Ditta’s Zopf
Ditta’s Zopf.
Ditta Ceprano saß vor der Thür ihres grauen dickwandigen Steinhäuschens im Dorfe Palenella am Fuße der waldig finsteren Abruzzen und schälte und spaltete Weidenruthen zur Ausbesserung eines sehr schadhaften großen Korbes, der neben ihr stand.
Es war ein warmer Aprilnachmittag, und heiße Sonne lag auf den Wäldern und dem Marmorfelsen, an welchen die kleine Häuserreihe des Dorfes sich lehnte und in dessen Ritzen Aloes ihre blaugrünen spitzen Blätter entfalteten und wilde Rosen oft einen wahrhaften kleinen Regen von rosa Blüthen und Blumen herabsendeten bis zu den flachen Dächern der dürftigen Wohnstätten, auf welchen Maiskörner und Getreide ausgebreitet lagen.
Die steinige Dorfstraße war leer und still, nur einige Hühner spazierten im Sonnenschein, und in den staubigen Löchern des Weges lagen hier und da kleine schwarze Schweine, alle Viere von sich gestreckt, und schliefen. Ganz Palenella war nach dem Städtchen Palene gegangen, um an einer Procession sich zu betheiligen – nur Ditta Ceprano war zu Hause geblieben.
Das wunderte keinen Menschen, denn dies Mädchen galt für „toll“. Ditta hatte die Hand der reichsten und „vornehmsten“ jungen Männer des ganzen Bezirkes ausgeschlagen, sie besaß Vermögen und arbeitete wie die Armen, sie tanzte nicht Tarantella, sie war nicht lustig, sie wollte keinen Geliebten haben, sie schlug ihren Maulesel nicht, auch wenn er störrig war – jede einzelne dieser Ungeheuerlichkeiten genügte, um in dem einsamen, verödeten, weltabgelegenen, in der Cultur um fünf Jahrhunderte zurückgebliebenen Dorfe den Ruf der Verrücktheit einzutragen. Zu alledem war dies Mädchen noch schön und zwar von einem Aeußeren, das von all dem, was man in der ganzen Provinz bis Neapel zu sehen gewohnt war, das gerade Gegentheil bildete.
Die Frauen hier waren klein, behende, zierlich, mit niedlichen, tiefbraunen Gesichtern, kleinen, scharfen Nasen, aufgeworfenen Lippen, niedrigen, von wildem Kraushaar bis an die Augen umwirrten Stirnen. Stets lustigen Wesens schwatzten und lachten sie den ganzen Tag, und ihr Charakter setzte sich zusammen aus [9] einer seltsamen Mischung von Leichtsinn und Berechnung, von Leidenschaft, Schlauheit und Beschränktheit – Ditta dagegen hatte eine große volle Gestalt, ein längliches Gesicht, glatte schwarze Haare und ganz sonderbar ruhige, tiefbraune Augen, die nachdenklich auf allen Dingen hafteten, und einen wohlgeformten vollen, jedoch fest geschlossenen Mund; ihre Bewegungen waren langsam, ihr Gang edel und gemessen, sie war das ungeselligste Mädchen im Dorfe und sprach nie mehr, als sie nothwendig sprechen mußte.
Natürlich hatte dieser Gegensatz zuerst, als das Mädchen sich entwickelte, allen Burschen zehn Stunden im Umkreis die Köpfe verdreht, und Ditta bekam Anträge, so viel es Sonntage im Jahre gab. Denn die jungen Männer wurden nicht allein durch des Mädchens Schönheit angezogen – Jedermann wußte auch, daß Ditta zehntausend Lire auf der Banca Nazionale in Rom besaß – außer dem ziemlich großen Anwesen hier, das schuldenfrei ihr gehörte – ein für die Verhältnisse in jener Gegend gewaltiger Reichthum! Aber Ditta ließ die jungen Leute ruhig aussprechen, dann sah sie die Freier mit ihren mächtigen, stillen, durchdringenden Augen eine Secunde lang fest an und erklärte, daß sie überhaupt nicht heirathen wolle. So ging das von Ditta’s fünfzehntem bis zum zwanzigsten Jahre – alle Sonn- und Feiertage einen Antrag und alle Sonn- und Feiertage einen Korb, bis Ditta gar keine Antworten mehr gab, sondern nur noch eine verächtliche Handbewegung für die Bewerbungen hatte.
Das verdroß nun endlich auch die „Buben“ – sie erklärten Ditta für toll, und seit einem Jahre hatte sie Ruhe. Nur einer, der Sohn eines reichen Gutspächters weiter oben in den Bergen, ließ sich durchaus nicht abschrecken und verfolgte das Mädchen mit wilder Beharrlichkeit. Bei allen Festen und Processionen, in der Messe und auf dem Markte in Palene lauerte er ihr auf und schmeichelte, bat, drohte, bis Ditta zu keiner Feierlichkeit mehr ging und selbst die Kirche nur Abends spät verstohlen besuchte. In der Befürchtung, den aufdringlichen und ihr wegen seiner ungebändigten, wilden, rohen Natur besonders verhaßten Bewerber auch heute in Palene zu treffen, hatte sie vorgezogen, zu Hause zu bleiben und ihre Mutter für sich beten zu lassen.
Jetzt ertönte Stimmengewirr aus der Tiefe, Lachen, Schwatzen klang den Felsweg herauf, der zu der Ansiedlung führte, und ein ganzer Schwärm lustiger Menschen, untermischt mit Kindern, Ziegen, Hühnern und den hier nie fehlenden kleinen Schweinen, betrat die Dorfgasse, um sich zwischen den hier und dort an den Felsen geklebten Häusern zu verlieren.
Ditta hatte sich bei der Annäherung der Leute in das Haus begeben und daran gemacht, die Polenta für die Mutter zu wärmen. Sie stand in der großen steinernen, schwarz geräucherten Wohnstube, die zugleich Küche war, und die flackernden Spähne beleuchteten ihr ernstes, großes Madonnengesicht.
Die Mutter war eingetreten. Die grauhaarige, verwitterte alte Frau mit den kleinen, scharfen Glühaugen warf einen fast wilden Zornblick auf das Mädchen.
„O die Schande!“ rief sie aus, das rothseidene Brusttuch ablegend und einen strohgeflochtenen Stuhl heftig mit dem Fuße fortschleudernd. „Ich allein werde eine unverheirathete Tochter im Hause haben – Alles zeigt mit Fingern auf mich. Ich bin die Mutter der ‚Verrückten‘,“ fuhr Frau Ceprano fort. „Ich darf mich schon nirgends mehr sehen lassen.“
„Bah!“ machte Ditta, ohne vom Feuer aufzusehen. „Vor wem Dich nicht mehr sehen lassen –?“
„Vor unsern Nachbarn, vor der ganzen Gemeinde, vor allen Leuten weit und breit,“ gab die Alte heftig zurück.
„Kümmere Dich nicht um das Gerede der Leute, Mutter, und zwinge mich nicht zu einer Heirath! Ich kann keinen von den Burschen hier nehmen!“ sagte Ditta ruhig.
„Schließlich wird man Dich zwingen,“ warf die Mutter dagegen ein. „Es wird Dir Einer das Haar abschneiden, und Du mußt ihn dann heirathen,“ fügte sie jammernd hinzu.
„Schande über diese Männer hier!“ erwiderte Ditta, und ihre Augen flammten. „Schande über Männer, die ein Weib zwingen durch solche Mittel – ihr auflauern, ihr die Haare abschneiden, sie im Dorfe zeigen und dadurch die Arme so weit bringen, daß sie Den, der ihr das Haar geraubt, heirathen muß, um der Schmach zu entgehen, in der sie nun für immer steht, weil sie jetzt nie einen anderen Mann bekommen wird! – Pfui über diese Männer, die ihr Weib so erringen!“
„Und sind doch manche Widerspänstige so schon kirre gemacht und ganz glückliche Frauen geworden! Denke an die Emilia Mantori und die Teresina,“ versetzte die Mutter; „zwei Jahre haben sie sich gesträubt und schließlich war der Zopf weg, sie kamen mit kurzem Haar von den Feldern, die Buben auf der Gasse liefen ihnen nach, und drei Wochen später war lustige Hochzeit, und sie sind’s nun zufrieden.“
„Mir geschähe das nicht, Mutter,“ entgegnete jetzt Ditta, „mir nie!“ Und ihre braune Hand mit den wohlgeformten länglichen Fingern krümmte sich eigenthümlich zusammen, und ihr an und für sich schon ungewöhnlich fest geschlossener Mund wurde blutlos. „Das ist Banditenart, und da darf man sich auch wehren wie gegen Banditen. Der mag sich hüten, Mutter, der mir die Hand auf mein Haar legt! Das wissen unsere Räuber hier wohl, und sie halten sich hübsch fern von mir.“
„Unsere Burschen sind keine Räuber,“ erwiderte darauf Frau Ceprano. „Sie sind wild; aber es giebt auch gute darunter.“
„Ich kenne keinen,“ entgegnete Ditta, „und will Keines Weib hier werden. Wenn ich je heirathe, so ist das sicher kein Mann, der mich seinem Maulesel gleichstellt, mir Arbeit aufbürdet und mich schlägt wie einen solchen, und Männer, die anders sind, giebt es hier in den Abruzzen nicht. Das weißt Du, Mutter, weshalb kommst Du mir immer mit Deinen Vorwürfen und Klagen? Du bringst es durch Dein Schelten und Drängen noch so weit, daß ich nach Rom gehe und ein kleines Geschäft anfange –“
„Und Deine Mutter läßt Du hier in Armuth und Elend!“
„Ihr seid nicht arm, Mutter, denn so lange Ihr lebt, könnt Ihr hier auf dem Gütchen wohnen, das Euch bei geringer Arbeit reichlich nährt. Und dann – ich will ja gerne bei Euch bleiben, wenn Ihr mich nicht zu einer verhaßten Heirath zwingen wollt!“
„Nun gut! Ich will Dich nicht zwingen,“ lenkte die Alte ein, „bleib wie Du bist, Du mußt es ja haben!“
Die Sonne neigte sich zum Untergang und goß rotgoldene Gluth durch die offene Thür in das Zimmer; draußen lagen die Berge alle in violetten Duft getaucht und mischten Rosen, Geranium und Lavendel fast berauschend ihre Wohlgerüche in die stille, warme, goldigklare Abendluft.
Die Beiden hatten stumm ihr Abendbrod verzehrt und Ditta war eben aufgestanden, um das Geschirr fortzuräumen, als ein Schatten zwischen die Sonnengluth draußen und den Hauseingang trat. Das Mädchen blickte auf. Ein keckes „Guten Abend, Signorina!“ tönte ihr entgegen.
[10] In dem Thüreingang stand ein schöngewachsener junger Mann in blauer Sammetjacke und spitzem Hut, um den Leib einen großen rothen Wollshawl. Er hatte den Abendgruß gesprochen und schaute Ditta mit den scharfen, pechschwarzen Augen leidenschaftlich an.
„Wollt Ihr zu der Mutter?“ frug Ditta wenig einladend den Ankömmling.
Der junge Mann nahm den Hut ab. „Nein, zu Euch will ich, Signorina,“ erwiderte er geschmeidig, höflich.
„Wenn Ihr kommt, Pieteranton, mir dasselbe wie früher zu sagen, so könnt Ihr Euch die Mühe sparen,“ klang es klar und bestimmt von Ditta’s Lippen.
„Ihr verweigert mir also den Eintritt in Euer Haus, Ditta Ceprano?“ frug jetzt der junge Mann, und sein schmallippiger Mund zog sich zusammen und seine stechenden Augen bekamen etwas von dem Ausdruck eines gereizten Tigers.
„Das Haus steht ja offen, tretet nur ein.“ erwiderte Ditta ruhig, „da seht Ihr meine Mutter,“ und nach diesen Worten schritt das Mädchen zur Hinterthür des Gemaches hinaus in den kleinen mit Aloegebüsch umfriedeten Garten.
Pieteranton trat in das Zimmer, warf den Hut auf den Tisch und setzte sich auf einen Sessel der Frau Ceprano gegenüber.
„Ihr scheint nicht besonders weit mit ihr gekommen zu sein, Mutter Ceprano,“ nahm er zu der Alten gewendet das Wort.
„Ihr seht, wie weit,“ gab die Alte mit unterdrückter Stimme zurück.
„Dann wird sie wohl bald nach Rom gehen und Ihr müßt arbeiten wie die Anderen, Mutter Ceprano,“ warf der Bursche scheinbar ganz harmlos hin, „denn ihr gehört ja hier Alles. Es ist Vatergut und so geschrieben worden.“
„Sie wird mir das Gütchen lassen,“ sagte die Alte kleinlaut.
„Aber nicht alle Arbeit mehr für Euch thun, Mutter Ceprano, denn sie schafft für Zwei, und den Zins wird sie in Rom allein brauchen,“ fuhr der junge Mann mit einem kurzen, scharfen Seitenblick auf die Alte fort. „Euer bequemes Leben hat dann ein Ende, Mutter. – Oder will sie Euch etwa mit nach Rom nehmen?“ erkundigte sich Pieteranton theilnehmenden Tones.
„Ich weiß es nicht,“ fuhr die Alte zornig heraus. „Sie hat nur heute wieder gesagt, daß sie von hier fort geht. Ich glaube, sie thut es bald.“
„So,“ sagte der junge Mann und seine Lippen zuckten von verhaltener Leidenschaft, „dann schafft Euch nur zwei tüchtige Arbeiterinnen für das Feld an, Mutter Ceprano,“ setzte er spöttisch hinzu.
„Das trägt der Acker nicht. Er ernährt so viel nicht, das wißt Ihr wohl,“ versetzte darauf zornig die Mutter.
„So haltet das Mädchen hier!“ warf Pieteranton leicht hin und streckte seine beiden mit gelben Gamaschen bekleideten Beine scheinbar sehr behaglich weit aus.
„Haltet! ja haltet!“ stöhnte die Alte. „Könnt Ihr sie etwa halten, Pietro?“
„Ja, ich kann’s, wenn Ihr mir helft,“ sprach der junge Mann, sich aufrecht setzend, leise. Dann erhob er sich, ging zur Hinterthür, spähte in den Garten hinaus, und als er wahrnahm, daß Ditta, wie er vermuthete, diesen auch verlassen hatte, um nicht mehr mit ihm zusammenzutreten, zog er die Thür zu, setzte sich näher zu der Alten und sprach leise: „Ich kann sie zwingen, hier zu bleiben, Mutter. Sie wäre die Erste nicht, die hat denjenigen heirathen müssen, der sie wollte. Ihr wißt ja, auf welche Weise. Es wäre freilich schade um die schönen Haare!“
„Und wenn sie Euch niedersticht, Pietro? Ihr kennt sie nicht!“ warf die Alte, den unruhigen Blick zur Erde gesenkt, ein.
„Dafür sollt Ihr eben sorgen, Mutter Ceprano, daß sie das nicht kann. Nehmt ihr das Messer weg, wenn sie schläft, verbergt mich im Garten und laßt mich ein, wenn alles sicher ist. Ehe sie erwacht, ist ihr Haar mein – und alles ist in Ordnung.“
„Sie wird mich aus dem Hause jagen, wenn sie erfährt, wie es zugegangen; sie wird mich von sich stoßen wie ein giftiges Thier, und es wird für mich alles noch schlimmer werden,“ entgegnete ihm die Alte sorgenvoll.
„Bin ich denn nicht da?“ erwiderte Pieteranton, „und geschieht nicht alles zu ihrem Glück? Bin ich nicht der reichste junge Mann in der Landschaft? Ist Eine im ganzen Bezirk, die meine Hand ausschlüge? Sagt, könnte ein Mädchen eine bessere Heirath machen? Es ist ja nur eine Laune, ein Eigensinn von Eurer Tochter, der sie noch zur alten Jungfer und Euch zu einer gewöhnlichen Arbeiterin macht! So steht’s, Mutter Ceprano.“
„Da habt Ihr Recht,“ stimmte die Alte zu. „Es wäre ein Glück, wenn sie Euch nähme, für sie selbst, für Euch, für mich – aber Ihr kennt sie nicht, Pieteranton. Es giebt ein Unglück, sag ich Euch!“
„Bah! Redensarten – ein Frauenzimmer – das wäre neu!“ lachte verächtlich Pieteranton. „Ich werde sie schon zähmen. Die Stolzesten und Wildesten sind später die Zahmsten und Sanftesten. Wenn ich ihren Zopf durch die Gassen trage, und ich würde das thun, falls sie sich noch weiter sperrte, so würde sie mir folgen wie ein Lamm dem Schäfer – das würdet Ihr sehen, Mutter. Es hat noch kein Mädchen hier gegeben, das diese Schmach ertragen und den nicht gern genommen hätte, der einzig und allein ihr die Ehre wiedergeben konnte.“
„Sie ist anders, als alle übrigen hier,“ wandte besorgt die Alte ein. „Ihr seid zwar stark und klug und angesehen und der Mächtigste weit und breit, – aber was hilft dies Alles, wenn sie Euch haßt, Euch etwas anthut und mich von sich jagt?“
„Sie haßt mich nicht, es ist ja nur kindischer Stolz von ihr – ich kenne das – darüber mache ich mir keine Sorge,“ versetzte Pietro. „Ihr wißt, ich habe Euch eine Jahresrente verschrieben, wenn sie mein Weib wird, ich werde Euch dafür stehen, daß Ihr hier auf dem Gute bleibt und eine Magd halten könnt. Also macht’s kurz, Mutter: wollt Ihr oder wollt Ihr nicht?“
„Ich kann’s nicht – ich wag’s nicht.“
„So werdet arm wie die Aermsten hier! Arbeit ist ja gesund, wer lange arbeitet, der lebt lange. Addio, Mutter Ceprano!“ höhnte der junge Mann, erhob sich und wandte sich zur Thür.
„Bleibt!“ rief die Alte mit heiserer Stimme. „Ich will es thun.“
„Wann?“ frug der junge Mann, in der Thür stehen bleibend.
„Ich werde Euch einen Boten schicken, wenn ich glaube, daß es geschehen kann. Der soll nur bestellen, ich möchte Euch sprechen, und dann kommt Nachts elf Uhr.“
„Ich verlaß mich darauf,“ sprach der junge Mann. „Seid klug, verschwatzt nichts und haltet Wort!“
„Ich werde Wort halten,“ sagte Mutter Ceprano mit finsterer Miene und geleitete Pieteranton vor das Haus. Dann kehrte sie in die inzwischen ganz finster gewordene Küche zurück.
„Sie kann keine bessere Heirath machen,“ murmelte sie, „er ist reich, sehr reich, angesehen, schön und gehört nicht zu den Schlimmsten. Sie wird sich darein finden. Er hat Recht, es ist nur eine Laune.“
Und die Alte ergriff ihren Rosenkranz, ging, immer vor sich hinmurmelnd, auf die Straße, verschloß das Haus und schlug den Weg zur Kirche ein, um die Abendmesse nicht zu versäumen.
Am nächsten Morgen in aller Frühe, bevor die Mutter noch aufgestanden, war Ditta schon auf dem Hofe beschäftigt; nun zog sie den Maulesel aus dem Stalle, belud ihn mit zwei großen flachen, muldenartigen Körben voll Zwiebeln, schwang sich auf das Thier und trabte nach Palene hinüber.
Das rothseidene Tuch fest um den Kopf geschlungen, das gelbe Brusttuch mit den Zipfeln auf dem Rücken befestigt, im grünen Wollenrock, unterschied sie sich, ihre Größe ausgenommen, in nichts von den übrigen Frauen des Dorfes, nur trug sie einen ledernen Gürtel um den Leib mit einer Metallscheide, in welcher ein großes Gartenmesser steckte. Ihre Hand ruhte fast immer auf dem großen Beingriff des Messers, was ihr etwas Wildes, Amazonenhaftes gab, dem das edle, ruhige Madonnengesicht mit den glatt gescheitelten Haaren seltsam widersprach. Der Esel trabte durch die frische Morgenluft, und Ditta schaute in das flimmernde Sonnengold des Morgens, das auf den Felsen hier oben und auf den Feldern unten lieblich spielte.
„Sollte man es glauben, daß die Menschen so böse wären,“ sprach sie halblaut vor sich hin, „wenn man sieht, wie schön und friedlich und glücklich und still alles hier ist? Das merken sie aber nicht, denn sie sind noch Thiere, sie leben wie reißende Thiere dahin. In den Städten ist es anders, es ist schon in Palene besser; wie viel anders muß es nicht erst in Rom, in Florenz, in Neapel sein! Dort, das habe ich gelesen, giebt es gute, sanfte Menschen, die verzeihen und vergeben, die nicht lieben wie die Wölfe und hassen wie die Tiger. Ich kenne auch Einen, der so ist, aber er ist ein Fremder, und sie schlügen ihn todt, [11] wenn ich ihn heirathete! Könnten wir aber nicht nach Rom fliehen?“ sann das Mädchen weiter und ließ den Kopf nachdenklich sinken. „Nein, sie würden ihn auch in Rom finden, und eines Tages wäre er todt, und ich hätte ihm den Tod gebracht!“
Der Maulesel, welcher merkte, daß seine Leiterin nicht Acht auf ihn gab, stand still und bog den Kopf herab, um einige Gräser zu rupfen. Das erweckte die Träumerin aus ihren Gedanken, sie ergriff die Zügel, und mit einem lauten „Aia“ setzte sie das Reitthier in schnellere Gangart, sodaß sie nach wenigen Minuten das Ziel ihrer Reise, Palene, vor sich hatte.
Das Oertchen besteht aus drei engen Gassen, einem kleinen Marktplatze, einem wappengeschmückten Municipalgebäude und einer ziemlich großen, hübschen Kirche. Auf dem Marktplatze stehen ein paar bessere Gebäude, rosa und blau angemalt, mit hellgrünen Jalousien, und in einem solchen befindet sich ein Laden, der die werkwürdige Inschrift trägt: „Lugeno, Handel für Alles“ – dann auf Papptafeln sauber aufgemalt: „Barbiere, Café, Taverna“. Vor dem Laden stehen ein Tisch und vier Stühle, außen an dem Eingange Körbe mit Gemüsen und Früchten, und über der Thür ist ein halbes Dutzend Vogelbauer befestigt, in welchen Canarienvögel schmettern.
Der Inhaber dieses Geschäftes, Herr Ernano Lugeno, stand, als Ditta auf ihrem Maulesel angeritten kam, gerade vor der Thür und schaute gemächlich hinaus in das herrliche Frühlingswetter, indem er aus einer großen, kurzen Meerschaumpfeife behaglich schmauchte. War diese Art zu rauchen hier schon etwas Fremdes, so erschien noch fremdartiger an diesem Orte das Aeußere des Mannes, welches als eine vollkommene Verkörperung des Nordens gelten konnte. Er war groß und breitschultrig von Gestalt, seinen gewaltigen Kopf umgab strohgelbes Haar, und ein rosig frisches Gesicht faßte ein goldheller krauser Bart ein. Die Augen des Mannes waren licht und tiefblau und sein Mund sehr voll und weich. Das war nun Alles eigentlich sehr natürlich, denn Herr Lugeno war ein Pommer, Hermann Lütgens mit Namen, den ein Zufall als Knabe nach Neapel verschlagen und der schließlich hier „hängen“ geblieben, wie er sich ausdrückte. Seit zehn Jahren betrieb der jetzt dreißigjährige Herr Lugeno das Barbiergeschäft, den Handel mit Gemüsen und mit Singvögeln, und außerdem hielt er noch ein Café und eine Weinstube. Für die letzteren beiden Geschäfte genügten zwei Tische und acht Stühle, ein Tisch im hinteren Zimmer, wo der Besitzer auch schlief, und ein Tisch, wie wir erwähnt, im Freien nebst einem halben Dutzend Tassen und zwei Glasballons Wein. Trotz dieser vielfachen Geschäfte ging es Herrn Lugeno nicht besonders gut, er ernährte sich mit knapper Noth. An dieser dürftigen Lage trug wohl die einzige Leidenschaft dieses Mannes die Schuld: die Jagd. Sie verführte ihn dazu, daß er oft zwei bis drei Tage verschwand, sein Geschäft und seine Barbierkunden vollständig vergaß, um schließlich mit einem magern Hasen, einem kleinen Marder oder einer elenden Wachtel ganz verwildert und zerzaust heim zu kommen. Herr Lugeno würde auch längst verhungert sein, wenn er nicht in Allem, was Handarbeit hieß, so außerordentlich geschickt gewesen wäre. Er reparirte Uhren, flickte Tische und Stühle, setzte Fensterscheiben ein und malte hübsche Schilde. Er war deshalb ein unentbehrlicher Helfer in der Noth und beliebt bei Allen durch seine Heiterkeit und nicht zum Mindesten durch die Billigkeit seiner Forderungen.
Die Frauen und Mädchen des ganzen Ortes, alt und jung, schwärmten besonders für Don Ernano (es wurden hier alle Leute beim Vornamen genannt) und Il bello Biondo – der schöne Blonde – hätte schon manche gute Partie machen können, die ihn aus seiner Dürftigkeit mit einem Schlage in großen Wohlstand versetzt haben würde, wenn der große Mann nicht stets das Benehmen eines Weiberfeindes gezeigt hätte, was ihm wieder die Freundschaft aller Männer des Ortes eintrug. Auch Ditta hatte seit langem schon eine stille Neigung für den italienischen Pommer, mit dem sie seit ihrer Kindheit in Geschäftsverbindung stand, denn er bezog sein Gemüse fast ausschließlich von dem Gütchen Ceprano. Heute nun führte sie ihr Weg wieder zu ihm.
Das Mauleselchen hielt vor dem Laden und beschnoberte den Tisch, auf welchem einige Brosamen lagen. Ditta sprang gewandt herab.
„Guten Morgen, Signorina!“ rief Herr Lugeno und trat etwas langsam, aber doch galant mit freundlichem Gesicht näher, um dem Mädchen die schweren Körbe abladen zu helfen.
„Sind Sie gesund, Don Ernano?“ erkundigte sich, den Gruß erwidernd, Ditta und schaute mit ihren tiefbraunen Augen dem Blonden zärtlich in seine treuherzigen blauen. Dabei wurde Herr Lugeno roth, worüber Ditta mit feinem, lieblichen Ausdruck lächelte. „Hier sind die Zwiebeln, große, schöne; können Sie alle gebrauchen?“ frug sie.
Herr Lugeno kraute sich etwas verlegen hinter den Ohren.
„Könnt’ ich schon, Signorina, habe aber augenblicklich keine große Casse.“
„Weiß schon,“ sagte Ditta, „wahrscheinlich sind der Herr wieder auf der Jagd gewesen?“
„Das wissen Signorina?“ fragte Herr Lugeno, verwundert das schöne Mädchen ansehend.
„Ja. Ich habe nachgedacht, weshalb der Herr nicht reich werden. Er versteht doch Alles, ist so klug und geschickt, trinkt nicht und spielt nicht, er könnte der Erste in der Stadt sein und kommt doch nicht weiter! Ich habe herausgebracht, daß nur die Jagd daran schuld sein kann.“
Herr Lugeno sah noch aufmerksamer die Sprecherin an, aus ihrem Gesichte leuchtete eine freundliche Theilnahme, die ihm tief zu Herzen ging. Er kraute sich abermals hinter den Ohren und wiegte den großen Kopf. „Signorina möchten Recht haben,“ erwiderte er darauf, „aber was soll ich anfangen? Ich habe kein Vergnügen sonst auf der Welt. Es ist so öde in meinem Hause, und die Langeweile packt mich oft wie der Teufel.“
„Sie sollten eine Frau nehmen, Don Ernano, dann haben Sie eine Heimath und wissen, zu wem Sie gehören, für wen Sie schaffen,“ erwiderte Ditta. Sie hatte die Augen, indeß sie sprach, zur Erde gerichtet, und Herr Lugeno sah in ihr klassisches Gesicht, das trotz der braunen Farbe jetzt plötzlich mit tiefem Rosenlichte übergossen war.
„Ja, eine Frau nehmen,“ wiederholte der große Blonde, „das ist leicht gesagt – wer würde mich aber nehmen, den Habenichts, den Fremden? Ich habe wohl manchmal daran gedacht, jedoch unser einer bekommt schwer eine gute Frau.“
„Das kann ich mir gar nicht denken, Don Ernano,“ meinte darauf nachdenklich Ditta und schlug einen Moment die großen schwarzen Sterne zu dem Händler auf. „Ein so guter und kluger Mann wie Ihr! Ihr habt wahrscheinlich nur nicht gewollt, Euch ist Eure Freiheit lieber.“
„Das könnte wohl sein, mein Fräulein. Es kann aber auch sein, daß die Rechte noch nicht gekommen ist,“ antwortete Herr Lugeno mit einem Male ganz ernst und nachdenklich.
„Wie müßte denn diese sein?“ erkundigte sich, beharrlich zu Boden schauend, Ditta.
„Wie, ja wie?“ frug Herr Lugeno, mit der großen weichen Hand wieder hinter die Ohren fahrend. „Nun, etwa wie Ihr, Fräuleinchen!“
Ditta ward von Neuem mit verrätherischem Rosenlichte übergossen.
„Ihr macht Spaß, Don Ernano,“ sprach sie darauf, sich zu einem Lachen zwingend. „Ich bin ja nur eine Bäuerin.“
„Mein Vater war noch weniger als ein Bauer,“ erwiderte darauf Herr Lugeno. „Er kam mit den Eisenarbeiten erst nach Oesterreich und dann nach Italien. Im Stande steht Ihr sogar eigentlich über mir, seht Ihr!“ lachte Herr Lugeno. „Eine Frau wie Ihr könnte mir schon gefallen,“ fügte er mit eigentümlichem Ausdruck hinzu.
„Don Ernano, könnt Ihr die Zwiebeln brauchen?“ brach jetzt plötzlich Ditta wie erschreckt ab, den Blick nicht von der Erde erhebend.
„Natürlich kann ich’s, Signorina, wenn Sie mir das Zeug lassen können – die Zahlung Ende Monats.“
„Ich traue Ihnen,“ sagte darauf Ditta, „gute Geschäfte!“ Und dann, nachdem sie ihre Körbe fast hastig in andere geleert, schwang sie sich auf ihr Reitthier und trabte mit dem eilfertigen Gruße: „Auf Wiedersehen, Signore!“ die Straße, auf welcher sie gekommen, nach Palenella zurück.
[28] Als Ditta das Städtchen hinter sich hatte, schien sie sehr
viel Zeit übrig zu haben, denn sie ließ ihren Esel langsam
Schritt für Schritt gehen, wie er Lust hatte, und schaute so
behaglich auf den gelbblühenden Ginster, welcher die Straße einfaßte,
als ob sie die Millionen Blüthen zählen wollte. So gelangte sie
denn, als es schon Mittagszeit war, im Dorfe an. Statt mit
Vorwürfen wegen ihres langen Ausbleibens trat ihr die Mutter
jetzt mit einer Freundlichkeit entgegen, die so auffällig war, daß
Ditta dies trotz der großen Zerstreuung, in der sie sich befand,
wahrnahm und davon beunruhigt wurde. Sie kannte ihre Mutter
und deren hartnäckige Pläne, sie zu verheirathem und schöpfte
Verdacht. Gestern, das fiel ihr jetzt ein, war Pieteranton
dagewesen, lange Zeit, wie sie erfahren. Da wird etwas im Schilde
geführt, dachte sie, und als der Abend einbrach, nahm Ditta
plötzlich, ohne irgend ein Wort weiter zu äußern, wie das ihre
Art war, ihre Lagerstatt, die sich in der großen Küchenstube bei
ihrer Mutter befand, und brachte das Bett in eine kleine
Vorrathskammer, welche ein vergittertes Fenster und eine schwere
Eisenthür hatte.
Die Alte sah bei diesem Thun ganz entsetzt auf ihre Tochter. „Sollte diese gehorcht haben?“ stieg die Befürchtung in ihr auf. Das war aber unmöglich, sagte sie sich, denn Ditta war ja, das wußte sie genau, fast während der ganzen Unterredung mit Pieteranton gestern in der Kirche gewesen, wo sie dieselbe am Abend noch traf. „Es wird wieder eine Laune von ihr sein,“ suchte sich die Alte zu beruhigen, „und ich kann das Thürschloß verderben, ehe sie schlafen geht – der Pieteranton soll seinen Willen haben.“ Und zu diesem Ergebniß in ihrem Denken gelangt, suchte auch sie ihr Lager auf, nachdem die Tochter in ihre Kammer verschwunden war.
Dennoch aber ließ ihr, als sie allein war, das Benehmen Ditta’s keine Ruhe. Sie fürchtete, daß das Mädchen plötzlich durch die Flucht nach Rom ihrer Macht sich entziehen könnte – es ergriff sie eine fieberhafte Hast, die Heirath mit Pietro zum Abschluß zu bringen – „der nächste Tag ist voll schwerer Arbeit – solche giebt es im Frühjahr selten – wer weiß, wann sich eine bessere Gelegenheit bietet? – Ditta wird sehr ermüdet sein und fest schlafen“ – so arbeitete es während der schlaflosen Nacht im Gehirn der Alten weiter, und schnell entschlossen sandte sie in aller Frühe schon einen Boten an Pieteranton, und als der Abend kam, steckte sie einen Kiesel in das Thürschloß.
Die Nacht brach herein und Ditta zog sich in die Kammer zurück, sie wollte die Thür verschließen, es ging aber nicht. Das Mädchen versuchte es noch einige Male, dann hörte sie auf zu probiren, holte tief Athem und stand einen Moment bebend da. Plötzlich legte sie sich angekleidet auf das Bett und verlöschte die Lampe. Sie lag so wohl eine Stunde, dann erhob sie sich, schlich leise hinaus zum Eselstall, nahm ein großes Holzfällerbeil, das dort stand, und eilte geräuschlos in ihre Kammer zurück.
Es war eine helle Mondnacht. Das bläuliche Licht floß um die Zacken der Felsen, machte die grünen dunstbedeckten Felder in der Tiefe zu einem geheimnißvoll, leis wogenden Meere und umhüllte die Oliven mit zauberhaften Silberschleiern.
Ditta lag auf dem Bette, die Augen weit geöffnet. Sie hielt den Athem an und lauschte. Jetzt hörte sie ein Flüstern, dann leise Tritte im Hofe, am Hause. Ihre Kammer war dunkel, nur durch das vergitterte Fenster fiel ein heller Lichtstreif auf die Steinfließen des Bodens und zeichnete dort tief schwarz die Gitterstäbe ab. Ditta erhob sich leise von ihrem Lager und stellte sich in den tiefsten Schatten der Kammer. Es blieb alles still wohl eine Stunde lang, deren Minuten Ditta zu einer peinvollen Ewigkeit wurden.
Plötzlich zeigte sich draußen ein schwacher Lichtschein, er fiel jetzt durch die Spalte der unverschlossenen Thür, diese ging leise auf und – ihre Mutter, eine Lampe tragend, gefolgt von Pieteranton, der eine große Rebenscheere in der Hand hielt, kamen leise in die Kammer. Da trat plötzlich Ditta aus der Ecke, die Axt hoch erhoben.
„Komm her, Feigling, und wag es!“ rief sie dem jungen Manne zu, der blaß wie ein Leintuch dastand und vor Schreck und Ueberraschung keines Wortes, keiner Bewegung mächtig war.
Er sah auf das bleiche Mädchen, deren Augen unheimlich leuchteten, er blickte auf das erhobene Beil in ihren nervigen Armen und zog sich rückwärts gehend wortlos, langsam zurück, gefolgt von der Mutter, die zitterte, daß ihr die Glieder schlotterten und man die Zähne zusammenschlagen hörte. Dann ward alles draußen still, ganz still.
Ditta verbrachte die Nacht auf dem Bette sitzend, die Augen weit offen, den schönen Kopf an die rohe, kalte Steinmauer gelehnt. Am nächsten Morgen bereitete sie nicht das Frühmahl, sie grüßte ihre Mutter nicht, bleich war ihr Gesicht und ihr Mund fester geschlossen als sonst. Sie wusch sich und flocht besonders sorgfältig ihr Haar; dann zog sie das Maulthier aus dem Stall, schirrte es an, belud es jedoch zum großen Staunen ihrer Mutter nicht, sondern schwang sich darauf und ritt den Felsweg nach Palene hinunter.
Der Esel trabte schnell und lustig. Da es jedoch noch sehr früh war, stieg das Mädchen bald ab, ließ das Maulthier grasen und legte sich in’s Grün. So ruhte sie, den Kopf auf die Hand gestützt, und die großen Augen schweiften in die Ferne. Ihr starres Gesicht ward allmählich heiter, ein Lächeln flog jetzt über ihre Züge, und sie sah nun fröhlich, sogar glücklich aus. Sie lachte plötzlich wie von einem angenehmen Einfall belustigt – dann erhob sie sich, rief den Esel, der seine Freiheit ausgiebig benutzt hatte, und setzte ihren Weg weiter fort.
Nach kaum einer halben Stunde hielt das Mädchen wieder vor Herrn Lugeno’s schon geöffnetem Laden.
„Ah, Signorina, heute schon so früh!“ begrüßte sie Herr Lugeno, und auf den unbeladenen Esel schauend, fuhr er fort: „Sie wollen gewiß Ihre Zwiebeln wieder haben? Mutter Ceprano wird –“
„Ich komme nicht deshalb, Herr Ernano,“ unterbrach ihn Ditta, eigenthümlich lächelnd. „Ich bitte Sie heute um Ihren Dienst als Barbier – Sie frisiren ja und schneiden die Haare. Ich bitte Sie, mir das Haar abzuschneiden.“
„Was, Fräulein?“ rief entsetzt Herr Lugeno. „Ihre schönen Haare? Nein, es ist nicht Ihr Ernst – das bring’ ich auch nicht über’s Herz!“
„Sind Sie ein Barbier, Don Ernano?“ frug jetzt Ditta mit dem Ernst und der Festigkeit, die ihr eigen waren.
[29] „Ja, das steht ja auf meinem Schild, und ich schneide auch die Haare Jedem, der ’s verlangt, doch – doch – wollen Sie denn Ihren schönen Zopf verkaufen?“ erkundigte sich Herr Lugeno, und seine guten Augen blickten ganz trübe.
„Nein – ich will ihn nicht verkaufen – ich komme zu Ihnen, Don Ernano, damit Sie meinen Wunsch erfüllen,“ fuhr Ditta gleich fest und bestimmt fort.
„Muß ich denn wirklich, Fräulein?“ sagte darauf Herr Lugeno, etwas kleinmüthig geworden durch den energischen Ton des Mädchens.
Ja – Sie müssen, wenn Sie wollen,“ war Ditta’s seltsame Antwort. Und damit trat sie schnell in den Laden.
„Wenn Sie wüßten, wie leid mir das thut!“ begann Herr Lugeno wieder. „Ist es denn ein Gelübde, Signorina?“ forschte er.
„So was Aehnliches. Für mich mehr,“ klang es zurück.
„Es ist also Ihr fester Wille?“ wagte noch einmal Herr Lugeno zu fragen.
„Wollen Sie oder wollen Sie nicht, Don Ernano?“ frug darauf Ditta, und that, als ob sie schwer gekränkt fortzugehen im Begriffe sei.
„Nun denn, wenn es durchaus sein muß. Dann bitte, setzen Sie sich!“ erwiderte Herr Lugeno und ging zögernd zu seinem Schranke, wo er sein Barbierhandwerkzeug verwahrte.
In diesem Augenblicke traten zwei Bürger in den Laden und nahmen auf Stühlen Platz. „Beschäftigt, Don Ernano?“ frugen sie, schelmische Seitenblicke auf die schöne Kundin werfend.
„Stehe im Augenblicke zu Diensten, meine Herren,“ gab der Blonde zurück. „Doch wohl nur ein Stückchen?“ frug er halblaut, sich zu Ditta niederbeugend und ihren fast armdicken schwarzen Haarzopf in die Hand nehmend.
„Nein, nahe am Kopfe,“ lautete Ditta’s leise geflüsterte Antwort.
Herr Lugeno richtete ihr sanft und zart das Haupt. Sie sah jetzt durch den kleinen Spiegel vor ihr ruhig und fast heiter, wie der große blonde Mann mit ganz finsterem Blicke drückte und schnitt. Das Werk war nicht so ganz leicht, doch nach wenigen Minuten hielt Herr Lugeno mit betrübten Mienen den Zopf in den Händen.
Ditta erhob sich. „Addio, Signori,“ sprach sie, sich gegen die Herren verneigend. „Addio, Don Ernano,“ grüßte sie Herrn Lugeno, und ehe dieser sich noch von seinem Staunen erholt hatte, war Ditta schon draußen, saß auf ihrem Reitthiere, und Herr Lugeno stand da mit nicht sehr klugem Gesichtsausdrucke, den schöngeflochtenen Zopf in den Händen, und schaute ihr, wie sie die Straße zurücktrabte, kopfschüttelnd nach.
„Eine nette Kundin, Signore!“ scherzten die Gäste, welche nicht gehört hatten, was vorangegangen war.
„Ein schönes Mädchen, meine Herren,“ gab Herr Lugeno sehr gedankenvoll zur Antwort, „aber ein sehr seltsames, ein unbegreifliches.“
„Habt Ihr den Zopf gekauft?“ erkundigten sich die Männer.
Der Barbier schüttelte ernst den Kopf.
„Nun, was denn?“ forschten die Kunden neugierig.
„Weiß nicht,“ gab Herr Lugeno ganz gegen seine Art einsilbig zurück, und er machte sich ganz verwirrt daran, die Kunden zu rasiren.
Er war sonst nichts weniger als nervös, aber heute zitterte ihm die Hand bei der gewohnten Arbeit, und er mußte sich zusammen nehmen, daß er die alten Kunden nicht schnitt.
„Was hat das zu bedeuten?“ murmelte er, als er allein war, den Zopf ängstlich betrachtend, „was hat sie damit gewollt? Was soll ich mit dem Haare? Ob es ein Gelübde ist?“ grübelte er weiter; „das Weibervolk hier thut oft sonderbare Gelübde – aber dies Mädchen ist doch so vernünftig, so klug und gar nicht abergläubisch!“ Herr Lugeno sann lange nach; da er jedoch durchaus nicht darüber klar werden konnte, zu welchem Zwecke seine schöne Lieferantin so gehandelt, schloß er den Zopf, der ihm plötzlich wie eine unheimliche Schlange vorkam, in seinen Schrank ein und verbrachte die folgenden Stunden in ziemlich unbehaglicher Stimmung, wie eine unklare Sache, in der man ohne zu wollen mitgewirkt, solche ja leicht hervorzubringen pflegt.
Gegen Mittag kehrte Ditta nach Palenella zurück. Sie ritt in das Dörfchen ein, ihr Kopftuch in der Hand, was nach dem dortigen Gebrauche ganz ungewöhnlich war, und hinten am Kopfe war anstatt des gewaltigen, stets schön geflochtenen Zopfes nur noch ein rauher Stumpf zu sehen. In wenigen Minuten wußte das ganze Dorf: Ditta war der Zopf abgeschnitten worden! Und wenn die Einwohner dies nicht durch das mit Eilfüßen laufende Gerücht so schnell schon erfahrenn hätten, sie würden es jetzt zu Gehör bekommen haben durch das entsetzliche Schreien und Weinen, mit dem Mutter Ceprano ihre so entstellte Tochter begrüßte. Die Alte rang die Hände, raufte sich das Haar, rief alle Heiligen an, verwünschte Alles, was auf Erden und im Himmel war, und heulte und schrie wieder, daß es bis zum entferntesten Hause des Dorfes tönte und eiligst die ganze Nachbarschaft vor dem Hause zusammen lief. Dort saß ruhig Ditta auf dem Maulesel, ließ die Kinder sie verhöhnend und verspottend umtanzen und die Männer und Weiber zischen und staunen.
Das erste Gefühl bei den Dorfbewohnern war, daß man dem stolzen Mädchen diese Schmach, diese Demüthigung von Herzen gönnte. Dann jedoch, als kein Bursche kam, den Zopf triumphirend zu zeigen und seine erzwungenen Rechte geltend zu machen, trat an Stelle der Schadenfreude bei Allen Zorn und Wuth auf den Fremden, der das gethan! Der Gemeindestolz machte sich geltend, wilde Stimmen erhoben sich, die da riefen: „Wer es auch war, er soll es nicht ungestraft gethan haben! Ein Mädchen aus unserer Gemeinde – er hat uns Alle geschändet – das soll er gut machen, oder es kostet ihm sein Leben!“ – Man fuhr mit den Fäusten in die Luft und stieß wilde Drohungen und Verwünschungen aus, man drängte sich um Ditta, die auffallend ruhig auf ihrem Maulthiere saß und mit Spannung der sich immer steigernden Aufregung, dem stets anwachsenden Tumulte zusah. „Wer war es – wer hat’s gethan?“ schrie man Ditta von allen Seiten an, „sag’ es – kennst Du ihn? wer hat Dich und uns Alle so beschimpft, Mädchen? Du mußt es sagen!“ schrieen hundert zornige Männer- und Frauenkehlen in allen Tonarten. „Er muß Dich heirathen! ja, das wollen wir sehen! Er muß, oder er stirbt! Wer war es – wer?“ schrie und tobte Alles durch einander.
„Es ist Einer aus Palene,“ rief Ditta mit ihrer hellen Stimme.
„Aus Palene? Ah, er stirbt, wenn er nicht seine Pflicht thut!“ schrie man darauf. „Wer aus Palene?“
„Der Händler Don Ernano,“ antwortete Ditta.
„Der – der – ein Fremder!“ rief man – „der Blonde – der Jäger!“ schrie der ganze Haufe.
[30] „Gleich ist’s!“ schrieen Andere dagegen – „ganz gleich, auch wenn er ein Städter – er stirbt, wenn er Dir die Ehre nicht wiedergiebt, ja er soll sterben von unseren Händen!“ lärmte Alt und Jung mit wilden, zornblitzenden Augen, „Er muß auf der Stelle der Gemeinde ihr Recht zukommen lassen,“ ließ einer der Stimmführer sich vernehmen. „Ich gehe zu ihm, sofort. Nehmt Eure Messer, Männer! Wer kommt mit?“
„Ich! Ich!“ rief es aus zwanzig Kehlen, und ein Trupp Männer löste sich von dem Haufen und schlug mit schnellen Schritten den Schluchtweg nach Palene ein.
Ditta stieg jetzt von ihrem Maulthier, zog es gleichmüthig in den Stall, wehrte die Mutter ab und ging dann in ihre Kammer. Hier setzte sie sich erschöpft auf den einzigen Stuhl, den diese enthielt, und holte tief Athem.
„Jetzt kann ihn Niemand todtschlagen, wenn er mich heirathet, jetzt zwingen sie ihn ja dazu,“ sagte sie leise zu sich selbst. „und er wird es ihnen nicht verweigern. Er hat mich gern, das weiß ich jetzt, und Pieteranton wird sich hüten, ihn anzugreifen und sich an ihm zu rächen. Er hätte ja die ganze Gemeinde gegen sich, und seine Tage wären gezählt. Hilf, gnädige Mutter Gottes, Schmerzensreiche,“ wandte sie sich dann, die Hände faltend, zu dem Muttergottesbilde über ihrer Bettstätte, „hilf mir armen Mädchen, daß Alles gut geht!“ So betete Ditta lange, lange zur Madonna.
Etwa eine Stunde nach dem eben Geschilderten trat erst ein Mann von der Palenella–Bauernschaft in das Schanklocal Lugeno’s und ließ sich einen Becher Wein geben; wenige Secunden darauf kam ein zweiter, dann ein dritter, und ehe der Barbier es sich versah, war seine Stube voll von finster blickenden Landleuten, die alle Messer in den bunten Leibgürteln stecken hatten.
Herr Lugeno war ein harmloser und ein muthiger Mann, aber jetzt war er doch etwas betreten. Er begriff, daß etwas Ungewöhnliches, Unheimliches im Werke sei, und ihm ward schwül zu Muthe.
„Don Ernano,“ nahm jetzt der Hauptsprecher der Männer das Wort, „Sie haben einer der Unsrigen den Zopf abgeschnitten – haben Sie das, Meister?“
„Ja!“ kam es beklommen von den Lippen des großen blonden Mannes, der keine Ahnung hatte, wo dies hinaus wollte.
„Haben Sie den Zopf?“
„Ich habe ihn,“ war Herrn Lugeno’s Antwort.
„So zeigen Sie ihn uns,“ forderte man mit gedämpfter Stimme.
Der Barbier ging an einen Schrank und nahm den Zopf Ditta’s heraus.
„Da ist er,“ sprach er.
„Sie kennen das Mädchen?“ inquirirte man weiter.
„Ja, es ist Ditta Ceprano, ich kenne sie lange.“
„Gut! Wollen Sie das Mädchen heirathen?“ frug jetzt finster der Sprecher, an den Barbier und Cafetier herantretend.
„Heirathen? Die Ditta Ceprano?“ fuhr Herr Lugeno ganz verblüfft zurück.
„Wollen Sie?“ Und ein Dutzend große Messer flogen unheimlich blinkend aus den bunten Leibbinden, während die Männer im Nu den Eingang versperrt, den höchlichst erschreckten Herrn Lugeno umringt und in eine Ecke gedrängt hatten. „Sagen Sie ja oder nein!“ rief man mit unterdrückten Stimmen.
Herr Lugeno suchte sich zu sammeln und sah von Einem zum Andern. Das war kein Spaß hier, das merkte er wohl. Wie haßerfüllt die Augen der Männer auf ihn gerichtet waren! Wie finster und entschlossen ihre Mienen! Er fühlte, daß er noch nie so nahe dem Tode gewesen, wie in diesem Augenblicke, und sein Athem stockte.
„Aber sagt mir nur -“ begann er.
„Still, Mann!“ zischte ihn jetzt der Sprecher an. „Keine Ausflüchte! Kein überflüssiges Wort! Antwortet mir: wollt Ihr Ditta Ceprano aus Palenella, der ihr den Zopf abgeschnitten, heirathen oder nicht? Erklärt Euch kurz und bündig, jetzt, im Augenblick hier vor uns, daß Ihr das wollt, oder Ihr seid in zwei Minuten, so wahr wir Alle selig werden wollen, ein Mann des Todes!“
In Herrn Lugeno’s Augen leuchtete es freudig auf, er wischte sich aufathmend den Schweiß von der Stirn. Dann sagte er freundlich lächelnd:
„Ja, natürlich will ich das, Männer, von Herzen gern, Männer, wenn sie mich nur will –“
„Sie muß wollen!“ ertönte es jetzt mit dem gleichen unerschütterlichen Ernst von Allen zugleich. „Ihr schwört also, jetzt, hier vor uns, die Ditta zu heirathen, Euch mit ihr von unserem Priester in unserer Kirche trauen zu lassen – sobald Ihr könnt, jedenfalls innerhalb dieses Monats,“ ließ sich der Sprecher weiter vernehmen.
„Ich schwöre das bei meinem Seelenheil!“ sagte der Blonde eifrig.
„So ist es gut,“ meinte darauf der Anführer der Bauern. „Ihr habt klug daran gethan, Meister, denn wahrlich, lebend hättet Ihr Eure Butike sonst nicht verlassen!“ Darauf steckten die Männer ihre Messer ein, bestellten ein paar Liter Wein, tranken dem noch immer überraschten Herrn Lugeno Jeder einzeln zu, verließen mit höflichem Gruß den Laden und gingen in ihr Dorf zurück.
Sie kamen noch bei guter Zeit an und begaben sich sofort in das Haus der Mutter Ceprano. Die Alte weinte und klagte noch immer über den Schuft, den Lump, den Räuber, der das gethan. Ditta aber saß ganz zufrieden am Tisch und ließ sich die Abend-Polenta schmecken.
„Wir bringen gute Nachricht, Ditta!“ riefen ein Dutzend Stimmen ihr zu. „Er will, er hat’s geschworen bei seinem Seelenheil, er will Dich zur Frau nehmen, in diesem Monat noch, Mädchen. Sei froh, Du bist dann wieder geehrt, wie wir Alle. Er ist ein kluger, ein angesehener Mann, er ist so gut wie Jeder in unserer Gemeinde, Ditta.“
„Ich bin es zufrieden,“ erwiderte darauf Ditta. „Ich danke Euch, Freunde, Ihr habt brav für mich gehandelt, ich werden es Euch gedenken.“ Und der Schimmer glücklichster Freude verklärte des Mädchens Gesicht.
Es ging an diesem Abend in dem stillen Dorfe geräuschvoller und erregter zu als seit langem; die Einwohner feierten ihr Auftreten wie einen gewaltigen Sieg und scherzten und lärmten bis tief in die Nacht hinein. Sie hatten keine Ahnung davon, daß eine kluge Evastochter sie überlistet und mit ihren eigenen Waffen geschlagen hatte, um sich vor den Nachstellungen eines verhaßten Freiers zu retten und den Mann, welchen sie liebte, ohne Gefahr für diesen selbst heirathen zu können.
Die Einwohner Palenellas gingen schließlich vergnügt zur Ruhe, und Ditta schlief so glückselig und ruhig ein, wie noch nie in ihrem Leben.
Am nächsten Morgen ganz früh finden wir sie schon wieder unterwegs nach Palene, und bald war sie vor dem Laden Lugeno’s. Der Besitzer des Geschäfts stand in der finsteren Küche am Herde und kochte Kaffee. Er hörte die Eintretende nicht.
„Don Ernano,“ sprach ihn Ditta mit weicher, demüthiger, bittender Stimme an. „Verzeihen Sie mir?“
Herr Lugeno kehrte sich wie vom Blitze getroffen um.
„Ditta! Ditta!“ rief er aus; „aber sagen Sie mir nur um Himmels willen, liebes Mädchen, was dies alles bedeutet? Ist es wahr? Muß ich Sie wirklich heirathen –?“
„Ist Ihnen das so schrecklich, Signore? Ich glaubte – ich dachte –“ sprach mit klagendem Tone, zitternd und nach Athem ringend, Ditta.
„Ach, das ist es ja nicht, Fräulein, ich bin ja überglücklich, daß ich eine so liebe, schöne, brave Frau bekommen soll,“ tröstete Herr Lugeno mit herzlichster Stimme. „Weinen Sie doch nicht, liebstes Mädchen, das Glück ist mir ja wie ein Platzregen vom Himmel gefallen. Ich wünsche mir keine andere Frau, wie Sie, mein Fräulein, aber ich weiß ja gar nicht, wie mir geschehen, begreife nicht, warum denn, wie so denn das alles gekommen? Ich bin ja zu einem Glücke, an das ich nicht zu denken wagte, mit zwanzig Messern gezwungen worden. Weßhalb denn dies, Fräuleinchen, und warum haben Sie sich denn den Zopf von mir abschneiden lassen?“
Ditta hatte bei den liebevollen Worten des Barbiers schnell ihre Thränen getrocknet; sie sah ganz glückstrahlend zu dem großen blonden Mann auf.
„Ich will Ihnen alles ausführlich erzählen, Herr Lugeno,“ versetzte sie darauf. „Ich habe so handeln müssen, um Sie vor der Rache eines beleidigten, abgewiesenen, bösen Freiers zu retten. Jetzt stehen Sie unter dem Schutze des ganzen Dorfes, und er wird sich wohl hüten, Ihnen zu nahe zu kommen.“
[31] Und nun berichtete Ditta den Verlauf der Dinge, wie Alles zugegangen und wie sie nach dem Ueberfall vor zwei Tagen den Entschluß gefaßt habe, sich die Haare lieber von ihm, als von irgend einem Anderen abschneiden zu lassen.
„Und werden Sie mir nun verzeihen?“ frug Dilta verschämt und leise.
„Verzeihen? Von ganzem Herzen danken will ich Dir, Du liebes, kluges, tapferes Mädchen,“ sagte darauf Herr Lugeno. „Wahrlich, Du bist klüger und gescheidter, als der klügste Advocat.“ Und jetzt zog er die schöne große Dorfjungfrau an sich, nahm ihren Kopf zwischen seine Hände und gab ihr einen langen, langen Kuß, den Ditta herzlich erwiderte.
„Wie schade um Deine schönen Haare! Wenn sie nur erst wieder gewachsen wären!“ nahm nach dieser so angenehm ausgefüllten Gesprächspause Herr Lugeno das Wort, indem er zärtlich die kurzen Strähnen seiner Braut streichelte.
„Dafür mußt Du als Friseur sorgen,“ entgegnete Ditta. „Ich habe doch einen guten Tausch gemacht. Welches Mädchen gäbe nicht den schönsten Zopf für einen so guten, lieben, klugen Mann wie Du, noch dazu, wenn der Geliebte ihn selbst abschneidet!“ fügte das Mädchen neckend hinzu.
Indeß in dem Gemüseladen und Barbierstübchen auf dem Marktplatze in Palene die beiden Liebenden so freundliche Worte tauschten und die so rosig sich vor ihnen aufthuende Zukunft besprachen, gab es im Dörfchen Palenella eine stürmische, aufregende Scene. Am Morgen dieses Tages hatte auch Pieteranton das Vorgefallene erfahren. Er schnob Wuth und Rache und eilte nach Palenella hinunter, das Herz fast berstend vor eifersüchtigem Zorne, den Kopf voll wilder Gedanken. Er raste zuerst gegen die Bauern wegen ihrer Dummheit – ihm war der blonde Barbier von allen Menschen am meisten verhaßt, und jetzt gewann er ihm noch das Mädchen ab, welches eine so heftige Leidenschaft in ihm entzündet hatte. Er versuchte die Einwohner gegen den Händler aufzuhetzen, er schilderte ihn als einen schlauen Spitzbuben, der mit Ditta im Einverständniß gehandelt, und das Mädchen um des Geldes wegen nähme. Damit kam er aber übel an. Die Dörfler wollten an ihrem Siege nicht rütteln und deuteln lassen. Sie wußten die Sache besser, und es wurde dem Pieteranton so eindrücklich bedeutet, die Hände von dieser Angelegenheit zu lassen, daß er vorerst vierzehn Tage zu Bett lag und dann nicht nur an Palenella in einem sehr weiten Bogen vorbeiging, sondern sogar den ganzen Bezirk verließ und nach Neapel in eine Stellung sich begab.
Mutter Ceprano zeigte sich außerordentlich freundlich und höflich gegen den neuen Tochtermann, der auf Ditta’s Rath beschlossen hatte, das Gütchen hier oben zu verpachten, den Pachtertrag der Mutter zum Leben zu überlassen, sein Geschäft in Palene zu verkaufen und in Rom eine nette Barbierstube mit kleinem Café zu etabliren, wo sie schon dafür sorgen wollten, daß die Gäste zufrieden seien.
Drei Wochen später feierte das Paar seine Hochzeit, wobei ganz Palenella und fast ganz Palene zugegen war und sehr viel Geld in Schwärmern, Kanonenschlägen und Raketen verpufft wurde.
Diese seltsame Heirath machte natürlich im ganzen Bezirk das größte Aufsehen, und der heimlich gehaltene Gebrauch der Bauern in den Abruzzen ward dadurch in weiten Kreisen bekannt. Nicht immer jedoch verlief diese barbarische, wohl uralte, für jene Bevölkerung so außerordentlich charakteristische Sitte so heiter, führte zu einem so glücklichen Ende, wie wir dies in unserer kleinen Erzählung gezeigt.