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Durch Indien ins verschlossene Land Nepal/Mein Eintritt in das verschlossene Land Nepal

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Hindufrauen und indische Ehen Durch Indien ins verschlossene Land Nepal
von Kurt Boeck
Durch den Sumpfurwald des Terai
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Büffelherde; der Treiber hat seinen Speisenapf aus Bronze über den Turban gestülpt.

Siebzehntes Kapitel.
Mein Eintritt in das verschlossene Land Nepal.

Ich muß gestehen, daß mich bei meinen früheren Wanderungen in der „Heimat des Schnees“ wie bekanntlich das Himalajagebirge auf deutsch heißt[WS 1], nichts so sehr verdrossen hatte, als daß es an den Gletschern des Kanschendschunga in Sikhim[WS 2] von seiten meines tibetischen Sirdars[WS 3] hieß: „Weiter nach Westen dürfen wir bei Todesgefahr nicht gehen, dort liegt Nepal!“ gerade so, wie einige Monate vorher am Nanda Devi[WS 4], dem mehr als 25 000 Fuß hohen Götterthron der Hindus in Kumaon meine Kulis an der jenseitigen, westlichen Grenze Nepals mit der Bemerkung gestreikt hatten: „Östlich von hier liegt das Land Nepal, da darfst du aber als Europäer natürlich beileibe nicht hinein!“ War es da ein Wunder, daß ich alles versuchte, um wohl oder übel in dies verbotene Land zu kommen?

Auf jeder meiner Indienreisen hatte ich aufs höflichste an den Toren dieses merkwürdigen Himalajakönigreichs Nepal, des merkwürdigsten Landes in Asien, angeklopft, ohne daß mir aufgetan wurde. Nepal hat sich klugerweise alles Herumreisen und jedes Überschreiten der Grenze von Europäern, die nicht eine ganz ausdrückliche Erlaubnis dazu haben, strengstens verbeten, und selbst die früher geduldeten Kapuziner-Missionare sind seit Ende des achtzehnten Jahrhunderts wieder aus dem Lande verwiesen. Außer den englischen Gesandten hat Nepal bisher nur wenigen besonders bevorzugten Asienreisenden den Zutritt gestattet. Der erlauchteste dieser Reisenden war bekanntlich Prinz Waldemar von Preußen[WS 5], dem freilich die ungeheuren Strapazen seiner ausgedehnten indischen Studienreisen zum Keime eines frühen Todes wurden. Die westliche Hälfte dieses für Europäer immer strenger verschlossenen Staates hat jedoch noch niemals der Fuß eines Nichtasiaten betreten, und die dürftigen Kartenskizzen, die der englisch-indische Generalstab von diesem Lande besitzt, sind von indischen Panditspionen[WS 6] entworfen.

[223] Als am Schlusse des vorigen Jahrhunderts die Auffindung der verschollenen Geburtsstätte des Seelenerlösers so vieler Asiaten, des abgöttisch verehrten Buddha, auf nepalischem Gebiet allgemeines Aufsehen erregte[WS 7] und die Blicke der Wißbegierigen auf das Land Nepal lenkte, da erwachte meine alte Sehnsucht nach Indien und dem Himalaja, nach Strapazen, Gefahren und Abenteuern, nach Forschen und Wandern in geheimnisvollem, romantischem Lande. Ich war schon entschlossen, mich unter einer Verkleidung nach Nepal hineinzustehlen, um meine Kenntnis Indiens zu vollenden, doch dank einer mir von sehr hoher Stelle zugewendeten Fürsprache glückte es den Bemühungen des in Indien ungemein beliebten deutschen Generalkonsuls Herrn von Waldhausen[WS 8], den Durbar, d. h. die Regierung Nepals, durch das indische Auswärtige Amt zu bewegen, mir den Besuch des Landes unter gewissen Einschränkungen zu gestatten, Einschränkungen, denen sich selbst der in Katmandu, der Hauptstadt Nepals[WS 9], zugelassene englische Gesandte oder „Resident“ unterwerfen muß.

Ganz im Gegensatz zu allen anderen sogenannten unabhängigen Fürstentümern in Indien, in denen der leiseste Wunsch des englischen Residenten einem Befehle gleichkommt, der unbedingt befolgt werden muß, hat es Nepal verstanden, sich trotz seiner schließlich ungünstig verlaufenen Kriege gegen England in den Jahren 1815 und 1816[WS 10] seine Unabhängigkeit zu bewahren. England hütet sich weislich, das Verhältnis zu scharf zu spannen, da es gerade aus dem Lande Nepal den besten Kern seines indischen Truppenmaterials, die Gorkhas[WS 11], rekrutiert, und sagt deshalb lieber: Nepal ist eine saure Traube in unserem reichen indischen Weinberge, die wir vorläufig gar nicht mögen! Allerdings fällt es dem hochmütigen Albion[WS 12] dabei wohl nicht gerade leicht, den Verdruß über die Sperrung der Landesgrenze hinunterzuschlucken, dergemäß selbst der englische Gesandte dort nicht viel anders als in einem „goldenen Käfig“ geduldet wird und unter keinen Umständen die von Europäern noch nie betretenen westlichen Gebiete Nepals besuchen darf.

Mir wurde in Kalkutta amtlich mitgeteilt, daß das Rasthaus in Katmandu, der Hauptstadt Nepals, während des Monats Dezember für mich reserviert sein würde; meinen Paß würde ich aber erst an der Grenzwache innerhalb des Landes zugestellt erhalten. In Indien, wo allerdings Klatsch und Verlästerung mit tropischer Giftigkeit sprießen, wurden mir aber nun die Nepaler allerseits dermaßen angeschwärzt, daß mein Glaube an diese Botschaft etwas wacklig wurde und ich meine Reisevorbereitungen in Kalkutta mit einiger Beklommenheit beschleunigte.

Bekanntlich türmt sich in Nepal, um das Maß seiner Merkwürdigkeiten recht voll zu häufen, das ungeheure Himalajagebirge in Gestalt des Gaurisankar oder Mount Everest[WS 13] zu seinem gewaltigsten Gipfel, mithin zum höchsten Berge unserer Erde zusammen. Über diesen noch nie von einem Europäer betretenen Gebirgsstock, ja selbst über seinen bei den Eingeborenen üblichen Namen und über die Frage, ob dieser Berg tatsächlich der höchste in dem Grenzgebirge zwischen Tibet und Nepal sei, herrschte eine derartige Unklarheit und [224] eine solche Fülle von Zweifeln, daß ich nichts Geringeres in Aussicht genommen hatte, als gelegentlich meiner Anwesenheit in Nepal die dortigen Machthaber zu bitten, meine früheren Himalajareisen durch einen Erforschungs- und Besteigungsversuch des Gaurisankar vervollständigen zu dürfen.

Meine Vorbereitungen mußten demnach außerordentlich umfassend sein und nicht nur alles für eine Tropenreise Erforderliche, sondern überdies noch die Ausrüstung für arktisch-alpine Verhältnisse einschließen. Zum Glück besaß ich bereits die wesentlichsten Gegenstände dieser Art, so daß ich verhältnismäßig schnell Kalkutta verlassen und mittelst der bengalischen Eisenbahn über Mokameh an die Grenze Nepals eilen konnte. Wie jubelte ich, als mein letztes Stück Handgepäck im Eisenbahnwagen verschwand!

Auf nach Nepal!

Ich darf es mir wohl ersparen, all die idyllischen Bilder zu zergliedern, die da draußen vor dem Eisenbahnfenster in rascher Folge vorüberhuschten, umrahmt von Palmyrapalmen und Bananengebüsch. Auch wurde ich diesmal wirklich nicht so sehr durch das gefesselt, was mir sonst jede Fahrt durch Bengalen zu einem ästhetischen Hochgenuß gemacht hatte, sobald mein Blick das Tun und Treiben dieser schönen, genügsamen Landleute streifte, denen die Patriarchenzeit noch nicht zum Schäfermärchen geworden ist. Die Kastorölstauden[WS 14] und Dattelpalmen, die Büffel, die durch die überschwemmten Weizenfelder stapften oder sich in den Elefantenschwemmen gütlich taten, wobei sich häufig auf ihrem Rücken neben dem darauf kauernden nackten Hirtenbuben ein paar Stare oder Raben allerlei Leckerbissen aus dem Büffelfell herausgabelten — sie alle hatten für mich an Reiz eingebüßt, da ich nur den einen Gedanken hatte: Schnell vorwärts, damit die Nepaler nicht etwa anderen Sinnes werden und die kaum geöffnete Tür wieder ins Schloß fallen lassen! Mich verdrossen beinahe die grünen Papchen[WS 15] und blauschillernden Königsfischer[WS 16], die übermütig zwitschernd oder voll Seelenruhe in endlosen Reihen gravitätisch auf den Telegraphendrähten saßen, und besonders die Geier, die recht satt und protzig dazwischen auf den Pfosten hockten; noch rauchte da drüben auf dem anderen Gangesufer die Asche der Scheiterhaufen, von denen sich die gierigen Vögel Reste von gebratenem Hindufleisch wegstibitzt hatten. Auch kamen mir diesmal die Wartezeiten auf den Bahnhöfen ungemein lang vor, während sie mir [225] früher nie genügt hatten, das Gewimmel wunderlicher Gestalten zu mustern, das sich auf indischen Bahnsteigen gleich einem bunten Traume kaleidoskopisch durcheinander drängt. Fürwahr, Indien ist und bleibt das interessanteste Land unserer Erde, trotz China und Japan!

Wie gern hätte ich dem Zug ein „Tummle dich!“ zugerufen. Die vierundzwanzig Stunden Fahrzeit schienen mir aus Gummielastikum zu bestehen, und ich konnte mich nicht erinnern, jemals so sehr von Ungeduld geplagt worden zu sein wie auf dieser Fahrt. Doch wenn man irgendwo Geduld lernen kann, so ist es gerade in Indien. Zeit hat keinen sonderlichen Wert für den Hindu, und „komme ich heute nicht, so komme ich morgen“, oder „Eile mit Weile“ sind seine Leitmotive. Darauf schien auch mein Zug alle Rücksicht zu nehmen, besonders als er an eine durch Hochwasser zerstörte Brücke kam, wo der gesamte Bahnverkehr stockte; überall waren Zimmerleute mit dem Zurechtsägen von Stützbalken beschäftigt, denn noch waren die Wassermassen nicht eingetrocknet, die von der Regenzeit durch einen Dammbruch als letzter Abschiedsgruß über die schier endlosen Indigofelder geschüttet waren und maßloses Unheil angerichtet hatten. Bei dem hier nötigen behutsamen, schrittweisen Fahren wurde unsere bereits vorhandene Verspätung natürlich nicht verringert.

Der Boden Nordbengalens oder Tirhuts[WS 17] bietet gerade der Indigopflanze vortreffliche Nahrung, und deshalb befindet sich hier eine ergiebige Indigofaktorei neben der anderen. Wenn auch all diesen Pflanzungen durch die Erfindung des künstlichen Indigos ein lebensgefährlicher Stoß versetzt worden ist, stehen die Indigopflanzer selbst jetzt noch im Rufe unbegrenzter Gastfreundschaft, und wer Talent zum nassauernden Lebemann[WS 18] in sich spürt, kann sich von einem leckeren Tischleindeckdich zum anderen weiter empfehlen lassen. Ich lehnte allerdings verschiedene dahinzielende Einladungen der mit mir reisenden Pflanzer höflichst ab, weil ich mich wirklich nicht sonderlich gelaunt fühlte, den Spaßmacher für trinkfeste Tafelfreunde abzugeben, spähte vielmehr bei der Einfahrt in die Station Segauli mit begreiflicher Unruhe nach dem Naik[WS 19], d. i. Ortsvorsteher, aus, den ich telegraphisch beauftragt hatte, mir die nötigen Lastträger anzuwerben und am Bahnhof bereit zu halten.

Hinter dem Stationsgebäude von Segauli, einem einfachen Ziegelbau, schienen sämtliche Insassen des Dorfes zu meinem Empfange bereit zu stehen, doch stellte mir der Naik nach kurzer Begrüßung diese hundert nackten Dorfteufel als meine Leibgarde für meinen Einzug nach Nepal vor. „Wozu?“ „Nun, der gestrenge Herr Europäer werden sich doch wohl nach Nepal hineintragen lassen? Hier steht Ihr Palankin, dort ein anderer für Ihren Diener, und dahinten noch ein kleinerer Tragkasten zur Beförderung Ihres Koches. Pferde oder Wagen sind hier weder erhältlich noch verwendbar, und zu Fuße können Sie selbstverständlich auch nicht gehen. All diese Leute sind Kahars[WS 20] für Ihre Tragkasten und Kulis für Ihr Gepäck.“ „Aber, my dear Naik, wie bewegen sich denn diese etwas spärlich bekleideten Herren Träger fort? Etwa [226] mittelst Luftballon oder Zweirad?“ „Nein, die gehen natürlich zu Fuß.“ „Nun, sehen Sie, dann werde auch ich gehen! Katmandu ist nur etwa hundert englische Meilen von hier, und ich freue mich nach den langen See- und Bahnfahrten auf ein paar stramme Märsche. Geben Sie mir etwa fünfzehn zuverlässige Kulis, mehr brauche ich nicht“ „Glauben Sie mir, Sahib, Sie können diesen Weg nicht zu Fuß machen! Und Ihr Koch und Ihr Diener, wie sollen denn die fortkommen?“

Koch und Diener, damit hatte der gute Mann zwei große Worte sehr gelassen ausgesprochen! Allerdings hatten sich mir, wie jedem in Indien Anlangenden, in Kalkutta auch diesmal ganze Dutzende von verschmitzten Hindus, zumeist mohammedanische, genähert, und dicke Bündel auf den Bazaren zusammengeborgter unsauberer Zeugnisse vorgewiesen, die einstimmig bescheinigten, daß der pp. Ali Baba oder Mohammed ein Ausbund von Treu und Redlichkeit, kurz eine wahre Perle von Dienstboten sei. Ich war ja auch gern bereit, in den verführerischen Apfel zu beißen, Koch und Diener zu mieten und zu vergessen, was mir auf früheren Reisen von ihren Herren Amtsbrüdern alles angetan worden war. Ich meine nicht etwa das Verschwinden von Wertobjekten und zwar ohne alle Apparate, denn das soll auch bei Leuten mit weißer Haut und noch weißerer Plättwäsche manchmal vorkommen, sondern daß sie in Geschmacksachen nicht immer ganz einig mit mir gewesen waren. Ich gebe ja zu, daß auch ein gegen den Strich gebürsteter Zylinderhut ganz mollig und fast so drollig wie eine junge Katze aussieht — es braucht das aber nicht gerade der meinige zu sein; wenn ich meinem Diener auftrug, einen kleinen Riß im Bratenrock zuzunähen, so meinte ich damit doch nicht, einen helleren Flicken darauf zu pflastern, und wenn ich einen Strumpf gestopft haben wollte, so erwartete ich allerdings nicht, ihn als zugezogenen Beutel zurückzubekommen. Und die Köche hatten auch allerlei Eigenheiten, über die ich hier nicht weiter reden will; vielleicht gibt es Leute, die ein Kotelett für nahrhaft halten, das in den Sand gefallen ist, und auf ihren Tellern frische Ölgemälde lieben, die von dem Abstäubetuch herrühren, oder denen es Spaß macht, zu sehen, wie ihre Hühner bei lebendigem Leibe gerupft werden.

Als ich nun bei meiner diesmaligen Einkehr im Grand Oriental Hotel in Kalkutta von derartigen hoffnungsvollen Dieneraspiranten belagert wurde und ihnen als mein Reiseziel Nepal nannte, da verlängerten sich, ja, da ergrauten förmlich ihre bräunlichen Gesichter. Dem einen, einem ehrwürdigen, aber bereits etwas zittrigen Greise, der ein vorzüglicher Koch zu sein behauptete, fiel urplötzlich ein, daß eben sein Großvater gestorben sei, sein Kollege, ein allerliebstes Bürschchen von höchstens 18 Jahren, erinnerte sich eben so schnell, daß seine kleine Frau pockenkrank zu Hause läge und seiner dringend bedürfe, und nur wenige waren ehrlich; genug, einzugestehen, daß sie bislang von Nepal noch nicht viel Gutes gehört und gar keine Lust hätten, mir in ein Land zu folgen, wo nichts als himmelhohe Schneeberge, wilde Tiere und grausame Menschen zu finden seien. Damit schlugen sie sich seitwärts in die Büsche, [227] malten aber vorher mit Kreide ein allen anderen indischen Dienern verständliches kabbalistisches Warnungszeichen über meine Stubentür, das etwa hieß: „Spart euch nur bei diesem verd.... Kerl die Mühe, anzuklopfen, der kennt seine Pappenheimer!“[WS 21]

Ein Weltreisender erlangt mit der Zeit eine ziemlich dicke Haut, und ich hatte nicht die mindeste Lust, abzuwarten, ob es nicht doch schließlich einem dieser Geister in Ermangelung eines anderen, bequemeren Dienstes belieben würde, einen Versuch mit meiner Wenigkeit zu machen und „in meines Glückes Schiff mit mir zu steigen“. Ich war fest überzeugt, für Geld und gute Worte selbst in Nepal ein Individuum auftreiben zu können, das meiner Galle die erforderliche zuträgliche Bewegung zu verschaffen im stande sein würde und wendete dem Dienerboykott lachend den Rücken. „Wir können uns also die Palkis für Koch und Kellner ersparen, mein lieber Naik. Im übrigen habe ich gar keine Neigung, mich gleich jetzt in die finstere Nacht hineinschleppen zu lassen. Kann ich wohl mein Feldbett im Stationswartesaal aufschlagen?“ „Für den Fall, daß Sie hier übernachten wollen, hat der Resident, als er Nepal verließ und hier durchkam, den Auftrag gegeben, ein Zelt für Sie in Bereitschaft zu halten; dort hinten am Waldrande steht es bereits.“

Während wir dem Walde zusteuerten, fragte ich: „Ist denn der neuernannte englische Gesandte Oberst Wylie[WS 22] schon nach Nepal unterwegs?“ „Nein, Sie werden buchstäblich der einzige Europäer in ganz Nepal sein. Oberst Wylie geht erst in einigen Monaten nach Katmandu.“ So interessant es nun auch klang, in einem Reiche, das sechzigtausend englische Quadratmeilen, also fast halb so groß wie das Königreich Preußen ist,[WS 23] als einziger Europäer zu weilen, so wußte ich doch zugleich, daß ich fortan ganz allein auf mich angewiesen sein und keinerlei Schutz finden würde, wenn mir dort irgend etwas zustieße.

Ich ließ mein Gepäck zu dem Zelt schaffen, vor dem ich mich dann in einem bequemen Armstuhl niederließ, um das mich mit immer neuem Staunen erfüllende Schauspiel des indischen Sonnenuntergangs zu genießen. Der ganze Horizont schien sich in ein einziges purpurnes Flammenmeer zu verwandeln, und: „So stirbt ein Held, anbetungswürdig!“ mußte ich mit Karl Moor sprechen, als die nahen, zartgefiederten Bambusstauden gleich riesigen Trauerweiden über dem in der Ferne verscheidenden Tagesgestirn hin und her wehten. Die brennenden Farben verblaßten mit erstaunlicher Schnelligkeit, und nach kurzer Dämmerfrist blitzten glühende Nachtdiamanten von dem nun sammetschwarz gewordenen südlichen Himmel.

Ich packte beim Fackelschein meine Theemaschine, eine Dose Hasenpastete und anderen Abendimbiß aus der Proviantkiste und hieß einem der dort am Lagerfeuer hockenden Kulis, mir eine Schale Wasser zu bringen; dann lud ich meinen Revolver, legte ihn unter das Kopfkissen und trug einige Notizen in mein Tagebuch. Als ich aufblickte, mußte ich hell auflachen, denn statt der Schale Theewasser schleppten eben sieben oder acht Kulis eine bis an den Rand gefüllte Badewanne in das Zelt. Ich filtrierte mir meinen Bedarf [228] daraus ab, und stieg dann in die willkommene Erfrischung, während der Samowar[WS 24] allerlei von der Gefahr nächtlicher Bäder in Indien zu brummeln schien. Mit dem erquickenden Gefühl, mich einmal wieder dem unvergleichlichen romantischen Wanderleben in Asien hingeben und abseits unserer herrlichen Kultur und übertünchten Höflichkeit als wissensdurstiger Mensch auf merkwürdigen, abgelegenen Pfaden ziehen zu dürfen, schlief ich ein. Die Kulis, in dünne Laken gewickelt, schnarchten am knisternden Feuer, Eidechsen und Käfer schnarrten und klapperten um die Wette, und Schakale heulten in der Ferne. Schon vor Tagesanbruch standen die Palankinträger mit ihrem Kasten vor meinem Zelt. Ich durfte dem Naik nicht zürnen, für dies landesübliche Transportmittel gesorgt zu haben, und da diese Palkis nun doch einmal bezahlt werden mußten, kletterte ich in meinen Kasten; Vorn und hinten hoben je drei Kahars die Tragstangen auf ihre Schultern, und in hurtigem Laufschritt trabten sie mit mir - in den nebligen dämmernden Morgen, in eine ungewisse, aber höchst reizvolle Zukunft hinein.

Des Verfassers Palki nebst Trägern.

Ich bin größer als Mittelmaß ausgefallen und lag deshalb in meinem Kasten wirklich nicht sehr bequem. Aber das geschah mir ganz recht! Ich hatte mich zu häufig über Palankins lustig gemacht, die mit zugeschobenen Türchen zur Bahnstation geschleppt wurden, weil ich wußte, daß eifersüchtige Hindus ihre Frauen auf diese Weise nicht nur bis in den Zug spedieren, sondern gleich in diesen Kästen in die Güterwagen schieben und an den Bestimmungsort schaffen lassen, während sie selbst sich auf den breiten Polstern der ersten Wagenklasse niedersetzen; gerade aus dem an der Station Segauli angeschlagenen Tarif konnte ich mich belehren, daß für jede auf diese Weise im Gepäckwagen mitgeführte Dame nicht nur eine Fahrkarte erster Klasse, sondern noch eine Rupie extra für den Verpackungskasten bezahlt werden muß, der galante Paladin also durch eine solche zarte Beförderung seiner Frau wenigstens keine Ersparnisse machen kann — und das freut mich nicht wenig!

Die Straße war ein so fabelhaft staubiger Karrenweg, daß ich wirklich froh war, nicht zu Fuß laufen zu müssen, andererseits war aber das Stoßen und Schütteln des für mich viel zu kurzen Kastens auf die Dauer ganz unausstehlich. Wäre ich einen Fuß kleiner gewesen, dann hätte ich mich ganz [229] gemütlich ausstrecken können, so aber lag ich „zum scheußlichen Klumpen geballt“ und befand mich in entsprechender Stimmung.

Die Träger und ihre vor und neben dem Palki schnatternd mitlaufenden Ablösungsmannschaften wirbelten so entsetzliche Staubmassen auf, daß ich meine Schiebetürchen auf beiden Seiten luftdicht zuschloß, wodurch es natürlich in meinem wandelnden Sarge stockfinstere Nacht wurde, trotzdem draußen die liebe Sonne aufging und durch Staub und Nebel zu stechen begann. Ich fühlte einen empfindlichen Mangel an Talent, mein Fortkommen als Kistenreisender zu finden, und da ich keineswegs beabsichtigte, durch eine „Reise im Dustern“ in den Zeitungen gerühmt zu werden, fühlte ich mich nicht sonderlich extra.

Durch den Grenzfluß!

Als ich im Begriff war, meinen Kerker durch eine Kerze zu illuminieren, um etwas zu lesen, hörte ich plötzlich auf beiden Seiten und unterhalb meines Käfigs ein verdächtiges Geräusch wie von Wassergeplätscher. Als ich hastig die Tür aufschob, sah ich, daß meine Kahars sich eben anschickten, mich in meinem Kasten durch einen Fluß zu tragen, während dicht neben mir die Kulis bereits meine photographische Ausrüstung an einer langen Stange über das Wasser schafften. Bei meiner lebhaften, überraschten und besorgten Bewegung kreischten die Kahars laut auf, weil ich dadurch den Palki in die größte Gefahr brachte, umzukippen und seinen höchst kostbaren Inhalt, nämlich mich mitsamt meiner Reisekasse, in das Wasser plumpsen zu lassen.

Dreschende Ochsen.

Durch das Überschreiten des Racksaul-Flusses hatte ich bereits die Grenze zwischen Nepal und Indien gekreuzt. Von irgend welcher Grenzbewachung[WS 25] [230] war jedoch nicht das mindeste zu sehen, aber leider auch ebensowenig jemand, der mir meinen Paß hätte einhändigen können; nichts verkündigte, daß ich bereits im „verschlossenen“ Lande Nepal angelangt sei.

Der Karrenweg setzte sich auf dem nördlichen Ufer ebenso holprig und staubig fort; die zwei, drei Häusergruppen, durch die wir kamen, sahen genau so aus, wie die bisherigen Bauernhäuser in Bengalen, und das Korn wurde ganz wie dort von nackten kleinen Buben mit Holzhämmern ausgeklopft oder von Ochsen ausgetreten, die zu dreien oder vieren dicht aneinander gedrängt, aber nicht angeschirrt, einen Pflock in der Mitte der Tenne umkreisten.

Meine Kahars rannten wie besessen, so daß wir bereits zu Mittag im Dorfe Racksaul einen Tagesmarsch von 18 englischen Meilen hinter uns hatten. Länger hielt ich es aber in dem Marterkasten wirklich nicht aus, sondern schickte ihn und seine Trägerkompagnie nach Hause; begreiflicherweise machten sich die Leutchen nebst ihrem so leicht verdienten Lohne mit nicht allzu betrübten Gesichtern aus dem fußhoch liegenden Staube. Man wird aber bald sehen, daß ich mit diesem voreiligen Entlassen des Palkis und der Kahars doch einen großen Fehler gemacht hatte; auch glaubten nun die Lastkulis, daß ich gar keine Eile hätte und daß sie in Zukunft die Tagesmärsche ganz nach ihrem Ermessen abteilen könnten.

Wenn ich so gewissenhaft zwischen Kahars und Kulis unterscheide, so hat dies seinen guten Grund. Der Palankinträger oder Kahar dünkt sich gesellschaftlich unendlich hoch über einen Kuli erhaben und hält sich für viel zu vornehm, um mit einem Lastträger in dieselbe Reisschüssel zu greifen, oder gar aus derselben Wasserpfeife zu schmauchen, was ja nur Mitglieder gleichstehender Dschatisippen tun dürfen. Die Absonderung der zahlreichen Dschatis, in die sich die vier Warnas, d. h. die nach Hautfärbung und Rang geschiedenen Hauptkasten, gliedern, geht ja sogar so weit, daß der Sohn eines Fischers, der auf hoher See seine Netze stellt, nicht die Tochter eines Kollegen heiraten darf, der seine Beute nur mit dem Dreizack aus einem Teiche gabelt.

Schlauberger wissen sich jedoch selbst in den verzwicktesten Kastenfragen zu helfen. Will jemand z. B. Ziegelsteine oder Bücher forttragen lassen und kann gerade keinen Lastkuli bekommen, so bestellt er sich einen Palki, packt nächtlicherweile die Last hinein, versiegelt die Türen und macht den Kahars weiß, daß ein wunderhübscher Backfisch in dem Kasten säße; schmunzelnd reibt er sich dann die Hände, wenn die stolzen Kahars, die ja nie eine Kulilast anrühren würden, mit ihrem vermeintlichen Engel davontraben.

Meine Kulis wurden nach dem Weggange der Kahars frech. Sie schleppten meine Sachen in das Hospital von Racksaul, warfen meinen Bettsack auf eine noch nicht von einem winselnden Kranken besetzte Tscharpeu-Bettstelle und erklärten, daß ich, als aus Indien kommend, hier erst zehn Tage auf meine Pestfreiheit untersucht werden müsse. Ich hielt den Beamten die Quittung des Dampfers der City-Linie[WS 26] unter die Augen, zum Beweise, daß ich gar nicht über das gefürchtete, verseuchte Bombay, sondern über das pestfreie Kolombo [231] und Kalkutta nach Nepal gekommen sei; als ich aber bemerkte, daß der gute Mann keine Silbe Englisch verstand und daß wahrscheinlich eine elegante Hotelspeisekarte ebensoviel Eindruck auf ihn gemacht haben würde wie die Dampferfahrkarte, ließ ich einige Rupien in seine Hand gleiten, worauf mein Befinden plötzlich als vollkommen normal erklärt und meinem Weiterzuge nicht das mindeste Bedenken entgegengestellt wurde.

Die Kulis hatten sich also ganz vergeblich auf ein fröhliches Schlaraffenleben während meiner Quarantäne gefreut. Sie hatten bereits in einem offenen, mit Lehm und Kuhdünger gepflasterten Schuppen ein mächtig qualmendes Feuer von Kuhdüngerscheiben angezündet, in dem sie ihre Schupattikuchen[WS 27] buken und verlangten, daß ich mein Feldbett ebenfalls dort aufstellte; sie lachten mich einfach aus, als ich mein Zelt außerhalb des übelriechenden, dunstigen Dorfes aufgeschlagen haben wollte, und erklärten höhnisch, daß ich jetzt nicht mehr in Indien, sondern bereits in Nepal sei, wo ich mich nach ihrer Dasturi zu richten und nichts zu befehlen hätte. Nun blieb mir nichts übrig, als die Kulis bei ihrer allerempfindlichsten Seite zu packen. Ich schwor einen gräßlichen Eid, daß keiner auch nur einen Heller Backschisch von mir bekommen würde, wenn sie mir nicht alsbald mit dem Gepäck nachkämen, und ging dann ruhig davon, mich nach einem geeigneten Lagerplatz umzusehen, fest überzeugt, daß der Backschisch schließlich seine Zugkraft bewähren würde.

Im Dorfe herrschte überall lebhafte Bewegung. Auf allen erdenklichen Gegenständen aus Bronze, auf Schüsseln und Krügen wurde nach Leibeskräften herumgehämmert, um das Erscheinen eines kleinen Dorfbewohners zu feiern und den Eltern des kleinen Burschen die allgemeine Teilnahme an dem frohen Ereignis in die Ohren zu trommeln. Unter einer Gruppe von Feigenbäumen, in der Nähe eines kleinen Hindutempels fand ich, was mein Herz zum Lager begehrte: Ruhe, frische Luft, eine Wiese und auf einer benachbarten Baustelle auch einen Brunnen.

Ich setzte mich auf einen Balkenhaufen und beobachtete die Bauhandwerker. Es war ein wahres Vergnügen, die Arbeiterinnen mit ihren Körben voll Lehm auf dem Kopfe graziös die Leitern auf- und absteigen zu sehen, oder richtiger die breiten Gitter, die sich dort die Maurer ganz nach Bedarf aus Bambusstangen zusammenbinden. Ich mußte bei der anmutigen Kopfhaltung dieser Mädchen immer wieder an den Rat meines Tanzlehrers denken, der schönen, aber manchmal etwas zappeligen Schülerinnen einzuschärfen pflegte: „Bilden Sie sich nur stets ein, eine schwere goldene Krone auf dem Haupte zu tragen, wenn Sie Ballkönigin werden wollen!“ Noch mehr Freude aber machten mir die Elefanten, die den Zimmerleuten als Handlanger dienten und mit erstaunlicher Geschicklichkeit die riesigen Balken ganz nach Wunsch emporhoben, wegtrugen und zusammenschoben, überhaupt jeden Zuruf der Wärter zu verstehen und genau zu befolgen schienen; derartige Leistungen muß man gesehen haben, um begreifen zu können, warum der Hindu die Klugheit in der Gestalt eines Elefanten zu vergöttern pflegt. Um so grimmiger muß dieses Tier aber auch [232] den Schmerz der Ohnmacht empfinden, ja, es soll sogar weinen, wenn ihm, nachdem es eingefangen und zwischen zwei bereits gezähmten Elefanten angefesselt ist, Dutzende von sich ablösenden Menschen vierzehn Tage und Nächte lang auf dem mit einem Netz überzogenen Rücken herumtrampeln oder an seinem Rüssel auf und abturnen, während gleichzeitig unablässig Gewehre vor ihm abgefeuert und laut schallende Musikinstrumente zum Tönen gebracht werden. In Nepal wenigstens gilt dieses grausame Verfahren, Elefanten zu zähmen, als das am schnellsten wirksame.

Allmählich sammelte sich eine beträchtliche Menschenmenge um mich, die begierig war, endlich zu erfahren, was der unheimliche weiße Mann in ihrem Dorfe denn nun eigentlich wolle. Ich fühlte, daß der Ausgang dieses ersten Streites mit meinen Kulis verhängnisvoll für die ganze übrige Reise sein müßte, und war entschlossen, zurückzugehen, um, wenn es nicht anders möglich wäre, das zum Lagern Nötigste auf meinem eigenen Rücken an den von mir gewünschten Platz zu schaffen und so den Kulis zu zeigen, wessen Wille auf dieser Reise maßgebend sei.

Im Begriff, über den Straßengraben zu springen, um noch vor Einbruch völliger Nacht bei meinen ungetreuen Kulis zu sein, sah ich auf der Straße Staubwolken aufwirbeln. Fünf oder sechs riesige Doggen, von keuchenden Jägern in der phantastischen Tracht indischer Schikare[WS 28] mit aller Anstrengung zurückgehalten, versuchten auf mich loszuspringen, die mich umringenden Bauern und Kinder warfen sich mit Gebärden untertänigsten Schreckens der Länge nach in den Straßenstaub und machten zugleich einem heransprengenden Reiter Platz, einem noch jungen Mann mit indischen Gesichtszügen, dessen moderner, englischer Jagdanzug gar nicht übel zu seinem taubengrauen Turban paßte; ein stattlicher Dienertroß folgte dem blitzschnell herangekommenen Kavalier.

Das Bewußtsein, noch keinen Paß in der Hand zu haben, war mir ungemein fatal, denn meine einsame Erscheinung ohne alle Dienerschaft mußte einem asiatischen Fürsten wahrlich höchst befremdlich erscheinen. Ich begrüßte den hohen Herrn deshalb ohne weiteres mit der naiven Anfrage, ob er etwa meine widerspenstigen Kulis unterwegs angetroffen hätte, indem ich gleich hinzufügte, daß ich im Begriff sei, mit dankenswerter Erlaubnis des Durbars nach Katmandu zu reisen. Zum Glück verstand der Herr, ein Sohn des Maharadschah von Nepal, etwas Englisch. Er versicherte, bereits von mir und meiner Reise zu wissen, fand es aber doch sehr auffällig, daß ich nicht im Palki reise. Im Palki sehe ich ja nicht genug vom Lande! wollte ich sagen, biß mir aber auf die Zunge und sagte lieber, daß mir bei meiner Figur das Reisen in einem solchen Kasten zu unbequem vorkäme. Der nepalische Prinz war freilich hierüber ganz anderer Meinung; er hätte mit seinen anders gewöhnten Gelenken vielleicht sogar in einer Nußschale mit untergeschlagenen Beinen kauern können, ohne dabei etwas von Ungemach zu verspüren. Als ob ich hier bereits das Terrain für künftige Schlachtfelder studiert hätte, fragte er mich, ob ich auch Zeichnungen gemacht hätte, und schien sehr befriedigt [233] und erleichtert, als ich dies mit gutem Gewissen verneinte. Auch mir fiel ein Stein vom Herzen, als er das kritische Gespräch abbrach und ein paar Dienern befahl, meine Kulis herbeizuschaffen. Dann fragte er höflich: „May I go?„Certainly, sir!“ antwortete ich und bedauerte im Interesse meiner Leser die Harmlosigkeit des ganzen Vorganges. Wieviel interessanter wäre es gewesen, wenn mein deus ex machina keine so elegant und tadellos zugeschnittene braune Samtjacke, sondern eine eisenklirrende Rüstung getragen und wutschnaubend befohlen hätte, mir meine weiße Haut über die Ohren zu ziehen, mich am Spieß recht schön knusperig braun zu braten oder gar in Öl sieden zu lassen! Statt dessen wurde mir von seinen Leuten meine jetzt sehr kleinlaute Kulibande zugeführt, und die ganze Romantik beschränkte sich auf die mittelalterlichen Gestalten der Schikare mit den Jagdfalken auf der Faust, auf die Hundewärter, Büchsenspanner und Fackelträger.

Der folgende Tag stellte an meine Marschfähigkeit wirklich harte Anforderungen. Fußhoher Sand und Staub, sengende, blendende Sonne, unabsehbare, schwefelgelb blühende Rapsfelder, das alles wäre bald recht lästig und einförmig geworden, wenn meine Heiterkeit nicht durch allerlei Genrebilder genährt worden wäre, die ich im Palki jedenfalls nicht wahrgenommen hätte. Da ich den Kulis stets weit voraus zu sein pflegte, um weniger von dem Staube zu leiden, war das Erstaunen der Feldarbeiterinnen über meine einsame Erscheinung nicht gering, und ihre mit Furcht gemischte Neugier äußerte sich ganz unwiderstehlich komisch. Ich wurde dann stets an meine Reisen in Persien erinnert, wo beim Einreiten in ein Dorf auch häufig ganze Reihen solcher Evatöchter standen, die sich erschreckt und verschämt in Ermangelung eines Schleiers ihr einziges dürftiges Röckchen vor das holde Angesicht hielten. Bei einem Flusse, der durchwatet werden mußte, wußte ich nicht recht, ob eine bockbeinige Hammelherde, die nicht gutwillig durchs das Wasser wollte, oder eine scheue Mädchenschar, die vor meiner entsetzlichen, d. h. europäischen, Erscheinung Reißaus genommen hatte und sich nun durch den Fluß aufgehalten, also zwischen zwei Feuern sah, einem humoristischen Maler dankbarere Motive abgegeben hätte. Andererseits war es mir doch recht schmerzlich, auch hier zu sehen, daß die meisten Hindus dem weißen Manne, dafern sie nicht vor ihm in geheuchelter Knechtseligkeit auf die Kniee sinken, aus dem Wege gehen oder gar, und noch dazu die schönere Hälfte, davonrennen, als ob der leibhaftige Gottseibeiuns auf der Bildfläche erschienen wäre. Zum Glück gibt es aber auch hier manchmal Ausnahmen von der Regel.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Himalaja: vergleiche Himalaya (हिमालय, Wohnsitz des Schnees)
  2. WS: Kanschendschunga in Sikhim: vergleiche Kangchendzönga, Sikkim
  3. WS: Sirdar: vergleiche Sirdar (Bergsteigen)
  4. WS: Nanda Devi: vergleiche Nanda Devi
  5. WS: Waldemar von Preußen: vergleiche Waldemar von Preußen (1817–1849)
  6. WS: Panditspionen: vergleiche w:Pundit (Vermesser)
  7. WS: verschollene Geburtsstätte: vergleiche Lumbini, gefunden 1896 von Alois Anton Führer
  8. WS: Generalkonsul Herr von Waldhausen: vergleiche Julius von Waldthausen (1858-1935)
  9. WS: Katmandu: vergleiche Kathmandu
  10. WS: Kriege: vergleiche Gurkha-Krieg
  11. WS: Gorkhas: vergleiche Gurkha
  12. WS: Albion: vergleiche Albion
  13. WS: Gaurisankar und Mount Everest: vergleiche Gauri Sankar, Erstbesteigung 1979; Mount Everest, Erstbesteigung 1953
  14. WS: Kastorölstauden: vergleiche Wunderbaum (Ricinus communis)
  15. WS: Papchen: Diminuti̱v zu Papagei, wohl Halsbandsittiche
  16. WS: Königsfischer: vom engl. kingfisher, vergleiche Eigentliche Eisvögel
  17. WS: Tirhut: vergleiche Tirhut (en)
  18. WS: nassauernder Lebemann: vergleiche nassauern, Lebemann
  19. WS: Segauli, Naik: vergleiche Sugauli (en), Nayak (title) (en)
  20. WS: Kahar: vergleiche Kahar (en)
  21. WS: kabbalistisches Warnungszeichen: vergleiche Zinken (Geheimzeichen)
  22. WS: Oberst Wylie: hier liegt offenbar eine Verwechslung vor. Henry Wylie war bereits seit 1891 Resident, 1899 wurde er Chief commisioner in Belutschistan; die beschriebene Vakanz Ende 1898 wurde gemäß der Liste der Residenten (en) von Archibald Mungo Muir beendet. Dieser verstarb 1899 in Nepal, ihm folgte William Loch (bis 1901/02).
  23. WS: sechzigtausend Quadratmeilen: Nepal ist heute (mit praktisch unveränderter Grenzziehung) 56.827 mi² groß, dies entspricht 147.181 km². Das Königreich Preußen umfasste 134.664 mi², Deutschland seit 1990 umfasst 137.903 mi².
  24. WS: Samowar: vergleiche Samowar
  25. WS: Racksaul-Fluss: vergleiche Raxaul, indische Grenzstadt. Der Grenzfluß heisst heute Sariswa, der nepalesische Ort am Nordufer Birganj.
  26. WS: City-Linie: wohl die City Line von George Smith & Sons, die ab 1901 in den Besitz der Ellerman Lines überging
  27. WS: Schupattikuchen: vergleiche Chapati (en)
  28. WS: Schikar: vergleiche Hunting; Shikar (Indian subcontinent) (en)