Die Undinen
[644] Die Undinen. (Zu unserer Kunstbeilage.) Scharen von Geistern belebten nach dem Glauben der heidnischen Völker die Natur. Unsere Vorfahren nannten sie Elfen oder Elben und suchten sich im allgemeinen durch das Wirken dieser Wesen die Naturgewalten zu erklären. Auch das Wasser war von derartigen Wesen in der Phantasie des Volkes bevölkert. In Seen und Flüssen hausten Wassermänner und Wasserjungfrauen, die oft in die Geschicke der Menschen eingriffen. Der männliche Nix entführte menschliche Jungfrauen und hielt sie in seinem Kristallpalast in Wassertiefen geborgen; die weiblichen Nixen lockten Jünglinge und Männer in ihre Netze. In der Regel hatte die untere Hälfte ihres Körpers die Gestalt eines Fischschwanzes oder einer Schlange, aber wenn sie wollten, konnten sie in ganz menschlicher Gestalt von berückender Schönheit erscheinen, nur, daß alsdann ein Zipfel ihres Kleides immer naß blieb. Die Nixen lebten auch eine Zeit lang als Frauen ihrer Geliebten unter den Menschen, oft aber brachten sie ihnen Verderben, indem sie dieselben zuletzt doch ins Wasser zogen. Zahlreiche Sagen beschreiben das geheimnisvolle Wirken der Nixen und die Dichtkunst hat gleichfalls seit alter Zeit diese Wesen besungen. Im Mittelalter hat man diese Naturgeister des alten Volksglaubens zu ordnen versucht, und Gelehrte jener Zeit, wie z. B. Paracelsus, teilten sie nach den vier damals bekannten Elementen in vier Abteilungen. Geister, die das Element des Feuers belebten, hießen Salamander, die der Luft Sylphen, Geister, die in der Erde wirkten, nannte man Gnomen, und die Wassergeister erhielten den Namen Undinen, von dem lateinischen Worte unda, Welle. An die Undinen knüpfen sich ähnliche Sagen wie die über das Wirken der Nixen. Nach der Ueberlieferung von Paracelsus sind sie seelenlose Wesen, die erst durch ihre Vermählung mit einem Erdgeborenen eine Seele erhalten. In der Poesie haben die Undinen erst im Laufe dieses Jahrhunderts Heimatsrecht erworben, und zwar seit der Dichter der romantischen Schule Fouqué sein Märchen „Undine“ gedichtet hat und seitdem zahlreiche Komponisten, am glücklichsten und erfolgreichsten Lortzing, dies Märchen auf die Bühne gebracht haben, ja, bis in die neueste Zeil spuken die „Undinen“ in verschiedener Gestalt auf den weltbedeutenden Brettern und auch Rauhtändelein, die Elfe in dem Drama Gerhardt Hauptmanns „Die versunkene Glocke“ gehört dieser Sippschaft der Wasserjungfern an, wenngleich sie etwas anders geartet ist als die liebliche Undine Fouqués. Daß auch die Malerei sich diesen Sagenstoff nicht entgehen ließ, beweist unser Bild, welches mit seinen anmutigen Undinen, die sich dem schlummernden Ritter nähern, an die Verse in Heinrich Heines bekannter Romanze „Die Nixen“ erinnert:
„Am einsamen Strande plätschert die Flut,
Der Mond ist aufgegangen,
Auf weißer Düne der Ritter ruht,
Von bunten Träumen befangen.
Die schönen Nixen im Schleiergewand
Entsteigen der Meerestiefe,
Sie nahen sich dem jungen Fant,
Sie glauben wahrhaftig, er schliefe.
Der Maler hat es verstanden, die Poesie der Situation in äußerst anmutiger Weise darzustellen. Das Bild atmet den ewigen Zauber der stillen Wasserlandschaft, aus deren verborgenen Tiefen wie wallende Nebel die Märchengestalten emporsteigen. †