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Die Tagebücher der Fürstin Metternich

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Textdaten
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Autor: Johannes Scherr
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Titel: Die Tagebücher der Fürstin Metternich
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 24–28
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Tagebücher der Fürstin Metternich.

Von Johannes Scherr.


Gar häufig schon ist die berechtigte Klage lautgeworden, daß es uns Deutschen an jener reichen Memoirenliteratur mangle, deren die Engländer und Franzosen sich rühmen können. Ihre Geschichtschreiber haben denn auch von diesem Vortheil ausgiebigen Gebrauch gemacht und dadurch ihren Werken eine Anschaulichkeit und Belebtheit zu verleihen gewußt, welche deutschen Geschichtebüchern nur allzu lange fehlten. Es ist ja wahr, Memoiren haben es an sich, daß sie subjektiv gefärbt sind und auch nicht wenig Klatsch enthalten. Aber das müßte ein trauriger Historiker sein, wer diesen Klatsch nicht als solchen zu erkennen und zu verwerfen, sowie jene Färbung nicht auf das richtige Maß zurückzuführen verstände. Auf der andern Seite ist jedoch das, was uns Augen- und Ohrenzeugen geschichtlicher Ereignisse, Mitwissende und Mithandelnde von Haupt- und Staatsaktionen von denselben zu berichten wissen, von hohem, mitunter vom höchsten Werth zur richtigen Auffassung und Beurtheilung von historischen Personen und Geschehnissen.

Denn es ist ein großer Irrthum zunftzöpfiger Pedanterei, zu wähnen, daß der wahre Gehalt der Geschichte einzig und allein in den amtlichen Aktenstücken zu suchen wäre, wie die Archive sie aufbewahren. Der anerkannt größte Diplomat unseres Jahrhunderts hat diesen Irrthum achselzuckend gekennzeichnet. Am 22. Februar 1871 sagte er im Hause der Frau Jessé in Versailles zu seiner Tischgenossenschaft: „Die amtlichen Depeschen und Berichte sind, auch wo sie einmal was enthalten, solchen, welche die Personen und Verhältnisse nicht kennen, nicht verständlich. Die Hauptsache liegt immer in Privatbriefen und konfidentiellen Mittheilungen, auch mündlichen, was alles nicht zu den Akten kommt.“ Gerade solcher „Privatbriefe“ und „konfidentieller Mittheilungen“ bietet sich uns in guten Memoirenbüchern und authentischen Briefesammlungen eine Fülle und damit ein Material, welches, mit der erforderlichen Kritik behandelt, für die Geschichtschreibung ungemein förderlich sein kann und muß. Der mäßig große Band z. B., welchen die Erinnerungen der Gräfin S. M. von Voß über ihre nenuundsechzigjahrelangen Erlebnisse am preußischen Hofe füllen, ist von unendlich größerem historischen Werth als viele dickleibige und gelehrte Geschichtebücher, welche dieselbe Zeit behandeln. Was kommt denn eigentlich in die „Blau-, Gelb-, Roth- und Grünbücher“, sowie überhaupt in die Staatsakten? Nur das, was man hineinthun will. Und wie kommt es hinein? So, wie man es angesehen wissen will. Ueber die entscheidenden Momente im Leben der Völker und Staaten werden entweder nur höchst selten oder gar nie Protokolle aufgenommen und Akten geführt. Sind, um nur ein schlagendes Beispiel anzuführen – sind etwa die Vorgänge, wodurch Napoleon der Dritte am Abend vom 13. Juli 1870 in seinem Kabinett in St. Cloud sich zum Kriege bestimmen ließ, protokollirt worden? Kam das, was zu jener Stunde zwischen dem Kaiser, seiner Frau, dem Duc de Grammont und dem Cavaliere Nigra vorging, zu den Akten? Bewahre! Und doch war es eine schicksalschwere weltgeschichtliche Stunde, über deren Einzelheiten eben nur die vier betheiligten Personen „konfidentiellen“ Aufschluß geben konnten, wenn sie wollten. Möglich, daß es eine oder die andere gewollt hat oder will. Aber dann werden wir diesen Aufschluß in keinem Archiv, sondern nur in einer Korrespondenz oder in einem Memoirenbuch finden. Bloß in den Aufzeichnungen von Zeitgenossen, brieflichen oder memorabilischen, sind die Reflexe des intimem, intimeren und intimsten Lebens, Webens und Strebens einer Zeit voll und ganz zu treffen. Nur hier fühlen wir den Pulsschlag der socialen und politischen Geschichte einer Epoche deutlich. Oeffentliche Akten, Protokolle, Urkunden, Staatsschriften und Depeschen sind gut dazu, das Skelett der Geschichte herzustellen, aber einen Körper von Fleisch und Blut, Farbe, Leben, Ausdruck und Bewegung erhält sie erst durch die Ausnützung von Briefwechseln und Denkwürdigkeiten.

Es ist daher ein Glück zu nennen, daß in unserem Jahrhundert die deutsche Memoirenliteratur an Umfang, Gehalt und Vielseitigkeit bedeutend zugenommen hat. Staatsmänner, Generale, Künstler, Gelehrte und Geschäftsmänner, sowie Frauen verschiedener Lebensstellungen haben ihre Erinnerungen und Erfahrungen aufgezeichnet und veröffentlicht oder veröffentlichen lassen. Wie sehr das unserer Geschichtschreibung bereits zu gut gekommen, lehrt eine Vergleichung derselben, wie sie heute ist, mit jener, wie sie vor fünfzig Jahren war. Sie hat, in allen ihren besseren Hervorbringungen, wie an Vertiefung der Auffassung, so auch an Reichthum der Anschauung, an Bestimmtheit der Zeichnung und Frische des Kolorits in erfreulicher Weise zugenommen. Je vielfacher [26] und kräftiger die quellenhaften Zuflüsse aus allen Lebenskreisen strömen, desto mehr wird es der Historik möglich, ihrem Berufe gerecht zu werden, d. h. vollständige Zeitbilder zu schaffen und sich aus der Tiefe einseitiger Staatsgeschichtschreibung zur Höhe einer allseitigen Aufhellung und Darstellung der Kulturgeschichte aufzuschwingen.

Es ist anzuerkennen, daß in neuerer und neuester Zeit auch auf den sogenannten Höhen der Gesellschaft allmälich die Erkenntniß platzgegriffen, mit der wirklichen oder bloß geheuchelten sogenannten vornehmen Gleichgiltigkeit gegen die öffentliche Stimmung und Meinung ginge es nicht mehr. Man empfand und empfindet auch dort das Bedürfniß, mit den Zeitgenossen und den Nachlebenden sich auseinandersetzen, um vor der Nachwelt eine möglichst gute Figur zu machen. Diesem Bedürfniß hat unter anderen auch der alte Metternich nachgegeben, indem er anordnete, daß nach seinem Ableben eine vielbändige und prächtig gedruckte Rechtfertigung seines staatsmännischen Thuns und Lassens dem Publikum vorgelegt werde unter dem Titel „Aus Metternichs nachgelassenen Papieren“. Dieses Memoirenwerk, auf dessen große Mängel und viele Schwächen einzugehen hier nicht der Ort ist, enthält zweifelsohne wichtiges Material zur Geschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aber wir haben es unserseits nicht so fast mit dem Fürsten als vielmehr mit der Fürstin Metternich zu thun, als der Verfasserin der deutsch-geschriebenen Tagebücher, welche in dem zweiten Theil vom 7. Band der „Nachgelassenen Papiere“ (1883) einen breiten Raum einnehmen.

Die Ungarin Melanie Zichy war die dritte Frau des weiland Haus-, Hof- und Staatskanzlers und hatte als solche natürlich in der sogenannten vornehmen Welt Oestreichs und Europas einen großen Stand. Demzufolge und da sie des vollen Vertrauens ihres Gemahls genoß, konnte sie viel wissen von der Zeitgeschichte, - wenigstens soweit diese im Kabinett des Ministers, bei Hofe und in Diplomatencirkeln sich abspielte. Sie konnte viel wissen, sag’ ich, aber sie wußte nicht viel. Wenn man den Gehalt ihrer Tagebücher zum Maßstab nehmen wollte für den Einsichts- und Bildungsgrad der sogenannten höheren und höchsten Gesellschaftskreise, müßte sich ein recht niedriges Resultat ergeben, ja geradezn ein Armuthszeugniß.

Die Fürstin Melanie Metternich hat, wie Wissende versichern, ihre Rolle als „große Dame“ ganz geschickt durchgeführt, obzwar ihr hochfahrendes Gebaren nicht eben vielen Menschen sympathisch sein mochte. Aber ihr geistiger Gesichtskreis war von fast unglaublicher Enge und ihre Bildung ging über den konventionellen „vornehmen“ Schliff und Schick nicht hinaus. Ihre Auszeichnungen weisen keine Spur auf, auch nicht die leiseste, von einem Einblick in die Ideenströmung des Jahrhnnderts, in die Zustände und Stimmungen der Völker, in die Bedürfnisse und Forderungen der Zeit. Wenn in Sachen der Politik die Fürstin als eine gedankenlose Nachbeterin der metternichigen Stabilitätstheorie und als eine leidenschaftliche Verehrerin der absolutistischen Staatspraxis sich gibt, so mag das, angesehen ihre Herkunft, Erziehung und Stellung, begreiflich und auch verzeihlich sein. Aber wahrhaft erschreckend ist die vollständige Gleichgiltigkeit, welche die „große Dame“ allen höheren Dingen, allem Idealen, allen geistigen Interessen gegenüber an den Tag legt. Muß es doch schon als recht charakteristisch bezeichnet werden, daß in den vorliegenden, von 1844 bis 1848 reichenden Tagebüchern einer Oestreicherin ein Grillparzer, ein Lenau, ein Anastasius Grün niemals genannt werden. Ebenso niemals Lessing, Göthe und Schiller. Niemals ist überhaupt von der Beschäftigung mit Fragen der Wissenschaft, der Literatur, der Kunst die Rede. Nichts als das öde, blöde höfische Gethue, d. i. Nichtsgethue, die Verplemperung des ganzen Daseins mit lauter Nichtigkeiten, geistverlassener Repräsentanz, Liebhabertheaterzeug, Kinderbällen und sonstigem Firlefanz. Kein Wunder, daß in diese Welt des jämmerlichsten Scheins, der Unkenntniß, Verblendung und Verstockung die Wirklichkeit des Sturmjahres 1848 wie eine platzende Riesenbombe hereinbarst.

Im übrigen hatte die Fürstin Metternich - ich spreche von ihr stets nur in ihrer Eigenschaft als Tagebüchlerin - auch ihre gute Seite. Wenn sie beschränkt und kenntnißlos genannt werden muß, so darf man ihr dagegen die Tugend der Ehrlichkeit, den Vorzug der Aufrichtigkeit nicht absprechen. Sie spielt in ihren Aufzeichnungen nicht Komödie, sie „posirt“ nicht. Sie gibt sich, wie sie ist, eingemauert in ihr hochmüthig-junkerliches Bewußtsein; aber sie sagt freisam und geradheraus, wie sie fühlt und was sie meint. Ihre Wahrhaftigkeit ist keiner Anzweifelung zu unterstellen, und darum besitzen nicht wenige Stellen ihrer Tagebücher den Werth einer zuverlässigen geschichtlichen Quelle. Namentlich insofern, als die naive Offenherzigkeit der Fürstin uns eine deutliche Vorstellung gibt, wie man in ihrer Lebenssphäre Menschen und Dinge ansah und beurtheilte.

Da schrieb Frau Melanie z. B. im April 1845 in ihr Tagebuch: „Klemens (Metternich) hat durch die Niederlage der Freischaren in der Schweiz einen politischen Erfolg errungen. Die kleinen Kantone, Luzern an der Spitze, verrichteten Wunder der Tapferkeit; sie entledigten sich der Umsturzpartei, die alles zerstören will, was sich dort Gutes findet, und benahmen sich nach ihrem Siege mit großer Klugheit, Mäßigung und Umsicht.“ Jedes Wort eine Unwahrheit! Im November 1847 schrieb sie dann: „Mit dem Sonderbund ist’s aus und der Radikalismus feiert einen vollständigen Triumph, dessen Folgen sich bald in unerträglicher Weise fühlbar machen werden. Inzwischen berathet man, wie zu helfen sei. Klemens läßt den Muth nicht sinken, mit der Gefahr steigt die Kraft seines Widerstandes.“ Wirklich? Nun, wir werden ja bald sehen, was es mit der „Kraft“ des metternichigen „Widerstandes“ auf sich hatte. Uebrigens dürfen wir es der Frau Fürstin nicht übelnehmen, daß sie von den schweizerischen Verhältnissen und Ereignissen nichts verstand. Ihr Herr Gemahl verstand ja auch nichts davon, verstand davon gerade so wenig wie der dünkelhafte Schulmeister Guizot, welcher sich mit ihm zur Aufrechthaltung des schweizerischen Sonderbundes verbündet hatte. Es ist ganz märchenhaft, welche schweren Bären die beiden „großen“ Staatsmänner durch ihre stupiden bei der Eidgenossenschaft beglaubigten diplomatischen Agenten sich aufbinden ließen. Sie fackelten und faselten auch noch gravitätisch darüber hin und her, wie der schweizerische Liberalismus exemplarisch zu züchtigen wäre, als schon unter ihren eigenen Füßen der Boden bedrohlich schwankte. Was war doch das für eine Staatsmännischkeit, welche nicht weiter sah, als ihre Nasenlänge reichte, nichts hörte als ihre eigenen hohlen Phrasen und zu Werkzeugen die dümmsten Gesellen auserkor? Das war eben die „große“ Staatsmännischkeit der Metternich, Guizot und Kompagnie.

Am 1. Januar von 1848 schrieb die Fürstin: „Dieses Jahr fängt nicht sehr trostreich an.“ Dann jammert sie, daß der König von Neapel, der König von Sardinien und sogar der Großherzog von Toskana Verfassungen gegeben hätten; denn so „fällt Italien auseinander“. Das Beieinander Italiens kann sie sich nämlich nur in der Form östreichischer Zwingherrschaft denken. Von dem Rechte der Italiener, eine Nation sein zu wollen, hat sie natürlich keine Ahnung. Weiterhin: „Klemens ist bewundernswerth, so unerschrocken, aber bisweilen sehr aufgeregt.... Alle Welt scheint in Schlaf versunken und mit Blindheit geschlagen. Schließlich verzweifelt man an allem.... Bei Hof ist man auch sehr besorgt und heute sucht man sein Heil beim armen Klemens, den man gern verantwortlich machen möchte für von anderen seit Jahren begangene Fehltritte.“ Aha? Die Frau Fürstin findet die Situation des „armen, unerschrockenen, bewundernswerthen“ Klemens nicht mehr geheuer und bemüht sich als die zärtliche Gattin, welche sie ist, die Schuld des herrlichen metternichigen Stabilitätssystems, welches in seinen Fugen kracht, „anderen“ zuzuschaufeln.

Nach der Verkrachung des Julikönigthumsschwindels am 24. Februar sollte nun der hochgelobte metternichige Stabilitätsschwindel, dessen Aktien an den absolutisttschen Börsen so lange hohen Kurs gehabt hatten, die Probe seines wirklichen Werthes und seiner Dauerbarkeit bestehen. Man weiß, wie sie bestanden wurde, d. h. über allemaßen jammerhaft. Diese Stabilitätsmänner, welche so oft und so übermüthig sich vermessen hatten, der „Hydra der Revolution“ alle ihre sieben Köpfe zertreten zu haben, wurden schon durch den Schatten, welchen die Revolution vor sich herwarf, mit kläglicher Ohnmacht geschlagen.

Um 5 Uhr Nachmittags am 29. Februar brachte, wie uns die Fürstin erzählt, der Baron Rothschild eine aus Paris eingelaufene telegraphische Depesche in die Staatskanzlei, woraus die Katastrophe Louis Philipps zu ersehen war. Dazu bemerkt die Tagebüchlerin, welche für die Orleans keine Sympathie hatte: „Die göttliche Gerechtigkeit ist erschrecklich.“ Dann, etliche Tage [27] später, meldet sie: „Radowitz ist hier eingetroffen, der König von Preußen sendet ihn, bei Klemens sich Rath zu erholen, um kräftig einzugreifen.“ Da kam der König von Preußen an den richtigen Mann und vor die rechte Schmiede, wahrhaftig! „Es gilt zu retten, wenn es überhaupt noch möglich.“ Merkst Du was? „Das arme Deutschland steht bereits in Feuer und Flammen.“ Hm, wir haben den Brand mitangesehen und können bezeugen, daß das Feuer ein ungefährliches Strohfeuer und die Flammen sehr zahm gewesen. „Am 7. März erfuhren wir, daß Aufstände in Frankfurt (?), Karlsruhe (?) und Stuttgart (?) stattgefunden haben, man wolle den deutschen Bund auflösen, die Könige fortjagen; überall Aufwallung und Tollheit.“ Wenn diese Phantasiegebilde der Frau Fürstin Wirklichkeiten gewesen wären, warum griff denn der große Stabilitätstheoretiker und Absolutismuspraktiker Metternich nicht „kräftig“ ein? Weil er froh sein mußte, daß die erwähnte „Hydra“, welche sich gar bald leibhaftig in Wien sehen ließ, mit ihren Tatzen nur nach seiner Ministerschaft und nicht nach seinem Kopfe griff.

Wie es bei dem wiener Märzkrach zu- und herging, weiß jedermann. Neues von Wichtigkeit weiß auch die Fürstin Melanie über die Vorgänge jener Tage nicht beizutragen. Dagegen dies und das, wodurch das eine oder andere in hellere Beleuchtung gerückt wird. Mitunter auch Komisches, obzwar dasselbe für die Tagebuchschreiberin selbst keineswegs komisch war. So, wenn am Abend vom 12. März in den Salons der Staatskanzlei in großer Gesellschaft eine Dame, „die nicht immer verstand, was sie sprach“, die Frau Felicie Esterhazy, zur Fürstin Metternich sagte: „Ist es denn wahr, daß ihr morgen weggeht?“ – „Warum?“ – „Nun, man sagt uns, wir sollen Kerzen kaufen, um morgen zu illuminiren, weil ein großes Ereigniß stattfinden wird“ .... Das „große Ereigniß“, der Sturz Metternichs, fand wirklich am Abend des folgenden Tages statt und die zutrauliche Frau Felicie Esterhazy konnte ihre Kerzen anzünden. Es war in der elften Abendstunde vom 13. März, als in der Hofburg Metternich seine Haus-, Hof- und Staatskanzlerschaft in die Hände des geängstigten und rathlosen Erzherzogs Ludwig niederlegte, und er vollzog, wie man zugeben muß, wenn man gerecht sein will, diesen Akt nicht ohne Würde.

Mit begreiflicher Bitterkeit hat sich seine Gemahlin so darüber ausgelassen: „Klemens hat seine Demission gegeben. Als der Erzherzog Ludwig die von Seite der Studenten, Professoren, der Bürgerschaft und Gott weiß von wem noch in rohester Weise vorgebrachten Forderungen angehört hatte und bei den in sein Vorgemach eingedrungenen Leuten die drohende Haltung der einen, die furchtbare Angst der anderen wahrnahm, brachte er es über sich, dem Manne, welcher nahezu fünfzig Jahre hindurch die festeste Stütze der Monarchie gewesen, zu sagen, es seien Anzeichen vorhanden, welche darauf hindeuteten, daß die Sicherheit der Residenz von seiner Abdankung abhänge.“ Hierauf berichtet sie – in den Einzelnheiten geschichtlich nicht ganz genau und korrekt – den Abdankungsakt und fügt hinzu: „Ich kann gar nicht sagen, was ich an diesem Tage an Undank und Schlechtigkeit erfuhr. Ich habe nie viel von den Menschen gehalten, aber ich gestehe, daß ich mir sie nicht so niedrig vorgestellt hatte. Wie die Ratten ein untergehendes Schiff verlassen, wurden wir von vielen beängstigten Freunden geflohen. Wie schmolz die Zahl der Treugebliebenen zusammen gegenüber der Menge, die im Momente der Gefahr uns den Rücken kehrte!“ Und darüber verwundert sich die Frau Fürstin! Hatte ich nicht recht, von ihrer Naivetät zu sprechen?

Metternich schob natürlich die Schuld des Märzkraches anderen zu. „Gott sei Dank,“ sagte er zu seiner Frau, „daß ich mit alledem, was vorgeht, nichts mehr zu thun habe. Der Umsturz des Bestehenden ist unausweichlich“ – (also jetzt kam ihm diese Einsicht?) - „ich hätte nichts verhindern können, weil ich allein stehe und von niemand unterstützt werde.“ Am Tage darauf, am 14. März, schrieb er an den König von Preußen: „Ich habe mich vom Geschäftsleben in der festen Ueberzeugung zurückgezogen, daß ich dem Kampfe, den ich redlich auf dem socialen Felde bestanden habe, nicht ferner gewachsen sei.“ Das hätte er schon lange vorher merken können. In demselben Schreiben äußert er seine „lebendigsten Wünsche für das Wohl des gemeinsamen deutschen Vaterlandes“. Wie? Man traut fürwahr seinen Augen kaum. Dieser Mann, der sein Lebenlang ein Feind des deutschen Vaterlandes und dem Deutschland nur ein „geographischer Begriff“ gewesen war, er, welcher sich 1814-15 mit Talleyrand, Wellington und Castlereagh gegen Deutschland verschworen und verbündet, in Gemeinschaft mit dem Zaren Alexander die Zurücknahme des Elsaßes verhindert, die elende Mißgeburt des deutschen Bundes in erster Linie mitverschuldet, dann die nationale Einheitsidee wie ein Verbrechen verfolgt und alles gethan hatte, um jeden Versuch zur Verwirklichung derselben im Keime zu ersticken, – dieser Mensch erdreistete sich jetzt, vom gemeinsamen deutschen Vaterland zu reden oder zu schreiben! Da kann man wahrlich sagen: „Literae non erubescunt.“[1]

Ueber die Flucht Metternichs und seiner Familie, worüber so viele Fabeln umgingen, sind wir jetzt wohl endgiltig unterrichtet. „Klemens fand sich bestimmt,“ erzählt die Fürstin, „die Staatskanzlei zu verlassen, um niemandem unbequem zu sein. Wir gingen zu Taaffe. Unsere Kinder schickten wir zu Helene Esterhazy. Hügel und Josika verhalfen uns, zu unsern Nachbarn über die Bastei zu kommen. Vom kaiserlichen Hof erfuhren wir nichts; nur die regierende Kaiserin schrieb an Klemens mit der Anfrage, ob Kaiser Ferdinand abdanken sollte.“ Aber dem gestürzten Allmächtigen von vorgestern drängte sich alsbald die Wahrnehmung auf, daß gar vielen Leuten seine Anwesenheit in Wien „unbequem“ wäre. „Bei Taaffe sagte man uns, daß die Rädelsführer Klemens in der Stadt aufsuchten. Die Lage begann für die gastfreundlichen Taaffe so unheimlich zu werden, unsere Verlassenheit war so allgemein, daß wir daran denken mußten, uns von Wien zu entfernen.“ Der Fürst Liechtenstein stellte dem abgetretenen Staatskanzler sein Schloß Feldsberg, etwa 8 Wegstunden von Wien entfernt, zur Verfügung. „Karl Hügel und der gute Rechberg“ - (der nachmalige Minister) - „der doch niemals von uns besonders begünstigt worden war, standen uns beide gleich muthvoll und treu zur Seite. Hügel blieb bei uns und traf alle möglichen Vorsichtsmaßregeln, Rechberg blieb bei den Kindern. Nachdem wir bei Taaffe gespeist, fuhren wir in einem Fiaker fort. Hügel und ich saßen an den Wagenthüren, Klemens in der Mitte. Wir wurden nicht einen Augenblick aufgehalten, obgleich man mit der größten Aufmerksamkeit die im Wagen Sitzenden beobachtete und man uns vielleicht erkannt hatte.“ (Die „Hydra“ führte sich also ganz manierlich auf.) „Wir kamen glücklich in die Jägerzeile, wo wir bei Karl Liechtenstein ausstiegen. Man gab uns einen Wagen, und so fuhr ich und Klemens fort. Hügel auf dem Kutschbock, während meine Kinder unter dem Schutze Rechbergs die Eisenbahn benützten. Welch ein Augenblick! Diese Abreise, diese Flucht, und warum? Was hatten wir gethan? Hatten wir das verdient?“ Hätten Sie, Frau Fürstin, die Kerkerwände vom Spielberg, von Kufstein, von Munkacz, von Venedig, von Mantua um Antwort angegangen, die hätten sie Ihnen geben können. Und aber diese Anfrage war nicht einmal nöthig. Die Frau Fürstin brauchte ja nur den Schrei des Frohlockens zu beachten, welcher bei der Nachricht von Metternichs Sturz durch Deutschland, durch die ganze civilisirte Welt ging, um zu erfahren, „was wir gethan hatten“.

Der gestürzte Minister hat in einer „Autobiographischen Denkschrift“ (Nachgel. Papiere, VII, II, 617 fg.) über seinen „Rücktritt“ Aufklärungen gegeben, welche diesen Rücktritt und seine Laufbahn überhaupt im allerschönsten Licht erscheinen lassen sollen. Wir haben uns mit dieser Apologie hier nicht zu beschäftigen und erwähnen derselben nur, weil sie eine den Fluchtbericht der Fürstin vervollständigende Notiz enthält. Sie lautet: „Nach einem mehrtägigen Aufenthalt in Feldsberg habe ich die Fahrt mit dem Bahnzng über Olmütz nach Prag und auf der Poststraße über Teplitz nach Dresden fortgesetzt. Von Dresden habe ich mich auf der Eisenbahn in bequemen Tagreisen über Hannover nach Minden und von dort mittelst der Post nach Arnheim in Holland begeben. Nach einem achttägigen Aufenthalt daselbst habe ich die Reise über Amsterdam und den Haag nach London fortgesetzt.“ Hier konnte er sich mit dem in Weiberkleidern aus Paris entflohenen Guizot über die Vergänglichkeit der menschlichen Dinge im allgemeinen und über die „großer“ Staatsmännerschaften im besonderen unterhalten. Auch über diese Konversationen der beiden Propheten des Konservativismus wird wohl kein Protokoll [28] aufgenommen worden sein. Aber man wird schwerlich fehlgehen mit der Vermuthung, die beiden Herren seien zu dem Schlusse gelangt, die ganze Welt müßte verrückt geworden sein und sie allein wären noch bei Verstand.

Leider befällt uns, wir können es nicht verhehlen, ein starker Zweifel an dem Bei-Verstand-Sein der Beiden, wenn wir die selbstgerechten „Mémoires“ Guizots und die selbstgefälligen Aufzeichnungen Metternichs aus seinen letzten Jahren in Betracht ziehen. Größenwahn hüben und drüben. Im Orakelton werden uns da die banalsten Sätze vorgesprochen, wahre Bettelmannssprüche. Der weiland Haus-, Hof- und Staatskanzler hat zuletzt auch noch eine staunenswerthe Entdeckung gemacht (a. a. O. 628): – „Das sogenannte metternich’sche System war kein System, sondern eine Weltordnung.“ Das Wort ist großgedruckt. Nun, wenn das eine Weltordnung gewesen, so war sie, fromm zu sprechen, jedenfalls nicht von Gott, sondern vom Teufel.


  1. „Die Buchstaben erröthen nicht.“ D. Red.