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Die Wahrsagerin (Gemälde der Dresdener Gallerie)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Die Wahrsagerin
Untertitel: Von Frans van Mieris
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1848–1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Quelle: Scan auf Commons
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The Fortuneteller.     Die Wahrsagerin.

[41]
Die Wahrsagerin.
Gemälde von Franz van Mieris.

Im Jahre 1667 war „Whitehall“, London, glänzender, als vielleicht jemals später.

König Carl II., oder richtiger seine Freundin, die schöne Herzogin von Portsmouth, berüchtigten Andenkens, hielt in Whitehall Hof und hier war’s, wo die ungeheuren Summen verschwelgt wurden, die Carl dem Parliamente abpreßte.

England war in Gefahr, aber in Whitehall lachte man darüber. Frankreichs Flotte unter D’Etrées, Hollands stolze Segler unter de Ruyter und Cornelius de Witt herrschten auf den Meeren. Der britische Stolz empörte sich gegen die Demüthigungen, welche England, nicht etwa durch seine Schwäche, sondern durch das Verschulden seines Monarchen erlitt.

Carl II. dagegen ließ sich darüber durch die frivolen Witze seiner ausschweifenden Gesellschafter so gut als möglich trösten. Dennoch war er nicht ganz und gar so unverschämt, um nicht immer noch etwas thun zu wollen. Er verlangte, als die Friedensunterhandlungen zu Breda zwischen England und den Niederlanden einen zweifelhaften Erfolg in Aussicht stellten, vom Parliamente außerordentliche Credite, um die fast bedeutungslos gewordene englische Flotte gegen die Generalstaaten in wehrhaften Stand zu setzen. Das Parliament, schon hundert Mal durch Carl’s Vorgeben getäuscht, bewilligte abermals die Summe, welche der König verlangte, obgleich voraus zu sehen war, daß diese Gelder der Flotte nicht zugewandt, sondern in größter Geschwindigkeit verschwendet werden würden. Dieser letzte Umstand ließ wirklich nicht lange auf sich warten.

Ein prächtiges Fest der Herzogin von Portsmouth war zu Ende. Die Geladenen entfernten sich; denn es war fünf Uhr Morgens. Die Königin dieser Nacht verschwand. Man [42] sah in den Sälen nur noch Carl II. mit seinen vornehmsten Günstlingen wie Leute auf- und abwandeln, die durchaus nicht wissen, was sie anfangen sollen.

Der König, schwarz gekleidet – eine elegante Figur mit einem unschönen, von Leidenschaften durchfurchten, blassen Gesichte – hatte den schwarzseidenen Hut mit der schneeweißen Feder tief ins Gesicht gezogen. Er sagte kein Wort und sah, ungeachtet der frivolen Witze des Cavaliers, welchem er seinen Arm gegeben, sehr schwermüthig aus.

Dieser Mann war John Wilmot, der durch seine Satyren, seinen Atheismus, sein ausschweifendes Leben, durch seine Verführungskünste, Frauenzimmern gegenüber, und vielleicht auch durch seine Bekehrung berühmt und berüchtigt gewordene Graf von Rochester. Rochester war noch jung und besaß ein einnehmendes Gesicht, das durch den gänzlichen Mangel an Bart etwas Weibisches erhielt. Er war ganz in weiße, schwer mit Gold gestickte Seide gekleidet und augenscheinlich etwas berauscht.

Neben John Wilmot ging Blood, „dieser vollkommene Bösewicht in Priesterkleidung“, wie ihn Rochester in seiner großen Satyre nennt, salbungsvoll blickend und zweideutige Witze mit großer Fertigkeit reißend. Blood hatte Antony Ashley Cooper, Grafen von Shaftesbury, dieser den Herzog von Buckingham am Arm. Letzterer war ein vollendeter Hofcavalier, der würdige Freund Lord Rochesters.

Nie waren diese Herren ernst, als wenn die Guineen anfingen zur Neige zu gehen. Da sie jetzt ungeheuer ernst waren, so mußte in ihren Börsen oder vielmehr in der Börse des Königs totale Geldebbe eingetreten sein.

– Alles ist zu Ende! sagte Carl II. zu John Wilmot, welchen stets das Geschäft traf, den weiten Schlund von Zeit zu Zeit zu füllen, welcher die Chatouille des Königs hieß. Wir haben nichts, als Unsern Brillantring hier am Finger, und doch müssen Wir Geld haben . . .

– Die goldene, mit Diamanten verzierte Kapsel, in welcher das Bürgerdiplom von London für Eure Majestät eingeschlossen war, hilft über einige Schwierigkeiten hinweg, sagte Rochester.

– Ach, diese phantastische Idee des Lordmayours war zu komisch, flüsterte der König. Wir haben die Kapsel daher ihr gegeben . . .

– Der Herzogin von Portsmouth? rief John.

Carl nickte und Rochester summte das Lied: „Go away my Wealth and fortune etc.“

– Wißt Ihr verwünschten Vampyre, fragte Carl jetzt sehr finster, wieviel Ihr mir binnen acht Tagen verschlungen habt?

– König Carl, sagte der Bischof Blood, welcher ihn am unverschämtesten bestahl, ich habe seit vier Wochen gefastet.

– Dafür hast Du gestern auch eine Mahlzeit von sechstausend Pfunden gethan! erwiderte Carl . . . Deine Schulden, Mylord John, habe ich bezahlt und, Christi Blut! welche Schulden! . . . Shaftesbury, Gott wolle Dir gedenken, was Du mir für Deine vier römischen Feste in Ashley-House abgepreßt hast. Ich glaube, Cooper, Du bist der schändlichste, leichtfertigste Patron in Unserm Königreiche.

– Mit Eurer Majestät Erlaubniß, antwortete der witzige Shaftesbury, wenn Sie von [43] Ihren Unterthanen reden, glaube ich selbst, daß ich es bin, ohne jedoch Lord John damit zu nahe zu treten.

– Und du, Buckingham, fuhr Carl fort, Du hast mir Gelb geliehen, aber Du hast mich im Spiel betrogen, hast, als ich Dir meine Karte übergab, auf dieselbe, auf meine Rechnung, fünfzehnhundert Guineen an Blood verspielt, um nachher die Beute mit ihm zu theilen . . . Was kann ein König, von solchen Haifischen umlagert, thun? Verdient Ihr nicht, daß ich Euch in den Tower sperren, oder besser, auf offenem Markte henken lasse? Schafft mir jetzt mein Geld wieder: ich rathe es Euch! Alles, was das Parliament zur Ausrüstung meiner Flotte bezahlte, habt Ihr verschlungen . . .

– Der keusche, fromme, kluge Carl ist zu bescheiden! erwiderte Rochester hämisch.[1]

– England ist wehrlos . . . Wenn van Gent, Ruyter und de Witt mit ihren siebzig Kriegsschiffen kommen: soll ich Euch Schurken hinstellen, um diese Niederländer von der Themse zurückzutreiben? Schafft mir Geld, oder die Holländer vom Halse, sonst geht’s Euch übel!

Blood und Shaftesbury hatten sich still fortgeschlichen.

– Wir werden Geld haben, Sire, und diese Holländer werden nicht kommen! sagte John Rochester endlich. Gieb mir Vollmacht, König Carl, und unsere Engländer sollen keine holländische Flagge, wohl aber gute holländische Ducaten sehen.

– Willst Du nach Breda, um an den Friedensunterhandlungen Theil zu nehmen? fragte Carl.

– Segne mich Gott, daß ich mich nicht in diese ehrwürdige Gesellschaft mische! rief John. Ich gehe in vertraulicher Sendung zum Rathspensionair Cornelius de Witt zum Haag, verspreche ihm, was Du willst, und borge von ihm so viel Geld, als Du bedarfst. Es kommt England ja, beim Kreuz! auf einige schlechte Inseln und so weiter nicht an!

Carl schämte sich anfangs, willigte aber dennoch, leichtfertig wie er war, in Rochesters abenteuerlichen Plan ein. Lord John, dem das Extravagante desselben im Herzen kitzelte, erklärte, keine Minute säumen zu wollen, sondern sich, und wenn es in dem seidenen Ballkleide sei, sofort zu dem holländischen Rathspensionair zu begeben. Carl gab ihm ein Handbillet und carte blanche, und John bog das Knie, um sich feierlich zu beurlauben.

Bereits aber hatte Rochesters Ernst dem bleichen Könige zu lange gedauert. Er ward unruhig, dann sagte er in seinem leichtfertigen Tone: Aber Du wirst doch, bist Du in Holland, an Unsere petits plaisirs denken, John?

– Ohne Zweifel, Majestät! Ich werde nämlich nicht zurückkehren, ohne Euch die schönste Dame Hollands vorzustellen.

– Du bist bekanntlich mein Fanfaron! rief Carl aufgeweckt. Aber hältst Du Wort, so wollen Wir Dich königlich belohnen. Machst Du den Frieden und bringst Du Uns Geld und führst Du die Schönste Hollands nach Whitehall: so sollst Du zum ersten Herzoge Englands nach dem Kronprinzen ernannt sein.

– Die Sache interessirt mich! bemerkte Buckingham. John ist der Mann, sie anzugreifen; aber ich wette tausend, nein, zweitausend Pfund Sterling, daß er nichts, gar nichts ausrichtet, sondern gegentheils Alles verdirbt, was zu verderben ist . . . [44]Well! rief Rochester im Abgehen. Wir werden ja sehen! Dieu et mon bonheur, pas mon droit! Buckingham, auf die Versprechung des geizigen Königs Carl rechne ich nicht; aber Deine zweitausend Pfund, Bothwell, sind, wie die Seele eines Juden, verloren! Fare well!

Einige Tage später landete John Wilmot im Haag und begab sich sofort zum Palaste des Rathspensionairs.

Cornelius de Witt, ein hagerer, eiskalter Holländer, wußte zuerst nicht recht, was er aus dem beweglichen, zierlichen John Wilmot machen sollte. Er schien nicht zu begreifen, daß man einem solchen Hasenfuße eine höchst wichtige, vertrauliche Mission hatte übertragen können, die dem Unterhändler durchaus freie Hand ließ. Rochester indeß wußte den Seemann dennoch mit bekannter Kunst einzunehmen, und obwohl de Witt vorsichtig nur einen Schritt nach dem andern in der Unterhandlung weiter ging, so gestand sich John Rochester dennoch entzückt, daß diese Viertelstunde mehr Resultate als die dreimonatlichen Berathungen der zu Breda streitenden Diplomatie aufzuweisen habe. Rochester, der feilste Höfling, war dennoch, dem gesunden Kern seines Wesens nach, ein durchaus republikanischer Geist, wie die meisten seiner Gedichte bezeugen. Wie hätte de Witt dem interessanten, geistreichen Taugenichts[2] widerstehen können, als derselbe declamirte: „So lebe denn wohl, geheiligte Majestät! Alle Tyrannen werden in den Staub zu Füßen des Thrones gestürzt werden! Wo Menschen frei geboren sind und noch frei leben, da ist jedes Haupt ein gekröntes![3]

– König Carl will Geld! war der Refrain des Lords.

– Holland will Land und Leute in Bengalen, Bahar und Crixa, sammt Aufhebung der Monopole, und dann fordere König Carl II. was er will; wir bezahlen! erwiderte de Witt. Wir sind also der Hauptsache nach einig . . .

Einige Minuten später waren die beiden Männer jedoch aufs Heftigste entzweit. Rochester nämlich konnte sich immer nur eine Zeit lang vernünftig benehmen, dann brach sein Leichtsinn, seine Leidenschaftlichkeit, sein liederliches Wesen nur desto stärker hervor. Lord John war nur allzulange vernünftig gewesen; der Vulkan bedurfte einer Eruption. Es fehlte blos noch eine Gelegenheit, damit die verderbliche Seite des Lords sich in ihrer vollen Ausdehnung geltend machte. Unglücklich genug zeigte sich diese, als John Wilmot die Gemächer des Rathspensionairs verließ, eben in dem Augenblicke, als der Cavalier sich mit großer Selbstzufriedenheit, mit wahrem Vergnügen gestand, daß er gegen den ehrwürdigen Holländer sich excellent und als ein ganzer Mann benommen habe.

Rochester ging die mit prächtigen Gemälden gezierte Gallerie hinab, da öffnete sich eine Thür zu seiner Seite; schwere Seide rauschte, und die Secunde darauf stand unmittelbar vor dem Engländer eine Dame von solcher bezaubernden Schönheit, daß Rochester, unfähig, einen Schritt vorwärts zu machen, wie eine Bildsäule stehen blieb. Hoch und schlank von Wuchs war diese Niederländerin ein vollendetes Weib von etwa zweiundzwanzig Jahren, mit strahlenden, sehnsuchtsvollen, blauen Augen, mit dem reizendsten, zum Herzen sprechendsten, von prächtigem, krausem Blondhaar umgebenen Antlitze von der Welt. Sie betrachtete den schönen Engländer [45] einen Augenblick, wie es schien, nicht ohne Wohlgefallen, dann grüßte sie ihn mit offenem Lächeln. Dieses Lächeln hatte aber noch gefehlt, um Lord John um den Verstand zu bringen. Der Eindruck, welchen die Dame auf den leidenschaftlichen, wüsten Hofmann machte, ward so stark, daß sich Rochesters Gesichtsfarbe veränderte; sie ward bleich, während seine braunen Augen zu blitzen begannen. Er trat rasch auf die junge Dame zu, ergriff ihre schöne Hand, stammelte einige Worte und preßte einen langen Kuß auf ihre Finger. Rochester bemerkte gar nicht, welche Anstrengungen die Schöne machte, um sich ihm zu entziehen; er besann sich erst, als die Bestürzte mit lauter Stimme nach ihren Dienern rief, um sich von dem Ungestümen zu befreien. – In der Minute darauf stand Cornelius de Witt vor dem Engländer, welcher inzwischen auf die Kniee niedergesunken war, der Rathspensionair ergriff die Dame am Arme, befreite sie von dem Lord und stand, heftigen Zorn in jeder Miene zeigend, dem Unbesonnenen gegenüber.

– Ihr seid kein Cavalier! rief de Witt außer sich. Ihr seid ein Elender! Entfernt Euch auf der Stelle und verlaßt das Land, dem Burschen Eures Gelichters nur Schande und Schmach bringen können! Verweilt Ihr, der Ihr Euch Graf Rochester nennt, auf holländischem Gebiete noch vierundzwanzig Stunden, so lasse ich Euch aufknüpfen!

John hatte inzwischen seine Fassung wiedergewonnen. Er warf noch einen Blick auf die eben am Ende der Gallerie verschwindende Dame, sandte ihr Kußfinger hinüber, hing sein Schwert nachlässig zurecht und verbeugte sich vor dem Niederländer mit höhnischem Lächeln.

– Ich bitte um Verzeihung, guter Freund, sagte er abgehend; ich hatte vergessen, daß ich mich im Lande der Wallrosse und Seehunde befinde, die natürlich noch keine Galanterie studirten. Uebrigens versichere ich Euch, mein ehrenwerther Mynheer, daß mich weder Eure Stricke noch Eure Schwerter abhalten sollen, mich hier so gut als möglich zu unterhalten . . .

John reisete nicht ab, indeß hielt er es für gut, sich zu verbergen. Er war fest entschlossen, nicht von dannen zu gehen, ohne sich der königlichen, schönen Dame im Palaste de Witts bemächtigt zu haben. Er unterhielt sich mit seiner dicken Wirthin und erfuhr, daß diese keine andere, als Minna de Witt, die Tochter des alten Helden selbst gewesen sei. Wie aber sich ihr nähern? Rochester, der Vielgewandte, brachte durch seine Fragen heraus, daß sich in dem Fischerdörfchen am Strande, jetzt das reizende Scheveningen, eine Frau befinde, welche die ausgezeichnetste Geschicklichkeit besitze, heimliche Liebschaften und Rendezvous zu vermitteln. An demselben Abende stand Rochester vor der niedrigen Hütte des Weibes und trat bei ihr ein. Er fand eine alte, ungewöhnlich schlau blickende Sibille, Mara mit Namen, eine Jüdin, die außer sonstigen mystischen Künsten sich vortrefflich auf das Kartenschlagen und auf das Wahrsagen aus der Hand verstand.

– Wen willst Du sehen und sprechen? fragte die alte Hexe.

– Minna de Witt!

Mara schlug die Hände über die Brust und schwieg unverbrüchlich. Rochester hielt es für nothwendig, ihr durch eine Banknote die Sprache wiederzugeben.

– Gut, sagte sie. Du bist ein Edelmann und zwar ein englischer; nimmer noch habe ich so viel Geld auf einmal in der Hand gehabt, als heute Abend. Zur Gehenna denn mit dem armen Capitain Brakel, der mir kaum noch für ein Glas Tafia bezahlt hat.

[46] Jetzt folgte ein Geständniß der Jüdin.

Minna de Witt unterhielt schon seit längerer Zeit ein zartes Verhältniß mit dem Seecapitain Brakel, einem tapfern, kenntnißreichen Offizier, dem aber der alte Cornelius de Witt, eben seiner niedern Herkunft und seiner Armuth wegen, von ganzem Herzen abgeneigt war. Diese Abneigung hatte sich in tödtlichen Haß verwandelt, seit der Seemann seine Augen auf die Tochter des Rathspensionairs zu werfen gewagt hatte. Mara war die Zwischenträgerin, der Postillon d’amour gewesen; hier in dieser Hütte sah die liebliche Niederländerin oft den Geliebten, ebenso oft schlich sich die Jüdin nach dem Palaste, um der schönen Minna de Witt Nachrichten zu bringen, oder um ihr die Karte zu schlagen, wo sich der von den Wogen geschaukelte Freund ihres Herzens befinde und wann endlich das Glück die Thränen dieser Liebe verwischen werde.

John Wilmot konnte sich bei dieser Nachricht kaum enthalten, die Alte zu umarmen. Sie mußte sich neben ihn setzen und Beide fingen einen Plan zu besprechen an, welcher darauf hinaus lief, daß Rochester Minna de Witt noch in dieser Nacht entführen, auf sein Rennschiff bringen und mit ihr nach England unter Segel gehen wollte. Der Don Juan schrieb, als ihm Mara die Handschrift Brakels zeigte, einen Brief an die Schöne, in welcher er möglichst genau des Holländers Schriftzüge nachbildete, und worin er dieselbe um eine Zusammenkunft beschwor.

Mit diesem Briefe machte sich die Jüdin, einen weiten schwarzen Ueberwurf umschlagend und ihren Krückenstock in die Hand nehmend, auf den Weg nach de Witts Palaste.

Rochester, seinen Mantel hoch hinaufschlagend, folgte ihr und blieb an den Blumengärten vor einer Seitenpforte, harrend des Ausganges, stehen. Die Jüdin schlüpfte mit großer Gewandtheit an der Mauer fort und kam in den weiten Corridor, auf welchen Minna’s Zimmer mündeten. Lautenklänge tönten aus der geöffneten Thür; hinter einem aufgeschürzten Vorhange, mit dem Rücken nach dem prächtigen Kamine gewandt, an welchem eine liebeathmende Devise des alten Horaz sich zeigte, saß Minna, halb über einen Tisch gelehnt, und sang eines der sanften Liebeslieder Italiens. Minna war reizender als je. Das Haar war mit Perlen durchflochten, eine Robe von weißem Atlas und ein kurzes Oberkleid, welches oben nachlässig verschoben war und den schwanengleichen Busen zeigte, ließen ihre Schönheit, den reinen Glanz ihres Nackens und ihrer halbnackten Arme strahlender als je erscheinen.

Als Mara erschien, legte sie rasch das Notenbuch und die Laute auf den Tisch und streckte nach dem Brief beide Hände aus. Sie zitterte, sie legte die Hand auf die Augen; sie war so bewegt, daß die Alte heimlich über ihre Besorgniß lächelte: Minna möge entdecken, daß Niemand weniger als Capitain Brakel der Schreiber dieser Zeilen sei.

– Ich soll ihn also sehen! flüsterte Minna, die Hand auf das pochende Herz legend. Und dennoch, warum bin ich heute Abend so beklommen, so unruhig? Welches Unheil droht mir oder dem Geliebten? Meine Zukunft ist finster; ich lebe wie in einem Gefängnisse, und bange vor der nächsten Stunde.

– Zeige mir doch Deine Hand, schönes, stolzes und doch so furchtsames Mädchen! bat Mara schmeichelnd, indeß sie sich der Linken Minna’s bemächtigte.

Nachdem sie dieselbe aufmerksam geprüft, sagte sie, einen Schritt zurück und hinter den Tisch tretend, indeß Minna, den Kopf mit der Hand stützend, sie träumerisch anblickte:

[47] – Merk’ Dir’s, Schönste, Dein Zagen und Zaudern muß aufhören. Bist Du nicht des kühnen Cornelius de Witt Tochter? Und Du wolltest keinen, der Kühnheit Deines Vaters würdigen Entschluß fassen können? Hier in Deiner Hand steht klar geschrieben: Du wirst nimmer glücklich, bevor Du nicht entführt wirst. Laß Dich entführen, Minna, heute Nacht noch, und Deine Sehnsucht nach Liebe und Heirath ist erfüllt! Folge mir; der Capitain erwartet Dich!

– O, nie werde ich dies eingehen! flüsterte Minna. Aber obgleich sie zauderte, so schlug sie doch den Mantel um und ging, zwar bebend aber doch entschlossen, der verschmitzten Wahrsagerin nach. Vor der Pforte empfing sie Rochester.

– Ruhig! murmelte dieser, vor innerer Erregung noch heftiger als Minna zitternd. Capitain Brakel und ich sind Kameraden. Nur muthig voran!

Minna preßte den Brief in ihrer Hand; sie bekam dadurch wieder Muth: – Er erwartet mich! sagte sie leise.

Am Strande von Scheveningen aber erwartete sie nicht der Geliebte, sondern acht kräftige Matrosen von London, deren Boot auf den kurzen Wellen am Gestade tanzte. Auf Johns Befehl ergriffen diese die junge Dame und trugen sie in das Boot, während Rochester die alte, ziemlich erstarrte Mara mit einem Faustschlage betäubt zu Boden streckte, damit sie nicht etwa zu frühzeitig Lärm mache. Dann lief John bis an den Gürtel ins Wasser, stieg ins Boot, befahl zwei straffen Burschen, die schöne Beute rücksichtslos festzuhalten, und nahm das Steuer. Einige Minuten später lag das Boot neben dem schlanken Yachtschiffe König Carls II.; die Mannschaft brachte die Niederländerin an Bord und führte sie unter Rochesters Beistande in die Cajüte. Dann ward der Anker gelichtet und der Abenteurer stach, außer sich vor Entzücken, in See. Noch aber war der Morgen nicht angebrochen, da segelte eine niederländische Fregatte heran und sandte über die Mastspitze des englischen Schiffes eine Kanonenkugel. John Wilmot befahl dem Capitain beizulegen. Die Holländer kamen heran; auf dem Verdecke der Fregatte zeigte sich ein stolzer, bärtiger Seemann, welcher die Engländer zu examiniren begann. Minna war bis jetzt in die Ruhe der Verzweiflung versunken gewesen. Sie hatte sich eines Hirschfängers bemächtigt und dem Grafen geschworen, sich damit zu durchbohren, wenn er wagen würde, sich ihr zu nähern. Jetzt aber, bei der Stimme des holländischen Capitains gerieth sie außer sich. Sie schleuderte Rochestern, der ihr den Weg versperrte, zur Seite, blickte aus der Stückpfortenluke und rief:

– Moritz! Moritz! Rette mich; ich sterbe!

Der Capitain schien sie zu erkennen; er rief; er drohte; er befahl den Engländern beizulegen; aber das Examen war beendigt, das Rennschiff war wieder unter Segel und Rochester lief zu Deck, damit alles Leinen ausgespannt werde, um der Fregatte zu entkommen. Die Yacht erhielt einige von den vielen auf sie abgefeuerten Kanonenschüssen, gewann aber bei Wind und Wasser Raum und ließ die Fregatte hinter sich. Capitain Brakel signalisirte zur Rhede hin und setzte seine Lantsche aus, um van Gent Rapport zu geben, dann machte er Jagd auf den Engländer.

Cornelius de Witt aber ging bei der furchtbaren Nachricht vom Verschwinden seiner Tochter sofort unter Segel, zog Ruyter an sich und erschien dicht hinter dem Capitain Brakel, welcher Rochestern vergeblich verfolgt hatte, vor Koningsdiex, dann in der Mündung der Themse [48] und zwar mit sechs Kriegsschiffen. Brakel erreichte Rochesters Yacht vor Sheerneß; der Graf kam schwimmend ans Land, während der Holländer das Schiff und seine stolze, kühne Geliebte nahm. An ihrem Arme betrat Moritz Brakel das Verdeck des Cornelius de Witt, welcher dem Braven um den Hals fiel und in der Freude seines Herzens rief:

– Du hast sie zu guter Prise gemacht, Du hast sie den Händen dieses Bösewichts entrissen: Minna de Witt sei die Deine . . .

König Carl und Buckingham und Shaftesbury waren zu Sheerneß, als der Graf Rochester, triefend wie eine Meerkatze, aufs Schloß kam. Das Bombardement begann soeben und Carl II., kein Freund von dergleichen Spielen, war im Begriff, sich mit seinen Begleitern und Dienern in die bereitstehenden Kutschen zu werfen.

John erschien.

– Wo ist der Friede? rief ihm Carl wüthend entgegen, auf eine über den Schloßhof in weitem Bogen hinsausende Bombe zeigend.

Ah, Devil! rief Rochester.

– Wo hast Du die Dukaten der Holländer, Bajazzo?

– König Carl, höre mich doch! rief Rochester, während Buckingham unmäßig lachte.

– Wo ist die Schönste der Schönen Niederlands? rief Carl abermals.

– Das war’s eben! erwiderte Rochester. Und hätte ich nur gesiegt in dem einen Punkte, so wollte ich ruhig sterben . . .

– Fahr zu, Kutscher! rief der König, und die Wagen rollten fort, indeß der triefende Rochester allein stehen blieb.

Hierauf machte John die furchtbare Satyre: „Die Wiedereinsetzung, oder die Geschichte der Albernen“ gegen König Carl, weshalb er auch lange Zeit in Ungnade fiel.

Die Holländer aber kamen bekanntlich bis Upnore hinauf. Brakel war derjenige, welcher über die bei Medway über den Fluß gespannte Kette segelte und eine Fregatte eroberte.

Nach der Heimkehr der Flotte in den Texel verheirathete sich der Capitain mit der Geliebten. Minna de Witt aber ließ sich zum Andenken an den von der Wahrsagerin herbeigeführten Umschwung ihres Lebens sammt der Jüdin, die dennoch richtig prophezeihte, in eben der Situation malen, welche dem Augenblicke ihres Scheidens aus dem väterlichen Palaste vorherging.


  1. Worte der berüchtigten Satyre Wilmots: „Die Geschichte der Albernen“.
  2. Rochester hatte wirklich den corrumpirt-italienischen Spitznamen: Tunnicotto! Thunichtgut!
  3. Schlußstrophe der Satyre: „Die Wiedereinsetzung.“