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Die Wöbbeliner Festgräber

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Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Die Wöbbeliner Festgräber
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 549–551
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Artikel über die Gräber von 1813, siehe auch Noch eine Erinnerung an Wöbbelin
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[549]
Die Wöbbeliner Festgräber.

In diesem Jahr der unaufhörlich wallenden Jubelfahnen werden viele auch mit dem Flor der Trauer behangen zu den Ruhestätten großer lieber Todten getragen. Von den unzähligen Opfern der Befreiungsschlachten, deren Asche zertreten, deren Staub verweht ist, hat die Dankbarkeit des Volkes noch viele Namen erhalten, theils eingegraben in die Gedächtnißtafeln der Kirchen und Friedhöfe, theils in die der Geschichte, theils in die Herzen aller Vaterlandstreuen für alle Zeiten. Unter diesen letzteren ist kein Geliebterer und darum Glücklicherer, als Theodor Körner. An der Stätte, die sein Grab und die Gräber seiner Lieben birgt, feierte

Die Körnergräber bei Wöbbelin.

man am 26. Aug. das größte aller Erinnerungsfeste für einzelne Kämpfer, und darum wird den Freunden der „Gartenlaube“ ein Bild dieser nun wieder so stillen Gräber wohl willkommen sein, dem wir folgende authentische Beschreibung derselben beigeben.

In einem Rasenkreise befinden sich fünf Grabhügel. Unter dem mittleren schläft der vielbeweinte Heldensänger, rechts von seinem Haupte die Mutter, links der Vater; zu Rechten seiner Füße ruht seine einzige Schwester Emma, zu Linken seine Tante, die witzige und talentvolle Pastellmalerin Dorothea Stock. Und über dieser Erdenscholle, die so viel des Theuren birgt, breitet der alte, „mit Moos und Schorfe bedeckte“ Wachposten, von welchem Rückert den um Mitternacht der Gruft entsteigenden Heldengeist singen läßt:

„Die Eich’ ob meinem Scheitel,
Wie ist der Kranz so groß“ –

schützend und segnend seine gewaltigen Arme.

Das am Fußende des Dichtergrabes aufgerichtete, in Berlin gefertigte Denkmal trägt folgende Inschriften. Dem Grabe zugekehrt:

Karl Theodor Körner
geboren zu Dresden am 23. September 1791,
widmete sich zuerst dem Bergbau, dann der Dichtkunst,
zuletzt dem Kampfe für Deutschlands Rettung.
Diesem Beruf weihte er Schwert und Leyer und opferte ihm die schönsten
Freuden und Hoffnungen einer glücklichen Jugend.
Als Lieutenant und Adjutant in der Lützow’schen Freischaar wurde er bei
einem Gefecht zwischen Schwerin und Gadebusch am 26. August 1813
schnell durch eine feindliche Kugel getödtet.

Auf der entgegengesetzten Außenseite liest man:

Hier wurde
Karl Theodor Körner
von seinen Waffenbrüdern mit Achtung und Liebe zur Erde bestattet.

Die beiden anderen Seiten enthalten die Körner’schen Strophen:

Dem Sänger Heil! erkämpft er mit dem Schwerte
Sich nur ein Grab in einer freien Erde.

und

Vaterland! Dir woll’n wir sterben.
Wie Dein großes Wort gebeut!
Unsre Lieben mögen’s erben,
Was wir mit dem Blut befreit.
Wachse, Du Freiheit der deutschen Eichen.
Wachse empor über unsre Leichen!

Die Grabhügel von Theodor’s Eltern zieren nur kleine Eisentafeln mit Angabe der Geburts- und Sterbetage.

Christian Gottfried Körner,
geb. zu Leipzig 2. Juli 1756, gest. zu Berlin am 13. Mai 1831.

Anna Maria Jacobina Körner,
geb. zu Nürnberg am 11. Mai 1762, gest. im Berlin am 20. August 1843.

[550]
Dorothea Stock ward im Juni 1832 beigesetzt.


Emma’s Gruft deckt ein breiter Sandstein, auf dem nur noch die Palmen- und Lilienzweige und die Thränenkrüge sichtbar sind; die Inschrift hat Zeit und Wetter verlöscht. Sie lautete:

Unter den Nachgelassenen
Theodor Körner’s
folgte ihm zuerst
seine gleichgesinnte Schwester
Emma Sophia Louise.
Sie war geboren zu Dresden
am 19. April 1788.
Durch Charakter, Geist und Talente
verschönerte sie die Tage der Ihrigen
und erfreute Alle, die sich ihr näherten.
Den geliebten Bruder betrauerte sie,
wie es der deutschen Jungfrau ziemte.
Aber indem sich die Seele zu ihm erhob,
wurde der Körper allmählich entkräftet.
Ein Nervenfieber endete ihr irdisches Leben
zu Dresden, am 15. März 1815.

Den Begräbnißplatz schenkte der Herzog von Mecklenburg-Schwerin, Friedrich Franz I., der Familie. Dagegen erwarb diese die Eiche als Eigenthum für den abgeschätzten Preis von 16 Thlrn.

Der Baum theilt sich scheinbar, in der Mitte des Stammes eine Oeffnung lassend, in zwei Arme, welche sich beim Ansatz der Krone wieder vereinigen. Dieses wunderbare Spiel der Natur erklärt sich jedoch daraus, daß wir in Wahrheit zwei Eichen vor uns haben, und zwar eine Winter- und eine Sommer-Eiche, die wie zu einem Stamm verwachsen sind, eine kurze Strecke in ihrer selbstständigen Natur auseinander gehen, um sich endlich in der Krone wieder recht innig zu vereinen. Ueber diesen Baum hatte Körner’s Vater in das (1815 bei einer Feuersbrunst verloren gegangene) Wöbbeliner Stammbuch folgende Verse geschrieben:

 Den Manen der Kinder.
Heil Euch, seliges Paar! Hoch schwebet Ihr über der Erde;
     Wir verweilen noch hier, wandelnd auf dornichter Bahn.
Aber in Blumen und Sternen, in jeder Zierde des Weltalls
     Sieht der sehnende Blick seine Geliebten verklärt.
Auch in der Eiche, die hier die bethränten Gräber beschattet,
     Zeigt, was Ihr waret und seid, uns sich als liebliches Bild.
Nah’ an der Wurzel entstehn aus dem Herzen des Stammes zwei Aeste,
     Kräftig strebt einer empor, ihm schließt der zweite sich an.
Bald, wie durch fremde Gewalt, seh’n wir sie gehemmt und vereinigt,
     Aber der höhere Trieb siegt über irdische Macht.

Die Erhaltungskosten des Platzes werden von dem Ertrag einer Seitens der Körner’schen Familie angekauften großen Wiese bei Ludwigslust – der sogenannten Körnerwiese – bestritten; außerdem ist den Armen zu Wöbbelin ein jährliches Legat von 32 Thalern ausgesetzt.

Am Stamm der alljährlich sich verjüngenden Beschirmerin der Gräber hängt außer einem Turner-Album, welches bei Gelegenheit einer Turnfahrt der Männer-Turnvereine zu Schwerin und Grabow nach Wöbbelin von letzterem gestiftet ward, die „Eisenbraut“ eines ehemaligen Lützowers. Eine daneben befestigte Eisentafel giebt folgende kurze Erklärung:

Dies Schwert von Eisen stark und gut
Führte mit eisenfestem Muth,
Dess’ Namen mit Ehren wird genannt,
Gottlieb Schnelle aus dem Mecklenburger Land.

Drei Feldzüge hatt’ er wohl vollbracht,
Da fiel er in einer Heldenschlacht,
Die geschlagen worden zur guten Stunde
Und geheißen die Schlacht vom schönen Bunde. –

Schnelle stammte aus einer angesehenen Familie Mecklenburgs und trat, nachdem das Lützow’sche Freicorps aufgelöst war, in das 26. Linienregiment, mit dem er am 16. Juni 1815 im Feuer bei Ligny stand.

Nach Verabredung mit zwei Cameraden, daß, wer zuerst von ihnen im Befreiungskampfe untergehe, sein Schwert an die Wöbbeliner Eiche heften lassen solle, kam dasjenige Schnelle’s hierher, als der tapfere Träger desselben in jener Schlacht den Heldentod gefunden hatte.

Der Name Theodor Körner’s, den seine Kampfbrüder in das von der Rinde befreite Holz eingegraben haben, ist jetzt wieder überwachsen und von dem ursprünglichen

TH. KÖRNER
26. AUG.
13.

– die Angabe des Jahrhunderts (18) ist später eingeschnitten – sind nur noch wenige Buchstaben sichtbar.

Das Dichtergrab wird selten leer von Kränzen und Blumen und ist den Schulen, Gesang- und Turnvereinen der umliegenden Städte ein oftmaliges Ziel ihrer Fahrten; ziemlich ununterbrochen bis zum Jahre 1834 war hier an jedem 26. August eine Todtenfeier gehalten, zu welcher nicht selten aus entfernten Gegenden die Theilnehmenden herbeiströmten.

Warum seit jenem Jahre diese Gedächtnißtage im Volke einschliefen? Weil das Volk selbst in der großen Reactionswiege lag und durch so ernsthafte Sachen im süßen Schlummer jeder vaterländischen Herzensregung und politischen Willenskraft nicht gestört werden sollte. Die Zeit des großen Weckrufs kam, und mit ihr stand auch der Cultus am Grabe des geliebten Dichters und Kämpfers der Freiheit wieder auf. Zur Eiche von Wöbbelin wallfahrtete wieder das an Deutschlands Zukunft von Neuem glaubende Volk, von großen Nationalfesten sandte man diesen Gräbern Ehrenkränze, und der Eiche grüner Schmuck wanderte nach Leipzig, um am Turnerfest das Denkmal der Kugeln aus der Völkerschlacht als Kranz zu zieren. So führt jede große Zeit den Geist der großen Todten in ihr neues Leben zurück.

Zum Schluß, zum Abschied von Körner und seinen Gräbern, rede die Geschichte seines Todes noch ein mahnendes Wort an die deutsche Nation.

Es ist keine Vermuthung mehr, sondern helle Wahrheit, daß Theodor Körner durch die Hand eines Deutschen gefallen ist. Einer der Goldgreise dieses Jubeljahrs, ein Lützower, der Rechnungsrath Kutzbach in Trier, weist uns auf einen schon im Jahr 1834 in der Beilage Nr. 31 der Allgem. Zeitung durch einen preußischen Premierlieutenant a. D. Storck zu Martinstein veröffentlichten Artikel hin, in welchem ein alter braver Schullehrer, Namens Schönborn, zu Dhaun bei Kreuznach, als ein Erlebniß aus seiner französischen Kriegsdienstzeit den Tod Körner’s erzählt. Die Erzählung des alten Schönborn ändert nichts an der des alten Ackermann, die wir in Nr. 31 als „Noch eine Erinnerung an Wöbbelin“ mitgetheilt haben; sie berichtigt nur die gewöhnliche Angabe, daß der Transport von Lebensmitteln, Zwieback etc. nicht von zwei Compagnien, sondern nur von 90 Mann unter der Führung eines Lieutenants begleitet gewesen sei, die zur Hälfte als Musketiere, zur Hälfte als Grenadiere dem 105. französischen Linien-Infanterie-Regimente angehört hätten.

„Den Wagen,“ so lautet Schönborn’s Bericht, „ging eine Avantgarde voraus, und hinter denselben folge eine Abtheilung Arrièregarde von einem Unterofficier und 10 Mann.

Zu dieser Arrièregarde gehörten der Musketier Franz, jetzt (d. h. 1834) Ackerer in Bibern, Kreis Simmern, und ich, damals Grenadier in dem Regimente. Der Lieutenant, im Rücken der Armee keine Gefahr ahnend, hatte die übrigen Mannschaften bei den Wagen, auf welchen die Soldaten mehrentheils schlafend lagen, vertheilt, und keine Seitenpatrouillen ausgesandt.

Die Straße, worauf sich die Wagen fortbewegten, ging durch einen Wald; rechter Hand war ein geschlossener Fichtenwald, und linker Hand ein Gebüsch von kleinen gemischten Holzgattungen.

Als die Arrièregarde eben den Saum des Waldes zum Eintreten in denselben erreicht hatte, stürzten aus dem Fichtenwalde preußische schwarze Jäger zu Pferde auf dieselbe, welche ins Gebüsch sprang und ein Tirailleurfeuer eröffnete. Ein Officier der Jäger hieb auf den Musketier Franz ein, der von Jugend auf recht gut mit dem Gewehr umzugehen wußte. Er bog dem Hiebe aus, ließ sich in den Straßengraben fallen, schlug an und gab Feuer. Das Pferd des Officiers fiel sogleich zusammen, und er selbst ebenfalls getroffen herunter.

Während der Zeit hatten die schwarzen Jäger, weil die Franzosen die Flucht in das Gebüsch ergriffen, das Convoi genommen. Wir machten uns nun auch davon, sahen aber auch deutlich, wie der blutende Officier von seinen Cameraden weggetragen wurde.

Aufmerksam bin ich auf den Gegenstand geworden durch die Lebensgeschichte des Theodor Körner, die ich während meiner jetzigen Beinkrankheit, durch welche ich bereits seit einigen Monaten das Bett hüten muß, gelesen habe. Ich fand, daß sein darin beschriebener Tod mit demjenigen, was ich als Augenzeuge dabei gesehen und erfahren, ganz übereinstimmt.“

Ja, es stimmt ganz, es stimmt zum Erbarmen überein! Körner fiel von deutscher Hand!

[551] So unaussprechlich elend war Deutschland geworden, daß Deutsche unter französischen Fahnen „Victoria!“ über Deutsche jubelten und daß Deutschlands herrlichster Jüngling, in Vaterlandsliebe und Lebensreinheit das ewige Muster der männlichen Jugend Deutschlands, hingestreckt wurde durch eine deutsche Hand, die Frankreich den Fahneneid hatte schwören müssen.

Sollen solche Tage sich erneuern? Wenn irgend Etwas aus den Herzen der ganzen Nation ein ehern tönendes „Nein!“ hervorpreßt, so ist’s der Mahnruf der Trauer und der Schmach: ein Deutscher hat unsern Theodor Körner mit der französischen Kugel gemordet! Und dieser Ruf schlage an die Herzen, so oft die Verführung winkt und der Uebermuth droht, – dann wird der Mahnruf der mächtigste Weckruf zum Kampf für die Freiheit und Ehre des deutschen Geistes und der deutschen Erde sein.

Fr. Hfm.