde Einflüsse, mit deren Beseitigung sie verschwinden?

Sicher werden wir der ersten Alternative, der Permanenzerklärung des Elends, als unvermeidlicher Nachtseite der Cultur, uns ohne Weiteres anzuschließen um so weniger geneigt sein, als dadurch die Natur eines furchtbaren Widerspruchs mit sich selbst bezichtigt wird. Ist die Arbeitstheilung, wie wir nachgewiesen haben, der Ausdruck unseres eigensten Wesens und nie und nirgends für uns zu entbehren, da ohne sie die Menschheit niemals zu einer gesicherten materiellen Existenz, geschweige denn zur vollen Entfaltung ihres höhern Geisteslebens zu gelangen vermag; hat die Natur also selbst dem Menschen die Arbeitstheilung durch seine Organisation unerläßlich auferlegt: wie mag dieser große natürliche Hebel in sein Gegentheil umschlagen und mit derselben innern Nothwendigkeit, wenn auch nur bei einem Theile der Menschen, die leibliche und geistige Verkümmerung nach sich ziehen? In der That ein unlösbarer Conflict wenn derjenige Vorgang, welcher die Civilisation erst möglich macht, uns gleichzeitig zum großen Theil der Segnungen derselben beraubte; ein entsetzlicher Hohn, wenn es wahr wäre, daß, wie Proudhon es ausdrückt, „die Arbeitstheilung, das erste und mächtigste Werkzeug des Wissens und Reichthums, welches die Vorsehung in unsere Hand gelegt hat, für uns ein Werkzeug des Elends und der Dummheit würde!“ Wohl muß eine Frage, welche die höchsten Interessen unseres Geschlechts so nahe berührt, uns zu ernster Erwägung auffordern, und um hier einen Anhalt zu gewinnen, werden wir auf Wesen und Zweck der Arbeitstheilung näher einzugehen haben, und ihre Wirkungen mit den berührten Erscheinungen in das rechte Verhältniß zu setzen suchen.

Daß mittels der Arbeitstheilung, durch Einordnung der Einzelnen in die verschiedenen Beschäftigungszweige, eine Scheidung der Menschen sich vollzieht, welche auf die individuelle Entwickelung, wie auf die gesellschaftliche Lage wesentlichen Einfluß übt, davon gingen wir bei unserer Betrachtung aus. Aber wenn wir auch diese Scheidung als etwas wesentlich durch die Arbeitstheilung Bedingtes gelten lassen, so ist damit doch noch nicht gesagt, daß sich dieselbe nothwendig bis zu jenen schroffen Classenunterschieden steigern müßte, welche mit der Spaltung und dem feindlichen Widerstreit der Interessen, mit den schneidenden Gegensätzen zwischen äußerstem Ueberfluß und äußerster Entblößung, zwischen höchster menschlicher Entfaltung und tiefster Verkommenheit das Grundübel unserer socialen Zustände ausmachen. Ein genauerer Hinblick genügt vielmehr, dies zu verneinen und uns zu zeigen, daß die Schranken gegen solche Ausschreitungen ebenfalls im Wesen der Arbeitstheilung liegen, daß der trennenden Tendenz in ihr zugleich das Gegengewicht beigegeben ist, welches den Vorgang regelt. Alles von der Natur Gegebene, jede wahrhaft natürliche Organisation trägt ihr Maß in sich selbst. Rufen wir uns nur die im Eingange begründeten Sätze zurück. Einzig durch die Arbeitstheilung war die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse möglich. Da nun jede der verschiedenen Beschäftigungsclassen blos einen Theil des eignen Bedarfs wie des aller Uebrigen herzustellen im Stande ist und die Gesammtaufgabe nur durch die Cooperation, die ineinandergreifende Thätigkeit Aller gelöst werden kann: so ist keine dieser Classen sich selber genug, keine im Stande, die Befriedigung ihrer Bedürfnisse sich durch ihre alleinige Thätigkeit zu verschaffen. Vielmehr bleibt jede von ihnen in demselben Grade, wie ihre Thätigkeit den andern unentbehrlich ist, auch ihrerseits auf die Leistungen dieser anderen angewiesen. Und das eben ist, jenem trennenden Elemente gegenüber, das einende Element der Arbeitstheilung, wodurch dieselbe die sämmtlichen von ihr geschiedenen Gruppen in eine höhere Einheit wieder zusammenfaßt und sie gerade durch jene Scheidung aus ihrer Isolirung herausnöthigt. Einzig durch diese Gliederung der Einzelnen in den verschiedenen Classen schafft die Arbeitstheilung den ineinandergreifenden Organismus [192] der Gesellschaft, welche ohne sie, wenn jeder Einzelne von uns in seinen Daseinsforderungen sich selber genügte und nicht auf seine Nebenmenschen angewiesen wäre, kaum existiren würde. Erst die Arbeitstheilung schafft mittelst der Classenscheidung die unentbehrlichen Organe, deren die Gesellschaft zu ihren Lebensfunctionen bedarf.

Und somit trägt sie die natürliche Schranke gegen die gerügten Ausschreitungen in sich selbst. Sind die beiden Elemente, das trennende und das einende, nichts als zwei Seiten einer und derselben Sache, gleichsam die Pole der Achse, um welche sich Alles bewegt, so müssen sie beide gleichmäßig zur Geltung kommen, soll die normale Wirkung eintreten. Denn sobald das eine das andere entschieden überwiegt, wird der Schwerpunkt des Ganzen verschoben, die ausgleichende Wirkung, welche beide aufeinander auszuüben bestimmt sind, vernichtet und man geräth in Bahnen, welche von den natürlichen mehr oder weniger abweichen. Ganz besonders wird dies der Fall sein, wenn dem trennenden Elemente, welches sich zu dem einenden doch nur als das untergeordnete, als Mittel zum Zweck verhält, zuviel Spielraum verstattet wird, so daß die Classenscheidung das Bewußtsein der höhern Zusammengehörigkeit ertödtet, die Gegenseitigkeit in den Leistungen der verschiedenen Classen mehr und mehr aufhebt, und einzelnen von ihnen das Abmühen um die materiellen Lebensbedürfnisse der Gesammtheit als ausschließliche Lebensbestimmung aufgebürdet wird.

Und dies bringt uns auf den Kern der Frage: auf die Bestimmung des Lebensgebietes und seiner Grenzen, innerhalb dessen die Arbeitstheilung ihrem wahren Sinn und Zwecke nach sich zu bethätigen hat. Da sie nichts weiter ist als die Form, in welcher menschliche Arbeit überhaupt verrichtet wird, so müssen wir dabei nothwendig auf die letztere selbst zurückgreifen. Der unbestrittene Zweck aller Arbeit ist nun die Versorgung der Menschen mit ihrem Lebensbedarf, die Beschaffung der Mittel zum Dasein im weitesten Sinne. Wohlverstanden also: mit den Daseinsmitteln, nicht mit dem Daseinszwecke haben es die verschiedenen Arbeitsverrichtungen der Menschen zu thun, welche auf Herstellung der zum Gesammtbedarf erforderlichen Summe von Gütern und Diensten gerichtet sind, aus welcher jeder Einzelne sein Theil beansprucht. Und so lassen sich die Grenzen des fraglichen Gebietes füglich bestimmen. Die Arbeitstheilung tritt darnach vorzugsweise bei allen den Aufgaben ein, welche den Menschen in die Lage versetzen sollen, seiner wahren Bestimmung, der Ausbildung und Bethätigung aller in ihn von der Natur gelegten Anlagen, mit Erfolg nachzugehen. Namentlich gilt dies von Beschaffung der Mittel zur materiellen Existenz und von gewissen Diensten und Hülfsleistungen, welche nothwendige Erfordernisse der individuellen Entwickelung sind. Nur auf diesem Gebiete, nur bei Gewährung der äußern Vorbedingungen zur Erreichung unseres eigentlichen Lebenszweckes ist der Austausch gegenseitiger Leistungen überhaupt möglich; nur hier mag der Eine für den Andern eintreten, mag also eine Vertheilung der darauf bezüglichen Thätigkeiten unter verschiedene Personen mit der Wirkung stattfinden, daß die Leistungen des Einen den Andern zu gut kommen. Niemals aber darf die Arbeitstheilung in dem, was die Menschenbestimmung selbst in sich faßt, scheidend und ausschließend zwischen die Einzelnen treten. Liegt doch hier ein innerer Lebensproceß vor, der sich in jedem Menschen selbst und ganz vollziehen muß, den Keiner für den Andern durchmachen kann. So wenig Einer für den Andern wachsen oder lernen kann, so gewiß solche Acte in Jedem selbst vor sich gehen müssen, sollen sie ihm zu gut kommen: so gewiß kann jene innere geistige Lebensarbeit nicht vertheilt und Jemandem abgenommen, so gewiß darf Niemandem die Selbstthätigkeit dabei entzogen werden, weil dadurch sein eigentlicher Lebenszweck gefährdet wird. Deshalb hat sich die Arbeitstheilung auf das eigentliche Erwerbsleben, die sogenannten Fachthätigkeiten, zu beschränken, welche theils, wie Production und Handel, die zur äußeren Existenz erforderlichen Sachgüter, theils, wie die Thätigkeiten des Arztes, Beamten, Lehrers, Gesindes und dergleichen, gewisse Dienste uns zu Gebote stellen, die zur Nothdurft und Annehmlichkeit gehören und unser körperliches und geistiges Gedeihen fördern. In diesem ihrem Elemente sich bewegend, wird die Arbeitstheilung nur die wohlthätigsten Folgen für den Einzelnen, wie für die Gesammtheit üben, und sich wirklich als das unentbehrlichste und wirksamste Förderungsmittel für alle höhere Culturbestrebungen bewähren. Dies wird aber im Augenblick verschoben, wo die von ihr bewirkte Classenscheidung so weit geht, daß sie, wie wir bereits sagten, einem Theile der Menschen die Sorge und Beschäftigung für die äußere Nothdurft des Daseins, insbesondere die niedere Gewerbsarbeit, dergestalt ausschließlich aufbürdet, daß demselben weder Zeit noch Kraft zu jener innern Aufbauung übrig bleibt. Dann fördert sie die davon Betroffenen nicht in Erreichung ihres Lebenszweckes, was wir doch allein als ihre Bestimmung erkannten, vielmehr hemmt sie dieselben. Ja, dann kann man überhaupt nicht mehr von einer Theilung menschlicher Arbeit, sondern weit eher von einer Zertheilung des Menschen selbst, einer Verstümmelung des menschlichen Wesens überhaupt reden, wenn man dessen Hauptelemente, die ganz und unzerstückelt in Allen vorhanden sind, bei ganzen Classen nur zu einem Bruchtheil sich entwickeln läßt und insbesondere die Summe der höheren geistigen Anlagen nur bei einer bevorzugten Minderheit zur vollen Bethätigung bringt, während dieselben bei den Uebrigen der Verkümmerung preisgegeben werden. Das ist ein Hohn wider das Menschenthum, ein Auflehnen wider die Natur!

Bei Thieren sehen wir wohl eine solche Theilbefähigung innerhalb der Gesammtthätigkeit einer Gattung von der Natur gegeben, nicht aber beim Menschen. Wir verweisen auf das bekannteste aller Gesellschaftsthiere, die Biene, wo man von einer Arbeitstheilung in gewissem Sinne sprechen kann. Da finden wir die einzelnen Classen: die Arbeiterin, die Drohne, die Königin, ganz speciell und ausschließlich zu einzelnen Functionen organisirt, und bei jeder Classe geht ihre ganze Lebensthätigkeit und Fähigkeit, also ihre ganze Bestimmung in dieser speciellen Classenfunction auf. Die Arbeitsbiene ist eben nur das, und will und kann nichts Andres sein, ebenso die Drohne, wie die Königin, als Mutter des Stockes, und der Gattungsbegriff „Biene“ kommt in keiner dieser Classen für sich allein zum Abschluß. Anders der Mensch. In der Erwerbsthätigkeit, in jenen Fachstrebungen und Leistungen, vermöge deren Jeder das Seine zu dem äußerlichen Bedürfniß, zu dem Lebensapparat der Gesammtheit beiträgt, ist die Summe seines Daseins nicht beschlossen, welches höhere Ziele hat und über höhere Kräfte gebietet. Vielmehr sind wir von der Natur so organisirt, daß der Einzelne die ganze volle Menschheit in sich entwickeln, daß Jeder ein ganzer Mensch sein kann und sein soll, nicht blos ein Bruchtheil davon. Jedem ist der göttliche Funke eingeboren, der uns erst zu Menschen macht, und was darauf hinausläuft, ihn bei einem Theile der Menschen zu ersticken, ist ein Attentat gegen die Menschheit. Am wenigsten darf die Arbeitstheilung, zu welcher die Natur selbst unser Geschlecht hindrängt, um mittels der leichteren Beschaffung der Mittel zum Dasein ihm die Erreichung seiner höheren Ziele zu ermöglichen, auf die angedeutete Art in ihr Gegentheil verkehrt, dazu gemißbraucht werden, eine ganze Halbschied der Menschheit von diesem höheren Ziele auszuschließen und um ihr besseres Theil zu verkürzen.

[205]
III. Geschichtliche Entwickelung.

Haben wir sonach die tröstliche Ueberzeugung gewonnen, daß das Krankhafte unserer socialen Zustände nicht dauernd und principiell der Arbeitstheilung selbst, und in ihr dem Lebensnerv der Civilisation anhafte, daß es vielmehr in Einflüssen seinen Grund habe, welche ihrem Wesen fremd sind, so fragen wir weiter: wo denn diese Einflüsse zu suchen sind, aus welchen sich die fraglichen Mißstände erklären lassen, die sich seit Jahrtausenden bis in unsere Tage hinein schleppen? Schon die stetige Abnahme derselben im Laufe der Zeit, sowohl dem Grade als der Ausdehnung nach, [206] welche mit Fug nicht bestritten werden kann, sobald man die Gegenwart mit der Vergangenheit vergleicht, giebt uns den nöthigen Fingerzeig hierüber, und wir brauchen denselben nur weiter zu verfolgen, um die Antwort zu finden, indem wir uns ein für allemal klar machen:

daß die Arbeitstheilung zu den Momenten unseres Culturlebens gehört und daher demselben Gesetz unterliegt, wie jeder geschichtliche Proceß, dem Gesetz der allmählichen Entwickelung, des Durchringens vom Unvollkommenen zum Vollkommenen.

Die heutigen Zustände können daher so wenig wie die früheren als etwas Abgeschlossenes, sondern nur als eine Entwickelungsstufe aufgefaßt werden, welcher andere und höhere folgen, weshalb aus ihnen noch kein Schluß auf das Princip selbst und seine endgültige Gestaltung gezogen werden kann.

Wie die Arbeit in ihren technischen Methoden erst mit steigender Civilisation zu besserer Bewältigung ihrer Aufgaben vorgeschritten ist, so streift auch die durch diese Arbeitsmethoden wesentlich bedingte Arbeitstheilung nur allmählich ihre ersten, rohesten Formen, ihre größten, barbarischen Härten ab. Die Geschichte der Arbeit ist daher die Geschichte der Arbeitstheilung und begreift zugleich die der Arbeiter und ihrer Lage in sich. Und weil Arbeit und Cultur in ihren Wechselbeziehungen niemals getrennt werden können, so fallen die ganzen berührten Verhältnisse wiederum mit dem jedesmaligen Stande der Civilisation bei den einzelnen Völkern und in den verschiedenen Zeiten zusammen. Daher können wir uns nicht entbrechen, das Mangelhafte und Verwerfliche der erwähnten Erscheinungen dem mangelhaften Stande der Civilisation zuzuschreiben, welcher die Arbeitstheilung in jene falsche Richtung drängt, nicht dieser selbst und ihrem wohlthätigen Princip. Es ist eben ein unvermeidlicher Durchgangspunkt in der Gesammtentwickelung, den wir hinzunehmen haben, mit der Aufforderung, die Hände anzulegen zum Besseren.

Diese Auffassung findet die vollste Bestätigung durch einen Rückblick auf den Verlauf der Sache seit den frühesten Geschichtsepochen. Je finsterer und roher Völker und Zeiten, desto mehr herrscht das trennende Element der Arbeitstheilung vor, desto schroffer und starrer sind die Classenunterschiede, welche die Verschiedenheit der Beschäftigungen mit sich bringt, desto mehr sehen wir die Vortheile davon einer begünstigten Minderheit auf Kosten der unterdrückten Mehrheit zugewendet. Einen Hauptgrund dieser Erscheinung haben wir bereits angedeutet, es sind die unvollkommenen Arbeitsmethoden. Bei schlechten, höchst ungenügenden Werkzeugen, in Unkenntniß der beihelfenden Naturkräfte, mußten die Arbeiter in den frühesten Zeiten fast allein durch äußerste Anspannung der Muskelkräfte ihre Aufgaben lösen, was eine Erschöpfung und Abstumpfung des Geistes und Körpers, eine Dumpfheit des Gemüthes bei ihnen mit sich führte, die ihrer Bildsamkeit, ihrem Emporkommen nicht günstig waren. Dadurch wird es erklärlich, wie in den ältesten Zeiten die verwerflichsten und entwürdigendsten Formen der Arbeitstheilung zuerst Platz griffen: die Geburtskaste und die Sclaverei. Nach der Auffassung der Zeit ließen sich die niedere Erwerbsarbeit und die höhere Geistesthätigkeit in einem und demselben Menschen nicht vereinigen. Wer das Eine trieb, wurde eben dadurch unfähig zu dem Anderen. Damit die eine Halbschied der Menschen den höchsten Zielen unseres Geschlechts zustreben und alle Zeit und Kraft darauf wenden könne, mußte die andere davon ausgeschlossen und ihr die Beschaffung der äußeren Daseinsmittel aufgebürdet werden.

So entmuthigend, ja so ungeheuerlich uns diese Anschauung im Lichte unserer Zeit erscheint, müssen wir doch Eins zugestehen. Auch in dieser verkümmerten Form, in dieser offenbaren Abirrung hat die Arbeitstheilung noch unendlich für die Entwickelung unseres Geschlechtes gewirkt und muß als Quell alles Fortschritts betrachtet werden. Schlagend ist hierbei der Vergleich der Völker der alten Welt, bei denen wir jene Einrichtungen vorfinden, mit den wilden Horden und Stämmen, bei welchen keine Spur davon zu bemerken ist, denen aber auch alle Culturfähigkeit abgeht. Man blicke nur nach Amerika und den Südseeinseln, wo solche Stämme noch jetzt hausen. Da ist von eigentlicher Gewerbsthätigkeit und Arbeitstheilung keine Rede. Jeder ist Krieger und Jäger oder Fischer, jede Familie schafft sich ihren Bedarf selbst und der gefangene Feind wird getödtet, nicht geknechtet. Von Classenunterschieden ist dabei nichts zu spüren, vielmehr herrscht sociale und politische Gleichheit im vollen Maße. Aber dafür ist auch von aufsteigender Civilisation nichts bei ihnen wahrzunehmen. In denselben ursprünglichen Zuständen, wie sie nach den ältesten Nachrichten bei ihnen bestanden haben, finden wir sie noch jetzt, und die Berührung mit den Europäern vermag ihnen höchstens die Laster der Civilisation mitzutheilen, aber keinen lebenskräftigen Anstoß, sich ihrer Segnungen zu bemächtigen. Die meisten von ihnen haben es weder zu einer Schriftsprache, noch zu festen Sitzen und eigentlichem Ackerbau gebracht. Es scheint, daß die ganze Race von der Bühne der Welt verschwinden wird, ungefähr in denselben Zuständen, wie sie dieselbe betraten.

Wie anders die Völker des Orients, in West- und Südasien und an der Ostküste des nördlichen Afrika! Freilich ist hier der Ursprung der Sclaverei und des Kastenwesens zugleich mit dem der Arbeitstheilung zu suchen, aber welche reichen Culturschätze sind zugleich mit diesen Institutionen von ihnen an die abendländische Welt gebracht und die Grundlage der Civilisation für alle Zeiten geworden! Ackerbau und Gewerbe, Handel und Schifffahrt, Entdeckungen und Erfindungen aller Art, die Gewinnung und der Gebrauch der Metalle, die Buchstabenschrift mit den Anfängen der Wissenschaften und Künste, die ältesten Urkunden und Denkmäler der Religion und Geschichte: das Alles ist von ihnen zu uns gekommen und hat sich in der Blüthezeit des classischen Alterthums bei den Griechen und Römern zu einer Höhe gesteigert, daß es bis auf die Gegenwart herab für alle Völker eine ewige Schule bleibt, an der sie mit ihren eigenen Bildungsstrebungen anknüpfen.

So gewiß es aber hiernach ist, daß diese reichen Culturschätze mit tausendfältigem Elend und Verkümmerung eines großen Theils der Menschen in den antiken Gemeinwesen erkauft sind, eben so sicher steht es fest:

daß die dadurch gewonnenen Keime weiterer Entwickelung die Beseitigung jener entwürdigenden Zustände in ihrem Schooße trugen.

Kam die damalige Arbeitstheilung auch nur einer geringen Zahl zu statten, so war es doch eben diese, welche der Cultur überhaupt die Bahnen brach, die, einmal eröffnet, sich von Geschlecht zu Geschlecht erweiterten. Das ist einmal der natürliche Zug aller Bildungserrungenschaften im Ganzen, wie aller Entdeckungen und Erfindungen im Einzelnen, daß sie aus den engen Kreisen der Eingeweihten heraus sich zu verallgemeinern, immer größere Kreise zu gewinnen streben. Ganz besonders wurde die allmähliche Emancipation der arbeitenden Classen durch den Einfluß begünstigt, welchen die steigende Blüthe der Künste und Wissenschaften auf den Gang der Industrie und die Vervollkommnung der gewerblichen Arbeitsmethoden mehr und mehr ausübte. Unser Jahrhundert vor Allem mag als Wendepunkt erscheinen, von wo aus man in spätern Zeiten eine neue Epoche in dieser Beziehung datiren wird. Namentlich sind es die großen Forschungen und Entdeckungen in den Naturwissenschaften, welche hier ganz neue Bahnen brechen. Indem sie die Naturkräfte immer mehr zu menschlichen Arbeitszwecken zur Verfügung stellen, entheben sie mehr und mehr die Arbeiter der rohesten, aufreibendsten Verrichtungen, welche ihre Bildungsfähigkeit in der Vorzeit so sehr beeinträchtigten. Im Gegentheil drängen die neuen Arbeitsmethoden selbst zu geistiger Entwickelung hin. Handwerk wird mehr und mehr Kopfwerk, ein gewisser Grad von Kenntnissen, zum Theil sogar von wissenschaftlicher Bildung, wird unentbehrliches Arbeitsmittel. Zugleich ist durch die ungeheure Steigerung der Leichtigkeit, wie der Ergiebigkeit der Arbeit, vermöge deren immer größere Gütermassen in immer kürzeren Zeiträumen und mit immer geringerer Mühe hergestellt werden, eine Verkürzung der Arbeitszeit zum Theil bereits angebahnt, zum Theil überall vorbereitet, welche dem Arbeiter auch die nöthige Muße besser als bisher gewähren wird, sich mit seiner Ausbildung zu befassen. Und auf diese Weise tritt die bedrohliche Wirkung der Arbeitstheilung, von der wir sprachen, die Gefahr der Verkümmerung mehr und mehr zurück. Was dem Arbeiter noch versagt bleibt, unmittelbar durch seine Fachthätigkeit zu erreichen, die Uebung seiner höheren Anlagen, dem mag er jetzt in seiner freien Zeit selbstthätig nachstreben. Und der gegebene Anstoß bleibt hierbei nicht stehen, vielmehr greifen die einmal begonnenen Bildungsbestrebungen, bei denen sich die deutschen gewerblichen Arbeiter vor allen auf das Ehrenvollste auszeichnen, unmittelbar in das Gewerbsleben zurück. Der Hebung des Bildungsstandes folgt die Hebung der wirthschaftlichen Lage auf dem Fuße, für welche die gewonnene Einsicht, die gesammelten Kenntnisse vom größten praktischen [207] Werth sind. Hier sind es besonders die genossenschaftlichen Verbindungen der Arbeiter, wodurch sie sich, außer den Bildungsmitteln, Capital, Credit und alle äußeren Bedingungen zum wirthschaftlichen Gedeihen wie zur gewerblichen Selbstständigkeit verschaffen.

Und wird erst dies in größerem Maßstabe durchgesetzt, wozu die hoffnungsvollsten Anfänge vorliegen, sehen die Einzelnen die Möglichkeit vor sich, als Mitunternehmer bei den Geschäften betheiligt zu werden, welchen sie als Arbeiter beigesellt sind: so tritt ihr Interesse an dem Geschäftsganzen, ihr Antheil an dessen Leitung, das Gefühl der Verantwortlichkeit für die geschäftlichen Operationen, als geistiges Complement des blos mechanischen Theils ihrer Beschäftigung hinzu. Die intellectuelle und sittliche Erstarkung findet dann auch in ihrer Gewerbsthätigkeit selbst eine wichtige Stütze und zwar zum größten Vortheil des gesammten Güterlebens der Nation. So rückt endlich das wahre Ziel der Arbeitstheilung uns näher und näher, welches wir dahin normiren:

daß der durch sie allein mögliche Ueberschuß der Gesammtproduction über das materielle Gesammtbedürfniß, welcher einen Theil der menschlichen Kräfte für höhere Strebungen frei macht, nicht blos einem bevorzugten Theile der Gesellschaft, sondern allen, insbesondere den arbeitenden Classen selbst mit zu gute kommt.

Das erst ist die wahre Emancipation der Arbeiter, daß ihnen Raum zur vollen Entwickelung und somit die Möglichkeit gegeben wird, sich bei den wichtigsten Zeitinteressen lebendig mit zu betheiligen. Erst auf diese Weise tritt der Arbeiter aus der Beschränkung und Absonderung seiner bloßen Fachthätigkeit in die höchste Gemeinschaft ein, die es unter Menschen giebt, in die gemeinsame Culturarbeit. Und nur so vollzieht sich die Synthese der getheilten Arbeit, das Wiederzusammenfassen der tausendfältig zerlegten Menschenthätigkeiten zur höchsten menschlichen Gesammtleistung, ohne welches die menschliche Bestimmung bei zahlreichen Bevölkerungsclassen dauernd gefährdet erscheint und die immer weiter vorschreitende Zerklüftung am Ende in den Auflösungsproceß der ganzen Gesellschaft ausgehen müßte.

IV. Praktische Folgerungen.

Es erübrigt nun noch schließlich, an die von uns aufgestellten Sätze einige praktische Folgerungen auch nach anderer Seite hin zu ziehen, welche den wahren Zusammenhang des von uns vorzugsweise in seinen socialen Beziehungen behandelten Themas mit den wichtigsten politischen und humanen Tagesfragen darthun und Ihnen zeigen, wie es nicht blos die Arbeiterinteressen berührt, wie sehr vielmehr alle Schichten unseres Volkes Ursache haben, sich der Grenzen der Arbeitstheilung im öffentlichen und Privatleben stets wohl bewußt zu bleiben.

Bei allen Thätigkeiten – fanden wir – welche den Erwerb betreffen, die äußerlichen Vorbedingungen zur Erreichung unseres Lebenszweckes, greift die Arbeitstheilung Platz, ja wir wären ohne sie gar nicht im Stande, unsere menschliche Bestimmung zu erreichen. Aber sobald es sich um Eingriffe in diese unsere Bestimmung selbst handelt, auf Gebieten, wo die Vollausprägung des Menschen in individueller und gesellschaftlicher Hinsicht in Frage steht, wo die höheren Kräfte und Anlagen unserer Natur ohne eigene Bethätigung verkümmern, da darf von einer vollständigen Sonderung, von einer ausschließlichen Uebertragung an gewisse Berufs- und Geburtsstände niemals die Rede sein, da müssen Alle, alle Classen der Gesellschaft wie alle Einzelne, eintreten, so schwer es ihnen auch werden mag; das dürfen sie nicht zur Domaine werden lassen für auserwählte Minoritäten, soll nicht das Beste von dem, was ihnen die rechte Arbeitstheilung kaum erst gewann, durch diese falsche Arbeitstheilung wieder verloren gehen. Dies gilt für das individuelle Leben, die rein humanen Beziehungen des Einzelnen so gut, wie für das öffentliche, das politische Leben der Gesammtheit. Ein Volk, welches irgendwie eine hohe Stufe der Civilisation behaupten will, bei welchem Freiheit und Recht, Wohlstand und Bildung Gemeingut sein sollen, hat daher diese höheren menschlichen und bürgerlichen Attribute für alle seine Glieder wohl in Acht zu nehmen. Soll es wahrhaft wohl um dasselbe stehen, so darf es keiner Beamtenkaste, keiner Bureaukratie oder Aristokratie die ausschließliche Leitung der öffentlichen Angelegenheiten überlassen, vielmehr muß es sich sein wohlbemessenes Theil daran, die Selbstregierung und Verwaltung in Staat und Gemeinde mit möglichster Betheiligung Aller, sichern. Ebenso darf es keinem besonderen Kriegerstande ausschließlich seine Vertheidigung übertragen, sondern muß der eigenen Wehrkraft den Hauptantheil davon vertrauen. Endlich darf es keiner Priesterkaste die Regulirung seiner humanen Bildung, keiner Kirche seine Schule übergeben, sondern muß sich seine Selbstbestimmung und Selbstbethätigung auch nach dieser Seite hin um jeden Preis vorbehalten. Thut es das nicht, übernimmt es die Arbeit und Mühe nicht, welche die Betheiligung in den genannten Stücken erfordert, überläßt es mehr davon, als was zur geschäftlichen und technischen Vorbereitung und Leitung durchaus erforderlich ist, an gewisse Berufsclassen, so ist es verloren. Denn die sittlichen und intellectuellen Kräfte in den Einzelnen, denen die Bethätigung gerade bei den höchsten Aufgaben, den wichtigsten Interessen entzogen wird, müssen nothwendig verkümmern. Wie soll Bürgersinn, Opferfreudigkeit und Sorge für das Gemeinwohl, Selbstständigkeit des Urtheils und höheres menschliches Bewußtsein bei einem so gegängelten, zu humaner und politischer Unmündigkeit herabgedrückten Volke sich entwickeln, dem man jede selbstständige Regung von Haus aus als strafbar vorstellt, dem man die Früchte vom Baum der Erkenntniß als verboten, den Trieb nach Wahrheit und Freiheit als Erbsünde bezeichnet? Nein, wie sehr uns auch die Sorge für das äußere Dasein in Anspruch nimmt, so viel Zeit und Kraft muß erübrigt und daran gesetzt werden, uns von der großen Culturgemeinschaft des Menschengeschlechts, in der wir uns nur durch Ausbildung und Gebrauch jener höhern uns Allen angeborenen Kräfte einzubürgern und zu erhalten vermögen, nicht ausschließen zu lassen. Die Arbeitstheilung, welche als ureigene Mitgift unsrer Natur uns die äußere Möglichkeit dazu zu gewähren bestimmt ist, sie soll man uns am wenigsten als Lockvogel dabei aushängen, da wir wissen, daß durch Ausdehnung derselben über ihre natürlichen Grenzen hinaus sich ihre Segnungen für uns in das Gegentheil verkehren.