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Die Wissenschaft im Kriege

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Titel: Die Wissenschaft im Kriege
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 145–147
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[145]
Die Wissenschaft im Kriege.

Nicht die Kriegswissenschaft, sondern sie selbst, die Wissenschaft überhaupt, die moderne Göttin des Friedens und der Freiheit für alle Menschen meinen wir.

Die jetzige Wissenschaft giebt dem jetzigen Kriege Formen, Gestalten und Wendungen, welche die Führer weder zu benutzen, noch zu würdigen wissen. Es sind lauter Erfindungen und Verbesserungen, von denen man sich in den Schlachten bei Leipzig und Waterloo noch nichts träumen ließ. Wo waren im letzten Kriege die Zündnadelgewehre, die gereifelten Büchsen, die ovalen und spitzen Kugeln, die Revolvers, die Kriegsdampfschiffe, die Eisenbahnen, die elektrischen Telegraphen, die Lancaster- und Dampfkanonen?

Die 600 Könige, welche England beherrschen, verachteten während ihres langen Friedens alle Wissenschaft, insofern sie Miene machte, sich in ihre sieben Kriegsministerien einzudrängen, während ihre Friedenspolitik stets daran arbeitete, den Weltfrieden immer unmöglicher zu machen. Nachdem sie nun binnen wenig Monaten über 120 Millionen Thaler und mehr als 25,000 Soldaten in’s Wasser, in den Schmutz, unter die Erde geworfen, nachdem sie Europa’s Kultur auf’s Tiefste erschüttert und ihr eigenes gehumbugtes Volk durch kindisches Ungeschick und greisenhafte Hinfälligkeit aufgerüttelt, hat man endlich angefangen, sich vergessener und verhöhnter Erfindungen zu erinnern, so daß sie jetzt plötzlich der Wissenschaft und Kunst allein zumuthen, sie zu retten und Sebastopol zu nehmen.

Die große Kanonengießerei von Nasmyth schmiedet jetzt Tag und Nacht furchtbare Feuerschlünde, da die gegossenen sich vor der Wissenschaft als schwächer erwiesen haben. In Low Moor, Newcastle u. s. w. arbeiten Tausende an Construction neuer Eisenkanonenboote neuester Mathematik mit geschmiedeten Eisenwänden von 4 Zoll Dicke, jedes für 12 monströse Lancasterkanonen.[1] Man hat eine ganze doppelte Eisenbahn mit allem Zubehör nach der Krim abgesandt. Man zieht elektrische Telegraphen von London bis nach dem Kriegsschauplatze. Man schickt Photographen zu Schiffe vor die russischen Festungen, um im Fluge deren Bilder zu fixiren. Man läßt an allen möglichen Orten neue, wissenschaftliche Zerstörungsinstrumente gießen, schmieden, bauen und bilden, sogar Dampfwurfgeschosse.

Jacob Perkins Dampfflinte.

Hierbei wollen wir etwas verweilen. Zuerst arbeitet die Anstalt von Nasmyth an einem fabelhaften Ungeheuer, genannt schwimmender Dampfmörser: (steam floating mortar). Er wird den unterm Wasser unsichtbaren Theil dicker, undurchdringlicher Dampfboote von Schmiedeeisen bilden. Das Boot naht sich, ohne sich um den Kugelregen zu bekümmern, langsam dem feindlichen Schiffe und entzündet beim ersten Zusammenstoße das Pulver in dem Mörser, der sofort dem feindlichen Schiffe sechs Fuß unterm Wasser eine Platz-Bombe in die Eingeweide schicken würde, gegen welche es keine Pille als Gegengift giebt. Nasmyth, der Erfinder behauptet, daß der so applicirten Bombe die dicksten Eisen- und Eichenwände nicht widerstehen könnten, und so eine einzige Pille dem mächtigsten Kriegsschiffe mit einem Schlage das Lebenslicht ausblasen würde. Dieses Ungeheuer ist noch im Werden, aber die Dampf-Flinte von Jacob Perkins schon ein Mann in den besten, nämlich von just 30 Jahren. Jacob Perkins zeigte seine Dampfflinte [146] den aristokratischen Salons von England zuerst 1824. Da er aber nicht „von Geburt“ war, dankte man ihm für das hübsche Schauspiel und schickte ihn wieder in seine Werkstatt. Zwei Jahre später ließ sich der große Wellington herab, das Ding auch mal schießen zu sehen. Perkins machte ihm das Vergnügen, in noch nicht einer Minute 60 Kugeln 35 Yards weit durch eine Eisenplatte von 1/4 Zoll Dicke, dann 60 Kugeln durch 11 harte, je einen Zoll weit hinter einander aufgestellte Holzbretter zu schießen und endlich eine gerade Linie von mehreren hundert Löchern in ein anderes Brett zu machen. Der große Herzog dankte für das interessante Schauspiel und ließ die Armee in rothen Röcken, entsetzlichen Bärenmützen und mit dem alten Feuerschloßgewehre in dem Rufe, daß sie Waterloo allein gewonnen und alle Welt besiegen würden. Perkins ward in den Winkel geworfen, machte aber für die französische Regierung mehrere Dampf-Batterien, welche 60 Kugeln von je 5 Pfund in der Minute schossen. Was aus diesen Batterien geworden, ist nicht bekannt. Vor Sebastopol scheinen sie nicht mit zu arbeiten.

Perkins, der Sohn, vervollkommnete die Dampfflinte fortwährend und ließ sie dann in der Adelaide-Gallerie zu London öfter arbeiten. Wir geben im beifolgenden Bilde eine Vorstellung von ihr. Das Merkwürdige dabei ist zunächst die größere Wurfkraft des Dampfes gegen die des explodirenden Pulvers, obgleich ersterer nur einen Druck von 40 Atmosphären ausübt, das Pulver aber von 500 bis 1000. Perkins erklärte dies scheinbare Wunder durch die größere Ausdehnungskraft des Dampfes, so daß er auf die Kugel ungeschwächt wirke, bis sie den Lauf verlassen habe, während die plötzlich aus dem Pulver entwickelte Luft nur im ersten Entstehen den bedeutenden Druck ausübe, aber mit jedem Zoll Entfernung der Kugel in geometrischen Proportionen abnehme. Die Dampfflinte ist eine Dampfmaschine, wie jede andere, nur mit entsprechender Construction. Der Dampf wird unterm Fußgestelle entwickelt, das die ganze Maschine trägt und auf ein Paar Rädern von einem starken Manne gezogen werden kann. Ein Paar Ventile, mit der rechten und linken Hand bewegt, öffnen und schließen den Dampf, der die Kugeln treibt, so daß es von der Uebung des Mannes abhängt, die die Ventile regiert, wie schnell diese Bewegungen und Entladungen auf einander folgen; doch sind 60 Schüsse in der Minute schon nach ein Paar Stunden Uebung keine Kunst mehr. Die Vollkommenheit der Maschine besteht besonders darin, daß Explosionen oder nur Beschädigung des Feuerbehälters und Dampfkessels ganz unmöglich geworden sind. Construction und Einrichtung dieser innern Vorzüge gehören der Fachwissenschaft an, die wir hier ausschließen. Der Lauf oben kann während des Schießens horizontal gedreht werden, so daß ein ordentlicher Dampfschütze eine große Front von Soldaten in schnurgerader Linie, 60 per Minute, wegblasen könnte, ohne einen Mann dazwischen stehen zu lassen. Wenn der Lauf einmal gerichtet ist, bleibt er in der Linie, so daß man jeden Mann genau an derselben Stelle treffen würde. Zehn solche Apparate könnten in einer Stunde 36,000 Mann tödten, vielleicht auch mehr in gehöriger Nähe, von wo manche Kugel zwei Mann durchlöchern würde.

Daß man solche Dampfmaschinen verdicken und verstärken, also Dampfkanonen machen kann und will, läßt sich leicht denken, nachdem man sich einmal entschlossen hat, derartige Flinten construiren und nach der Krim bringen zu lassen, um so den Mangel an Mannschaft und Fremdenlegionen möglichst zu ersetzen. Wir bemerken nur noch, daß ein Querdurchschnitt des Haupttheiles der Dampfschießmaschine auf unserer Abbildung klar macht, wie die Kugeln aus dem obern Cylinder herunter in den Lauf fallen, von wo sie von dem Kampfkolben herausgeschleudert werden.

So viel von dem Dampfe als Kriegsmanne für unsere christlichen Brüder. – Wie kömmt’s, daß Schönbein’s Schießbaumwolle, die 1846 alle Welt entflammte, die viermal stärker und viel schneller explodirend ist als Schießpulver, abgesehen von unendlich größerer Wohlfeilheit, Sicherheit des Fabricirens und mancher Vortheile für Flinten und Kanonen, noch nicht unter die Soldaten gegangen? Nun, es sind wohl nützlichere und wichtigere Erfindungen länger vernachlässigt, verhöhnt, verfolgt und begraben worden, ehe man wieder daran dachte oder sie zum zweiten Male in’s Leben rief. Man sagt, die Russen hätten bereits bedeutend in Schießbaumwolle gemacht von Sebastopol aus. Außerdem läßt jetzt die österreichische Regierung 160 Kanonen für Schießbaumwolle gießen. Die Engländer, welche am Tiefsten in der Baumwolle und Tinte dazu sitzen, dachten erst an die Schießbaumwolle wieder, als ihnen nicht nur das Pulver, sondern die ganze Eroberung Sebastopols zu Wasser geworden war. Nun fangen sie auch an, die sanfte Baumwolle in Schwefelsäure zu tauchen, um wo möglich ihre Aristokratie noch zu retten.

Nachdem die Engländer nun auch für 18 Millionen Pfund Sterling und 25,000 Leben die Erfahrung erkauft haben, daß man nicht von dem Fleische leben kann, welches man in der Hand hat, sondern es auch einen Weg aus der Hand zum Munde geben muß, d. h. von Balaklava nach dem Lager, nahmen sie plötzlich eine doppelte Eisenbahn auf den Rücken und trugen sie direkt nach der Krim. Das ist eine der originellsten Kriegs-Expeditionen, über die wir ein Wort sagen müssen. Die großen Schienen- und Maschinengießereien von Peto und Brassey, welche ganz England mit einem dichten Labyrinthe von Doppeleisenbahnen überstrickt haben, bekamen auf einmal Auftrag, für die Regierung über Hals und Kopf eine Krim-Eisenbahn zu machen. Sie übernahmen den Auftrag mit dem Versprechen, ihn ohne Profit, aus Vaterlandliebe auszuführen, und riefen in den Zeitungen Maurer, Zimmerleute, Tischler, Schmiede, Maschinisten u. s. w. auf, sich für hohen Lohn bei ihnen einzufinden. Die Hauptarbeiter wurden auf sechs Monate fest mit 10 bis 20 Thaler wöchentlich engagirt. So wurde die doppelte Krim-Eisenbahn hier in etwa drei Wochen fertig und braucht nun blos noch 3000 englische Meilen weit verschifft und dort durch Moräste und über Felsen gelegt zu werden. Die ersten Eisenbahn-Schiffe gingen am 21. December von London, Liverpool, Hull und Sunderland ab, die andern folgten kurze Zeit darauf, im Ganzen zehn Schiffe mit allen Materialien und Mannschaften, die zu 15 englischen Meilen Eisenbahn gehören: 500 Mann des Eisenbahn-Regiments, 36,000 Centner Schienen, 6000 eiserne Querbalken, 60,000 Centner Maschinen, 600 Fuder Bauholz, Krahne, Wagen, Karren, Aexte, Spitzhacken, Sägemaschinen, Schmieden, Zimmermanns-Werkzeuge, Barren, mehrere tausend Yards dicken Eisendraht, Häuser und Buden, Vorräthe für den Magen, ölgetränkte Oberkleider, Kohlen, Oefen, Küchen, Backöfen, Aerzte, Bratpfannen, Krankenwärterinnen, Medicin, Geistliche, Schulmeister und am Ende wohl auch noch guten Rath. Die Sache ist aber, daß die auf 20,000 Leichen ohne Profit gebaute Eisenbahn von einem Fünfzigstel der in Unverstand und Aristokratie Hingeopferten für ein Hundertstel des jetzigen Preises hätte von bloßem Holz gleich im Anfange gebaut werden können, so daß die jetzige englische Krim-Armee, von der nur noch 10,000 Mann halb auf den Beinen sind, 20,000 Mann stärker auf derselben sich Lebensmittel holen könnte, statt sie zur Unterlage zu verwenden. Schrecklich sind die neuen, kriegerischen Zerstörungs-Instrumente, aber Lämmer gegen Einbildung, Privilegium, „Geburt“ und ererbten und durch höhere Erziehung ausgebildeten Unverstand. –

Die Krim-Eisenbahn wird durch stehende Maschinen ihre Lasten an Drähten ziehen, so daß es zuletzt wie am Schnürchen gehen mag, in einer Zeit, wo die Wagen vielleicht auch ohne Eisenbahn ganz gut fortkämen; denn die englische Regierung hat’s im Ganzen so weise angefangen mit ihren sieben Kriegsministerien und ihrer „Erbweisheit“, daß sie mit den Vorbereitungen zum Winter so ziemlich fertig sein wird, wenn der letzte Nachtfrost unter der Frühlingssonne geschmolzen ist. Kossuth, der jetzt in der „Sonntags-Times“ jeden Sonntag die giftigsten Geschosse gegen die englische Regierung schleudert (wie es alle andern Zeitungen auch thun, nur nicht so effectvoll) rechnete ihr neulich vor, daß der ganze ungarische Krieg, in einem Lande ohne Geld, ohne Maschinen, ohne Fabriken, in drei Monaten für mehr als 150,000 Mann mit allem Zubehör fix und fertig gewesen und kaum ein Drittel der einzigen jetzigen, englischen Expedition gekostet habe.[2]

Und wie betheiligte sich bisher die Electricität am Kriege? Sehr oft durch falsche Colophoniums-Theaterblitze, sogar schon einmal durch völlige, totale Eroberung Sebastopols zu Gunsten einiger Geldkönige, welche dies vorher so bestellt hatten. Als sie ihr Geld aus diesem glücklichen Ereigniß gezogen, stellten sie Sebastopol wieder fix und fertig hin und sogar fester als vorher. Die Electricität beschäftigte sich dann sehr lange damit, alle Tage zu melden, daß außer Cholera und zunehmender Sterblichkeit im englischen Lager nicht vorgefallen wäre und über den „vier Punkten“ [147] immer noch die vier Haken von Fragzeichen obzuschweben fortführen. Doch war es immer schon ein Verdienst, daß die falschen und richtigen Nachrichten in etwa ein Viertel der Zeit, die 1815 noch nöthig gewesen wäre, ankamen. Aber die Electricität soll nur aus directer Quelle schöpfen und von London bis auf den Kriegsschauplatz selbst ihre Drähte ziehen. Bis jetzt geht der elektrische Telegraphenstrom von London und Dower unter dem Meere hin nach Calais und Ostende bis zu den südöstlichen Grenzen Oesterreichs, und wurde neuerdings bis nach Bucharest im Herzen der Wallachei ausgedehnt. Hier fand man schon einen Draht bis Varna und zu den Mündungen der Donau. Und in den ersten Tagen des Februar wurde in London beschlossen, von da aus bis Galatz und Ibraila, und von dem Sulina-Munde der Donau unter dem Meere hin bis gerade gegenüber, zum Cap Chersones auf der Krim fortzufahren. Dieser Plan ist großartig und wird wahrscheinlich ausgeführt, wenn der Friede den Drähten keine edlere Aufgabe stellt, als Schlachtenberichte und Todtenlisten durch Europa zu zucken; wahrscheinlich, da die Erbweisheit der Aristokratie direkt nichts damit zu thun hat. Uebrigens ist schon ein fahrender elektrischer Telegraph auf der Krim thätig, so eine Art „fliegender Buchhändler“ mit stets den neuesten Nachrichten. Die elektrische Telegraphen-Compagnie Londons schickte während des Novembers zwei elektrische Telegraphen-Wagen mit zwölf Pferden in’s englische Lager, vermittelst welcher man überall, selbst mit Schiffen innerhalb einer Entfernung von zwölf englischen Meilen elektrotelegraphische Verbindungen improvisiren kann. Jeder Wagen enthält vollständige elektrische Batterien mit der nöthigen Menge aufgerollten Drahtes. Um zwischen zwei Orten telegraphische Correspondenz herzustellen, läßt man den Draht durch Pferde von einem Ende bis zum andern ziehen, und die Sache ist sofort im Gange. Dieser wandernde Telegraph hat bereits wichtige Dienste geleistet, und die entferntesten Posten, zwischen denen Flüsse, Berge und Moräste lagen, bei Tag und Nacht in enger Verbindung erhalten, so daß sie ohne Verzug im Einklange zu handeln im Stande waren. So ungeheure Vortheile bietet die Wissenschaft, und so endlos und unentwirrbar und dick war der Unverstand und die Liederlichkeit der erbweisen Leiter der Politik und des Krieges, daß sie etwa fünf Mal so viel von ihrer eigenen Helden-Armee todt machten, als alle russischen Kugeln, Bayonnette und Säbel zusammen.

Noch feuert man keine Kanone mit Elektricität ab, aber diese Wissenschaft ist schon unterwegs zur Praxis. Vielleicht macht man noch vollständige Blitze des Himmels und läßt sie auf den Feind einschlagen. Wenigstens ist bereits ein viel kolossaleres Werk der Elektricität im Werden. Man erinnert sich, daß Fürst Menschikoff im Eingange zum Hafen von Sebastopol mehrere Kriegsschiffe versenken ließ, um ihn so gegen den Feind zu sperren. Diese Schiffe soll der Blitz aus dem Meeresgrunde in die Luft sprengen. Vor einigen Wochen gingen zu diesem Zwecke dreizehn ungeheuere Eisen-Cylinder, jeder mit tausend Pfund Pulver gefüllt, von England ab. Sie sollen zu den versenkten Schiffen versenkt und dort unten vermittelst elektrischer Batterien entzündet werden. Die Sache selbst würde unstreitig gelingen, wenn sie die Russen nicht zu verhindern wüßten. Man hat in England für Hafen- und Dock-Bauten schon größere Sprengungen mit Elektricität unter Wasser vorgenommen.

Eine noch neuere, als die elektrische Telegraphie, besteht aus Buchstaben, zusammengesetzt aus lebendigen Soldaten, ihren Gewehren, Mützen und Taschentüchern (in Ermangelung der sonst üblichen kleinen Fahnen). Sie bewährte sich besonders bei der ersten Landung auf der Krim und ist das Hauptgeheimniß ihrer meisterhaften Ausführung.

Gute Fernröhre, die jetzt jeder commandirende Offizier hat, machen diese Buchstaben und Sachzeichen bei hellem Himmel auf eine deutsche Meile weit und selbst weiter leserlich. Wir bemerken hier noch, daß zwischen den verschiedenen Schiffen mitten auf dem Meere jetzt von allen seefahrenden Nationen eine vollständige Zeichensprache vermittelst Fahnen und ihrer Stellungen, Farben und Formen gesprochen und verstanden wird, so daß sich Schiffe in meilenweiter Entfernung mitten im Laufe ganze Geschichten erzählen können. Außerdem giebt es eine besondere Zeichensprache vermittelst Kugeln an dem Hauptmaste oben in Kriegshäfen, und dann noch eine andere telegraphische Correspondenz zwischen Kriegs- und Kauffahrteischiffen vermittelst einer Combination von Flaggen und Kugeln. So weit, bis zur deutlichen, kosmopolitischen, gebildeten Sprache hat man das alte rohe Signalwesen ausgebildet. Im Alterthume beschränkte man sich lange auf Feuersignale.

„Erhebet ein Feuerzeichen in Bethhaccerem,“ sagt Jeremias, „denn Böses nahet vom Norden und große Verwüstung.“

Troja’s Fall wurde durch eine Reihe von Feuersignalen nach Griechenland hinüber telegraphiert, wie es Aeschylus in seinem „Agamemnon“ so ergreifend schildert. Polybius beschreibt in späterer Zeit eine etwas vollkommene Art von Telegraphie zwischen Schiffen, die aber sehr complicirt und unsicher war. Der geheimnißvollen Arme, welche bis zur Anstellung des Blitzes als Briefträger und Telegraphist auf den Dächern der Telegraphen-Bureaux langsam und unbeholfen Grimassen schnitten, wird sich wohl noch Jeder erinnern. Erst im Jahre 1798 wurde in England eine ordentliche Marine-Telegraphensprache von 400 Sätzen und Zeichen eingeführt. Man hat es jetzt bis zu etwa 2000 gebracht, die ich aber nicht verstehe. Wer die militärische Telegraphensprache studiren will, wo der Soldat den Grundstrich, seine Flinte, Haarstriche und Taschentuch und Mütze die Haken daran bilden, kann sich an den Erfinder selbst wenden, den französischen Capitain de Reynold Chauvancy, dessen betreffendes Werk sowohl in’s Englische als in’s Deutsche übersetzt worden ist.

Wie weit die Wissenschaft im Kriege noch gehen wird, ist noch gar nicht abzusehen. Der Engländer Malson, Erfinder eines elektrischen Lichtes, welches das der Mittagssonne übertrifft (ich habe Proben davon gesehen), hat vorgeschlagen, Sebastopol damit in der Nacht von Luftballons aus zu erleuchten und zu besehen, um die schwachen Stellen und alle Geheimnisse haarklein zu studiren. Vielleicht findet sich auch mit der Zeit Einer, der da sagen kann, wie man’s machen muß, es zu nehmen, wenn die Erbweisheit zuletzt doch nicht noch vorziehen sollte, es stehen zu lassen.

Um noch eine solide Wissenschaft zu erwähnen, welche allen Denen bedeutend zu Gute gekommen ist, die nicht zu weit davon weg waren auf der Krim, so ist das frisch eingemachte Fleisch, die frisch eingemachten Früchte u. s. w. (nicht in Salz und Essig, sondern blos in luftdichten Verschluß gegen unersättlichen Sauerstoff und sonstige Appetit fühlende Luftarten) ein Segen, den nur Die würdigen können, welche Monate und Jahre lang zur See oder in Wässern und Wildnissen waren. Jetzt conservirt man alles Vergängliche, selbst die zartesten Früchte und Milch blos durch luftdichten Verschluß, so daß man nicht mehr sagen kann: Alles Gleich vergeht wie Heu. Manche verstehen sogar die Kunst, schon Gewesenes und Verwes’tes hübsch frisch zu halten.

Zündnadelgewehre, gereifelte Büchsen, Lancaster-, Dampf- und elektrische Kanonen, Spitzkugeln, ovale Kugeln, Schmiedeeisenkanonen, Schmiedeeisenkanonen-Boote mit Dampf-Bomben-Mörsern, Schießbaumwollenkanonen, elektrische und lebende Telegraphen, Kriegseisenbahnen, fahrende Telegraphen, elektrische unterseeische Explosionen, die Sonne bei Nacht in Luftballons mit Dampfkanonen vielleicht, kurzum Wissenschaft im Kriege, wodurch sich zwei feindliche Heere, jedes 300,000 Mann stark, binnen drei bis vier Stunden bis auf den letzten Mann aufzehren können, wie die bekannten wüthenden Löwen in der Wüste, die sich gegenseitig so weit auffraßen, daß man von beiden nur noch die Schwänze auf dem Kampfplatze fand (nur mit dem Unterschiede, daß hier die Häupter übrig bleiben würden).

So weit kann’s die Wissenschaft im Kriege bringen. Nein, jedenfalls noch weiter, denn wenn es erst sicher ist, daß, wie bei schlechten Schachspielern, am Ende nur König und Königin und ein vereinsamter, halb närrischer Springer übrig bleiben, spielt man entweder gar nicht mehr Kriegsschach, oder die Schachfiguren laufen auf beiden Seiten davon oder fallen sich in die Arme und sagen: großer christlicher Gott, wir sind ja alle Brüder, die sich noch dazu im Leben zum ersten Male sehen und sich gegenseitig nichts zu Leide gethan haben können. Also trinken wir lieber etwas Feuchtes mit einander und rauchen eine Friedenspfeife.



  1. Vergl. Gartenl. Nr. 49 von 1854.
  2. Beiläufig, daß Kossuth für jeden Artikel 50 Pfund Sterling (über 300 Thaler) Honorar bekömmt, und damit umgeht, selbst eine Zeitung in London herauszugeben.