| §. 6. Ueber diejenigen ponderomotorischen und elektromotorischen Kräfte, welche elektrostatischen Ursprungs sind.
Diejenige Quantität von lebendiger Kraft und Wärme, welche während der Zeit

im gegebenen Systeme hervorgerufen wird speciell
| durch die Kräfte
elektrosstatischen Ursprungs, ist im Vorhergehenden, in (20.b), bezeichnet worden mit
|
|
Es soll nun hier gezeigt werden, dass diese Quantität (32.) ein vollständiges Differential ist.
Die repulsive Kraft, welche zwei elektrische Massen
und
in der Entfernung
auf einander ausüben, hat, nach dem von Coulomb gegebenen elektrostatischen Grundgesetz, den Werth:
|
|
und es wird daher der Ausdruck
|
|
zu bezeichnen sein als das elektrostatische Potential der beiden Massen
und
Gewöhnlich pflegt man aber
schlechtweg
zu setzen. Ebenso aber, wie das Newton’sche Gesetz für sehr kleine Entfernungen einer gewissen Modification bedarf, ebenso erscheint es sehr möglich, dass einer analogen Modification vielleicht auch das Coulomb’sche Gesetz bedürftig ist. Der grösseren Allgemeinheit willen mag daher im Folgenden unter
eine Function verstanden sein, welche nur für beträchtliche Entfernungen identisch mit
für sehr kleine Entfernungen hingegen von noch unbekannter Beschaffenheit ist.
Das Coulomb’sche Gesetz giebt an und für sich noch durchaus keinen Aufschluss über die eigentliche Wirkung der in Rede stehenden Kräfte; und es bedarf daher, um das Gesetz überhaupt brauchbar zu machen, irgend welcher accessorischer Annahmen. Die Hypothesen, deren man in dieser Beziehung sich zu bedienen pflegt, sind folgende:
Erste Hypothese. Die ponderomotorische Kraft elektrostatischen Ursprungs
mit welcher zwei ponderable Massenelemente
und
auf einander einwirken, ist jederzeit identisch mit derjenigen Kraft, welche, nach dem Coulomb’schen Gesetz[WS 1], stattfindet zwischen ihren augenblicklichen elektrischen Ladungen.
Nach (33.) wird also jene Kraft
den Werth haben:
|
|
| falls man die Entfernung der beiden Elemente

und

von einander mit

und ihre augenblicklichen elektrischen Ladungen mit

und

bezeichnet.
Zweite Hypothese. Die elektromotorische Kraft elektrostatischen Ursprungs
welche
hervorruft in irgend einem Punkte
des Elementes
ist jederzeit identisch mit derjenigen Kraft, welche, nach dem Coulomb’schen Gesetz, stattfindet zwischen der augenblicklichen elektrischen Ladung von
und einer in jenem Puncte
concentrirt gedachten Elektricitätsmenge Eins.
Nach (33.) hat also die in Rede stehende Kraft
den Werth:
|
|
wo
und
dieselben Bedeutungen haben wie in (35.). Denn da
ein Punct des Elementes
die Elemente
und
aber unendlich klein sind, so wird die Entfernung zwischen
und
dieselbe sein, wie zwischen
und
Die zweite dieser Hypothesen dürfte Kirchhoff [1] zuzuschreiben sein, andererseits dürfte die erste, wenn auch vielleicht niemald mit Bestimmtheit ausgesprochen, doch wohl als eine allgemein übliche zu bezeichnen sein.
Es seien
und
irgend zwei Körper des gegebenen Systems, und es mögen die einzelnen ponderablen Massenelemente von
mit
diejenigen von
mit
benannt sein. Sind
und
die augenblicklichen elektrischen Ladungen von
und
so wird das elektrostatische Potential dieser Elemente auf einander durch den Ausdruck (34.), folglich das elektrostatische Potential der beiden Körper
und
einander durch
|
|
dargestellt sein, die Summation ausgedehnt über alle Elemente von
und über alle Elemente von
Um in diesem Ausdruck (37.) an Stelle der elektrischen Massen
die elektrischen Dichtigkeiten einzuführen, schicken wir folgende Betrachtungen voran.
Ein beliebig gegebener ponderabler Körper kann immer in einzelne Elemente

und

in solcher Weise eingetheilt gedacht werden, dass die Elemente

im Innern liegen, die Elemente

hingegen zusammengenommen eine längs der Oberfläche hinlaufende Schicht von
| unendlich geringer Dicke

bilden. Gleichzeitig wird dabei jedes einzelne Element

angesehen werden können als ein kleiner Cylinder, welcher jene Dicke

zur Höhe, und ein Oberflächenelement

des Körpers zur Basis hat. – Sind nun in irgend einem Zeitaugenblick

und

die elektrischen Ladungen zweier Elemente

und

, so wird offenbar:
|
|
hingegen
|
|
sein. Hier bezeichnet
das Volumen von
respective von
und
die räumliche Dichtigkeit der in
, respective
enthaltenen elektrischen Materie; ausserdem bezeichnet
die Basis des (cylindrischen) Elementes
und
die Flächen-Dichtigkeit der auf
vorhandenen elektrischen Materie. – Der Werth von
kann übrigens, weil daselbst
ist, auch so geschrieben werden:
|
|
oder weil
gegen
verschwindend klein ist, auch so:
|
|
Wir haben also schliesslich die Formeln:
|
|
Diese beiden Formeln aber können zusammengefasst werden zu der einen Formel:
|
|
falls man nämlich unter
die Collectivbezeichnung für
andererseits unter
die Collectivbezeichnung für
versteht.
Denkt man sich das hier beschriebene Verfahren in Anwendung gebracht auf die gegebenen Körper
und
so ergeben sich für die in irgend zwei Elementen
und
dieser Körper augenblicklich enthaltenen Elektricitätsmengen
und
die Darstellungen:
|
|
Hierdurch geht die Formel (37.) über in:
|
|
Nach diesen Vorbereitungen mag nun endlich näher eingegangen werden auf die eigentliche Aufgabe. Es seien
|
|
diejenigen Quantitäten von lebendiger Kraft und Wärme, welche das
| Element

während der Zeit

vermöge seiner Kräfte elektrostatischen Ursprungs hervorruft im Elemente

Dann ist (vergl. pag. 12):
|
|
wo
die Verrückung des Elementes
während der Zeit
vorstellen, und wo
die Componenten der in (35.) genannten ponderomotorischen Kraft
vorstellen. Es ist also
|
|
wo
und
die Coordinaten von
und
bezeichnen,
ihre gegenseitige Entfernung, endlich
und
ihre augenblicklichen elektrischen Ladungen. Aus (41.) und (42.) folgt:
|
|
wo
zur Abkürzung steht für
Hieraus endlich folgt durch Substitution der Werthe (38.)
|
|
Denkt man sich nun diese auf zwei Elemente
bezügliche Formel der Reihe nach hingestellt für jedwedes Elementenpaar
der beiden Körber
jedoch immer der Art, das
zu
zu
gehört, so gelangt man durch Addition all’ dieser Formeln zu folgendem Ergebnisse:
|
|
wo die linke Seite dasjenige Quantum lebendiger Kraft vorstellt, welches der Körper
während der Zeit
vermöge seiner Kräfte elektrostatischen Ursprungs hervorruft im Körper
Was ferner die in (40.) genannte Wärmequantität betrifft, so ergiebt sich sofort (vergl. pag. 14):
|
|
wo

das Volumen von

ferner

die in

augenblicklich vorhandenen elektrischen Strömungscomponenten, endlich
| 
die Componenten der in (36.) genannten elektromotorischen Kraft

vorstellen. Diese Bezeichnungen

und

mögen bezogen gedacht werden auf ein Axensystem, welches mit der ponderablen Masse des Körpers

in starrer Verbindung ist.
Nach (36.) ist
Die Componenten
dieser Kraft haben daher die Werthe:
|
|
wo
und
die Coordinaten von
und
bezeichnen mit Bezug auf das eben genannte Axensystem. Aus (46.) und (47.) folgt:
|
|
oder durch Substitution des Werthes (38.):
|
|
wo
zur Abkürzung gesetzt ist für
Denkt man sich nun diese auf irgend zwei Elemente
der Körper
bezügliche Formel (49.) der Reihe nach aufgestellt für jedwedes Elementenpaar der beiden Körper, so gelangt man durch Addition all’ dieser Formeln zu folgendem Resultat:
|
|
wo die linke Seite dasjenige Quantum Wärme repräsentirt, welches der Körper
während der Zeit
vermöge seiner Kräfte elektrostatischen Ursprungs hervorruft im Körper
Die Formel (50.) kann, wenn man zur augenblicklichen Abkürzung den (dem Körper
zugehörigen) Index
überall fortlässt, auch so geschrieben werden:
|
|
Von den beiderlei Integrationen nach

und nach

welche hier in Betracht kommen, lässt sich die letztere nach bekannter Methode
| weiter behandeln. Setzt man nämlich das Volumenelement

so erhält man successive:
|
|
wo
das Oberflächenelement von
und
die innere Normale von
bezeichnet. Hieraus folgt mit Rücksicht auf die früher entwickelten Relationen [(9.a, b) und (14.a, b), pag 4, 5) sofort:
|
|
oder was dasselbe ist:
|
|
oder wenn man für
die vorhin eingeführte Collectivbezeichnung
ebenso wie für
die Collectivbezeichnung
in Anwendung bringt:
|
[WS 2]
|
Somit folgt aus (51.)
|
|
oder wenn man den unterdrückten Index
restituirt:
|
|
Durch Addition der Formeln (45.) und (53.) folgt:
|
|
Diese Formel aber erlangt, mit Rücksicht auf den für das Potential
gefundenen Wert (39.):
|
|
| sofort die einfache Gestaltung:
|
|
Man erkennt nämlich leicht, dass die rechte Seite jener Formel (54.), abgesehen vom Vorzeichen, denjenigen partiellen Zuwachs
darstellt, welchen das Potential
während der Zeit
annehmen würde, falls man die Aenderungen, welche der Körper
hinsichtlich seiner räumlichen Lage und seines inneren Zustandes während der Zeit
erleidet, zu Null machen, den Körper
hingegen in beiderlei Beziehung denjenigen Aenderungen überlassen wollte, welche er während der Zeit
in Wirklichkeit erleidet. Es erscheint angemessen, diesen Zuwachs
zu bezeichnen als den partiellen Zuwachs, genommen nach dem Körper
Die Formel (55.) enthält alsdann folgenden Satz.
Die vom Körper
während der Zeit
vermöge seiner Kräfte elektrostatischen Ursprungs im Körper
hervorgerufene Quantität von lebendiger Kraft und Wärme ist abgesehen vom Vorzeichen immer gleich gross mit dem der Zeit
entsprechenden partiellen Zuwachs des elektrostatischen Potentiales der beiden Körper auf einander, genommen nach
Analog mit (55.) wird sich offenbar ergeben:
|
|
Durch Addition von (55.) und (56.) folgt sodann;
|
|
wo
das vollständige Differential von
d. i. denjenigen Zuwachs vorstellt, welchen
während der Zeit
in Wirklichkeit erfährt. — Sind nun
die einzelnen Körper des gegebenen Systems, so werden sich mit (42.) analoge Formeln ergeben für
für
u. s. w., überhaupt für jedes Körperpaar. Diese Formel (57.) kann in Worten so ausgedrückt werden:
Die Quantität von lebendiger Kraft und Wärme, welche die beiden Körper
und
während der Zeit
vermöge ihrer Kräfte elektrostatischen Ursprungs, wechselseitig in einander (der erste im zweiten und der zweite im ersten) hervorrufen, ist abgesehen vom Vorzeichen immer gleich gross mit demjenigen Zuwachs, welchen das elektrostatische Potential der beiden Körper auf einander während der Zeit
in Wirklichkeit erfährt.
Dabei ist zu beachten (was auch in der gewählten Ausdrucksweise so gut wie möglich anzudeuten versucht ist), dass bei der genannten
| Quantität
nicht mitgerechnet ist diejenige Menge von lebendiger Kraft und Wärme, welche der Körper

während jener Zeit, vermöge der in ihm vorhandenen Kräfte elektrostatischen Ursprungs,
in sich selber hervorruft, ebenso wenig die entsprechende Menge für
Es bleibt noch übrig, diejenige Quantität von lebendiger Kraft und Wärme zu ermitteln, welche irgend ein Körper des Systems, und zwar vermöge der in ihm vorhandenen elektrostatischen Kräfte, in sich selber erzeugt. Zu diesem Zwecke denken wir uns mit dem Körper
in Superposition einen zweiten Körper
welcher seiner Form und seinem inneren Zustande nach mit
völlig identisch ist; dann ergiebt sich aus (57.):
|
|
oder (was offenbar dasselbe ist):
|
|
In Folge der Identität zwischen
und
kann statt
auch geschrieben werden
jedoch repräsentirt alsdann dieses
wie man leicht übersieht, nicht das elektrostatische Potential des Körpers
auf sich selber, sondern den doppelten Werth desselben. Bezeichnet man also das elektrostatische Potential des Körpers
auf sich selber mit
so wird jenes
sein. Somit folgt aus (59.):
|
|
Diese Formel (60.) führt zu folgendem Satz:
Die Quantität von lebendiger Kraft und Wärme, welche der Körper
während der Zeit
vermöge seiner Kräfte elektrostatischen Ursprungs in sich selber hervorruft, ist abgesehen vom Vorzeichen gleich gross mit demjenigen Zuwachs, welchen das elektrostatische Potential des Körpers auf sich selber während der Zeit
in Wirklichkeit erfährt.
Denkt man sich die Formel (57.) der Reihe nach aufgestellt für jedwedes Körperpaar des gegebenen Systemes, und andererseits die Formel (60.) der Reihe nach gebildet für jedweden einzelnen Körper des Systemes, so gelangt man durch Addition all’ dieser Formeln zu folgendem Resultat:
|
|
wo links diejenige Quantität von lebendiger Kraft und Wärme sich vorfindet, welche im
ganzen Systeme, und zwar in Folge der elektro
| statischen Kräfte, entwickelt worden ist während der Zeit

und wo andererseits

das elektrostatische Potential des Systems auf sich selber vorstellt.
Hiermit ist der verlangte Nachweis geführt, nämlich dargethan, dass die in (32.) genannte Quantität ein vollständiges Differential ist.
Beiläufig folgt übrigens aus (61.), dass die von uns früher (pag. 21) mit
bezeichnete Function identisch ist mit
dass also das elektrostatische Postulat des gegebenen Systemes identisch ist mit seinem elektrostatischen Potential.
- ↑ *)Kirchhoff: Ueber eine Ableitung des Ohm’schen Gesetzes, welche sich an die Theorie der Elektrostatik anschliesst. (Pogg. Annal. Bd. 78, pag. 506.)
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ WS: Rechtschreibfehler im Original: Geletz → Gesetz korrigiert.
- ↑ WS: Satzfehler im Original:
→
korrigiert.