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Die freigebigen Juden (Gräve, 1838)

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Textdaten
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Autor: Heinrich Gottlob Gräve
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Titel: Die freigebigen Juden
Untertitel:
aus: Volkssagen in der Lausitz, in: Neues Lausitzisches Magazin, Sechszehnter, Neuer Folge dritter Band, S. 128–130
Herausgeber: Joachim Leopold Haupt
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1838
Verlag: Heyn’sche Buch- und Kunsthandlung
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Erscheinungsort: Görlitz
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Quelle: Google, Commons
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[128]
6. Die freigebigen Juden.

Auf dem Protschenberge bei Budissin befindet sich an [129] der gegen das Schloß Ortenburg gelegenen Seite, eine Art, anfänglich schmaler, nachher aber sich erweiternder, etwa acht Schritte in den Berg hinein gehender Höhle, – gegenwärtig der Fledermäuse Residenz – die Judenschule genannt, von welcher man sich Folgendes erzählt.

Zur Zeit der Judenverfolgungen sollen, um sich zu sichern und ihre Religionsübungen ungestört forttreiben zu können, sich mehrere Juden daselbst versammelt und feierlich angelobt haben, daß, wenn sie unentdeckt blieben und ungestört mit ihrem Vermögen nach Polen gelangten, sie dieses nie vergessen, vielmehr jährlich an einem bestimmten Tage an diesem Orte eine reichliche Spende vertheilen würden.

Ihr Abgang muß ungehindert geschehen sein; denn als einst im sechszehenten Jahrhundert eines Sonntages (soll der Erlösungstag aus der babylonischen Gefangenschaft gewesen sein) nach der Frühkirche, ein ehrsamer Bürger Budissins, Namens Gotthelf Arnst in dieser Gegend lustwandelte, trieb ihn die Neugierde diese Höhle zu besuchen. Er trat hinein und – wahrscheinlich war sie zu jener Zeit geräumiger, als gegenwärtig – erblickte sieben Männer in polnischer Judentracht, mit ehrwürdigen weißen Bärten, sitzend um eine runde Tafel und in Goldstücken wühlend. Bestürzt über diese ungewöhnliche Erscheinung wollte er zurückgehen; allein Einer derselben redete ihn freundlich an und sprach: „Fürchte Dich nicht! Denn wir sind nicht da, um Böses, sondern um Gutes zu thun!“ worauf er ihm denn erzählte, was der geneigte Leser bereits weiß, nämlich ihre ungestörte Reise nach Polen vor mehreren hundert Jahren, und daß ihre abgeschiedenen Geister jährlich an diesem Tage hier zusammenkämen und ihrer Rettung wegen, den, der sie hier träfe, mit Golde beschenkten. „Nimm daher – fuhr er fort – so viel Du kannst und willst; denn nur einmal [130] ist es Jedem zu kommen erlaubt; jedoch beeile Dich, denn bald ist sie verronnen die Zeit, während welcher es uns vergönnt ist, hier auf Erden zu weilen!“

Arnst nahm sein Taschentuch, packte des Geldes ein so viel er vermochte und begab sich dankend aus der Höhle.

Als er mit seiner Geldlast den Berg erklommen hatte, vernahm er einen dumpfen Knall, welches – wie er später erfuhr – das Verschwinden der freigebigen Juden bedeutete. Von dem Gelde soll er sich Häuser und Feld und darunter auch den unfern Budissin gelegenen sogenannten Weinberg, welchen späterhin ein gewisser Steinberger ausbaute, erkauft haben und als ein wohlhabender Mann gestorben seyn. Ob irgend ein Anderer nach ihm wiederum diese Höhle besucht habe und ebenfalls so glücklich gewesen sei, davon schweigt die Sage.