Die Wolfsschlucht (Brauer)
Ein Pfeifer, gar ein flotter Gauch,
Zog einst vom Kirchweihschmauße
Vom Bühlerthal mit rundem Bauch
Um Mitternacht nach Hause.
Wie baß ihm der Trunk behagte.
Herr Mond fand leider nicht für gut,
Wie sonst, ihm heimzuzünden,
Drob ward dem Zecher bang zu Muth
Hub lallend an zu singen,
Die Angst zu überklingen.
Noch kaum begonnen hat das Lied
Des wankelfüßigen Knaben,
In einen tiefen Graben.
Wohin er streckt die Hände,
Rührt er an Felsenwände.
Doch, Höll’ und Himmel! – wie erschrickt
Als er genüber sich erblickt
Zwei Augen, schaurig helle,
Die ihm mit grimmem Leuchten
Den Tod zu künden deuchten.
Herab durchs Laub der Eichen,
Und zeigt ihm eines Wolfs Gesicht,
Mordgierig sonder Gleichen.
„O Todeskampf voll Grauen
Der Pfeifer hat in höchster Noth
Sein Flötenspiel ergriffen,
Und gleich, geängstigt bis zum Tod,
Ein schmetternd Lied gepfiffen;
Durchs mitternächtige Schweigen.
Die Vögel fliegen scheu empor,
Da solch ein Ton sie weckte;
Erbärmlich quackt im nahen Moor
Ja selbst die Eichen bebten,
Die manchen Graus erlebten.
Dem Wolf auch schien die Melodei
Nicht sonders zu behagen,
Trotz seinem leeren Magen;
Doch wie der Pfeifer ruhte,
Kam er mit neuem Muthe.
Da hat der Pfeifer abermals
Und lauter noch aus vollem Hals
Sein schmetternd Lied gepfiffen.
Wild klang der Hochzeitreigen
Durchs mitternächtige Schweigen.
Sein Gaumen wird ihm trocken,
Er bläßt und bläßt, doch bald begann
Der Odem ihm zu stocken.
„O Todeskampf voll Grauen
Da plötzlich ruft es von den Höhn:
„Vermaledeiter Bube!
Was soll dein Höllentanzgetön
Zu Nacht in dieser Grube?
Allhier ein Ständchen blasen?“ –
„Ach, Herzenswaidmann, helft mir doch
Aus dieses Wolfes Krallen!
Schon pfeif’ ich auf dem letzten Loch, –
Der Jäger unverdrossen
Hat schnell den Wolf erschossen.
Drauf stieg der Pilger schreckensbleich
Hervor aus seinem Grabe:
Daß ich dies Pfeiflein habe!
In Silber will ichs fassen
Und nimmer von ihm lassen!“
- ↑ Seite 263, am Schluß des Gedichts lies „Brauer“ statt „Bauer.“ (Berichtigungen)