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Dilettanten

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Textdaten
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Autor: Ludwig Kalisch
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Titel: Dilettanten
Untertitel:
aus: Fliegende Blätter, Band 2, Nr. 26, S. 9–13.
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: UB Heidelberg, Commons
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Dilettanten.


Kein Mensch ist bescheidener als das Genie; Niemand ist schüchterner als der wahre Künstler; und derjenige, welcher in der Kunstwelt mit kühnen Schwingen sich erhebt, tritt in der wirklichen gewöhnlich nur zagend auf. Ich kenne wohl den Goethe’schen Spruch: „Nur die Lumpe sind bescheiden.“ Goethe meinte aber auch nur jene lumpige Bescheidenheit, aus der, wie aus dem zerrissenen Mantel des Antisthenes, die cynische Unbescheidenheit frech hervorguckt. Es hat noch nie ein gewaltiger Genius gelebt, der schnurstracks in den Tempel der Unsterblichkeit eingegangen wäre; selbst der größte unter den großen Geistern hat erst nach langem Irren und heißen Streben die Pforten desselben erreicht. Ganz anders ist es mit dem Dilettanten! Weil er sich nicht über die Erde erheben kann, sieht er den Himmel natürlich in viel geringerer Entfernung die Erde berühren, als derjenige, welcher einen hohen Standpunkt erreicht hat.

Der Dilettant fällt gleich als Meister vom Himmel; er stürzt gleichsam in den Tempel der Unsterblichkeit. Er wartet nicht erst, bis die Anerkennung ihm den Preis ertheilt; nein, er pflückt sich den Lorbeer selbst; er flicht ihn mit eigenen Fingern zum Kranze und setzt sich ihn mit eigenen Händen auf’s Haupt. Er wendet viel mehr Sorgfalt auf die Anerkennung seiner selbst, als auf seine Schöpfungen, und giebt dem Weihrauchfaß, mit dem er sich selbst beräuchert, viel mehr Schwung, als seinen Werken, deren einziger Bewunderer er allein ist.

Der Dilettant unterscheidet sich aber von dem wahren Künstler besonders darin, daß er nicht wie dieser die Schwierigkeit einsieht, selbst nur in einem einzigen Kunstgebiete sich hervorzuthun: der Dilettant glaubt sich vielmehr in allen Künsten Herr und Meister. Er umarmt nicht wie das wahre Genie nur eine Muse, sondern glaubt wie im Kegelspiel mit kräftigem Arme alle Neune – über den Haufen werfen zu können. Der Dilettant trinkt nicht, er säuft aus dem kastalischen Quell, und nicht um sich zu begeistern, sondern um oft und gelind – abzuführen.

Man muß nicht den Kunstfreund mit dem Dilettanten, nicht die Kunstliebe mit dem Dilettantismus verwechseln. Der Kunstfreund huldigt der Kunst, weil sie sein Herz veredelt und seinen Geist erhebt. Er ist Gläubiger, aber nicht Priester. Er betet die Kunst an und bringt ihr aufrichtige Opfer, während der Dilettant sich selbst anbetet und die Kunst seiner Eitelkeit zum Opfer bringt.

Man wird vielleicht dieses Urtheil über Dilettanten zu hart finden, allein kein Dilettant wird sich dadurch verletzt fühlen, weil sich kein Dilettant für einen solchen, sondern für einen Künstler hält. Aber ich will es meinen Lesern nur gestehen, daß ich auch noch einen Privathaß gegen die Dilettanten hege, weil mir der Dilettantismus schon so viele qualvolle Stunden, so viele schlaflose Nächte verursacht hat. Der Dilettantismus hat mich von jeher wie ein böser Geist in tausend Gestalten verfolgt. In Frankfurt am Main hat er mich in Gestalt eines Sängers fast zum Wahnsinn gebracht. Dieser, ich meine den Sänger, der ein Zimmer bewohnte, welches von dem meinigen nur durch eine dünne Wand getrennt war, sang regelmäßig die [10] halbe Nacht: „Seht, wie herrlich strahlet der Morgen“, und zwar mit einer Stimme, an der man durchaus nicht erkennen konnte, ob sie aus der Kehle eines hungerigen Bären, oder eines gereizten Stieres, oder eines Metzgerhundes kam, der ein junges Kalb zum Fortschritt treibt. Es vereinigte sich in dieser Stimme Alles, was nur einigermaßen ein menschlich geformtes Ohr zur Verzweiflung bringen kann.



Vier Wochen lang hört’ ich diesem Sänger zu. Endlich riß meine deutsche Geduld, und ich machte ihm eines Morgens einen Besuch. Ich fand meinen Peiniger just beim Frühstück, das man füglich ein Mittagsmahl hätte nennen können. Er steckte zwischen Schinken, Limburger Käse, Eiern und Weißbrodpyramiden, und man sah es seinen Kauwerkzeugen gleich an, daß von allen diesen Viktualien kaum eine winzige Skizze seinem Appetit entrinnen würde, so wahrhaft colossal war er. Der Sänger war, wenn ich so sagen darf, dreistöckig gebaut; aber nicht nur seine Höhe, auch seine Breite war beträchtlich, so daß ich gleich bei seinem ersten Anblick es für das rathsamste hielt, sanft zu bitten, statt stürmisch zu fordern. Als er mich also um die Ursache meines Besuches fragte, sprach ich erst von der Menschheit im Allgemeinen, dann von den fünf Menschenracen im Besondern. Nicht ohne Geschicklichkeit kam ich sodann auf den civilisirten Europäer, und dessen Fähigkeit, in Kunst und Wissenschaft sich hervorzuthun. Diese Einleitung, welche ohngefähr eine viertel Stunde dauerte, ward von meinem Tyrannen mit der höchsten Aufmerksamkeit angehört. Dieß hinderte ihn aber nicht im geringsten an seiner angenehmen Beschäftigung. Ich sah, wie er mit einer wahrhaft erstaunenswerthen Virtuosität die Eier aufklopfte, und in einem Nu wie ein Vampyr aussaugte; ich sah, wie er, ohne nur ein einziges Mal irre zu werden, regelmäßig nach dem Schinken den Käse und nach diesem ein Ei ergriff. Kurz, ich sah hier nicht bloß einen rohen Empiriker, ich sah ein wahrhaftes Talent, und kaum war ich mit der Einleitung fertig, als er auch mit seinem Frühstück fertig war. Ruhig wischte er sich Mund und Kinn, und rückte seinen Sessel etwas näher zu mir, der ich eben von der Kunst im Allgemeinen zu der Gesangkunst im Besondern überging. Ich sprach von Orpheus, Arion, Homer, Pindar, König David, Virgil und Horaz, die sämmtlich große Sänger waren; ich sprach hierauf von den Minnesängern und Meistersängern, und kam natürlich auf die Opernsänger. Von den Opernsängern kam ich auf die Zuhörer, von den Zuhörern auf die Ohren, von den Ohren auf das Ohrensausen, und – jetzt war ich endlich am gewünschten Ziele.

Ich pausirte einen Augenblick, um zu sehen, welche Wirkung meine Rede hervorgebracht. Mein fürchterlicher Zuhörer legte ruhig die Serviette auf den Tisch, stocherte sich die Zähne, sah mich an und sagte: „Sie haben mit der Menschheit im Allgemeinen begonnen und mit dem Ohrensausen im Besondern aufgehört. Was geht Sie die Menschheit, was geht mich das Ohrensausen an?“

„Mein Herr,“ erwiderte ich, „wenn Sie ein fühlend Herz für die Menschheit besitzen, so werden Sie gewiß nicht ohne Schonung gegen diejenigen verfahren, welche das dunkle Verhängniß mit Ohrensausen heimgesucht; und mein Herr,“ setzte ich mit sanfter Stimme hinzu, „ich bin leider mit diesem fürchterlichen Uebel geplagt.“

„Da ich nicht Arzt bin, entgegnete Jener, „so weiß ich in der That nicht, wie ich Ihnen helfen kann.“

„Doch, mein Herr,“ begann ich schnell, „Sie können mir allerdings helfen.“

„Mein Herr,“ sprach mein Tyrann, „ich singe nicht, um kranke Leute zu kuriren. Ich singe aus Liebe zur Kunst; ich singe aus innerem Drang; ich singe“ –

„Sie haben mich mißverstanden,“ unterbrach ich ihn hastig; „ich bin Ihr Zimmernachbar, Ihr unglückseliger Zimmernachbar, der an Ohrensausen fürchterlich leidet; Ihr Zimmernachbar, dessen einzige Erholung der Schlaf ist, und dessen Schlaf Sie durch Ihren Gesang stören.“

„Und was geht das mich an?“ fragte der fürchterliche Sänger mit einer Ruhe, die mich zur Verzweiflung brachte.

„Könnten Sie nicht während des Tages singen?“ fragte ich halb ärgerlich, halb bittend.

„Ich soll während des Tages singen?“ wiederholte er gedehnt. Kann ich der Begeisterung gebieten? Kann ich zu meinem Genius sagen: „Jetzt komme! Jetzt gehe!? Muß ich nicht singen, wenn der innere Drang sich meines Herzens bemächtigt?“

„Aber um des Himmels willen!“ entgegnete ich heftig, „Ihr Genius ist doch kein Nachtwandler, Ihre Begeisterung ist doch keine Somnambüle, daß beide sich just einfinden, wenn alle vernünftigen Menschen der Ruhe pflegen!“

„Was schert mich die Ruhe der vernünftigen Menschen?“ erwiderte mein Quälgeist. „Die Kunst ist sich selbst Zweck. Ich singe nicht, weil ich will; ich singe, weil ich muß, weil mir eine innere, heilige Stimme zuruft: Singe! Singe! Singe!“

„Aber warum singen Sie denn immer dasselbe Lied?“ fragte ich im höchsten Verdruß. Warum singen Sie denn immer: Wie [11] herrlich strahlet der Morgen, was noch obendrein eine Lüge ist. Ist ein deutscher Herbstabend ein herrlicher Morgen?“

„Aber in mir ist es Morgen,“ sprach der Sänger begeistert. „In meiner Brust ist Morgen! wenn auch in Frankfurt am Main Herbstabend ist. Kümmert sich ein wahrer Sänger um die rauhe Wirklichkeit? Singt er nicht vom italienischen Frühling, wenn der Frankfurter Schnee fällt und der Main mit Eis geht?“

„Aber, mein Herr“, rief ich zornig, „Sie haben ja eine tiefe Baßstimme; wie können Sie ein Lied singen, das für einen hohen Tenor geschrieben ist?“

„Aber, mein Herr,“ erwiderte Jener ruhig, „besteht nicht eben die wahre Kunst des Sängers darin, daß er die Stimme bewältige? Ist es nicht bewundernswerth, wenn ein Tenor die Parthie des Sarastro, des Bertram, des Caspar singt? Was ist der Kunst, was ist dem gottgeweihten Künstler unmöglich?“

„Aber mein Herr, Sie bringen mich zur Verzweiflung?“ rief ich.

„Was geht das mich an?“ fragte er ruhig.

„Sie treiben mich aus dem Hause!“ schrie ich.

„Sie sind der Erste nicht“, erwiderte er noch ruhiger als zuvor; „ich habe das Zimmer auf drei Jahre gemiethet.“

Voll Gift und Galle verließ ich den Parforcesänger und bezog noch an demselben Abend eine andere Wohnung.

Noch viel Schlimmeres widerfuhr mir in Stuttgart. Ich hatte mich dort in einem stillen Stadttheile eingemiethet, um ruhig und ungestört leben zu können; aber gleich am andern Morgen weckten mich fürchterliche Posaunenstöße, die aus dem benachbarten Hause in mein Ohr drangen. Bis zehn Uhr dauerte das entsetzliche Geschmetter. Kaum aber schwieg die Posaune, als sich die dumpfen Töne eines Fagotts aus dem benachbarten Hause links hören ließen. Wenn die Posaune mir schon das Ohr zerriß, so zerfleischte mir dieses Fagott mein innerstes Herz. Zwei lange Stunden folterte mich dieser Fagottbläser; da schlug es zwölf, und genau mit dem letzten Glockenschlage verstummte das entsetzliche Instrument. Ich war erlöst. Aber am nächsten Morgen rissen mich wieder die Posaunenstöße aus den Armen des Schlafes und quälten mich wieder bis zehn Uhr. Punkt zehn Uhr schwieg die Posaune und begann das Fagott, welches Punkt zwölf verstummte. Kurz, tagtäglich denselben schmetternden Posaunen-Morgengruß; tagtäglich dieselben herzzerreißenden Fagottotöne! Ich war der Raserei nahe. Ich verfluchte den Erfinder der Posaune, ich verfluchte den Erfinder des Fagotts, und ich verfluchte sämmtliche Blasinstrumente mit fürchterlichen Flüchen. Da schien sich mein mitleidsloses Mißgeschick endlich meiner zu erbarmen. Eines Morgens nämlich war es still. Ich traute kaum meinem Glücke und gab mich tausend Vermuthungen hin. Sollte den Posaunenschläger vielleicht ein menschenfreundlicher Schlag gerührt haben? Ist er vielleicht ausgezogen? Hat er vielleicht erfahren, was ich durch ihn gelitten?

Während ich mich aber den verschiedensten Vermuthungen hingebe, öffnet sich die Thüre, und hereintritt ein breitschulteriger, knochiger Mann mit einem unendlich breiten, von Blatternarben zerrissenem Gesichte, aus welchem eine breite Nase kaum einige Linien hervorragte. Kein einziges Härchen bedeckte das breite Haupt dieses absonderlichen Menschen, an welchem Alles unendlich breit zu sein schien. Schweigend hatte er sich mir genähert; schweigend setzte er sich auf’s Sopha, und blickte mir eine geraume Zeit mit seinen grauen Augen so starr und fest in’s Antlitz, daß ich mich eines unheimlichen Gefühls kaum erwehren konnte. Endlich begann er: „Nicht wahr, Sie haben diese Wohnung gemiethet, weil Sie hier Ruhe und Stille für Ihre Arbeiten zu finden hofften?“

„Allerdings!“ erwiderte ich; „aber“ –

„Aber Sie werden gestört“, ergänzte der Breite. „Sie werden in Ihrer Arbeit gestört durch einen nichtswürdigen Instrumentenschänder, durch einen unbarmherzigen Ohrenpeiniger, durch einen Menschen, der nicht bedenkt, daß außer ihm auch noch Menschen leben. „Nicht wahr?“

„Ja wohl, mein Herr“, antwortete ich. „Dieser Posaunenbläser“ –



„Fagottbläser wollen Sie sagen“, unterbrach mich der Breite hastig. „Ja, dieser Fagottbläser, der mich zwingt, schon um zehn Uhr die Posaune hinzulegen und zu feiern, während er die ganze Nachbarschaft zur Verzweiflung bläst, dieser Fagottbläser muß fortgebissen werden! helfen Sie mir dazu; denn auch Ihr Interesse fordert es. Zwingen wir ihn mit vereinten Kräften aus dem Bereiche dieses Stadtviertels, damit ich wieder ungestört den Uebungen auf meiner Posaune obliegen kann.“

„Ich kann leider nichts thun“, sagte ich dem Breiten, während ich emsig darauf bedacht war, seiner los zu werden. „Ich kann ihm leider eben so wenig sein Vergnügen auf dem Fagott, als Ihnen das Ihrige auf der Posaune verbieten.“

„Ich bin Künstler“, sprach Jener heftig; „ja, Künstler bin ich, und das darf ich kühn vor aller Welt behaupten; aber er ist ein Pfuscher, ein Stümper, ein nichtsnutziger Ruhestörer, ein“ –

[12] Der Posaunist wollte in seinem Eifer fortfahren, als die Thüre aufging und ein kugelrundes Männchen hastig in’s Zimmer sprang. Man kann sich nichts Possierlicheres denken, als dieses Männchen, das, ganz in Grau gekleidet, wie die aschgraue Möglichkeit aussah. Das Fagott, das der Kleine in Händen hielt, ragte hoch über sein rundes Haupt empor, von welchem das Haar in wilder Verwirrung über Schläfe und Nacken flatterte. Fast mit einem einzigen Satze war das Männchen zwischen mir und dem Posaunisten, der beim Anblick seines runden Erzfeindes beinahe vor Wuth erstickte.

„Hi hi hi!“ kicherte der Kleine, indem er sich zu mir wandte und dem Posaunisten einen hämischen Blick zuwarf; „man wollte mich gewiß verklagen. Dieser Mann, der den Ruhm hat, die ganze Menschheit aus seiner Nähe zu posaunen, hat mich gewiß schon wieder verläumdet. Man muß sich dies aber von einem so großen Künstler schon gefallen lassen. Sie müssen nämlich wissen“, fügte das Männchen höhnend hinzu: „daß dieser Künstler einer Familie angehört, die sich seit ewigen Zeiten auf der Posaune hervorgethan. Einer seiner würdigen Ahnen soll sogar unter den famosen Posaunisten gewesen sein, welche weiland die Mauern von Jericho niedergeschmettert.“

„Wir wollen sehen“, rief der Posaunist wüthend; „wir wollen sehen, wer von uns Beiden der Stümper ist und die Verachtung der Welt verdient!“ Und mit diesen Worten war er aus dem Zimmer.

„Nichts ist fürchterlicher als ein Musikaster“, sprach das graue Männchen; „nichts ist fürchterlicher als ein Mensch, der keinen Begriff von Nächstenliebe hat, und seine Mitmenschen durch ohr- und herzzerreißende Dissonanzen martert. Ich werde mir jetzt erlauben, Ihnen durch die That zu beweisen, daß der schreckliche Posaunist mich auf die giftigste Weise verläumdet hat. Ich werde Ihnen beweisen, daß ich mein Instrument behandeln kann.“

Ohne erst meine Antwort abzuwarten, setzte der Kleine das Fagott an den Mund, und blies so schrecklich, daß sich mein ganzes Innere krampfhaft umwälzte. Ich wollte eben dem Fagottisten sagen, daß ich den besten Begriff von seiner Virtuosität hätte, und daß es gar keines ferneren blasenden Beweises mehr bedürfe, als der Posaunist mit seinem ungeheuren Instrumente in’s Zimmer stürzte, sich schnell an meine rechte Seite stellte, und mit solch einer fürchterlichen Kraft zu blasen anfing, daß die Fenster klirrten. Man kann sich leicht meine schreckliche Lage denken. Zu meiner Rechten der schmetternde Posaunist, zu meiner Linken der dröhnende Fagottist. Ich stand zwischen Donner und Erdbeben. Ich bat, ich flehete, ich rang, ich kämpfte – umsonst! Kein Mitleid war bei dem Posaunisten, kein menschliches Erbarmen bei dem Fagottisten. Sie strengten sich Beide so sehr an, daß ihre Gesichter bereits dunkelblau waren; aber sie hörten nicht auf. Sie bliesen nicht; sie zerbliesen sich. Endlich, endlich erlöste mich die Müdigkeit ihrer Lungen von meiner entsetzlichen Pein. Sie pausirten, aber leider nur auf einige Momente.

„Ich fange gleich wieder an“, sagte der Posaunist, den Schweiß von der ungeheuren Stirne wischend. „Ich bin noch gar nicht müde.“

„Oho!“ rief der Fagottist, „ich könnte noch bis in die späte Nacht hineinblasen; denn ich habe, Gottlob! eine vortreffliche Lunge.“



Und mit diesen Worten setzte er wieder an, als wollte er den Posaunisten vernichten, der seinerseits nicht auf sich warten ließ, sondern wieder mit zehn Pferdekraft zu schmettern anfing. Ich war meiner Sinne nicht mehr mächtig. Ich wollte um Hilfe schreien; aber was vermochte meine menschliche Stimme gegen dieses infernalische Gedröhne?

„Nun, hab’ ich Ihnen nicht gezeigt, daß ich meines Instrumentes mächtig bin?“ fragte mich der Posaunist, das Marterinstrument absetzend. Ohne mir Zeit zur Antwort zu lassen, begann der Fagottist: „Ja, ja! Er bläst so herrlich, daß ihn der liebe Gott gewiß bei den Posaunen des jüngsten Weltgerichts anstellen wird.“

„Und Sie, elender Stümper“, erwiderte der Posaunist wüthend, „Sie wird der Teufel in der Hölle anstellen, wenn er um eine neue Qual für die allerverstocktesten Sünder verlegen[1] ist.“ Mit der Versicherung, daß Einer von ihnen die Nachbarschaft verlassen müsse, stürzten sie nach einer Stunde des heftigsten Wortzwistes aus meiner Wohnung, welche ich noch an demselben Tage räumte.

Soll ich dem geduldigen Leser noch meine anderen bittern Leiden aufzählen, die mir der Dilettantismus schon verursacht? Wahrlich! ein Dutzend Bände würde kaum für diese Passionsgeschichte hinreichen. Wenn auf zehn Meilen in der Runde irgend ein angehendes poetisches Gemüth existirt, kann ich sicher darauf rechnen, daß die gereimten Ergüsse mir vorgelesen werden. Wie viel fünfaktige Tragödien haben mir nicht schon die [13] sich selbst anbetenden Autoren vorgelesen? Und ich mußte diese Tragödien nicht nur loben, ich mußte sie auch hören! Wie viel schaurige Balladen hab’ ich nicht schon hören müssen, und doch nicht dabei einschlafen dürfen, weil die Verfasser mich bei jeder Zeile auf die Schönheiten derselben besonders aufmerksam machten! Wie viel Tendenznovellen haben mich nicht schon vom Mittagstisch abgehalten! Es giebt kein Leid, mit dem mich nicht unbarmherzige Aftermusensöhne heimgesucht haben. Ich bin mit Romanzen verfolgt, mit Hymnen gepeinigt, mit Oden gefoltert worden. Es existirt kein schlechter Reim, der nicht mein Gehör beleidigt, kein holperiger Vers, der nicht mein Ohr schon zerrissen hätte. Ich habe ganze nordische Winterabende hindurch hören müssen, wie zarte Haustöchter auf hektischen Klavieren Straußische Walzer abklimperten, und ich mußte, trotz meiner bittern Verzweiflung, süß lächeln, applaudiren und den entzückten Eltern das Talent ihrer lieben Kinder anpreisen. Wer zählt die altjungfräulichen Stimmen, die mich mit Beethovens „Adelaide“ schon so oft zu Tod amüsirten? –

Aber was helfen meine Klagen? Kein Sterblicher kann seinem Verhängniß entrinnen. Wer durch das Schwert umkommen soll, den wird das Schwert ereilen; und wer den Tod in den Wellen finden soll, der wird vergebens die Welle fliehen. Mir sagt meine Ahnung, daß ich einst den Tod durch den Dilettantismus finde. Ob mich nun ein von Dilettanten ausgeführtes Quartett einst meuchlings überfällt; ob mich einst der Tod in Gestalt einer in Mendelssohn’schen Liedern schwärmenden Haustochter, oder in Gestalt eines Lustspielvorlesenden Ladendieners ereilt: wer kann das wissen? –




  1. In der Vorlage: verlelegen.