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Die arme reiche Frau

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Textdaten
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Autor: Jodocus Donatus Hubertus Temme
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Titel: Die arme reiche Frau
Untertitel:
aus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. S. 154–155
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1840
Verlag: Nicolaische Buchhandlung
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Bearbeitungsstand
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[154]
114. Die arme reiche Frau.

Vor vielen Jahren lebte in der Stadt Stralsund ein Kaufmann und Rathsverwandter, Namens Wolf Wolflamm. Derselbe war so reich, daß man seines Gleichen an der See nicht gefunden hat. Aber er war auch hochmüthig und verschwenderisch, also daß er eine Schaubank von Silber hielt, und an seinem Brauttage von seinem Hause bis zur Kirche das feinste englische Tuch auf die Straße legen ließ, und darauf zur Kirche ging. Besonders aber hat sein Weib sich herlich gehalten, und weit mehr als ihrem Stande gemäß. Dafür traf sie der Zorn des Himmels. Denn nachdem ihr Mann Wolf Wolflamm in seinem Reichthum gar zu übermüthig und trotzig geworden und deshalben in einem Streit von Einem von Zaum auf dem Kirchhofe zu Bergen in Rügen erschlagen war, wurde sie so zerrsam und liederlich und ergab sich aller Art der Verschwendung und Völlerei, daß sie Alles durchbrachte, bis auf eine silberne Schale. Diese hat sie nicht verkaufen wollen, damit sie doch etwas von ihrem vorigen Glanze und Vermögen behielte. Mit dieser Schale hat sie zuletzt müssen betteln gehen, bis sie in dem größten Elend und Armuth verstarb. Bei dem Betteln hat sie die Worte im Gebrauch gehabt: Man solle der armen reichen Frau doch um Gotteswillen ein Stück Brod geben. Darum hat sie solchen Namen erhalten. Sie soll gewohnt haben bei dem alten Markte, in dem Hause, da vor vielen Jahren noch der gemalte Gang an das Haus gebaut war. Man sagt auch von ihr, daß sie nur das feinste und weichste Rigaische Flachs auf dem heimlichen Gemache gebraucht habe. Wie sie nun in ihr großes Elend gerathen war, da hat sie einstmals ihre frühere Dienstmagd um Gotteswillen angerufen, sie möge ihr Leinentuch zu einem Hemde schenken, [155] indem sie ein solches nicht mehr auf dem Leibe gehabt. Die Magd hat ihr dasselbe auch gebracht, dabei aber gesagt: Sehet Frau, das Garn, davon dieses Leinen gemacht, habe ich von dem Flachs aufgehoben, das Ihr so sündhaft auf dem Gemache zu brauchen pflegtet.

Th. Kantzow, Pomerania, I. S. 451.
Micrälius, Altes Pommerland, I. S. 276.
Cramer, Gr. Pomm. Kirch. Chron. II. S. 82.
Gastrow Lebensbeschreibung, I. S. 104.