Dresden in den Tagen des Wettiner Jubiläums
Dresden in den Tagen des Wettiner Jubiläums.
So weit die deutsche Zunge klingt, ist keine Stadt, die von Natur und Kunst zum Schauplatz für prunkvolle Feste so ganz und gar geschaffen erscheint wie das schöne Dresden. Prachtliebende Fürsten, in deren Glanzperiode jeder Tag ein Fest war, haben der sächsischen Residenz im vorigen Jahrhundert einen Weltruf als Feststadt gegründet; eine geradezu geniale Vergnügungssucht verschönte neben Kunst und Wissenschaft das Leben am galantesten Hof Europas. Das Grandiose und Barocke verschmolzen zu einem Dresdener Feststil, der seine ganz eigenthümliche lokale Berechtigung hatte. Ausschließlich die Fürsten waren die Festgeber, und in diesem Sinne gilt das Wort: Dresden ward durch seine Fürsten groß.
In der modernen Großstadt Dresden strömte in diesen Tagen der Sommersonnenwende das ganze sächsische Volk zusammen, um seinem geliebten Fürstenhaus ein Fest zu veranstalten, das einzig in der Welt dastehen dürfte. Die Wettin-Feier bildete in der That einen alles überragenden erhöhten Moment im Dasein des Sachsenvolkes, sie ließ als ein Symbol edelster Art die Idee der Zusammengehörigkeit von Fürst und Volk eine aller Welt verständliche sichtbare Gestalt annehmen.
„Wir feiern,“ sagte als Festredner der technischen Hochschule des Landes der bekannte Historiker Arnold Gaedeke, „ein in seiner Art einziges, noch nicht dagewesenes Fest, die achthundertjährige Vergangenheit eines der ältesten und berühmtesten deutschen Fürstengeschlechter, dessen blühender Stamm dem Lande eine weitere, hoffnungsreiche Zukunft verspricht … Was der Feier erhöhte Bedeutung verleiht, ist das Gefühl achthundertjähriger Zusammengehörigkeit mit dem Herrscherhaus in guten wie [454] in schlimmen Tagen. Keinem der regierenden Häuser ist es vergönnt, auf eine gleich lange Epoche geschichtlicher und staatlicher Vergangenheit zurückzublicken . . . Wie der einzelne Mensch in dem Kampf von Gegensätzen reift, in welchen das Leben ihn nun einmal gesteckt hat, so beruht der Fortschritt des Menschengeschlechtes darauf, daß die Gegensätze in der Geschichte des menschlichen Geistes und der Völker in eine höhere Einheit aufgehen.“
Zu den Fortschritten des Menschengeschlechtes haben Fürsten und Volk in Sachsen zu allen Zeiten Schulter an Schulter in ernster Arbeit redlich beigesteuert und zu dem „Aufgehen der Gegensätze und der Völker in eine höhere Einheit“ haben die beiden jüngsten der Wettiner Herrscher, der verstorbene König Johann und der regierende König Albert, in hervorragender und das ganze deutsche Volk zu ewiger Dankbarkeit verpflichtender Weise gewirkt.
Das Bewußtsein davon verlieh der Feststimmung eine unaussprechliche Weihe, es war der Grundton, auf den die begeisterten Akkorde des Volksjubels gestimmt waren.
Werfen wir einen Blick auf die Tag und Nacht von freudig erregter Menge belebte Stadt im Schmuck ihres Festgewandes! Da wird es gleich jedem klar, warum Herder recht hatte, wenn er ganz im Geiste Winckelmanns Dresden für alle Zeit auf den Namen „Elbflorenz“ getauft hat. Dem unbefangenen Beschauer macht sich die spezifisch künstlerische Atmosphäre dieser Stadt sofort fühlbar, der tiefer Eingeweihte erkennt „die vorgeschobene Kolonie des Südens, Italiens und seiner Künste“ in ihr. Die dekorirende Kunst hat das Ihrige gethan, diese eigenartigen Eindrücke zu erhöhen.
Daß dem großartigen Fest der Gedanke zu Grunde liegt, die ruhmreiche Vergangenheit im dankbaren Gedächtniß wieder aufleben zu lassen, haben die ausschmückenden Künstler dadurch aufs sinnigste zu veranschaulichen gewußt, daß sie alle Standbilder in der Stadt mit duftig grünenden und blühenden Blumenbeeten umgeben, ja die Plätze stellenweise in förmliche Palmen- und Lorbeerhaine gehüllt haben. Unter allen leuchtet das Denkmal des deutschen Reformators hervor, der, im Festzug nicht vertreten, sozusagen einen Ehrenplatz inmitten eines bewimpelten Mastenwaldes am Neumarkt einnimmt dicht bei dem Pavillon des Königs, dem Mittelpunkt der ganzen Feier. Der Blumenschmuck ist bei dem Luther-Standbild so reichlich ausgefallen, als ob der Rosenmond alle seine Rosen, Lieblinge bekanntlich des Reformators, ihm zu Füßen gelegt hätte. Blumen sind kein allegorischer Schmuck, sie sind lebendige Huldigung, sie sprechen klar und deutlich zu den Sinnen und Goethe hat gesagt: „Wer nicht klar zu den Sinnen spricht, der redet auch nicht rein zum Gemüthe.“ In dem festgeschmückten Dresden spricht diesmal alles klar zu den Sinnen und rein zum Gemüthe. Die herrliche Natur, die überall hereinragt, half Dresden bräutlich schmücken; von welcher der drei großen Elbbrücken aus man die Blicke schweifen läßt, überall Herrlichkeit und Pracht; in solchem Glanz hat Elbflorenz noch niemals gestrahlt. Gäste, die jüngst Rom und Berlin beim Kaiser- und Königsempfang bewundert haben, sagen, daß sie am Tiber und in der Reichshauptstadt kaum so Großartiges zu schauen bekamen.
Wollte man einen Vergleich ziehen mit der Kunstschwesterstadt an der Isar, wo die Wittelsbacher das 700jährige Jubiläum feierten, so würde es wohl daraus hinauslaufen, daß München malerischer, Dresden plastischer zu dekoriren versteht. Das entspricht der künstlerischen Besonderheit beider Städte. Dresden ist heute eine Bildhauerstadt; der Festgast, der von der Augustusbrücke aus den eigenartigen Platz betritt, der von Brühlscher Terrasse, Schloß, katholischer Kirche, Zwinger, Museum, Theater und Elbufer umrahmt wird, fühlt sich sofort im Bann von Plastik und Architektur. Dem weltberühmten Ensemble entsprechend, hat dort zur Jubelfeier die plastisch-architektonische Dekoration sozusagen den Höhepunkt erstrebt.
Zur Ausführung konnte niemand mehr berufen sein als Johannes Schilling. Der berühmte Bildhauer schuf, von seinem Sohn, einem talentvollen Architekten, unterstützt, einen durch Einfachheit und edle Verhältnisse vornehm stilvoll berührenden monumentalen Festschmuck, Malachit-Obelisken mit Kolossalfiguren der Vergangenheit und Gegenwart.
Würdig reihen sich daran die künstlerischen Tribünenbauten auf dem Alt- und Neumarkt.
Der Dresdener Altmarkt hat fast die saalartige Geschlossenheit des St. Markusplatzes in Venedig, er eignet sich daher ganz besonders zu terrassenartig aufsteigenden Langbauten. Der Architekt Adam, vom „Durchbruch“ her in bestem Andenken, hat, diese Eigenthümlichkeit betonend, wahre Prachtbauten von Tribünen geschaffen, die von farbenprächtigen Pavillons mit Baldachinen und Blumenminareten flankirt werden, riesige Makartbouquets scheinen hier in den Lüften zu schweben, während das Siegesdenkmal, die Germania von Henze, aus Fächerpalmen von ganz ungewöhnlicher Größe inmitten des Platzes hoheitsvoll hervorragt.
Auf dem Neumarkt fühlt man sich in die Prunkzeit Augusts des Starken versetzt. Mit dem Königspavillon hat Baurath Weidner etwas Großartiges geschaffen; edelste Renaissance und dabei in der stofflichen Ausstattung mit Velarien, Baldachinen, Goldgrundgobelins, Ornamenten und Bildschmuck so malerisch packend, als hätte die Hand Paolo Veroneses mitgeholfen. Entsprechend reich gehalten sind die von Professor Giese ausgeführte Fronttribünen mit ihren einladenden Pavillons, dem Schmuck der Mauer- und Stadtkrone, den Kuppeln, den blumengefüllten goldenen Vasen, den Zeltdächern, den zahllosen Flaggenmasten und Guirlanden.
Dresden-Neustadt hat auch einen Markt mit dem goldenen Reiterstandbild Augusts des Starken, auch seinem Andenken hat Dresden einen Blumenschmuck ohnegleichen gewidmet. Die Neustädter-Hauptstraße, ein weltbekannter richtiger Boulevard von der Elbe bis zum Alberttheater, gehört zur via triumphalis. Architekt Schubert hat sie durch eine riesige Ehrenpforte mit künstlerisch ausgeführten Velarien, durch Pyramiden und sonstigen farbenprächtigen Straßenschmuck charakteristisch ausgestattet. Einen geradezu pompösen Abschluß findet diese Feststraße in dem halbkreisförmig mit Tribünen versehenen Albertplatz mit der Siegessäule und der von Bildhauer Schulze modellirten Viktoria. Die bekannten Wasserbassins, die nächstens durch Gruppen von Bildhauer Dietz werden verherrlicht werden, bilden geschmackvolle Seitenprospekte.
Der prächtigste aller Triumphbogen aber ist der erste, welchen der Festzug passiren mußte, an der Kreuzung der Prager- und Sidonienstraße.
Hier ragen einzig schöne gelblich abgetönte Marmorsäulen in die Luft und die Velarien (von dem Hoftheatermaler Riek) sind von überraschender Schönheit. Das Ganze bezaubert durch Stilgröße und edle Harmonie, kein Wunder, denn der Entwurf rührt von Baurath Lipsius her, der eben erst von Griechenland zurückgekommen ist und attische Anregung frisch verwerthet zu haben scheint.
Selbstverständlich hat die dekorirende Kunst nicht versäumt, gleich an den Bahnhöfen die Festgäste in monumentaler Weise willkommen zu heißen, selbstverständlich wimmeln alle Plätze und öffentlichen Gebände von statuarischem und bildlichem Schmuck aller Art, ganz Dresden ist einfach ein Festplatz, man sieht vor Triumphbogen, Ehrenpforten, Obelisken, Rostralsäulen, Flaggmasten, Velarien, Baldachinen und zeltbespannten Balkonen, Guirlanden und Blumenranken die eigentliche Stadt nicht mehr.
Dafür aber sieht man Eines überall, das köstlicher ist als all die farbige Herrlichkeit, und das ist die Liebe eines ganzen Volkes, die Treue eines unverwüstlichen echten deutschen Stammes, der sonst kein Aufsehen mit seinen herzlichen Gefühlen fürs große und fürs engere Vaterland zu machen gewohnt ist, heute aber einmal aus sich herausgetreten ist und nun aber auch mit den heißblütigsten Söhnen des Südens in lauten Zeichen der Verehrung wetteifert.
Der fromme Sinn der Wettiner war stets beflissen, Gott vor allem die Ehre zu geben. Daher die eigentliche Wettin-Feier erst mit dem für alle Kirchen des Landes angeordneten Festgottesdienst am Sonntag den 16. Juni ihren Anfang nahm. Die glänzendste kirchliche Feier vollzog sich natürlich in der katholischen Hofkirche zu Dresden, wo der Hochaltar im berühmten Silberschmuck erstrahlte und Bischof Bernert das Hochamt celebrirte. Dazu erklangen das Hassesche Requiem und die achte Messe von Reissiger, durch die königliche Kapelle und den Hofkirchenchor ausgeführt.
Kein Gotteshaus der Welt hat über ähnliche musikalische Kunstunterstützung zu verfügen; Dresdens Hofkirche steht seit anderthalb Jahrhunderten ganz einzig in ihrer Art da. Es war somit ein eigengearteter Ruhmesglanz des albertinischen Hauses, der über dieser Kirchenfeier lag
Schon mehrere Tage zuvor war der außerordentliche Landtag eröffnet worden. Die getreuen Stände nahten nicht mit leeren [455] Händen dem angestammten Thron, sie verwilligten als Geschenk des Landes die Summe von drei Millionen Mark. Sie wollten damit nach den Worten des Präsidenten der ersten Kammer „dem Jubelruf des Volkes etwas Dauerhaftes hinzufügen.“ Das Residenzschloß zu Dresden sei die ehrwürdige Heimstätte geworden, von wo aus die Regenten des Landes den Segen über dasselbe verbreitet haben. „Die Stände bitten Se. Majestät, als Zeichen ehrfurchtsvoller Dankbarkeit eine Ehrengabe zu Füßen legen zu dürfen, die Se. Majestät nach freiem Belieben zu möglichst wohnlicher Ausgestaltung Höchstihrer Heimstätte, sowie nach Befinden des Jagdschlosses Moritzburg allergnädigst verwenden zu wollen geruhen möge.“
In diesen Worten liegt ein längst gehegter Wunsch der Dresdener Bevölkerung, das den Verkehr an der wichtigsten Verbindungsstelle zwischen Alt- und Neustadt hemmende Georgenthor endlich fallen zu sehen. Eine würdigere Fassade thäte der alten Sachsenburg ohnehin noth, die stimmungsvollen Höfe aber müßten selbstverständlich unversehrt bleiben.
Der König nahm das Geschenk mit freundlichen Worten an, auch die Königin dankte in ihrer bekannten herzlichen Weise, und am Abend, als die Mitglieder der Ständeversammlung zur Hoftafel versammelt waren, toastete der König mit ergreifenden Worten auf die Zusammengehörigkeit von Fürst und Volk, dankte für all die Beweise von Liebe und Treue und noch ganz besonders für das Geschenk, welches das Land ihm durch seine lieben und getreuen Stände übergeben habe.
Am gleichen Abend brachten die Studirenden der technischen, sowie der thierärztlichen Hochschule zu Dresden, der Freiberger Bergakademie und der forstwissenschaftlichen Hochschule zu Tharand den königlichen Majestäten einen solennen Fackelzug, der trotz eines heftigen Regengusses ganz glänzend verlief.
Am Vormittag hatte der Festaktus der technischen Hochschule in der festlich geschmückten Aula des Polytechnikums stattgefunden, bei welchem Professor Gaedeke die Festrede hielt, die mächtigen Eindruck machte.
Bei dem Wettiner-Kommers der vier vereinigten Hochschulen sprach wie immer zündend der beliebteste Schönredner Dresdens, Professor Fritz Schultze.
Von dem Augenblick an, da die Majestäten von ihrem Sommeraufenthalt zu Strehlen ins königliche Residenzschloß übergesiedelt waren, schien die Volksbewegung in den Straßen den Gesetzen für den Kreislauf des Blutes zu folgen; die Residenz des Königs an der Elbe war das Herz, von dem alles ausging und zu dem alles zurückströmte. Die Stauungen in der Hochfluth nahmen oft lebensgefährlichen Charakter an; es glaubte schon keiner mehr zu schieben, jeder war froh, wenn er überhaupt geschoben wurde. In den Wogen des Straßenverkehrs litt manches Kostüm, mancher Staatsfrack oder ehrbare Cylinder Havarie, und so leicht die Gedanken über Volksbildung und anderes Humanitäres bei einander wohnen, hart im Raume, der fast schon keiner mehr ist, stoßen sich die Ellbogen.
Das „Armeefest“ war ein völlig einzig in seiner Art dastehender, höchst gelungener Huldigungsakt des gesammten sächsischen Offiziercorps für seinen ruhmbedeckten König und Kriegsherrn.
Wenn man eine militärische Ruhmesthat der Sachsen aus einer Zeit blendender Kostüme und Uniformen zum Mittelpunkt der Huldigung machen wollte, so lag nichts näher, als die berühmte Entsetzung und Befreiung Wiens von den Türken Anno 1683 herauszugreifen, an welcher, wie nunmehr historisch feststeht, Kurfürft Johann Georg III., der „sächsische Mars“, mindestens ebenso viel Antheil hatte wie der darob gefeierte Polenkönig Sobiesky.
Das „Armeefest“ gruppirt sich um die sächsische Beihilfe zu der denkwürdigen That. Die zu dem „Reiterfest“, wie der volksthümliche Ausdruck lautete, eigens erbaute elektrisch erleuchtete Arena in Albertstadt draußen neben der Gardereiterkaserne ward der Schauplatz des glänzendsten und eigenartigsten Schauspiels der ganzen Wettin-Feier. Es war die ungetrübteste Verkörperung des historischen Grundgedankens, es stellte den lebendigen Zusammenhang dar, der von der Lehensgefolgschaft bis zum Volk in Waffen führt. Und wie der Geist, so der Körper: die schönsten Menschen, das erlesenste Pferde- und Kostümmaterial, das je zu einem öffentlichen Schaugepränge verwendet wurde.
Die Einzelheiten: ein mit allen Cirkuskünsten schneidigst ausgeführtes Tatarenfest, eine Dragoner-Quadrille, der Aufzug des polnischen Heeres in geradezu blendender Kostümpracht, das Kaiserliche Heer, ein Ulanenritt mit Schleifenraub, das kurfürstlich sächsische Heer, ein Schulfahren mit echten alten Geschützen, der Einzug der Panzerreiter des Regiments zu Roß „Plotho“, aus welchen die „Gardereiter“ sich entwickelt haben, Kurfürst Johann Georg III. mit Gefolge, die kurfürstliche Infanterie, die Standarte des Hauses Wettin mit der Ehrenwache, alle diese Einzelheiten sammelten sich unter passender Musik am Schluß zu einem überwältigenden Huldigungsakt für den König.
War das „Armeefest“ der Glanzpunkt der Schauspiele, so bildete die Enthüllung des König Johann-Denkmals den eigentlich offiziellen Mittelpunkt der Dresdener Festtage. Es war ein echt königlicher Akt der Pietät, da König Albert bestimmte, daß die Wettin-Feier mit der Enthüllung der Reiterstatue seines hochseligen Vaters zusammenfallen solle.
König Johann war ein Fürst, der in Wahrheit auf der Menschheit Höhen wandelte. Johannes Schillings Meisterhand hat ihn hoch zu Pferd dargestellt, den Krönungsmantel über der Generalsuniform. Als ein echter Fürst des Friedens trägt er das Scepter im rechten Arm, kein Helm bedeckt das Haupt, die Denkerstirn ragt frei empor, die Aehnlichkeit ist geradezu überraschend. Das Denkmal, dessen feierliche Enthüllung, vom schönsten Wetter begünstigt, auf dem Theaterplatz, wo das königliche Haus mit seinen fürstlichen Gästen in einem prächtigen Pavillon versammelt war, programmgemäß verlief, reiht sich den schönsten Monumenten Deutschlands an.
Der Enthüllungsfeier war am Vormittag des 18. Juni eine große Parade über Truppen aller Waffengattungen auf dem Alaunplatz vorangegangen. Zu derselben war Kaiser Wilhelm II., am Leipziger Bahnhof von König Albert empfangen, von Berlin herübergekommen. Von dem denkbar glänzendsten Gefolge von Fürsten und hohen militärischen Würdenträgern umgeben, wurden beide Regenten auf dem Weg dahin und zurück von undurchdringlichen Volksmassen mit unbeschreiblichem Jubel begrüßt.
Der letzte offizielle Festtag, der 19. Juni, brachte die beiden volkstümlichsten Huldigungsfeste: den vom ganzen Land dargebrachten Festzug und das von der Stadt gegebene Abendfest auf der Brühlschen Terrasse mit italienischem Feuerwerk. Der Festzug hat eine seiner Zeit vielbesprochene Entstehungsgeschichte. Gleich mit der ersten Anregung zur Jubelfeier tauchte auch der Festzugsplan auf. Neben dem großen Landesausschuß und den einzelnen Festausschüssen ward auch ein Festzugsausschuß eingesetzt. In Verbindung mit letzterem plante die Dresdener Kunstgenossenschaft einen historischen Festzug. Man erkannte aber bald, daß diese Form zu wenig Raum bieten würde für die Darstellung der Gegenwart und daß ein Huldigungsakt aller Faktoren derselben, wie er vom ganzen Lande gewünscht wurde, auf diese Weise nicht zustande kommen würde. Den Künstlern wurde für ihre bisherige Mühewaltung der Dank ausgesprochen und ein neuer Festausschuß, welcher einen allgemeinen Huldigungszug auf breitester Grundlage ins Leben rufen sollte, gebildet. Die Sache machte manchen anfangs etwas stutzig, bald aber zeigte der Erfolg, daß man just das Richtige getroffen hatte. Kein Stand, keine Bevölkerungsschicht, kein Zweig der Industrie blieb zurück, und so kam der Jubiläumsfestzug zustande, welcher allen Zuschauern unvergeßlich bleiben wird. Er bot eine wunderbar glückliche Mischung von Geschichte und Vergangenheit. Voraus die Ritter der Erblande mit dem Reichsbanner, dann der sogenannte Turnierzug, die Lehnsmannschaft des Markgrafen Friedrich des Ernsthaften; alle Theilnehmer stammten von Geschlechtern ab, die um die Mitte des 14. Jahrhunderts turnierfähig waren. Sie ritten in prachtvollen Kostümen auf prächtigen Pferden in zwei Zügen, die meißnische und die thüringische Mannschaft, die Trompeterchöre bliesen die von Karl Grammann komponirten Fanfaren.
Dann kam die Ritterschaft der Oberlausitz in prächtigen, von Professor Scholz entworfenen Kostümen des 17. Jahrhunderts; ihnen folgten die drei Residenzstädte Meißen, Freiberg, Dresden. Eine unserer Abbildungen zeigt den von Profeffor Rentsch entworfenen Schauwagen der Stadt Dresden, die Figur der Dresda unter einem gothischen Baldachin, auf dem Vordertheil des Wagens drei schilfbekränzte weibliche Gestalten: Elbe, Weißeritz, Prießnitz. Der nächste schöne Schauwagen, vielleicht der gelungenste des ganzen Zuges, war [456] der Wagen des Kurfürsten August, der Mittelpunkt des wunderbaren von Architekt Hauschild genial entworfenen Jagdzugs des Jagdschutzvereins.
Große Aufmerksamkeit erregten auch die landwirthschaftlichen Gruppen, die Altenburger, die Wenden und Oberlausitzer mit ihrem originellen Hochzeitswagen; die Gartenbauvereine, der Bergbau und das Hüttenwesen mit ihrem Schachtwagen boten farbige Bilder und Abwechslung; nach den Kohlendistrikten kam den sächsischen Städten voran in hellem Glanz der stolze Prachtwagen der Stadt Leipzig, von Architekt Schuster und Maler Wehle entworfen und in vier lebenden Frauengestalten die Stadt Leipzig, die Wissenschaft, Rechtspflege und Musik allegorisch darstellend (vergl. die Abbildung).
Die Stadt Chemnitz zeichnete sich durch einen kühnen und phantastischen Schauwagen aus. Es folgten eine Masse anderer Städte, die Landgemeinden und Vororte Leipzigs und Dresdens; die Universität Leipzig (an 200 Studenten); die Fürstenschulen, der deutsche Turnkreis, die Feuerwehren.
Das Verkehrswesen wurde von den Oberpostdirektionen Dresden und Leipzig vertreten in einer historischen Gruppe und einem postalischen Schmuckwagen mit sechs prächtigen Blauschimmeln. Der Wagen der königl. sächs. Staatseisenbahn mit der Lokomotive „Wettin“ (von Prof. Rentsch) verdient besondere Beachtung. Auch die Wagen der Elbschiffahrt (Prof. Donadini) und der Dresdener Straßenbahngesellschaft erregten Wohlgefallen, ebenso der Schmuckwagen des Radfahrerklubs, ganz besonders aber der Ruhmeswagen „Sachsen“. Anderthalbtausend Mann der Militärvereine geleiteten ihn. Unter einem Thronhimmel, auf das sächsische Wappen sich stützend, von Rittergestalten umgeben sitzt die „Saxonia“ auf einem Wagen, der aus lauter Städtewappen gebildet scheint. Diesem ebenfalls von Prof. Rentsch komponirten Prunkwagen folgten die Gewerbe- und Handwerkervereine, die Innungen und sonstigen Körperschaften, die Industrie, von welcher hauptsächlich der Meißner Porzellan-Schauwagen, der Gutenberg-Wagen des sächsischen Buchgewerbes, ein Aufbau von 2 Stockwerken (Prof. Naumann), in deren oberem eine Buchdruckerpresse in Thätigkeit war, sowie der Schmuckwagen der Siemensschen Glasfabriken die Augen auf sich lenkten.
An sechzig solcher Schauwagen enthielt der Zug, der in musterhafter Ordnung in einem Zeitraum von 2 Stunden unter ununterbrochenen Jubelrufen an der königlichen Tribüne am Neumarkt vorbeizog. Der Gesammteindruck spottet einfach der Beschreibung in Wort und Bild. Solche Feste muß man erleben!
Nach dem Festzug schien eine Steigerung der Eindrücke auf dem Boden gemeiner Wirklichkeit nicht mehr möglich, man mußte zu dem geheimnißvollen Zauber einer Sommernacht mit der Phantastik eines märchenhaften Farbenspieles in den Lüften greifen. Der Magistrat der Stadt Dresden, der diesen letzten Trumpf auszuspielen unternommen hatte, that einen guten Griff, römische Feuerwerker kommen zu lassen.
Was die Italiener in pyrotechnischer Kunstfertigkeit leisten, ist weltbekannt. Es wäre unmöglich, beschreiben zu wollen, was sie alles für Kunststücke zur Feier des Hauses Wettin am dunklen Nachthimmel gegenüber dem Belvedere, von wo aus der Hof zusah, in Makartschem Brillantfeuer aufführten. Es war eine strahlende Ruhmeshalle mit den Porträts sächsischer Regenten, eine ans Firmament geschriebene Apotheose des Regentenhauses.
Das Andenken aber an die Wettin-Feier, die Liebe und Treue zu dem Haus Wettin ist ins Herz des Volkes geschrieben, da leuchtet sie und keine Erdenmacht wird sie je verlöschen. Ein unberechenbarer Gewinn liegt in der geschichtlichen Vertiefung des Volksbewußtseins während dieser Festtage, das ganze Thun und Treiben auch außerhalb des Festprogramms wurde geadelt durch den ethischen Gehalt dieser Tage; in hundert und aber hundert Vereinen und geselligen Vergnügungen ward die Feststimmung Herr, am offenbarsten im Hoftheater, wo man Koppel-Ellfelds vaterländisches Schauspiel „Albrecht der Beherzte“ mit rauschendem Erfolge zur Aufführung brachte; in Konzerten und Vorlesungen, aber auch in den vielen Gelegenheitsschriften ward eine gute Saat patriotischer Gefühle ausgestreut, nicht am wenigsten in der vom Preßausschuß herausgegebenen „Festschrift“, in welcher man die Namen aller derer findet, die sich in zeitraubender Ausschußarbeit monatelang um das Zustandekommen des unvergleichlichen Festes die größten Verdienste erworben haben.
Ein Prachtwerk mit den seltensten Kunstblättern wird demnächst erscheinen, „Die goldene Chronik des Hauses Wettin“, von der Literarischen Gesellschaft in Leipzig herausgegeben; es dürfte ganz besonders geeignet sein, die Erinnerung an diese goldenen Dresdener Festtage am häuslichen Herd für alle Zeit wach zu halten.