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Die Vernunft, in Theile getheilt

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: J. R.
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Titel: Die Vernunft, in Theile getheilt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 680
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
siehe auch in Heft 47
Noch einmal die eingetheilte Vernunft
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[680] Die Vernunft, in Theile getheilt. Die Betrachtungen, die sich an die von einem gelehrten Philosophen neuerdings vorgeschlagene Eintheilung der Vernunft in acht Achtel knüpfen lassen, ergeben das überraschende Resultat, daß der normale und tüchtige Mensch nur zur Hälfte vernünftig, zur anderen Hälfte aber unvernünftig ist. Schon die ganz allgemeine Ansicht, daß, wo Licht ist, auch Schatten sein müsse, legt einen Beweis dafür ab, daß man absolute Vollkommenheit Niemandem zutraut. Dasjenige Wesen, dem man sie zuschreiben könnte, Christus, wird in Folge dessen auch für Gottes Sohn gehalten. Gestehen wir diesem also acht Achtel Vernunft, das heißt den absoluten und ungetheilten Besitz dessen, was das Göttliche im Menschen ausmacht, zu und sehen uns nach der Kategorie um, der wir sieben Achtel Vernunft beimessen können! In diese Classe würden etwa die größten Geister aller Nationen unterzubringen sein: Sokrates, Sophokles und Shakespeare, Goethe und Schiller, Gesetzgeber wie Moses, Gelehrte wie Kant. In die nächste Classe, sechs Achtel, kämen etwa Feldherren wie Alexander der Große und Cäsar, Friedrich der Große und Napoleon der Erste, Staatsmänner wie Richelieu und Bismarck, ferner ausgezeichnete Gelehrte, die alle nur in gegebenen Verhältnissen, ihren Zeitgeist verstehend, Geistesgröße entwickeln, nicht, wie die vorige Classe, außerhalb ihres Zeitgeistes, diesem voranschreitend. Die nächste Classe würde Leute enthalten, die noch über dem Niveau gewöhnlicher geistiger Tüchtigkeit stehen, Leute, die neben sonstiger Tüchtigkeit sich noch durch ein Talent, eine Fähigkeit von den anderen brauchbare Menschen unterscheiden: bewährte Schriftsteller, wie etwa Charles Dickens, Karl Gutzkow, Walter Scott und Andere, bedeutende Musiker und Componisten, Maler, Künstler etc.

Die folgende Classe, also zur Hälfte absolute Vernunft, würde mithin tüchtige brauchbare Kräfte, sowohl auf materiellem wie auf geistigem Gebiet enthalten, das heißt den normalen Menschen. Darauf folgt drei Achtel Vernunft; auch hier sind noch ganz tüchtige Leute zu finden, von denen Niemand sagen wird, sie seien unverständig, sie haben aber schon etwas an sich, das ein wenig anstößt, etwas Sonderbares, Eckiges, auffällige Antipathien oder Sympathien. In die Classe von zwei Achtel gehören dagegen solche, mit denen man schon nicht gern zu thun hat, bei denen man im Zweifel ist, ob sie nicht wirklich geisteskrank seien – schon ein Theil dieser, sowie die ganze Classe mit ein Achtel Vernunft, machen die Bevölkerung der Irrenhäuser aus. Die nächste Classe 0/8, würde also die absolute Unvernunft repräsentiren, sie entzieht sich aber unserem Verständniß, da selbst im äußersten Wahnsinn der göttliche Funke nicht ganz erloschen ist.

Daß viele Geisteskranke einzelne überaus geniale Ideen haben, ist kein Beweis dafür, daß sie mehr als zwei bis drei Achtel Vernunft hätten: sie haben aber vielleicht das sechste ober siebente Achtel, ohne die ersten zu haben. Und hierauf ist auch der Umstand zurückzuführen, daß so viele geniale Menschen zu Grunde gehen: sie, die vollauf Eigenschaften höherer Kategorien haben, verderben, weil ihnen die für das Leben nothwendigen Eigenschaften des Drei- oder Vier-Achtel-Menschen fehlen.

J. R.