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Seite:Durch Indien ins verschlossene Land Nepal.pdf/295

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und Kalkutta nach Nepal gekommen sei; als ich aber bemerkte, daß der gute Mann keine Silbe Englisch verstand und daß wahrscheinlich eine elegante Hotelspeisekarte ebensoviel Eindruck auf ihn gemacht haben würde wie die Dampferfahrkarte, ließ ich einige Rupien in seine Hand gleiten, worauf mein Befinden plötzlich als vollkommen normal erklärt und meinem Weiterzuge nicht das mindeste Bedenken entgegengestellt wurde.

Die Kulis hatten sich also ganz vergeblich auf ein fröhliches Schlaraffenleben während meiner Quarantäne gefreut. Sie hatten bereits in einem offenen, mit Lehm und Kuhdünger gepflasterten Schuppen ein mächtig qualmendes Feuer von Kuhdüngerscheiben angezündet, in dem sie ihre Schupattikuchen[WS 1] buken und verlangten, daß ich mein Feldbett ebenfalls dort aufstellte; sie lachten mich einfach aus, als ich mein Zelt außerhalb des übelriechenden, dunstigen Dorfes aufgeschlagen haben wollte, und erklärten höhnisch, daß ich jetzt nicht mehr in Indien, sondern bereits in Nepal sei, wo ich mich nach ihrer Dasturi zu richten und nichts zu befehlen hätte. Nun blieb mir nichts übrig, als die Kulis bei ihrer allerempfindlichsten Seite zu packen. Ich schwor einen gräßlichen Eid, daß keiner auch nur einen Heller Backschisch von mir bekommen würde, wenn sie mir nicht alsbald mit dem Gepäck nachkämen, und ging dann ruhig davon, mich nach einem geeigneten Lagerplatz umzusehen, fest überzeugt, daß der Backschisch schließlich seine Zugkraft bewähren würde.

Im Dorfe herrschte überall lebhafte Bewegung. Auf allen erdenklichen Gegenständen aus Bronze, auf Schüsseln und Krügen wurde nach Leibeskräften herumgehämmert, um das Erscheinen eines kleinen Dorfbewohners zu feiern und den Eltern des kleinen Burschen die allgemeine Teilnahme an dem frohen Ereignis in die Ohren zu trommeln. Unter einer Gruppe von Feigenbäumen, in der Nähe eines kleinen Hindutempels fand ich, was mein Herz zum Lager begehrte: Ruhe, frische Luft, eine Wiese und auf einer benachbarten Baustelle auch einen Brunnen.

Ich setzte mich auf einen Balkenhaufen und beobachtete die Bauhandwerker. Es war ein wahres Vergnügen, die Arbeiterinnen mit ihren Körben voll Lehm auf dem Kopfe graziös die Leitern auf- und absteigen zu sehen, oder richtiger die breiten Gitter, die sich dort die Maurer ganz nach Bedarf aus Bambusstangen zusammenbinden. Ich mußte bei der anmutigen Kopfhaltung dieser Mädchen immer wieder an den Rat meines Tanzlehrers denken, der schönen, aber manchmal etwas zappeligen Schülerinnen einzuschärfen pflegte: „Bilden Sie sich nur stets ein, eine schwere goldene Krone auf dem Haupte zu tragen, wenn Sie Ballkönigin werden wollen!“ Noch mehr Freude aber machten mir die Elefanten, die den Zimmerleuten als Handlanger dienten und mit erstaunlicher Geschicklichkeit die riesigen Balken ganz nach Wunsch emporhoben, wegtrugen und zusammenschoben, überhaupt jeden Zuruf der Wärter zu verstehen und genau zu befolgen schienen; derartige Leistungen muß man gesehen haben, um begreifen zu können, warum der Hindu die Klugheit in der Gestalt eines

Elefanten zu vergöttern pflegt. Um so grimmiger muß dieses Tier aber auch

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Schupattikuchen: vergleiche Chapati (en)
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/295&oldid=- (Version vom 1.7.2018)