Ein Besuch auf Caprera
In den ersten Tagen des Februar ward beschlossen, daß ich nach Caprera gehen solle. Das nächste Schiff der Compagnie Rubattino, welches die Caprera zunächst liegende Insel Maddalena berührte, verließ Freitag den 13. Februar Genua, und am 15. zwischen acht und neun Uhr Morgens ankerten wir nach einer zum Ende stürmischen Fahrt im Hafen von Maddalena. Das Erste, was uns in die Augen fiel, war das große Segelboot Menotti’s, des Sohnes Garibaldi’s, der mit Ricciotti und zwei andern Gefährten, Bedeschini und Pastoris, von Caprera herübergekommen war, um die Sardegna zu erwarten. Menotti kam an Bord und begrüßte uns. Er wollte zuerst die mitgebrachten Waaren ausladen und uns dann nach Caprera hinüberführen.
Wir stiegen an’s Land, mußten zunächst mit der Douane verkehren, die eine unausstehliche Ueberwachung gerade des Verkehrs mit Caprera ausübt, und erlebten, daß Bruzzesi, mein Waffengefährte von 1860, den ich auf dem Schiffe wiedergefunden hatte, nur mit Mühe einen silbernen Ehrenkranz, von Bürgern Leipzigs für Garibaldi als eine Weihnachtsgabe bestimmt, vor der vorgängigen Sendung nach Cagliari – o bureaukratischer Schematismus! – bewahrte und mit einigen Franken statt der anfänglich verlangten achtundvierzig als Zoll auslöste.
Endlich ließ uns Menotti ankündigen, daß er zur Abfahrt bereit sei, aber bei dem stürmischen Wetter nur Bruzzesi und mich mitnehmen könne. Kurz nach zwölf Uhr schifften wir uns ein und nach anderthalbstündiger Fahrt legten wir das Boot zwischen den Klippen angesichts des Palastes von Caprera fest und schifften uns aus.
Ich eilte mit Bruzzesi den Strand hinauf, die Windmühle vor dem Hause und das steinerne Haus selbst betrachtend mit seinem nördlichen älteren und dem ganz neuen südwärts daran gebauten etwas höheren Theile. Der Theil der Insel, welcher Garibaldi gehört, ist mit Allem, was darum und daran hängt, so vielfach geschildert, daß ich mich auf eine förmliche Beschreibung nicht einzulassen brauche; wir werden indessen diese Räume allmählich durchwandern, wie ich sie als Hausgenosse nach und nach durchwandert habe. Wir betraten durch die vordere Thüre jenen Raum des älteren Steingebäudes, welcher früherhin als Salon diente; von dort gingen wir durch die Küche in den hinteren Hausflur und drangen ungemeldet durch die Thüre rechter Hand, – gegenüber dem gegenwärtigen Salon zur Linken, – in das Heiligthum des geliebten Kranken ein. Er zog mich sogleich zu sich nieder und küßte mich ab; ich durfte nicht zweifeln, daß ich ein willkommener Gast sei. Von der Ausrichtung meiner mannigfaltigen Aufträge konnte vorerst nicht die Rede sein. Fragen und Antworten drängten sich. Ich blieb fast eine Stunde mit Garibaldi allein, Bruzzesi ging nur ab und zu.
Statt hier zu versuchen, Alles wiederzugeben, was wir uns erzählten, will ich vor Anderm erzählen, wie ich den General fand. Viel besser, als ich es erwartet, namentlich nach der Photographie, die ihn auf dem Krankenbett darstellt. Das Gesicht war das des Dictators der beiden Sicilien von 1860. Vielleicht hie und da ein graues Haar mehr, aber ich könnte kaum sagen, daß ich eins mehr bemerke. Der Ausdruck des Gesichtes heiter. Er lag auf einem Bett oder einer Art Sopha, welches mit einem verschiebbaren Lesepulte versehen war; über dem rothen Hemde trug er einen Schlafrock nach seiner Façon, einen Poncho aus türkischem Schlafrockzeug von grüner Grundfarbe, eine fezartige niedrige Mütze auf dem Kopf. Das Zimmer ist das gleiche, welches er bewohnt, seit das ältere Steingebäude steht, heiter, nach Süden gelegen. Tische mit Briefen, Büchern, einem Barometer, einem Thermometer u. s. w. stehen zu beiden Seiten des Bettes.
Wir waren nicht lange beisammen, – Bruzzesi war eben anwesend, – als Garibaldi nach Polen fragte: was für Nachrichten ich hätte? was ich von der Sache dächte? wie sich Preußen, wie sich Deutschland dazu verhalten würde?
Wir sind auf diesen Gegenstand während meiner Anwesenheit auf Caprera mindestens fünf Mal zurückgekommen, wie es wohl natürlich ist, bald allein, bald in kleinerer, bald in größerer Gesellschaft. Es würde mir schwer werden, die einzelnen Gespräche völlig auseinander zu halten. Ich gebe daher lieber ihren Inhalt im Allgemeinen an.
Die Tagesblätter, sagte ich, so sehr im Allgemeinen der polnischen Insurrection günstig, seien doch ziemlich einig darin, derselben keinen Erfolg vorauszusagen. – Hier unterbrach mich Garibaldi mit der Bemerkung, daß die Meisten 1860 auch wohl die Landung von Marsala für eine Verrücktheit erklärt hätten, die der Erfolg unmöglich krönen könne.
Indem ich dies zugab, sprach ich die Meinung aus, daß die Tagesblätter bei ihren Voraussagungen sich wohl auf die allgemeine Lage Europa’s stützten, welche einen bedeutenden Einfluß auf die Schicksale dieser Insurrection eines continentalen, überall eingeschlossenen Landes haben müsse. Die Gefahren jedoch, welche ich fürchte, lägen hauptsächlich in den Polen selbst.
Zunächst sei die Insurrection jetzt noch wesentlich eine Insurrection der Verzweiflung und folglich ohne einheitliche Organisation; nach dieser Organisation müsse sie aber streben, um zu triumphiren. In wessen Hände würde nun die Organisation gerathen? Ich fürchte sehr, daß sie wiederum, wie so oft, in die Hände der aristokratisch-clerical-diplomatischen Partei komme, und damit aller Wahrscheinlichkeit nach in die entschiedenste Abhängigkeit von Napoleon. Ein solches Ergebniß werde aber die nothwendige Folge haben, daß die Sympathien der Völker für die Sache Polens sich merklich abkühlten. Was ich aber noch mehr fürchte, sei die falsche Anwendung des Nationalitätsprincips, welche die Polen würden machen wollen, vielleicht noch ehe sie irgend welche sicheren Erfolge errungen hätten. Die „alten Grenzen“ seien ein Stichwort der Polen. Diese alten Grenzen z. B. gegen Deutschland herzustellen, sei aber eine reine Unmöglichkeit. Abgesehen davon, daß das Nationalitätsprincip gewiß nicht das Höchste sei, daß die Civilisation ihre Vorrechte habe, das Princip der Freiheit aber, in dem alle Völker sich begegnen könnten, über ihm stehe, werde auch selbst das Nationalitätsprincip dadurch verletzt, wenn man mathematische Grenzen, die vor hundert Jahren bestanden hätten, wie sie damals [236] bestanden, zurückfordern wolle, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß die Culturgrenzen, die wirklichen Nationalitätsgrenzen sich ganz und gar geändert hätten. Auf solchem Boden könne keine Revolution von heute als berechtigt erscheinen. Denn in Wahrheit sei sie bloße Reaction. Wenn die alten Grenzen Polens, wie sie vor der ersten Theilung – und es giebt nicht wenige Polen, die noch weiter zurückgehen, – hergestellt werden sollten, so würden von Deutschland Landstriche gewaltiger Ausdehnung abgetrennt werden müssen, in denen alle Civilisation bis in’s Innerste hinein eine rein deutsche sei. Eine solche Forderung also müsse das deutsche Volk wenn nicht gegen die polnische Insurrection einnehmen, wenigstens lau für dieselbe machen, nicht etwa weil das deutsche Volk einer schlecht angebrachten Berufung auf frühere überwundene Zustände eine ebensolche Berufung auf alten Actenstaub entgegenstellen wolle, was sie wohl könne, sondern weil die Forderung eine widernatürliche, allen gegebenen Bedingungen widersprechende, eine freiheitsfeindliche sei. Das deutsche Volk werde nicht im geringsten gegen eine Grenzregulirung auf billigen Grundlagen gegen Polen etwas einzuwenden haben. Aber z. B. ehe sich der Charakter, die Tendenz der polnischen Insurrection ausgesprochen hat, den Polen Alles anbieten, was ihre ausgelassensten Kehlen verlangen, etwa auf die Gefahr hin, an seinen östlichen Grenzen nur ein neues Filial des kaiserlichen Frankreich entstehen zu sehen, das widerspreche den Forderungen der Vernunft, sei entgegen allen wirklichen Interessen der Freiheit und der Civilisation. Ganz Aehnliches, wie von dem Verhältnis der Polen zu dem deutschen Volke, lasse sich von dem Verhältniß der Polen zu dem russischen Volke sagen, welches letztere vortrefflich sei und durchaus keinen Unterschied seiner eigenen und der polnischen Interessen in der Einigung auf dem Boden der Freiheit anerkenne.
Garibaldi sagte hierauf, daß ich ihm aus der Seele spreche, daß ja wirklich die Interessen der Völker dieselben seien, daß in der That die Völker, welche sich erhöben, sich am meisten davor hüten müßten, dieselben Zankäpfel, wie der alte Monarchismus, zwischen sich zu werfen. Er versprach mir, bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm dazu bieten würde, den Polen gerade diese Worte der Liebe zuzurufen, Ermahnungen, die Völker der Nachbarländer als die Freunde zu erkennen, welche sie seien.
„Und was wird Preußen thun?“ fragte er jetzt.
„In Preußen,“ erwiderte ich darauf, „muß man noch mehr, als anderswo, Regierung und Volk unterscheiden. Das preußische Volk ist in der Arbeit begriffen, seine innere Freiheit herzustellen und zu befestigen. Bei der großen Intelligenz, die in ihm alle Schichten durchdringt, und bei dem Wege, den die Regierung eingeschlagen hat, sieht es aber, daß es den größten Theil der Arbeit dem Ministerium überlassen kann. Es steht auf der Lauer und betrachtet, wie dieses sich in eine unvernünftige Verwickelung nach der andern stürzt und so eifrig daran arbeitet, sich völlig unmöglich zu machen. Die preußische Presse wird sich, einige wenige Reactionsblätter ausgenommen, mit der größten Entschiedenheit gegen eine Betheiligung Preußens an der Unterdrückung Polens aussprechen,[1] das Ministerium wird auch das letzte Stückchen Grund, welchen es noch im Volke haben mochte, unter den Füßen verlieren. Eine große Zahl von Truppen auf längere Zeit mobil zu erhalten, ist aber bei den Opfern, die zu Gunsten der neuen Militärorganisation erforderlich werden, ohne Steuererhöhung oder Anleihe unmöglich. Die Deputirtenkammer wird aber zu diesem Zwecke eine Steuererhebung oder eine Anleihe nicht votiren; dessen bin ich sicher. Dann steht das Ministerium an dem Abgrunde, den es sich gegraben. Eine Anleihe negociirt ihm kein Banquier ohne das Votum der Kammer; eine Steuererhöhung kann es mit offenem Bruch der Verfassung selbst anordnen. Nun ist aber die bisher noch vorgehaltene Maske ganz gefallen. Und wozu dann diese finanziellen Schwierigkeiten führen, das werden wir sehen. Ich hoffe für Deutschland und für ganz Europa von ihnen das Beste.“
Garibaldi, der diese Verhältnisse wenig kannte, wie sie überhaupt in Italien wenig bekannt sind, begriff sie doch sogleich. Indessen fragte er mich, ob es nicht wenigstens möglich sei, aus Preußen Waffen und Leute nach Polen hinüberzuschaffen, um die Insurrection zu stärken. Ich erwiderte, daß dies, wenn auch schwierig, doch nicht unmöglich sei, ob und in welchem Umfange es aber geschehen werde, das werde wieder wesentlich davon abhängen, wie sich die Polen zu dem deutschen Volke stellten. Das deutsche Volk denke im Ganzen zu groß, um sich dadurch feindlich gegen die Freiheitsbestrebungen der Polen stimmen zu lassen, aber lau werden müßte es immerhin, wenn die Polen die große wirklich bestehende Differenz zwischen dem deutschen Volke und den deutschen Regierungen nicht zu würdigen wüßten oder sie nicht würdigen wollten.
Füge ich noch hinzu, daß wir auch über das Verhältniß Ungarns zu Polen redeten, so wird das Vorhergehende etwa den Inhalt unserer Gespräche über die polnische Sache zusammenfassen.
Unser erstes Gespräch ward vorläufig dadurch unterbrochen, daß ich zum Essen abgerufen wurde. Die Tagesordnung auf Caprera ist in Bezug auf Essen und Trinken diese, daß Morgens zwischen 7 oder 8 Uhr jeder nach dem Verhältnisse, wie er gerade aufsteht oder Lust hat, in den Salon hinabsteigt, um seinen Kaffee zu trinken; um 12 oder 1 Uhr vereinigt die Hauptmahlzeit Alle, die sich eben im Palazzo Garibaldi befinden – heute war diese Hauptmahlzeit verspätet worden –; Abends um 7 Uhr wird in derselben Weise die Abendmahlzeit eingenommen. Garibaldi erscheint gegenwärtig nicht bei den Mahlzeiten im Salon, sondern er ißt auf seinem Ruhebette. Beim Essen geht es lebhaft und munter zu; an Provisionen aller Art fehlt es nicht, einige Gemüse liefert bereits der Anbau Capreras, die Hauptrolle spielt die Jagdbeute aus dem nahen Sardinien; dann kommen zahlreiche Sendungen von Früchten, Eingemachtem, gutem Wein von Freunden auf dem Continent. An baarem Gelde allein fehlt es dabei fast ganz, aber Niemand vermißt es; man fühlt sich dort in dem glücklichen Zustande des Naturmenschen. Gar manche Summe, die nach Caprera kommt, erscheint dort nur, um die Insel zu guten Zwecken alsbald wieder zu verlassen. Zweihundert Franken, die ich seitens einer befreundeten Dame für die Verwundeten und Gefangenen von Aspromonte, insbesondere für die unglücklichen Deserteurs von der regulären Armee mitgebracht hatte, wanderten augenblicklich ihrer Bestimmung zu.
Garibaldi hatte mich aufgefordert, sein Haus als das meine zu betrachten, und Pietro angewiesen, mir und Bruzzesi ein Zimmer zu geben. Dies bezogen wir nach dem Essen im obern Stockwerke des Doppelgebäudes. Zunächst hatte ich dann mit Albanese, dem gegenwärtig allein noch bei Garibaldi weilenden Arzte, zu verkehren. Er wohnte mir gegenüber, aber um zu ihm zu gelangen, mußte ich ein anderes Zimmer durchschreiten, in welchem sich außer sonstigen Dingen auch Spuren zeigten, daß hier das Schneiderhandwerk betrieben werde. Es war das Zimmer Fasoli’s, eines jungen Calabresen, der schon 1860 mit uns war, sich 1862 wieder zu Garibaldi gesellte und jetzt mit diesem auf Caprera lebt. Auf dem Collegium (Gymnasium) von Catanzaro, seiner Vaterstadt, hatte er, wie es auf den neapolitanischen Gymnasien Sitte war, ein Handwerk und zwar schneidern gelernt, die Gefangenschaft in Varignano hatte ihm von Neuem Zeit und vielfache Veranlassung gegeben, seine Kunst zu üben. Jetzt nannte er sich mit Stolz den Schneider von Caprera. Da er mir entdeckte, daß er Mangel an rothen Hemden leide, war ich so glücklich, ihm eines, welches ich zuviel hatte, sogleich zurücklassen zu können. Der Flanell zu diesem Hemde war aus Berlin!
An Albanese richtete ich meine Aufträge aus und sprach mit ihm über den Gesundheitszustand Garibaldis. Meine Hoffnungen, daß der General nach seinem Aussehen, wie ich es über alle meine Erwartungen vortrefflich gefunden, bald wieder werde zu Pferde steigen können, spannte Albanese etwas herab. Wenn auch sicher, sagte mir Albanese, schritte doch die Heilung unseres Kranken nur langsam fort, hauptsächlich wohl in Folge der rheumatischen Affectionen, an denen er leide; noch immer kämen Knochensplitter aus der Wunde. In der That ward noch am 16. Februar Morgens wieder einer herausgeholt.
Nachdem ich meinen kleinen Handkoffer geöffnet, begab ich mich wieder zu Garibaldi, um ihm nun die mir mitgegebenen Briefe zu überreichen und sonstige Geschäftsangelegenheiten zu erledigen. Der General gab mir die Schriftstücke, welche den Ehrenkranz der Leipziger begleiteten, und bat mich, ihm dieselben zu übersetzen, was ich sogleich mündlich that und später auch noch schriftlich. Der General bedauerte bei dieser Gelegenheit sehr, daß er nicht deutsch verstehe und daß auch jetzt Niemand auf der Insel sei, der es verstehe. Alle deutschen Briefe müßten, wenn nicht ein so glücklicher [237] Zufall, wie jener, der mich hergeführt, eintrete, nach Genua gesendet werden, wo eine deutsche Dame die Gefälligkeit habe, sie zu übersetzen. Er müsse jetzt den Leipzigern antworten; ob sie italienisch verständen, wisse er nicht, französisch möge er nicht gern antworten. Er werde mir daher eine Antwort italienisch dictiren, und ich solle sie deutsch niederschreiben. So geschah es. Die Antwort habe ich mit nach Florenz genommen und von dort sogleich an Dr. Joseph nach Leipzig abgesendet. Garibaldi sagte, Ricciotti müsse durchaus deutsch lernen, da er schon englisch verstehe, werde es ihm nicht zu schwer werden.
Nachdem ich längere Zeit über verschiedene Angelegenheiten verhandelt, sagte der General, er müsse mir nun auch zeigen, wie er gehe. Ich half ihm aufstehen, gab ihm seine Krücken, und er humpelte vor mir her, durch mehrere Zimmer und in die Küche. Die Sache ging zur Zufriedenheit. Mit der Sardegna war auch ein Paar neuer Krücken angekommen. Bei der Probe, die am 16. mit ihnen vorgenommen wurde, ereignete sich leider der Unfall, daß der General hinfiel, glücklicherweise ohne sich Schaden zu thun; die neuen Krücken erwiesen sich als zu lang, und es mußte vorläufig auf die alten zurückgegangen werden.
Man gab mir noch ein paar deutsche Briefe, die ich übersetzen oder deren Inhalt ich angeben sollte. In dem einen verlangte ein junger Mann aus Hamburg, gestützt auf die edlen Gesinnungen und Thaten des „Herrn Garibaldi“, irgend eine Beschäftigung von diesem, da ihm in der letzten Zeit Alles schief gegangen sei. In dem andern versicherte ein Wiener Doctor, daß er im Besitz eines ganz unfehlbaren Mittels sei, alle Gicht zu curiren. Erst nachdem ihm 600 Curen gelungen, wage er es, dem Helden Italiens seine Dienste anzubieten. Die sämmtlichen Aerzte Garibaldi’s sollten etwa 50 Gichtkranke versammeln, die Heilung vorbereiten, er werde sie vollenden. Das Resultat solle dann vor den Augen des erstaunten Europa enthüllt werden; das Geheimniß aber, welches die österreichische Regierung dem Erfinder gegenwärtig abzudringen suche – nicht. Um schnellste Antwort ward ersucht, weil der Erfinder jetzt noch am besten abkommen könne.
Soviel ich weiß, hat man meinen Rath befolgt, diese beiden Schreiben ohne Antwort zu lassen. In dem Antworten – zum Theil auf blühenden Unsinn – ist Garibaldi viel zu gutmüthig. Mögen die Andern machen, was sie wollen, aber in Deutschland sollte Jedermann darauf hinarbeiten, Garibaldi von den Zudringlichkeiten deutscher Abenteurer aller Art frei zu halten, welche dem deutschen Namen keine Ehre bringen können.
Als am Abend das Wetter ein wenig besser geworden war, besah ich mir den nördlichen Theil der Insel und pflückte einige Blumen und Blätter als ein Andenken, mit welchem ich später vielleicht Freunden eine Freude machen kann.
Am andern Morgen (16. Februar) war ich eben beim Frühstück und in lebendiger Unterhaltung mit den übrigen anwesenden Insulanern, als der General herein gehumpelt kam und sich bei uns niederließ. Bruzzesi und ich lasen die verschiedenen neuesten telegraphischen Depeschen von einiger Bedeutung vor, welche wir fanden, insbesondere diejenigen, welche über Polen etwas sagten. Nachher ward der Katalog der letzten Londoner Weltausstellung hervorgeholt, in welchem der General die Ackerbaumaschinen suchte, mit besonderer Rücksicht auf diejenige, welche auf der Sardegna für ihn angekommen war. Ricciotti, der Mechaniker und Wegbaumeister der Insel, mußte über die vorgefundenen Zeichnungen Aufklärungen geben.
[238] Nachdem ich Garibaldi auf sein Zimmer gebracht, holte ich ihm verschiedene Sachen zum Vorlesen herunter. Zuerst die Antwort an die Leipziger, die er, sowie verschiedene zu Andenken an Freunde bestimmte Photographien, unterschrieb. Nachher las ich ihm eine wörtliche prosaische Uebersetzung des Aspromontegedichtes von Georg Herwegh vor, die ich selbst angefertigt; eine italienische Uebersetzung in Versen hatte ich noch nicht erlangen können. Garibaldi bedauerte, nach meiner schlechten Version die dichterischen Schönheiten des Originales nicht vollständig genießen zu können. Ganz außerordentlich aber sprach ihn die Einleitung zu der bei F. Streit in Coburg erschienenen Uebersetzung der „Stimme aus dem Gefängnisse“ an. Bei deren Vorlesung unterbrach mich Garibaldi mehrere Male durch lebhafte Bravos.
Nach dem Essen machte ich zuerst unter Führung Fruscianti’s einen Besuch in dem Stallgebäude, welches das Oratorium genannt wird. Auf der Nordgrenze des Hofraums, dessen ganze Westseite das Hauptgebäude einnimmt, liegt außer dem Stalle, zwischen ihm und dem Wohngebäude, ein kleines eisernes Haus, aus England gesendet, in welchem jetzt Bassi sein Bureau und seine Wohnung aufgeschlagen hat. Dieses eiserne Haus war der nächste Vorläufer des älteren Steinhauses, aber schon der dritte Bau auf dem Gebiete Garibaldi’s; voraus ging ihm ein kleines hölzernes Haus, welches auf der Südgrenze des Hofraumes noch steht, durch den Garten und ein Stück Hof von dem großen Wohngebäude getrennt. An derselben Stelle stand vor diesem Holzbau der erste Bau des garibaldischen Caprera, ein Zelt. Den östlichen Abschluß des Hofes, parallel dem Wohngebäude, bilden wieder Mauern und Zäune.
Nach meinem Besuche im Oratorium verließ ich mit Bruzzesi, Albanese und Fasoli, sowie einem der Jagdhunde den Hof durch das südliche Thor zwischen dem Garten und dem Holzhause, um einen weiteren Spaziergang durch die Insel anzutreten.
Wir kamen zuerst auf die Wiese, welche südlich an den Hofraum anstößt und auf welcher die beiden gegenwärtig allein auf der Insel befindlichen Pferde sich vergnügten, die Marsala, welche der General bei Calatasimi ritt, und deren Sproß, das Füllen Caprera, auf der Insel selbst geboren, ein allerliebstes Thier, welches sofort eine intime Bekanntschaft mit mir schloß, mich küßte und mir, als wir weitergingen, folgte, um mir den Hut vom Kopf zu stoßen.
Als wir ostwärts zwischen den Büschen die nächste Felsrippe überstiegen hatten, bemerkten wir die von einigen Rübenfeldern eingefaßte Hütte eines der Einwohner Capreras, welche vor der Ansiedelung des Generals sich dort niedergelassen, Ferracciuolo; die Signora Ferracciuolo war beschäftigt Wasser zu schöpfen.
Die Passage der Hütte Ferracciuolo’s gab Veranlassung zur Entwicklung der Bevölkerungsstatistik von Caprera, von welcher ich das Wesentlichste erfuhr. Außer Garibaldi und den Seinen und den Ferracciuolo bewohnen Caprera noch drei Familien oder einzelne Männer, die Familie Sonza, der Isolano und il Pastore, der Hirt einer englischen Dame, welche früherhin den größten Theil Capreras besaß und von der auch Garibaldi seinen Theil erworben hat. Die Dame wohnt gegenwärtig Caprera gegenüber auf Maddalena. Der älteste Bewohner der Insel zählt 98 Jahre; gestorben ist, soviel man weiß, auf der Insel noch kein Mensch.
Als wir zurückkehrten, fanden wir einen Maler, Stefani, und eine von den Mailänder Damen für den General bestimmte Haushälterin vor, welche auf der Sardegna gestern mit uns angekommen und nun bei dem ruhiger gewordenen Wetter von Maddalena herüber gefahren waren. Herr Stefani, von einem Engländer mit der Aufnahme verschiedener Ansichten der Insel beauftragt, suchte sich sofort Aussichten und Standpunkte, und auch die Haushälterin war schon bei ihrem Werke. Sie kramte in den Wäscheschränken. Die Bewohner des Palazzo Garibaldi schienen mir von dem vermutheten Wirken der Haushälterin nicht besonders erbaut. Die Betten, meinten sie, machten sie sich selber, ebenso könnten sie die Wäsche besorgen; wenn etwas zu flicken wäre, so sei Fasoli da, und zu plätten gäbe es nichts. Wozu also diese Unruhe in’s Haus bringen? – Die Glücklichen!
Wir mochten unsern Spaziergang durch die Insel um halb zwei Uhr angetreten haben, und bald nach vier Uhr waren wir zurück. Da erst um sechs Uhr das Essen zu erwarten war, ermunterte ich Fasoli, mich noch auf einem kleinen Spaziergange an die Küste zu begleiten. Wir folgten der großen „Fahrstraße“, welche vom Palazzo Garibaldi in nördlicher Richtung an die Küste führt und zwar zu dem sogenannten Hafen, einer Bucht, welche die Verlängerung einer Schlucht ist, in der ein Gebirgswasser – wenn es Regen giebt, hinabfließt. Seitwärts der Fahrstraße liegen einige Stücke Land, welche der General eingehegt und in Cultur genommen hat. Am Wege steht eine Doppelreihe junger Cypressen, welche Garibaldi hier angepflanzt. Am Hafen steht ein kleines Gebäude, welches das Seearsenal der Insel bildet und zur Aufbewahrung des Segelwerks und der sonstigen Ausrüstung der verschiedenen Boote und Barken dient, aus denen die Flotte von Caprera besteht. Ich zählte deren augenblicklich vier, unter denen sich das große und vortreffliche Boot Menotti’s auszeichnet.
Am 17. Morgens eröffneten wir nach dem Kaffee trinken unsern Tag mit Ackerbauarbeiten. Ich machte mich mit Fasoli und Bruzzesi an das Umhacken des Gartens, die Andern, außer Fruscianti, der im Seearsenal zu thun hatte, und Bassi, der mit der Abfassung zum großen Theil für mich bestimmter Depeschen beschäftigt war, zogen auf eines der Feldstücke gegen die Nordküste hin, um dort dieselbe Arbeit vorzunehmen, welche wir im Garten betrieben. Herr Stefani zeichnete. Ich machte zwischendurch noch einen Spaziergang an den Strand. Am Mittag setzten wir unsere Arbeiten fort, diesmal im Beisein des Generals, der sich draußen in den freundlichen und warmen Sonnenschein setzte, in Gesellschaft des arbeitsunfähigen Sgranalini, der nun auch herübergekommen war. Unter Andern verpflanzten wir heute, an der Fastnacht, einen Mandarinen- und einen Orangenbaum aus den Töpfen, in denen sie bisher gestanden, in den Garten; für den ersteren bereitete ich die Erde nach der Art zu, wie man den Plackboden bereitet. Garibaldi machte mir über meine agronomische Thätigkeit Complimente.
Bei dieser Gelegenheit muß ich bemerken, daß er über die Wetter- und Temperaturverhältnisse der Insel Buch führt. Aus seinen Aufzeichnungen ergab sich, daß die Nacht vom 16. auf den 17. Februar im bisherigen Verlauf des Jahres 1863 die kälteste gewesen war. Das Thermometer hatte + 10 Grad Celsius gezeigt.
Am Nachmittage stattete Capitain Cuneo, ein Freund Garibaldi’s, ihm einen Besuch ab und lud ganz Caprera zu einer Fastnachtssoirée ein. Da das Wetter viel ruhiger geworden war, so stand zu erwarten, daß die Sardegna am Mittwoch Morgen von Porto Torres zurückkehren werde, und da ich keine Zeit zu verlieren hatte, so ward beschlossen, daß ich noch diesen Abend nach Maddalena hinübergehen sollte. Ich packte demnach meine kleine Bagage zusammen, empfing meine verschiedenen Aufträge von allen Seiten und nahm herzlichen Abschied vom General. Dann schiffte ich mich mit Menotti, Bedeschini und Pastoris nach Maddalena ein, und so war mein Besuch auf Caprera beendet.
- ↑ Wir müssen hier bemerken, daß dieser Ausspruch, der im Verlaufe weniger Wochen sich als so treffend erwiesen hat, Ende Februar, also zu einer Zeit niedergeschrieben ist, wo eine solche Ansicht einen sehr richtigen politischen Blick bedingte.
D. Red.