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Die zehn Gebote (Hermann von Bezzel)/Siebtes Gebot I

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Die zehn Gebote (Hermann von Bezzel)
Siebtes Gebot II »
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Siebentes Gebot I.
Du sollst nicht stehlen!

 Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir unsers Nächsten Geld oder Gut nicht nehmen, noch mit falscher Ware oder Handel an uns bringen; sondern ihm sein Gut und Nahrung helfen bessern und behüten.

 Es ist aber ein großer Gewinn, wer gottselig ist, und lässet sich genügen. Denn wir haben nichts in die Welt gebracht, darum offenbar ist, wir werden auch nichts hinausbringen. Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so lasset uns genügen. 1. Tim. 6, 6–8.


 Die letzten Betrachtungen haben uns in das Geheimnis des Hauses und der Familie geführt und uns gezeigt, wie Eheleute leben sollen und wie Christenleute ihr Leben führen möchten, die entweder in der Ehe leben, gelebt haben oder in der Ehe leben könnten, wenn sie wollten. Wir sind hineingeführt worden in das Geheimnis der sittlichen Reinheit, der Zartheit, mit der man seiner Seele warten und der Sorgsamkeit, mit der man auf das ewige Leben sich bereiten soll. Das siebente Gebot läßt uns einen Blick in die Pflichten gegen das irdische Gut tun, so daß die erste Frage in dieser Abendstunde ist: wie steht denn der Christ zum irdischen Gut? In der Zeit vor Christi Geburt hat eine falsche Richtung unter den Heiden, der Stoizismus, das irdische Gut schlechthin als etwas Unrechtes und Gefährliches bezeichnet: was von außen her an den Menschen komme, verderbe und verwirre ihm den Sinn und Willen. Und eine gewisse Richtung auch in der Kirche Christi hat die Flucht vor dem irdischen Gut und dessen Verachtung| als etwas besonders Heiliges, Großes und Gottgefälliges gepriesen. Aber die heilige Schrift, nach der wir unser Leben richten sollen, nicht buchstäbelnd, sondern nach ihrem Sinn und Geist, nach der Kraft, die von ihr auf uns wirkt, und das Bekenntnis unserer Kirche mit diesem weiten Herzen und engen Gewissen, spricht ganz anders vom irdischen Gut. Ein großer Vater unserer Kirche schreibt einmal sehr fein: Paulus sieht das Ende seines Lebens vor sich: Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet. Nun sollte man meinen, im Gefängnis, den Tod vor Augen, die ewige Heimat im Herzen, hätte er keine Zeit und keine Lust mehr an irdische Dinge zu denken. Und er schreibt an Timotheus: Siehe, daß du aufs schierste, aufs schnellste, zu mir kommst! Nahe dem Ende sehnt er sich nach dem Freund und Schüler. Und er schreibt weiter: den Mantel, den ich vergessen habe, den bringe mit. Nahe vor seinem Ende verlangt ihn noch nach dem Kleidungsstück, das er einst getragen, damit er sich im Gefängnis wärmen könne. Auch das Pergament von Troas, das bringe auch mit. Er will also noch lesen und schreiben, ehe der Tod ihn von hinnen fordert. Seht, so schrieb dieser alte Vater, das ist evangelische Nüchternheit: den Tod vor Augen mit der Freude am Leben. Und so steht ein evangelischer Christ auch dem irdischen Gute gegenüber. Ich weiß, daß ich alles hergeben muß, und freue mich doch seiner. Es ist mir klar, daß ich es bald aufgeben darf und ich will es doch sammeln. Ich weiß, daß Motten und Rost es fressen und Diebe nachgraben und es nehmen können, und doch habe ich die Pflicht und das Recht auf irdisches Gut zu sehen. Zunächst auf das meine!
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 Eine Frage: mein Christ, denkst du an das irdische Gut, das uns allen zuteil wird und darum am wenigsten geachtet wird; denkst du an das irdische Gut der Zeit? Jeden Tag gibt dir dein Gott 24 Stunden. Was tust du| mit deiner Zeit? Du weißt doch, sie ist dir gegeben, damit du sie ausnützest, auskaufest. Du sollst deinen Fleiß hergeben und deine Kraft aufwenden und deine Gabe daran wagen, damit du das dir geliehene Gut der Zeit dir zu eigen machst und endlich zeitfrei wirst. Denkst du daran, was ein Mensch in einer Stunde tun, was diese Stunde ihm sein und was die Stunde gegen ihn zeugen kann? Denkst du daran, wieviel eine kurze Stunde Kapital für die Ewigkeit bedeutet, Kapital an Heimatsrecht oder Kapital an Ewigkeitsverlust? Aber die meisten Leute werfen die Zeit von sich und stehlen ihrem Gott das Höchste, was Er ihnen gab, und bringen sich um ein seliges Gut. Was hast du in der letztvergangenen Stunde, ehe du hier eintratest, mit deiner Zeit gemacht? Hast du sie vergeudet, vertändelt, verträumt? Oder hast du dich auf sein Wort gerüstet? Hast du deiner Seele einen guten Rat gegeben? Und was wirst du mit der Stunde hernach tun? Fleißig sein, um einen vielleicht gewonnenen Ewigkeitsgedanken möglichst rasch wieder aus deinem Herzen auszuscheiden? Eilig sein, um einen dir vielleicht von Gott gebotenen Eindruck recht schnell unschädlich zu machen, damit du nicht von schweren Gedanken gequält wirst? Oder willst du in der kommenden Stunde ein wenig allein sein und dir überlegen, ob du deine Zeit nicht fortan besser als bisher brauchen könntest? Bitte den Herrn: lehre mich meine Tage zählen, damit ich ein kluges Herz bekomme und nicht unklug dahinträume, dahinfahre, dahinfalle!
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 Ach, wenn wir das siebente Gebot: du sollst nicht stehlen! bedenken, denken wir alle an die vielen Hunderte, welche eben das Gebot leichthin übertreten. Wie Luther im großen Katechismus sagt: Wenn man alle Diebe hängen wollte, gäbe es nicht genug Bäume. Oder in einer Predigt vom Jahre 1525 sagt er: Man müßte alle Gürtel und Bänder zu Stricken machen, wenn man alle Diebe wollte| aufknüpfen. Wenn du das siebente Gebot liesest, denkst du an alle die großen Verbrecher gegen Geld und Gut, an die Räuber, an die falschen Händler, an die Wucherer, an die Diebe, an die Betrüger, an die Unrechten Maklereien u. dgl. Denkst du auch daran, daß du selbst das siebente Gebot übertrittst, indem du deinem Gott, dir und deinem Nächsten die Zeit abstiehlst? Es ist merkwürdig, wie schwer die Zeit dem Menschen entgeht, der sie nicht brauchen kann, und wie schnell sie dem enteilt, der sie recht braucht. Jeden Morgen leiht dir dein Gott 24 Stunden und ruft dir zu: handle damit, bis Ich wiederkomme! Und du kannst nun am andern Morgen ihm die 24 Stunden mit reichen Zinsen zurückgeben: in dieser Stunde habe ich dieser und jener Seele ein gutes Wort sagen dürfen; in der Stunde habe ich mich selbst schmücken können Dir entgegen; in dieser Stunde habe ich mich Deiner Armen annehmen und meiner häuslichen Pflichten warten können; in dieser Stunde habe ich mit meinem alten Menschen einen Kampf ritterlich aus Gnade und Erbarmen des heiligen Geistes durchgekämpft und gewonnen. Und so ist der Tag, der so leer mir vertraut ward, reich verzinst und wohl ausgenützt. Denn das Höchste bleibt es doch: zeitfrei werden! Daran kannst du erkennen, o Christ, ob du recht mit der Zeit umgehen kannst, daß du nicht mehr von ihr abhängig bist. Daran erkennst du auch jeden Menschen, der nicht mit der Zeit hauszuhalten weiß, wenn er immer nur eines kann und immer nur auf eines bedacht ist, nur von einem beherrscht und hingenommen ist, während der Mensch, der die Zeit zu meistern versteht, für jede Minute das ist, was die Minute von ihm verlangt. Wenn nur das eine heute gewonnen werden mag, und der heilige Geist kann es schaffen, daß diejenigen unter euch, die viel angelaufen werden und mancherlei Pflichten haben – und ihr habt alle weit mehr Pflichten, als ihr meint –, immer in jeder Minute das wären, was die Minute| und ihre Pflicht von ihnen verlangt. Es gibt eigentlich keine größere Anklage gegen Gott als die: ich habe keine Zeit. Also hat Gott dir Pflichten gegeben, ohne die Kraft dir zu lassen, Aufgaben dir gestellt, ohne Mittel, sie zu lösen. Also ist Er ein harter Mann, der fordert, was du nimmer leisten kannst. Ach, du hast Zeit genug, aber du weißt sie nicht zu benützen, weil du keine Ewigkeit hast. Dir ist deswegen die Rede so willkommen: ich habe keine Zeit! weil du nichts mehr auf die Ewigkeit aufheben und bewahren willst. Wenn du von Gott recht regiert bist, dann wird jede Stunde dich da finden, wohin sie dich ruft. Zeitfrei werden ist das Höchste, was ein Mensch eigentlich jeden Tag und für ihn sich erbitten möge: laß mich nicht von der Stunde abhängig sein, sondern die Stunde von mir abhängig werden. Denn wenn ich von der Stunde abhängig bin, werde ich einmal meiner Sterbestunde auch nicht Herr werden, sondern sie wird mich überwältigen und wo bleibe ich dann? Wenn ich nicht der Zeit Herr werde, so wird sie mich wegtragen, wie die Welle ein schwankes Schiff fortführt, und ich habe keine Heimat und keine Hilfe. Das aber muß man bald lernen; später wird es leicht zu spät. Ich weiß nicht, mit wem ich mehr Mitleid haben sollte, als mit den Menschen, die nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen. Es sind die allerärmsten, wirklich bedauernswerten Menschen, denen die Stunde nicht weichen will, weil sie ihnen nicht gehorcht. Ach, der Jammer, wenn jemand früh vom Lager sich erhebt und sich sagen muß: es wäre ebenso gut, ich bliebe in der Ruhe! Ach, das Leid, wenn jemand morgens durch die Straßen geht und sich zuruft: ich könnte ebensogut auch zu Hause bleiben! Dieses Weh am Abend: ich habe weder Pflichten gefunden, noch gefundene gelöst. Darum: du sollst nicht stehlen! Dein Gott hat dir dein äußeres Gut der Zeit vertraut. Merkst du nicht, wie sie kürzer wird? Vor zwanzig| Jahren hatte der Tag so viele Stunden und jetzt hat er nur noch so wenig! Vor zwanzig Jahren hatte jede Stunde sechzig vollwertige Minuten, jetzt ist eine Stunde im Flug vorbei! Weil es jetzt abwärts-, talwärts-, dem Grabe zugeht, darum hastet die Zeit. Es geht dem Meere entgegen, da läuft der Strom in Eile. Wir kehren heim, der Herr wartet unser, da wird der Tag gar kurz. Du sollst nicht stehlen, deinem Gott nicht den Tag abstehlen, sondern ihn bitten, daß Er dich lehre die Zeit ausfüllen. O, nur nicht müßig gehen, meine Christen, nicht müßig gehen! Geschäftigkeit ist noch nicht Arbeit; vieles Hin- und Hergehen ist noch nicht Fleiß; hunderterlei beginnen ist noch nicht Treue. Es gibt auch Menschen, die den Tag über vielerlei arbeiten und am Abend war es nichts. Suche nie die Pflicht, sondern laß die Pflicht dich suchen; mache dir nie Arbeit, laß dir die Arbeit von Menschen geben und schenken! Durch Menschen wendet sich Gott an dich. Nimm die kleinste Arbeit wie eine Hauptsache vor, das unscheinbarste Geschäft als einen großen Ernst! Laß dir die kleinste Sorge sehr am Herzen liegen und am Abend kommt die Freude: Gottlob, ein reicher Tag ist wieder vollbracht!

 Und nun fragen wir, wie stehen wir zum irdischen Gute überhaupt, zu allerlei Geld und Gut, das Gott gibt? Überschätze es nicht! Unterschätze es nicht! Schätze es recht!

 Überschätze es nicht! „Denn Geiz ist die Wurzel alles Übels, welches hat etliche gelüstet und sind vom Glauben irre gegangen und machen ihnen selbst viele Schmerzen“, oder wie der 39. Psalm sagt: Und machen sich viel vergebliche Unruhe. Es ist etwas Furchtbares um die Geldsucht. Der Mensch wendet sich dadurch vom Leben. Der gegen das sechste Gebot sündigt, hat noch mit dem Leben Berührung, er sucht doch noch Fühlung mit Persönlichkeiten. Und der gegen das fünfte Gebot fehlt, hat doch noch Lebensbeziehungen| er geht gegen das Leben, er trotzt dem Leben. Aber der das siebente Gebot übertritt, indem er Geld und Gut an sich rafft, indem er durch allerlei unrechtes Wesen und durch übersorgliche Art Schätze zusammenrafft und aufhäuft, der hat ja an das tote Metall sich verkauft. Es ist merkwürdig, die Sünde gegen das sechste Gebot brennt den Menschen aus und die gegen das siebente trocknet und dorrt die Seele aus. Wenn ein Ackerboden verbrannt ist, mag der Regen ihn noch einmal verneuern und der Frühling ihn noch einmal begrünen, es kann wieder gut werden. Wenn aber der Acker zum Felsgestein erstarrte und die letzten Keime in ihm vertrocknet und erstorben sind, dann zieht der Frühling über ihn hinweg und die laue Luft weht über den Fels: er bleibt starr und tot; denn das Leben ist erstorben. Ach, nur nicht Überschätzung des Erdengutes! Es ist, als ob der Feind hinter den Münzen, hinter den äußeren Besitztümern, hinter Schmuck, hinter allerlei geliebtem Bildwerk, hinter all den Kleidern stünde und uns die Ewigkeit mit einem Flor bedeckte, so daß wir sie nicht mehr erkennen und begehren. Es ist eine Kunst des Feindes, daß er das Bleibende als unnütz und das Unnütze als bleibend erklärt, die Ewigkeit immer mehr in Begriffe, in Nebel, in Streifen der Wolken auflöst. Ob jemand sein Herz an große Güter oder an etliche kleine Münzen, an einen reichen Besitz oder an ein armes Gut, an großes Land oder an eine geringe Hufe hängt, es ist immer Überschätzung des Erdengutes, etwas Furchtbares, weil es den Menschen an die Erde knechtet, in der und mit der er vergeht. Ich werde es nie vergessen, wie ich am Sterbebette eines ganz verarmten Menschen gestanden bin, der die letzten Jahre sich damit vergnügte, allerlei Bilder, Ausschnitte aus Zeitungen aufzukleben. Und in seiner Todesstunde hat er nicht nach dem Trost des göttlichen Wortes, sondern nach diesem armseligen Buche verlangt, das etliche Pfennige wert war.| Das war sein Schatz, sein Reichtum und sein Glück. Es ist etwas furchtbar Ernstes: der reiche Mann im Evangelium ist nicht wegen seines Reichtums verworfen und Lazarus nicht wegen seiner Armut heimgebracht worden, sondern der Eine wurde, weil er arm war, verworfen und der Andere, weil er reich in Gott war, angenommen. Wenn du merkst, – und du merkst es bald, denn Gott zeigt es deiner Seele –, daß du an irgend einem Erdengut hängst, dann mache dich frei, und wenn es dir noch so schwer wird! Gib aus, gib hin, opfere, zähle nicht; wenn irgend ein Wertstück dein Herz besonders in Beschlag nimmt, verfüge bei deinen Lebzeiten darüber, schenke es weg; es ist dir besser, du verlierst es hier, als es zerstört dich dort! Du merkst es – und Gott ist treu, daß Er’s dich merken läßt –, wie allmählich größerer Besitz, größerer Gewinn deine Seele umdüstert. Brich durch! Bleibe in der Armut, bleibe in der Anspruchslosigkeit, laß nicht über dich herrschen, was dir nur dienen darf! Überschätze es nicht, sonst bricht es dir das Herz! Denn wo dein Schatz ist, da wohnt dein Herz! Wehe dem Menschen, der an Erdentand sein Herz verlor!
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 Aber freilich, unterschätze es auch nicht! Es ist etwas Gutes, wenn dir der Herr äußeren Besitz gibt. Er meint es treu. Er erlaubt dir, daß du dein Leben schmückst. Es ist ja sein Schmuck, mit dem du den Tag zierst und seine Gabe, die dir die Stunde erleichtert. Unterschätze es nicht! Es ist etwas Großes, wenn der Herr dich von äußeren Sorgen frei werden läßt, damit du ganz auf deine Seele achtest. Unterschätze es nicht, wenn der Herr so freundlich ist, daß Er dir jeden Tag den Tisch deckt und dir immer wieder gibt, daß du habest zu geben. Die Geringschätzung irdischen Besitzes ist auch Sünde, weil sie Undank gegen den ist, aus dessen Fülle ich Gnade um Gnade, auch für die Erde, nehmen kann. Hat er dir nicht die Rose an den Weg gestellt, damit du ihrer dich freuest? Hat er nicht die| Sonne dir gegeben, damit du in ihrem Glanze dich behagest? Hat Er nicht manche Arbeit dir auch mit äußerem Erfolge gesegnet, damit du schmeckst und siehst, wie freundlich Er ist. Nur nicht eine unevangelische Unterwertung des Erdengutes! Im Gegenteil! Wir haben das Recht zu erwerben, die Aufgabe zu verdienen, die Pflicht zu sparen. Und wenn wir manchmal sagen: du sparst ja für andere! so merke: es ist auch ein köstlich Ding, einem Anderen Leben und Herz zu erleichtern; es ist auch etwas Großes, da und dort helfen zu können. Und du merkst es, in der Unterschätzung des Erdengutes wird man doch nicht frei von ihm, sondern es rächt sich. Man wird auf einmal immer sorglicher und ängstlicher und der früher die Erdengabe verwarf, sucht sie dann um so ängstlicher.

 Du, Christenmensch, schätze das Erdengut recht! Freue dich deines Herrn, der dir es gab und nimm mit Dankbarkeit an, was Er dir schenkt! Verwende es zu deiner eigenen Freude, verwerte es zum Wohl deines Nächsten, habe immer einen Notpfennig, daß du geben kannst! Und dann gib mit Freuden und ohne Zagen, und gib lieber ohne viel zu fragen, dein himmlischer Vater nährt auch manchen, der es nimmer verdient! Schau, wie die Sonne über die Gottlosen aufgeht und der Regen auch den Spöttern seine erquickende Gabe schenkt! Gib auch du mit freier Hand und frohem Herzen; dein Gott hat es dich geheißen, Er wird es recht machen. Seht, indem wir so das Erdengut benützen, es sammeln, um zu geben, es empfangen, um es darzuleihen, es aufsparen, um es andern zu übergeben, beweisen wir unsere Freiheit von ihm und unsere Gebundenheit an den Geber, unsern Herrn.

 Aber, indem wir das Erdengut weder über- noch unterschätzen, sondern recht in seinem Werte schätzen, werden wir auch dem Nächsten sein Hab, Gut und Geld nicht nehmen; nicht nehmen mit Gedanken, noch mit| Worten, noch mit Werken. Wer uns ganz vom Neide frei machen könnte oder, wie der Herr sagt, von dem Auge, das Beschwerden macht! Siehest du darum scheel, sagt Er im Weinberge, in dem so viel Gnade, Sonne und Freundlichkeit war, siehest du darum scheel, weil ich so gütig bin? Wer uns frei machen wollte von dem bitteren Gefühle: du hast uns denen gleich gemacht, uns, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben! Und wir vergessen, daß es gar nicht Last war in seinem Weinberg zu stehen, und daß es nicht Hitze und Drangsal war, unter seinen Augen solch schöne Arbeit haben tun zu dürfen. Wer uns vom Neid frei machen wollte, der dem Nächsten sein Geld oder Gut in Gedanken nimmt! Willst du ein Mittel gegen den Neid wissen? Das äußere, mein Christ, ist der Gedanke an den Tod und das innerliche ist der Dank für das eigene Gut. Sobald du den Neid in deiner Seele spürst, nimm, wie unsere Väter sagen, ein wenig Kirchhoferde! Vor dieser verscheuchen alle neidischen Gedanken, alles was sich aufdrängt, deine Seele mit Neid zu vergiften. Wir haben nichts in die Welt gebracht, darum offenbar ist, wir werden auch nichts hinausbringen. Als man die Leiche des großen Alexander durch Babylons Straßen trug, wurde auf sein Geheiß der Sarg offen getragen und aus dem Sarge hing die rechte Hand des Weltenherrschers heraus. „Das ist,“ so mußte der voranschreitende Priester ausrufen, „die Hand, vor der drei Erdteile zitterten und nun ist sie kalt und matt und tot.“ Wenn der Neid über dich kommt, daß du deinem Nächsten Ehre, Freude, Reichtum, Glück nicht gönnst, so denke: in einer Stunde geht alles zugrunde. Wisse, er nimmt von all dem nichts mit, wenn es auch noch so reich und prunkvoll wäre, noch so glänzend und groß, es ist alles eitel und läßt das Herz nicht stille werden und macht Unrast, die das Leben nicht beglückt. Dann merkt man, ein gutes äußeres Mittel gegen den Neid ist diese Harmlosigkeit des| letzten Tages: nackend bin ich auf diese Erde gekommen und nackend zieh ich auch wieder fort. Aber ein weit innerlicheres, reineres Mittel ist es, sobald der Neid mit bösen Krallen sich an dir hält, zu danken für das, was dein Gott dir gab. Auf einmal trägt dann der Dornstrauch, den Er vor deine Türe gepflanzt hat, eitel Rosen, und das Schwere, das frühe zu deinem Fenster hereinlugte, hat ein leuchtend Angesicht bekommen, und die bittere Stunde birgt in ihrem Schoße lauter Freude, volle Gnade! Wie reich bin ich, weil ich danken kann! Seht, es ist ein königliches Mittel, dieser Dank. Wer Dank opfert, der preiset mich; und das ist der Weg, daß Ich ihm zeige das Heil Gottes! Es ist dann, als ob auf einmal die Mutter in dem Schranke, den unsere Kindheitstage als einen Wunderschrank anstaunten, ein Kleinod um das andere hervorholte, dort ein geheimes Fach, von dem wir nichts wußten, und hier eine Lade, die wir noch nicht kannten, und da eine Gabe, fein verborgen und versteckt, hervorbrachte. Das wird der Seele, die danken kann! Der himmlische Vater zieht all die geheimen Fächer seiner Treue, all die Verstecke seiner Sorglichkeit und Gütigkeit hervor. Wie reich hat er mein Leben auch im Äußeren gemacht! So hüte dich vor dem Neide! Denn wenn du dem Raum gibst, wird dein Auge immer trüber für das, was Er, dein Gott, dir schenkte, und immer scheeler gegenüber dem, was Er dem Nachbarn gab, und enger gegenüber dem, was Er dir in Ewigkeit verheißt und schließlich erstarrt dein Auge. Es hat verlernt, dankend auszuschauen und bekennend Einblick zu tun.
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 Und dann hüte dich, daß du deines Nächsten Geld oder Gut nehmest mit Worten, indem du ihm seine Gabe verkleinerst, verringerst! Es gibt Menschen, die ihren Nächsten nie froh sehen können. Sie schmälern mit Worten eine Freundlichkeit, die ihm widerfuhr; sie entziehen ihm den Sonnenstrahl, der über seiner Hütte aufging; sie verkümmern| ihm das, was Gott ihm gönnte, mischen sich in das Glück des Nächsten, um es zu zerstören: wird es noch lange währen? steht es auf gutem Grunde? ist es wirklich so, wie du meinst? hast du wirklich dieses Glückes Grund erfaßt? Und der Nächste wird nun trüb und traurig. Er ist froh gewesen, ehe du kamst, und indem du scheidest, ist ihm das Herz beschwert. Das heißt man mit Worten ihm nehmen, statt daß man mit ihm dankt, ihn danken lehrt. Man wird nicht frei, wenn man sich nicht mit ihm freuen und mit ihm danken kann, wenn man nicht ohne allen Neid den Segen sehen kann, den Gott auf des Bruders oder Nächsten Haus legt. Lehre ihn danken, vereine deinen Dank mit dem seinen und du machst ihn reicher als er war, da du kamst! Und dann behüte uns Gott der Herr davor, daß wir dem Nächsten sein Geld oder Gut mit Werken nehmen! Ach, es gibt gar manche Formen, unter denen man Geld oder Gut des Nächsten nimmt: leichthin etwas entlehnen, Sorglosigkeit gegenüber anvertrauter oder geborgter Habe, Untreue gegenüber dem, was uns anvertraut ist; es braucht nicht äußerlicher, grober Diebstahl zu sein, man kann dem Nächsten auch Geld und Gut stehlen, indem man es nicht bewahrt, es schädigt und verringert. Wieviel hat dir vielleicht dein Nächster gegeben: du darfst dies oder jenes Stück seines Eigentums benützen, er hat dir über dieses oder jenes Buch ein Recht eingeräumt, läßt dich an allerlei teilnehmen, an Dingen, die dir sonst verschlossen blieben. Doch du bist nicht scheu, sorgsam und zart. So hast du deines Nächsten Geld und Gut genommen.
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 Pfingsten zieht herauf, mit ihm die Gabe des heiligen Geistes, der der rechte Zeitgeist ist in jedem Menschen, das rechte Urteil auch über ihre irdische Dinge gibt. Wir wollen ihn bitten, daß Pfingsten nicht über unsere Häupter und Häuser hinwegziehe, wie eine leichte Wolke, die nicht bleibt, sondern ihn angehen: o heiliger| Geist kehr bei uns ein, daß wir auch für die äußeren Dinge ein rechtes Verständnis, ein offenes Auge und eine willige Hand bekommen! O heiliger Geist, lehre uns also durch die zeitlichen Güter gehen, daß wir darob die ewigen nicht verlieren; aber lehre uns auch also durch die zeitlichen Güter gehen, daß wir die ewigen in ihnen erblicken! Auch den Erdendingen gegenüber gib uns, o heiliger Geist, den rechten Maßstab und eine neidlose Freude! Wer aber den Geist Gottes nicht hat, der ist nicht sein, er ist nicht Christi, er ist auch nicht seiner Gnade verbunden, sondern er ist ein Fremdling auf Erden, der nicht mehr weiß, wo er wandeln soll. Er wird ein Sklave der Erde, der nicht mehr kennt, wie er zu herrschen habe, er wird ein Knecht der Erde, der ihr nicht zu entrinnen weiß. Das Schwerste ist es doch, wenn man irdisch gesinnt ist; denn irdisch gesinnt sein, ist der Tod. Davor behüte uns der werte heilige Geist!
Amen.





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