Zum Inhalt springen

Die drei letzten Meistersänger von Straßburg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Alfred Klatte
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die drei letzten Meistersänger von Straßburg
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 156–160
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[156]

Die drei letzten Meistersänger von Straßburg.

Von Alfred Klatte.

Es fehlt in unseren Tagen nicht an Anzeichen, daß in der alteingesessenen Bevölkerung des Reichslandes sich endlich doch der Umschwung vollzieht, den wir seit zwei Jahrzehnten so heiß ersehnen, jener Umschwung, der die so lange von der alten Heimath geschiedenen Brüder wieder ganz mit ihr verbinden, der dem blutigen Werke des Krieges endlich die schönste Krone aufsetzen soll. Häufiger und wärmer als je sind in der letzten Zeit Stimmen erklungen, die uns empfinden lassen, daß auch die Herzen drüben im Vogesenlande mit denen in des Reiches Stammlanden zusammenzuschlagen beginnen in einem großen gemeinsamen deutschen Vaterlandsgefühl! Und es mußte auch so kommen! Die Entwicklung, deren erfreuliche Anfänge wir mit der innigsten Genugthuung wahrnehmen, sie muß zu einem glücklichen Ende führen.

Wenn etwas uns in dieser Zuversicht bestärken kann, so ist es ein Blick auf das Leben der drei Männer, denen die folgenden Zeilen gewidmet sind, Männer, die mit gleichstrebenden Genossen zusammen fest und treu zu ihrem Deutschthum hielten auch in einer Zeit, da von Straßburgs Münster noch nicht die deutsche Flagge wehte, die als kraftvolle und zielbewußte Baumeister die geistige Brücke schlugen vom alten zum neuen Deutschen Reiche.

*               *
*

In dem zweiten Viertel unseres Jahrhunderts entwickelte sich in dem französischen Straßburg eine eigene Bewegung. Der Ruhm Napoleons war verblaßt, Frankreich lag danieder, und in den deutschen Staaten begann ein sichtliches Aufblühen. Bis dahin war ein Niederdrücken der deutschen Sprache im Elsaß nie versucht worden. Aber einzelnen aus Frankreich herübergekommenen Personen war es gelungen, eine solche Unterdrückung künstlich anzubahnen. Es machte sich nicht allein unter der „gebildeten“ Klasse, sondern sogar unter den Handwerkern und Arbeitern die Meinung breit, als ob alles sogleich an Werth gewinnen müsse, wenn es nur in französischer Sprache gesagt würde. Neben der deutschen Sprache wurde auch die deutsche Litteratur verunglimpft und verspottet.

Da trat, von einigen Straßburgern veranlaßt, eine Gegenbewegung ein. „Wir müssen und dürfen die deutsche Sprache im Elsaß, das Verständniß für die Gedichte eines Goethe und Schiller nicht fallen lassen; die deutsche Sprache, welche unsere Muttersprache, ist, müssen wir fortfahren zu hegen und zu pflegen, zu schützen, zu lieben und zu bebauen!“ So hieß es, und etliche alte und junge Straßburger, die Stoeber, Hirtz, Klein, Leser, Hartmann, Leute aus allen Kreisen der Stadt, Gelehrte, Bürger, Beamte und Handwerker, traten zusammen und begannen einen Kampf gegen das Franzosenthum durch eine Art Meistersang, der seinesgleichen in unserem Jahrhundert suchen dürfte. Der Arzt Gustav Mühl, über welchen die „Gartenlaube“ im Jahrgang 1881 Nr. 37 eingehend berichtet hat, der Schriftsetzer Karl Bernhard, der Lehrer Karl Friedrich Boese und die oben genannten, sie alle waren in diesem Kampfe thätig.

Einmal in der Woche kamen sie bei einem Gesinnungsgenossen zusammen, und dieses Zusammensein wurde, wie mir der greise Dichter Daniel Hirtz noch vor wenigen Tagen erzählte, „Die Rudelschenke“ genannt. Es wurden dabei die poetischen Ergüsse der einzelnen vorgelesen und besprochen, um dann in einem Wochenblatte gedruckt zu werden, das der Buchdrucker Dannbach unter dem Titel „Dannbacher Wochenblatt“ herausgab. Das Wochenblatt, ob seiner deutschfreundlichen Gesinnung, auch wohl aus Konkurrenzneid namentlich von dem Straßburger „Indicateur“ sehr angefeindet, unterlag allerdings dem Drange der Zeit und ging ein. Doch hinderte dies den Dichterbund nicht, fortzuwirken und von Woche zu Woche einem zahlreichen Lesezirkel in Stadt und Land Unterhaltung zu bringen, wodurch die Liebe für deutsch-klassische Bildung im Heimathlande andauernd Nahrung und Pflege fand.

[158] von Bayern angefertigt wurden. Hirtz erzählt: „Meister Engel gab wöchentlich ein- oder zweimal einem Bruder des Kronprinzen Unterricht in der Drechslerkunst, der eine Drehbank im königlichen Palais hatte, wo sein Lehrmeister gewöhnlich in den Abendstunden sich hinbegab und bei seiner Zurückkunft sehr die Artigkeit und das leutselige Betragen des Königssohnes rühmte.“

Nach der mir gewordenen Mittheilung des Dichters soll es der nachmalige Kaiser Wilhelm I. gewesen sein, der in seinem dreißigsten Lebensjahre noch das Drechslerhandwerk kennenlernen wollte.

Auf seiner ganzen Wanderschaft ließ Daniel Hirtz seiner Poesie freien Lauf. In Hildesheim dichtete er die Volkssage „Der Dom zu Hildesheim“, in Köln „Die Bischofswahl“, die in der „Didaskalia“ erschien. So wanderte er von Ort zu Ort, vom Norden Deutschlands hin nach Paris. Und als er endlich heimkehrte, da übernahm er die Werkstnbe seines Vaters und heirathete ein Nachbarskind. Neben der Tagesarbeit im Handwerke bildete eine rege schriftstellerische Thätigkeit seine Erholung. Er schrieb und veröffentlichte unter großem Beifall folgende Erzählungen „Der Flüchtling“ (1834), „Religion und Fanatismus“, dann „Des Drechslers Wanderschaft“ (1844), „Der Jacobstag“ (1838 und 1842, „Der Odilienberg“ (1839), „Die Kurbengasse in Straßburg“, „Der Bauernkrieg“, „Die Reichsacht“ u. a. m. Im Jahre 1849 übernahm Hirtz die Redaktion des „Hinkenden Boten am Rhein“ und führte dieselbe 37 Jahre lang. Jedes Jahr erschienen neue Gedichte von ihm, und stets ließen sie einen frischen Sinn und einen hohen Geist erkennen. Er erhielt 1849 eine Stelle im Konsistorium der Kirche Augsburger Konfession und zog sich vor einigen Jahren in sein Urgroßvaterstübchen zurück.

Die Bedeutung des eigenartigen Mannes als Dichter und Meistersänger ist allgemein anerkannt. Seine vaterländischen Gedichte legen Zeugniß ab für seine echt deutsche Gesinnung. Keines aber hat eine solche Wirkung gethan wie sein berühmtes Münsterlied. Am 24. Juni 1839 waren 400 Jahre verflossen, seit das hehre Denkmal Erwins von Steinbach, das Münster Straßburgs, vollendet wurde. 425 Jahre früher hatte Bischof Wernher I. die Wiederaufbauung des 1007 durch den Blitz zerstörten Doms anfangen lassen. Straßburgs Bürgerschaft wollte diesen 400. Jahrestag würdig feiern, und ganz in der Stille hatte sich ein Häuflein Bürger zusammengefunden und war zur Plattform des Münsters hinaufgestiegen an den Fuß des Thurmes. Aber bald waren es Hunderte, die sich bis auf die Galerien drängten. Musikstücke ertönten, Gedichte wurden aufgesagt, und unten, auf dem Münsterplatz, da schwoll die Menge an und Heilrufe tönten zu der Festversammlung empor. Die aufrichtige und herzliche Fröhlichkeit steigerte sich zur Begeisterung, als Daniel Hirtz sein Gedicht „Das Münsterjubelfest“ vorlas. Es entfesselte einen Sturm der Entrüstung in allen größeren französischen Zeitungen, und als vor wenigen Jahren sein Sohn, Daniel Hirtz, ehemaliger französischer Offizier und nachheriger deutscher Rentmeister, starb, da frohlockten wieder die französischen Zeitungen und sagten den Verfasser des Münstergedichtes tot. Aber noch lebt er und noch der Geist, der aus ihm sprach! Nur zwei Strophen seien hier wiederholt:

„Ja, du bist unser, Zeuge frommer Zeiten,
Du bleibest Straßburgs unerreichter Dom!
Des Rheinthals Riese! Dich, dich muß beneiden
Die Peterskuppel selbst im stolzen Rom.
Du bleibest unser! Zu dem Seinestrande,
Zur Königsstadt zieht dich kein Machtgebot,
Entführt dich nicht dem alten Vaterlande,
Dem treu du bleibst in Freuden und in Noth.

Du bleibest unser! Schaust als treuer Hüter
Zum Schwarzwald gern, gern zum Vogesenkranz;
Begeisternd flammt bei deinem Anblick wieder
Der deutschen Ahnen lichter Ruhmesglanz;
Der freien Väter, die voll Muth gefochten
Für Recht, für Freiheit, für den heim’schen Herd,
Die kühn des Sieges Lorbeerkränze flochten,
Mit jeder Schlacht auch Straßburgs Ruhm vermehrt.“

Eine Sammlung seiner Gedichte gab Hirtz 1846 heraus, und Professor Dr. Bruch, der erste Rektor der Kaiser Wilhelms-Universität in Straßburg, schrieb das Vorwort dazu. Wie schlicht singt der Dichter:

„Wär’ ich so ein reicher Mann,
Der aus Zinsen leben kann,
Da wollt’ ich erst dichten!
Oftmals steckt mir ’was im Kopf,
Aber ach! mich armen Tropf
Fesseln Arbeitspflichten.“

Hirtz wurde auch noch bei anderen öffentlichen Festen wie bei der 499jährigen Gutenbergfeier, bei der Einweihung des Kleberdenkmals etc. gerne von seinen Mitbürgern aufgefordert, die Prologe zu dichten, und alle diese Gedichte sind von warmer Liebe zum deutschen Vaterland durchdrungen, die nicht wenig zur Erhaltung des Deutschthums in Straßburg und im Elsaß beigetragen hat. Das letzte Gedicht verfaßte Hirtz bei der Hochzeit seiner Enkelin Marie Griesinger, der Tochter des Pfarrers in Colmar, die ihm jetzt schon vier Urenkel geschenkt hat. Er sang:

„Großvater, werde wieder jung,
Ermanne Dich zum kühnen Schwung,
Laß einen Spruch erklingen!
Willst ihn mit selbstvergnügtem Sinn
Dem Enkel und der Enkelin
Zum heitern Brautfest bringen.“

Mit Uhland, Justinus Kerner, Zschokke stand Hirtz in regem Briefwechsel, und die Genannten haben den Straßburger Meistersänger selbst in seiner Drechslerstube aufgesucht. Als im Jahre 1848 der Sohn Justinus Kerners, Theobald Kerner, als politischer Flüchtling nach Straßburg kam und sich, schwer erkrankt, in dem damals noch vorhandenen Gasthof „Zum Rheinischen Hof“ versteckt hielt, da konnte Hirtz ihm behilflich sein, sich seinen Häschern zu entziehen. Wohl wurde Theobald Kerner einige Zeit später im Württembergischen doch noch verhaftet und auf Hohenasperg eingesperrt. Justinus Kerner aber hat Hirtz die unter ganz besonders schwierigen Umständen bewirkte Unterstützung seines Sohnes nie vergessen. Er sandte dem Straßburger Dichter im Jahre 1849 sein Porträt, das noch heute das Urgroßvaterstübchen ziert.

Daniel Hirtz hat sich von jeher als ein einfacher Mann aus dem Volke gegeben. Sein ganzer Stolz liegt immer in der Thatsache, daß er, als einfacher Bürgerssohn, als ein echter Handwerker, dem Nürnberger Meistersänger Hans Sachs ähnlich, es so weit gebracht hat, mit den besten Volksdichtern des Elsaß, den gelehrten Stöber, Vater und Söhne, auf gleiche Stufe gestellt zu werden. Er sieht es gerne, wenn man seine echt deutschen Gesinnungen anerkennt, Gesinnungen, welche er in dem von ihm bis vor wenigen Jahren redigierten Kalender in Gedichten und Aufsätzen kund gab, und oft betont er, wie er sich freue, des Deutschen Reiches neue Herrlichkeit noch erlebt zu haben und in ihr das neue Morgenlicht seines engeren Vaterlandes und besonders Straßburgs erblicken zu dürfen.

In heiterer Fassung erharrt der greise Dichter seines Lebens Ende. Mögen noch manche frohe und sonnige Tage es ihm weit entrücken. In seinem Stübchen, seinem Lager gegenüber, hängt ein welker Lorbeerkranz, den Professoren von der Kaiser Wilhelms-Universität ihm vor mehreren Jahren gespendet haben.


2.

Mit Christian Hackenschmidt arbeitete Daniel Hirtz mehrfach zusammen in Zeitschriften und an Broschüren. Christian Hackenschmidt wurde am 20. Mai 1809 in der Großen Stadelgasse in Straßburg geboren. Sein Vater war Posamentier, der Großvater stammte aus Regensburg und war als Handwerksbursche nach Straßburg gekommen. Die Geburtsstätte Hackenschmidts liegt in einem der ältesten Theile der Altstadt, der damals durch die schmutzigen Fluthen eines Ill-Arms in zwei Hälften getheilt wurde und jetzt noch durch das Gewirr enger Gassen und hoher überhängender Häuser einen romantischen Eindruck macht. Aber in den sonnenlosen Winkeln wohnte damals eine Bevölkerung, die den alten biedern Straßburger Bürgersinn durch die Revolution hindurch gerettet hatte. Auch Hackenschmidt besuchte das protestantische Gymnasium, das damals noch ein ganz deutsches, freilich zugleich etwas spießbürgerliches Gepräge trug. Er war ein guter Schüler und hätte gern studiert, aber der Vater fand, es gehe nichts über ein gutes Handwerk, und that ihn zu dem Korbmachermeister Maurer in die Lehre. Das kostete den strebsamen Knaben viele Thränen! Allein er fügte sich dem Willen des Vaters und arbeitete sich bald zum geschickten Gesellen empor. Später übernahm er das Geschäft und brachte es in großen Schwung.

Des Abends tröstete ihn schon in seinen frühesten Lehrjahren die Dichtkunst über die Prosa des Geschäftslebens. Seine [159] Gedichte erschienen in dem erwähnten „Dannbacher Wochenblatt“ gleichzeitig mit den Gedichten von Daniel Hirtz, Otte, Hartmann, Leser u. a. Fast alle zeichnen sich durch Frömmigkeit und Gottergebenheit, aber viele auch durch einen kernigen Humor aus. So besingt er die Freude am Dasein:

„O wie ist’s schön auf Gottes Erde!
Unglücklich, wer dies nicht erkennt,
Der seine Laufbahn nur Beschwerde,
Sein Dasein Last und Mühe nennt,
Der, der mit unzufried’nem Blicke
Sich mehr und immermehr begehrt,
Bleibt ewig fern vom wahren Glücke
Und wird auch dessen niemals werth.“

Im Jahre 1834 schrieb er das reizende Gedicht „Mein Stübchen“:

„Ich weiß ein Plätzchen in der Welt,
Ein einziges von allen,
Wo es mir frommt und mehr gefällt
Denn in Palastes Hallen.
Und dieses Plätzchen, eng und klein,
Bist, liebes Stübchen, Du allein!

Bereitet fürstlich euer Haus,
Ihr Reichen, ladet Gäste
Und ruht in Prunkgemächern aus
Vom Taumel froher Feste!
Mein Stübchen ist mein Alles mir,
Empfangssaal, Prunk- und Schlafquartier!“ u. s. w.

Dann ist es das liebe elsässische Heimathland, das ihn zu Gedichten begeistert. Mit Daniel Hirtz zusammen machte er Goethes Wort wahr, daß „die Straßburger leidenschaftliche Spaziergänger“ seien. Meist zogen die beiden zu Fuß in die Berge, mit einer Wurst und einem Stück Brot in der Tasche, und unterwegs wurden dann um die Wette Gedichte improvisiert. An trauten Winterabenden aber wurden die elsässischen Chroniken, besonders Königshoven und Herzog, eifrig studiert und mancher Zug poetisch verwerthet.

Wiederum gemeinsam mit Hirtz gab Hackenschmidt 1841 ein kleines Heftchen Gedichte zum Besten einer Erziehungsanstalt für arme Kinder heraus, das eine große Anzahl hübscher Leistungen enthielt, Hackenschmidt wurde später einer der Hauptleiter dieser segensreich wirkenden Anstalt, deren Verwaltungsrath er schon seit 1842 angehörte, wie er überhaupt durch einen schönen Wohlthätigkeitssinn hervorragt.

Daneben war er unermüdlich in seinem Geschäfte thätig. Das Hinterstübchen und der Laden waren Vereinigungsorte für alle Freunde der Dichtkunst; der alte Hackenschmidt saß da, im Schurz, mit einer Flechtarbeit beschäftigt, und um ihn und Daniel Hirtz sammelten sich Professoren, Pfarrer, hohe Beamte. Sein Geschäft wurde allmählich zur Fabrik erweitert; vor acht Jahren übertrug er es seinem Sohne.

Gerne erzählt Hackenschmidt aus alten Zeiten und in den letzten Jahrgängen verschiedener Straßburger Kalender sind reizende und anmuthige Jugenderinnerungen von ihm zu lesen. Wie Daniel Hirtz schrieb auch er Volkserzählungen, immer in deutscher Sprache; so „Die Judengasse in Straßburg“, „Die Waldenser in Straßburg“, „Die Reformation in Straßburg“. Eine von ihm verfaßte Biographie der Louise Scheppler, der treuen Gehilfin Oberlins im Steinthal, der Begründerin der Kleinkinderschulen, wurde in Basel mit einem Preise gekrönt. Verschiedene Gedichte in Straßburger Mundart sind im „Elsässischen Schatzkästelein^ gesammelt.

Bemerkenswerth dürfte noch sein, daß das Haus, in welchem Hackenschmidt wohnt und sein Geschäft betreibt, nach Ueberlieferungen aus Volksmund dasjenige ist, in welchem Goethe seinen Mittagstisch hatte. Es soll hier unerörtert bleiben, ob es dieses Haus oder, wie andere behaupten, ein solches in der Knoblauchgasse war; Hackenschmidt jedenfalls nahm an, sein Haus sei das richtige, und er errichtete dem Andenken Goethes in dem Hofe des Hauses einen hohen und geschmackvollen Denkstein, welchem er folgende Inschrift gab:

„Der große Meister Goethe ist
Allhier zu Tisch gewesen
Und hat wie jeder andere Christ
Supp’, Fleisch, Gemüs’ gegessen.
Wie fröhlich klapperten Gabel und Messer!
Das Essen war gut, der Witz war besser.

Er hat uns Straßburger werth gehalten,
Drum ehre wir ihn auch, den Alten.“

Auch Hackenschmidt hat durch seine Wirksamkeit ein gut Theil dazu beigetragen, daß die deutsche Sprache im Elsaß nicht unterging, und so sang er mit voller Ueberzeugung:

„Deutsch singen wir:
Es ist die Sprache,
Die unsre Mutter uns gelehrt.
Wir kennen deren hohen Werth,
Der wichtiger mit jedem Tage,
Wir wollen’s unsern Kindern lehren
Mag auch der Zeitengeist es wehren.“

Dies schrieb er 1845. Der „Zeitengeist“ hat ein Einsehen gehabt und das Bestreben der elsässischen Dichter mit Erfolg gekrönt. Hackenschmidt hat sich denn auch nach 1870 sofort mit ganzer Ueberzeugung auf die deutsche Seite gestellt, ohne indessen mit seiner Person weiter hervorzutreten.


3.

Der dritte der noch lebenden elsässische Dichter aus alter Zeit ist der ehemalige Abgeordnete Alphons Pick, ein Mann, der nach einem Leben voll treuer Pflichterfüllung sich in die Stille zurückgezogen hat und nur noch durch seine Wohlthätigkeit hervortritt. Ab und zu läßt er aber doch noch seiner Reimkunst freien Lauf und vor wenigen Wochen erst übergab er mir einige kurze Gedichte, die letzten, die er gefertigt hat.

Alphons Pick wurde zu Straßburg am 4. Juni 1808 geboren. Auch er besuchte das protestantische Gymnasium und später die oberen Klassen des damaligen Collège royal. Er wollte Jura studieren, sattelte aber üm und widmete sich der damals rasch aufblühenden Eisenindustrie. Er gründete mit seinem Schwager, dem ehemaligen Reichstagsabgeordneten Alfred Goldenberg, in Zabern eine Werkzeugfabrik, die er jahrelang leitete, die jetzt noch blüht und an der er zur Zeit noch betheiligt ist. Seine Straßburger Mitbürger wählten den allgemein beliebten und geachteten Mann zuerst in den Bezirkstag und nachher in den Landesausschuß, dessen Alterspräsident er jahrelang war. Im Jahre 1887 zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück.

In allen seinen im Laufe der Jahre erschienenen Dichtungen wird man durch einen gesunden, wenn auch hie und da etwas derben Humor angeheimelt, ohne daß es doch an sinnigen Zügen fehlte. Dafür zur Probe eines jener jüngst entstandenen kurzen Gedichte in elsässer Mundart:

„Wie thuet doch vor der Sternepracht
Der Mensch so klein do stehn,
Der schwachi Mensch, där allewyl
Vor Hochmueth will vergehn.

Un wenn in der Unendlikeit
Unzähl’ge Wese leve
So-n-isch d’ hoechst Herrschaft uff der Erd
E-n-Anleis nur derneve.“

Eine große Anzahl Gedichte ließ er im Elsässer Wochenblatt erscheinen, so seine Ballade „Walther von der Vogelweide“, „Die Glieder und der Magen“, „S’ Klaaulied (Klagelied) von ere Gans“. Hübsch sind auch seine Uebertragungen und freien Bearbeitungen von Longfellowschen Gedichten, die er in Straßburger Mundart umgoß. Das im Jahre 1865 in Badenweiler verfaßte Lied „An eine Koblenzer Dame“ ist weithin bekannt geworden. Auch das Lied „Menschenfrieden“ wurde vielfach in Kalendern nachgedruckt. Die beiden ersten Strophen mögen hier zur Charakterisierung der Art des Gedichtes Raum finden!

„Sicher hast du schon empfunden
Jene flücht’ge Seligkeit,
Wenn, von jeder Last entbunden,
Sich dein Herz des Lebens freut.

Leichter ist’s dir im Gemüthe,
Alles scheint in heit’rem Licht,
Wonne weht dich an und Friede,
Und warum? Du weißt es nicht!“

Sein Lustspiel „Der tolle Morgen“, wiederum in elsässischer Mundart, ist nach Arnolds „Pfingstmontag“ das verbreitetste und bekannteste im Elsaß. Das der Dienstmagd „Selmel“ in den Mund gelegte Klagelied ist so lustig, so echt dem Leben abgelauscht, daß wenigstens einige Strophen daraus hier wiedergegeben werden sollen:

„Jo wayer, isch’s ken Kleinikeit,
E-n-armi Magd ze sinn.
Viel Müeih un Aerwet, wenni Freud
Un boower (pauvre) der Gewinn.
Un wenn ebbs Dumm’s zuem Vorschyn kummt,
So-n-isch’s glych d’Magd, un d’Madam brummt:
Ihr könne-n-euch ganz druff verlon,
Diß het nurr d’Magd gedoon.

[160]

Wenn’s Minett in der Lydeschaft
Uff d’ Noochbers Büehn spaziert
Un heimkummt von der Wanderschaft
Verropft un alteriert,
Do haw’ i schon e Butzer g’faßt,
Wyl ich der Katz nit uffgepaßt.
Wenn d’ Katze sich verfüehre lon,
Diß hat nurr d’Magd gedoon.“

Mehrere Auflagen erlebte sein „Anno 1975“, ein Werk köstlichen Humors. Das Merkwürdige ist dabei, daß Erfindungen der Technik, welche der Verfasser 1875 bei der Niederschrift seines Buches in das Jahr 1975 verlegte, schon zehn Jahre nach der Abfassung fast genau so, wie er es vorausgesagt, ans Tageslicht traten. Alphons Pick betheiligte sich auch hervorragend an der Herausgabe der „Straßburger Bilder“, die, etwa hundert an der Zahl, in den siebziger Jahren erschienen und die Straßburger Verhältnisse in Wort und Bild mit vielem Humor geißelten. Pick schrieb seine Begleitstrophen stets in Straßburger Mundart, zu deren Auslegung er in seinem „Tollen Morgen“ ein besonderes Wörterbuch herausgab.

Im politischen Leben konnte sich Pick mehr als seine beiden poetischen Freunde bemerkbar machen. Als Abgeordneter hat er vielfach mit dem verstorbenen Statthalter Feldmarschall Manteuffel, wie mit dem derzeitigen Statthalter Fürsten von Hohenlohe-Schillingsfürst verkehrt. Ein Humorist und feiner Menschenkenner, wußte er in seinen Reden immer den Nagel auf den Kopf zu treffen. Offen stellte er sich auf den Standpunkt des Frankfurter Friedens und hielt es für ein Glück seines schönen Elsaßlandes, daß es dem Deutschen Reiche einverleibt worden war, er tadelte aber, wo er nur konnte, immer und immer wieder jene deutschen Heißsporne, welche die Bewohner des Reichslandes durch Strenge dem Deutschthum zuführen wollten. Oft genug hat er es ausgesprochen, daß durch eine weise Regierung, durch ein Eingehen auf die Sonderinteressen des elsässischen und lothringischen Volkes, durch eine harmonische Mitarbeit der Eingewanderten die Herzen viel rascher und sicherer für das Deutschthum gewonnen werden könnten. Er hat recht behalten, der Erfolg hat es gelehrt.

Wenn aber wir heute des Errungenen uns freuen, wenn wir mit Befriedigung sehen, wie der Zug zum großen Vaterlande drüben zwischen Rhein und Vogesen sich durcharbeitet zur Herrschaft über die Gemüther der so lange Entfremdeten, dann dürfen wir auch der wackeren Straßburger Meistersänger nicht vergessen, welche als treue Hüter das Kleinod der Muttersprache inmitten feindlichen Andrangs bewahrt, welche die heilige Gluth deutschen Geistes herübergerettet haben in die Tage, da eine neue helle Flamme sich an ihr entzünden konnte. Darum Ehre der braven Schar, Ehre den letzten Drei, die von ihr übrig geblieben!