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Ein Fürst als Mann von Wort

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Ein Fürst als Mann von Wort
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 85–86
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Graf Guido von Flandern
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[85]
Ein Fürst als Mann von Wort.


Graf Guido von Flandern mit seiner Tochter im Kerker.
Nach einem Originalgemälde von G. Laves in Hannover.

Wenn in einem Lande der Tod einen Mann vom Thron genommen hat, an dessen Grab nicht blos das eigene Volk, sondern die gesammte europäische Presse den Tribut der Ehrerbietung und Anerkennung niederlegt und den sie des seltenen Ausspruchs würdigt, daß der Nekrolog, der an seiner Bahre zu schreiben sei, in der Geschichte unserer Tage einzig dastehen werde, so wendet sich unser Blick von selbst in die Vergangenheit dieses Landes und sucht nach Ebenbürtigen auf den alten Thronen. Einem solchen begegnen wir zwar in der Geschichte der belgischen Lande nicht wieder, aber eine That strahlt aus den glorreichsten Tagen der freien und glücklichen Vläminger des Mittelalters zu uns herüber, und diese That, die einen Fürsten ziert und sein Volk befreite, verdient den Zeitgenossen eines Königs Leopold zur Ehre der alten belgischen Zeiten vorgeführt zu werden.

[86] Wir müssen bis zum Ende des dreizehnten Jahrhunderts zurückgehen. Damals gab es in Europa kein blühenderes Land, als die Grafschaft Flandern. An Wohlstand und Bildung den gepriesensten Städten Italiens nicht nachstehend, erfreuten die flandrischen Städte sich eines Bürgerthums, das die mit saurem Schweiß und harten Kämpfen errungenen Freiheiten gegen die feudale Aristokratie wie gegen die herrschenden Dynasten zu vertheidigen wußte. Die Männer führten Werkzeug, Pflug und Schwert mit gleicher Tüchtigkeit, und unter den Häuptern der Zünfte zeichneten sich nicht wenige, wenn es galt, als Hauptleute auf dem Schlachtfeld aus.

Nach diesen Reichthümern wie nach diesen Freiheiten hielten die französischen Machthaber längst den begehrlichen Blick hingerichtet, und zwar, um jene für sich auszubeuten und diese, als eine zu gefährliche Verlockung für die unter dem Lilienwappen seufzenden Nachbarn, zu vernichten. Leider boten die inneren Kämpfe zwischen dem Volke und den „Geschlechtern“, sowie die vielen Erbfolgekriege zwischen den fürstlichen Familiengliedern den Königen Frankreichs nur zu häufig die Gelegenheit, für ihre Eroberungspläne Boden zu gewinnen. Und auch hier war es nie das Volk, welches die fremde und stets feindliche Macht zu Rath und Hülfe in das Land zog, sondern leider an der Schelde und Maas wie am Rhein, ja wie sogar an der Weser und Elbe, der Adel und die Fürsten; nur selten hat in ihnen die Vaterlandsliebe über die Eigenliebe gesiegt.

Eine solche Gelegenheit bot dem französischen Könige Philipp dem Schönen der flandrische Graf Guido von Dampierre.

Die Leser müssen uns erlauben, nur ein paar Zeilen der Familiengeschichte hier einzufügen, weil sie zum Verständniß der Stellung Guido’s zu seinem Volke gehören. In Flandern genoß auch die weibliche Linie das Recht der Erbfolge; durch die Vermählungen regierender Gräfinnen kamen oft Ausländer auf den flandrischen Grafenthron, und von diesen, die das stolze Volk der Vläminger nicht verstanden, nicht zu würdigen wußten, sondern, von dem glänzenden Reichthum desselben geblendet, ihre Habgier entfalteten, wurden die meisten inneren Kämpfe hervorgerufen. Dagegen konnte jeder volksthümliche Regent darauf bauen, daß er fest auf dem Throne saß, den das Volk schützte.

Guido war der zweite Sohn aus der zweiten Ehe der Gräfin Margaretha der Zweiten von Flandern und Hennegau mit Wilhelm von Bourbon-Dampierre. Zwei Söhne erster Ehe erfreuten sich der Liebe der Mutter nicht, die den drei jüngeren Söhnen das reiche Erbe allein zuwenden wollte. Das war eine fruchtbare Zwietrachtssaat. Der Bruderkrieg begann nach dem Tode des Grafen Wilhelm (1241) und wüthete, bis der Papst und Frankreich Friede geboten und die Erbfolge dahin regelten, daß die Söhne erster Ehe einst in Hennegau, die zweiter in Flandern herrschen sollten. Theilung der Nachbarn war stets in Frankreichs Interesse! – Wir übergehen nun die weiteren Kämpfe, zu welchen auch noch England, Holland und der deutsche Kaiser beigezogen wurden und in welchen der älteste der bevorzugten Söhne Margaretha’s durch Mörderhand fiel. Sie selbst starb im Jahre 1279, und nun ward der Aelteste erster Ehe, Johann, Graf von Hennegau, und Guido Graf von Flandern.

Zwar von französischer Abkunft, aber auf flandrischem Boden geboren, war Guido unähnlich dem Mann, der gegenwärtig auf Belgiens Throne sitzt und ebenfalls eines Fürsten von fremder Abstammung einheimischer Sohn ist, denn übel geleitet und dem Volke fremd geblieben, gab er sich französischen Einflüsterungen hin, die seinem Verderben dienten. Anstatt in seinem Volke seine treueste Stütze zu achten, ließ er sich zu Angriffen auf die Freiheiten und Reichthümer der stolzen Bürger verführen. Es gelüstete ihn nach einer der französischen ähnlichen Herrscher-Souveränetät über Volk und Aristokratie, und in diesem Bestreben unterstützte Philipp der Schöne ihn nach Kräften, um ihm den heimischen Boden unter den Füßen wegzunehmen. Verhaßt im Lande, hatte Guido nur noch den Erzfeind zum Freund, bis er dessen falsches Spiel endlich erkannte. Von diesem Augenblick an, wo er sah, daß die Unabhängigkeit seines Landes und seine eigene Freiheit zugleich bedroht seien, hielt er treu zu seinem Volke und suchte in England Hülfe gegen seinen mächtigen Dränger. Seine Tochter Philippa sollte sogar mit dem englischen Prinzen Eduard vermählt werden.

Trotz all dieser anscheinend so energischen Schritte Guido’s gelang es dennoch den Schmeicheleien Philipp des Schönen, den Grafen zu einer persönlichen Zusammenkunft in Paris zu bereden, wo eine dauernde Freundschaft zwischen den beiden Fürsten geschlossen werden sollte. Guido folgte der Einladung, die an die ganze Familie gegangen war; er, seine Tochter und selbst sein Sohn Robert mit der Blüthe des vlämischen Adels zogen mit großer Pracht in Paris ein, – um sofort in die Gefängnisse zu wandern.

Dieser Wortbruch empörte ganz Flandern, tüchtige Volkshelden,[WS 1] wie Peter de Konink, der Zunftmeister der Wollenweber, der Fleischer Breyel und der Canonicus Wilhelm von Jülich stellten sich an die Spitze der gerüsteten Schaaren und fochten tapfer für ihre Unabhängigkeit. Guido selbst und sein Sohn waren gegen große Versprechungen aus der Gefangenschaft zurückgekehrt. Selbst England und die Niederlande erschienen im Felde – aber das Kriegsglück war bei Frankreichs Fahnen und Guido fiel abermals in Gefangenschaft.

Der neue Kampf, der nun begann, gehört zu den glorreichsten aller Volksbefreiungsthaten. Das Land war von Franzosen überschwemmt, Philipp hatte sich als Graf von Flandern huldigen lassen, der allzeit dem Kronenglanz gefügige Adel hatte sich auch hier gefügt, nur die Bürgertreue und der Bürgerstolz verschmähten jeden Frieden mit dem Feind, dessen übermüthige Heerführer, Jacques de Chatillon, Robert von Artois u. A., auf Ehre und Gut der Bürger gleich drückend die Faust legten, bis die Tage der Rache anbrachen und die „Frühmette von Brügge“ (ein allgemeiner Mordsturm gegen alle Franzosen in dieser Stadt) und die Schlacht von Kortryk (genannt die Sporenschlacht, weil die siegreichen Bürgerschaaren fünftausend goldene Sporen der erschlagenen Fürsten und Ritter sammelten und in der Kirche von Kortryk aufhingen) den französischen Uebermuth demüthigten (1302).

Während dieser Zeit hatten Guido und seine Tochter in dem Gefängniß des Louvre vergebens auf Erlösung gehofft. Philipp der Schöne hatte alle Mittel der Ueberredung angewendet, um den alternden Grafen zur freiwilligen Entsagung auf Flandern zu bewegen. Endlich bedrohte er ihn mit dem Aergsten, mit dem ein Vater zu bedrohen ist, mit der Entehrung seiner Tochter – und er entehrte sie.

Der Moment, in welchem die unglückliche Tochter ihrem Vater die ihr angethane Schmach entdeckt, ist es, den der talentvolle Künstler G. Laves in Hannover, nach dessen Bilde unsere Illustration gezeichnet ist, zur Darstellung bringt.

Als die Nachricht von der Niederlage von Kortryk (Courtrai) nach Paris kam, war Philipp der Schöne entschlossen, sie auf’s Blutigste zu rächen. Ein neues Heer rückte im nächsten Frühling (1303) über die Grenze. Aber so tief erschüttert war das Selbstvertrauen der französischen Krieger, daß sie vor den geordneten Schaaren des flandrischen Volksheeres den Muth verloren; der stolze König sah sich zum Abschluß eines Waffenstillstands genöthigt.

Was nun, das Schwert nicht vermochte, sollte die List vollbringen. Philipp ging zu seinem Gefangenen und versprach ihm die Freiheit und noch weit mehr, wenn es ihm gelinge, selbst als Sendbote bei den Seinen in Flandern einen günstigen Frieden zu vermitteln; zugleich nahm er dem Grafen das Ehrenwort ab, zurückzukehren in die Gefangenschaft, wenn sein Bemühen vergeblich sei.

Graf Guido, der im Elend zum Greis geworden, ging nach Flandern. Aber nicht für, sondern gegen Philipp führte er das Wort. Männlicher, als einst der blühende Mann, stand der Achtzigjährige vor seinem Volk und beschwor es, die Waffen nicht niederzulegen, sondern fest zu beharren im Kampf für die Vollendung der Selbstständigkeit und Freiheit vor Frankreichs Macht. Und als er so sein Volk noch einmal in all der Tapferkeit und Zuversicht gesehen, die seinem Rechte den Sieg verhieß, errang er sich selbst den höchsten Siegeskranz: kein Bitten und Flehen, kein Freundes- und kein Priesterwort konnten ihn abhalten, ein anderer Regulus, seinem Worte als Mann getreu in den Kerker des Erzfeinds zurückzukehren.

Das ist die That, die aus Belgiens Vergangenheit noch in die Gegenwart herüberstrahlt, welche leider so viel zu erzählen wenn von gebrochenen Worten und nicht gehaltenen Schwüren, und deren Andenken dieser Artikel erneuen soll. Graf Guido von Dampierre, Flanderns gefangener Fürst, starb im Gefängniß, 1304, aber sein Volk ward frei.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Volshelden