Dom Pedro der Zweite und die brasilianischen Protestanten
[480] Dom Pedro der Zweite und die brasilianischen Protestanten. In Bezug auf das Verhalten des brasilianischen Monarchen zu dem gescheiterten Versuch, den deutsch-protestantischen Brasilianern das passive Wahlrecht neben dem activen zu verschaffen erhielten wir aus dem kaiserlich brasilianischen Generalconsulat zu Hamburg die nachfolgende Zuschrift:
„Ein unter der Ueberschrift 'Von unseren Landsleuten in Rio Grande do Sul' in Nr. 4 des laufenden Jahrgangs der 'Gartenlaube' erschienener Artikel hebt die Zurücksetzung und Benachtheiligung der deutschen Protestanten Brasiliens durch das im Reiche geltende Wahlgesetz hervor. Zugleich aber bemerkt der Verfasser über den im Ministerrath und in den Kammern gescheiterten Antrag auf Beseitigung jenes Wahlsystems: 'Ein Wort des Kaisers hätte genügt, die Frage zu Gunsten der Protestanten zu erledigen.' Diese Auffassung ist nicht zutreffend. Durch zuverlässige Erkundigungen fühlt sich vielmehr der Unterzeichnete zu der Entgegnung ermächtigt: Nein, ein Wort des Kaisers hätte nicht genügt, die Frage der Wählbarkeit der Nichtkatholiken zur Entscheidung zu bringen, und eben nur weil der Kaiser hierüber keiner Täuschung sich hingeben konnte, wurde das betreffende Wort von ihm nicht gesprochen. Nicht minder als Herr Silveira Martins erkannte Dom Pedro der Zweite die Gerechtigkeit der Forderung des gleichen Wahlrechts der Protestanten an. Erklärte er gleichwohl, in Uebereinstimmung mit der Majorität des Ministeriums Sinimbú, der aus den Herren Silveira Martins und Baron von Villa-Bella bestehenden Minorität gegenüber sich gegen Aufnahme einer bezüglichen Bestimmung in die Wahlreform-Vorlage, so war, was ihn dazu veranlaßte, die Rücksicht auf die Schwierigkeiten, denen eine derartige Bestimmung bei der Mehrheit des Senats zu begegnen und an welchen dann das ganze Gesetz zu scheitern drohte.
Vor Allem gelte es, das war die klar ausgesprochene Tendenz des kaiserlichen Votums, die Wahlreform in ihren Hauptpunkten unter Dach zu bringen, und sei deshalb vorerst alles von ihr abzuscheiden, was ihren Erfolg, sei es in dem einen, sei es in dem andern Hause des Parlaments, in Frage stellen könne. Seien deren Hauptpunkte erst einmal in's Leben getreten, so werde in den auf Grund derselben gewählten Kammern nur um so leichter und sicherer auch den Nichtkatholiken ihr augenblicklich noch nicht durchzusetzendes Recht verschafft werden können. – Gewiß ist, daß irgend welche Mißgunst oder auch nur Gleichgültigkeit gegen das Recht der nichtkatholischen Bürger des Reiches an der fraglichen Entschließung des Kaisers keinen Theil hatte, und somit auch zu dem 'bitteren Grolle gegen die Krone', von welchem der Artikel spricht, ein Grund nicht gegeben war.
Daß im Gegentheil es des Kaisers Ernst ist und war, auch den Nichtkatholiken Brasiliens politische Gleichberechtigung zu gewähren, dafür spricht die Thatsache, daß der Ex-Ministerpräsident Sinimbú in dem veröffentlichten Schreiben an seinen Amtsnachfolger Saraira (wegen Bildung eines neuen Ministeriums) Letzteren im Namen des Kaisers ausdrücklich auffordert, durch das Wahlreform-Gesetz die Wählbarkeit der Nichtkatholiken festzustellen, welcher Umstand in der That nunmehr bestätigt wird durch den vom jetzigen Ministerium am 25. Mai dieses Jahres der Deputirten-Kammer zur Berathung vorgelegten Wahlreform-Gesetzentwurf, dessen Artikel lautet:
'Wähler ist jeder brasilianische Staatsbürger, eingeboren oder naturalisirt, katholisch oder nichtkatholisch, frei geboren oder frei gelassen; erstens wenn er über einundzwanzig Jahre alt etc.
Es bestimmt nämlich Artikel 8 des neuen Regierungsentwurfes, daß 'wählbar zum Amte eines Senators, eines General-Deputirten, eines Mitgliedes der gesetzgebenden Provinzial-Versammlung, eines Municipalrathes, eines Friedensrichters, oder zu einem jeden anderen gesetzlich geschaffenen Amte jeder in Artikel 2 einbegriffene Staatsbürger sei, unter einigen Beschränkungen in Bezug auf Alter, Stellung etc., aber durchaus nicht in Bezug auf das Glaubensbekenntniß.'
Hamburg, im Juni 1880. Baron von Paraguassú.“
Zu erinnern ist hier, daß der betreffende, das Verhalten Dom Pedro's rügende Artikel bereits in der letzten Januar-Nummer der „Gartenlaube“ erschienen ist, also vier Monate vor Erlaß des genannten neuen Gesetzvorschlages. Die Folge muß es ja nun zeigen, ob die in dem obigen Berichtigungsschreiben von officiöser Seite her so ausdrücklich erklärte und versicherte Theilnahme des Kaisers für die Forderungen der Toleranz und des gleichen Rechts sich fortan auch thatsächlich und in entschlossenem Widerstande gegen die Ansprüche des Fanatismus erweisen wird. Wir werden diese wichtige Angelegenheit jedenfalls im Auge behalten.