Die Spielhöllen in Wiesbaden
Es war im August 1863, als ich, aus dem deutschen Norden kommend, von Coblenz nach Wiesbaden fuhr. Ich wußte damals noch nicht, daß ich an dem letzteren Orte bis gegen Weihnachten mich werde aufhalten müssen.
Mein Freund van der Recke hatte mir versprochen, mich auf dem Bahnhof abzuholen. Er war noch nicht da, und ich ging, um ihn zu erwarten, für einige Minuten in den „Wartesalon erster Classe“. Darunter hat man sich hier eine elende hölzerne Boutike mit leeren Breterwänden vorzustellen, in welcher sich, abgesehen von einem Tische und vier Bänken, nichts vorfindet, als ein geheimnißvoll in der Ecke stehendes Schränkchen. Da es eine Glasthüre hatte, so konnte ich wahrnehmen, daß zwei Flaschen darin standen, die eine mit der Aufschrift „Sherry“, die andere mit der Aufschrift „Jamaïque“. Es schien indeß, als herrsche eine große Enthaltsamkeit. Denn eine Spinne hatte ihre Fäden gewoben über das Schlüsselloch der Schrankthüre, welche lange nicht mehr geöffnet worden war. Ich bin ein wenig Hypochonder. Ich hatte mir nach den Schilderungen meines Freundes vielleicht eine übertriebene Vorstellung von Wiesbaden gemacht und fand mich sehr enttäuscht von der „Wartesalon“-Boutike. Dazu kam, daß ich unterwegs von Mitreisenden, welche offenbar Gentlemen waren und nassauische Unterthanen zu sein schienen, Aeußerungen über die Regierung des Landes hörte, die dieser nicht sehr schmeichelhaft lauteten. Die Eisenbahnwagen waren nämlich bezeichnet mit den Buchstaben: „H. N. St. B..“ (herzogl. nassauische Staatsbahn). Die Mitreisenden behaupteten, das heiße „herzoglich nassauischer Staatsbankerott“, die Eisenbahn, die über 32 Millionen Gulden koste, rentire kaum anderthalb Procent; ihr Anfang und Ende liege in Preußen; nun sei aber die nassauische Regierung stockösterreichisch, opponire Preußen im Zollverein und sonstwo, und deshalb verweigere Preußen die Fortsetzungen und Anschlüsse für die nassauische Staatsbahn. Glücklicherweise kam, während ich noch in melancholische Betrachtungen über das „Plectuntur-Achivi“ versenkt vor dem mit einem Spinnweben-Schleier verhüllten unzugänglichen Sherry dastand, „gleich Lord Byron, gloomy-stumm“, mein Freund van der Recke, ein lustiger alter Herr, welcher seinen bisherigen Wohnsitz Preußen aus Abneigung gegen die Einkommensteuer aufgegeben und sich in Wiesbaden niedergelassen hatte; denn in Nassau bezahlt ein Capitalist, und wenn er so reich ist, wie alle Rothschilde zusammen, keinen Pfennig Steuer, während die Arbeiter und kleinen Handwerker hier höher besteuert sind, als bei uns in Preußen.
In den nächsten acht Tagen meines Aufenthaltes zeigte mir mein Freund die Herrlichkeiten von Wiesbaden und seiner Umgebung, und ich that heimliche Abbitte wegen der üblen und unvortheilhaften Vorstellungen, welche die verkommene Beschaffenheit der Staatsbahn und die malcontenten Gespräche der Mitreisenden in mir wachgerufen hatten. Der freundliche „Cursaal“ zeigte mir in seinem Innern eine Räumlichkeit, welche an stylgerechter, würdiger Einfachheit eher einem griechischen Tempel, als einem modernen Conversationssaal gleichen würde, wenn er nicht belebt wäre [42] von einem zahlreichen und eleganten Publicum. Die Parkanlagen sind ebenso mannigfaltig, als schön und behaglich. Die neuerbaute evangelische Kirche vereinigt in glücklicher Mischung einen gothischen Eklekticismus mit einer starken Dosis moderner Koketterie und löst die Aufgabe, mit möglichst wenig Geld möglichst viel Eclat zu machen. Die Ausflüge in den benachbarten Rheingau, wo man auf einen Hügel steigt, um den glänzenden, immer noch alpengrün gefärbten Strom und die langhingestreckten Weinberge zu überblicken, sind herrlich und doch nicht so schön, als die kleinen Waldwiesen nördlich von Wiesbaden, auf welchen die Hirsche unter dem Schatten tausendjähriger Eichen weiden, mit einer Ruhe und Sicherheit, als wenn sie sich in einem Urwald befänden, Hunderte von Meilen entfernt von aller menschlichen Cultur.
Ich stattete meinem Freund meine Glückwünsche ab über die gelungene Wahl seines Aufenthaltes, und da er früher nie lange Ruhe an einem Ort gehabt hatte, so fügte ich den Ausdruck der Hoffnung bei, daß er nun wohl nicht wieder von Neuem die Anker lichten werde. Ich war erstaunt, als er sein weißes Haupt bedenklich schüttelte und, während ein schmerzliches Lächeln über seine sonst so heiteren Züge glitt, mir sagte, ich irre; er werde schwerlich lange mehr bleiben; er habe bereits einen Agenten mit dem Verkauf seines Hauses beauftragt; dieses Paradies, das er mir gezeigt habe, werde verpestet durch einen Giftbaum, der Alles tödte und verderbe, was in seinem Schatten wandle oder seine Ausdünstungen einathme: der Giftbaum sei das Spiel.
Ich wußte, daß mein Freund durchaus kein Puritaner oder Kopfhänger war, ich hatte früher aus seinem Munde die Aeußerung gehört, man solle Jedermann seine Freiheit lassen, auch die Freiheit, sich zu ruiniren; auch Messer und Gabel seien gefährliche Instrumente unter Umständen, gleichwohl falle es deshalb Niemandem ein, sie zu verbieten, und dergleichen Redensarten mehr, wie sie im Munde eines alten Lebemannes natürlich sind.
Seine Aeußerung über das öffentliche Spiel mußte mich betroffen machen, und da mich meine Gesundheitsverhältnisse zwangen, bis in den December 1863 in Wiesbaden zu verweilen, so benutzte ich meine unfreiwillige Muße, um die Spielhölle, ihre Vergangenheit und ihre Gegenwart (eine Zukunft hat sie hoffentlich nicht), ihre Technik und ihre Taktik, ihre Herrscher, ihre Beamten und ihre Unterthanen, ihr stehendes Heer, ihr schweres Geschütz und ihre leichten mobilen Colonnen (welche weiblichen Geschlechts sind), ihre Anhänger und ihre Opposition, zu studiren und zu schildern mit dem Fleiße eines deutschen Geschichtsforschers und der Genauigkeit eines englischen Mathematikers. Die große Mehrzahl der Thatsachen, welche ich erzähle, wird den Lesern neu sein. Aber glücklicher Weise sind sie nicht nur neu, sondern auch wahr. Es ist keine einzige darunter, die ich nicht entweder officiellen Documenten oder dem Zeugnisse wohlunterrichteter und glaubwürdiger Wiesbadener Einwohner entnommen hätte. Ich wünsche für meine Schilderung eine möglichst weite Verbreitung, und deshalb ist es die „Gartenlaube“, welche ich um deren Aufnahme bitte. Ich hoffe, daß die Krankheitsgeschichte, welche ich schreibe, dazu beitragen wird, ein wunderschönes Land voll biederer Menschen und einen altberühmten Badesitz mit unerschöpflichen natürlichen Hülfsmitteln zu befreien von der Pestbeule, welche sie zu Grunde richtet, und Deutschland zu erlösen von einer Schmach, welche uns dem Ausland gegenüber entehrt; – ich hoffe ferner, daß, auch wenn das Ziel erreicht sein wird, und wenn die Zustände, deren Darstellung meine Aufgabe ist, der Vergangenheit angehören, meine Schilderung doch noch einen Werth hat, freilich nur den des schwärzesten Blattes aus der Cultur- und Sittengeschichte Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert.
In Nassau bestehen zwei Spielbanken, die eine in Wiesbaden, die andere in Bad Ems (an der Lahn). Die letztere wird nur während der Badesaison betrieben, die erstere aber während des ganzen Jahres, mit Ausnahme der Monate Januar, Februar und März. Die drei letztgenannten Monate werden benutzt, um die Croupiers und sonstigen Spielbeamten für die eigentliche Campagne einzuexerciren. Am letzten December verläßt der schäbigste Rest der „Spielnomaden“, welcher in der Regel aus Franzosen und Walachen besteht, Wiesbaden, um am letzten März dahin zurückzukehren und am 1. April der Wiedereröffnung der Hazardspiele beizuwohnen, welche mit der pünktlichsten Regelmäßigkeit Vormittags um 11 Uhr alljährlich stattfindet. Die drei interdicirten Monate bringen jene Wanderstämme in dem landgräflich hessischen Bade Homburg vor der Höhe zu, in welchem die Spielbank das ganze Jahr hindurch ohne die geringste Unterbrechung arbeitet. Hier hat man nämlich besondere Ursache, sich mit der Ausbeutung des Spielmonopols zu eilen, weil der gegenwärtige Landgraf von Hessen-Homburg der Letzte seines Stammes ist, und am 26. April 1864 einundachtzig Jahre alt wird, nach seinem Tode aber sein Reich an den Großherzog von Hessen fällt, von welchem man als gewiß betrachtet, daß er die Fortsetzung des Spielunfugs nicht duldet.
Außer Nassau und Hessen-Homburg haben noch folgende deutsche Staaten Spielhöllen: 1. Mecklenburg (Doberan), 2. Waldeck (Pyrmont), 3. Kurhessen (Wildungen, Nauheim, Wilhelmsbad etc.). In Baden-Baden existirt zwar die Spielbank noch; allein ihre Tage sind gezählt. Die gegenwärtige liberale Regierung des Großherzogthums hat unter Zustimmung beider Kammern des Landtags die nöthigen Anordnungen getroffen, um sie nach Ablauf einer kurzen Frist, welche mit Rücksicht auf bestehende Verträge etc. gesetzt werden mußte, zu schließen. Weitere Spielhöllen in Europa sind uns nicht bekannt, als diese deutschen und eine italienische in dem von der alten Dynastie der Grimaldi beherrschten winzig kleinen Ländchen Monaco, dessen Fürst die Einkünfte, welche ihm die Verleihung des Spielmonopols erträgt, in Paris zu verzehren pflegt. Es ist ein seltsamer Zufall, daß in dem Gothaischen genealogischen Hofkalender in der alphabetischen Zusammenstellung der europäischen Regentenhäuser Mecklenburg, Monaco und Nassau unmittelbar aufeinanderfolgen, nur getrennt durch Modena, welches zwischen den beiden ersteren steht, dessen Herzog jedoch seit 1859 aufgehört hat, zu regieren.
Die Spielbanken von Wiesbaden und Ems werden betrieben von einer Actiengesellschaft, welcher unter dem wohlklingenden Namen einer anonymen „Gesellschaft zum Betrieb der Curetablissements in den Badeorten Wiesbaden und Ems“ Se. Hoheit der Herzog von Nassau laut der in dem Gesetzblatt des Herzogthums enthaltenen Verkündigung seiner Regierung vom 17. Novbr. 1856 die landesherrliche Concession „gnädigst zu verleihen geruht haben“.
Das Statut der Actiengesellschaft bezeichnet als deren Zweck den Betrieb der Curetablissements nach Maßgabe der Bestimmungen des Decrets des herzoglichen Finanzcollegiums vom 14. Novbr. 1856. Der Inhalt dieses Decrets wird in geheimnißvoller Weise verschwiegen. Man weiß aber, daß dasselbe dem Bankhaus Verlé in Wiesbaden, dem Gründer jener Actiengesellschaft, das Hazardspiel-Monopol in Wiesbaden und Ems für die Zeit von 1850 bis 1881 gegen sehr ansehnliche Gegenleistungen überträgt, mit dem Zusatze, daß auf die Dauer der Pachtung keine weitere Concession zum Hazardspiel in dem Herzogthum Nassau ertheilt werden soll. Im Uebrigen trat der neue Spielpächter in den Vertrag des früheren Spielpächters ein. Der letztere war am 5. October 1847 abgeschlossen und enthält in §. 35 die Vorschrift:
- „Wenn etwa von Seiten der deutschen Bundesversammlung die allgemeine Aufhebung der Hazardspiele beschlossen werden sollte, so ist die herzogliche General-Domänendirection jederzeit berechtigt, den gegenwärtigen Vertrag aufzuheben.“
In der That verdient die Voraussicht des Ministers von Dungern, welcher diese Vertragsvorschrift beifügte, alle Anerkennung. Denn schon fünfzehn Monate nachher erließ zwar nicht die deutsche Bundesversammlung, welche inzwischen auseinander gestoben war, sondern der Reichsverweser Erzherzog Johann unter Gegenzeichnung des Reichsministers des Innern, Freiherrn Heinrich von Gagern, und des Reichsministers der Justiz, Robert von Mohl, im zehnten Stücke des Reichsgesetzblattes ein Gesetz, lautend wie folgt:
- „Der Reichsverweser, in Ausführung des Beschlusses der Reichsversammlung vom 8. Januar 1849 verkündet als Gesetz: Alle öffentlichen Spielbanken sind vom 1. Mai 1849 an in ganz Deutschland geschlossen und die Spielpachtverträge aufgehoben.“
Diesem Befehle des Reiches leisteten damals die deutschen Einzelnregierungen Folge. Nur die kleinste unter ihnen, nämlich Hessen-Homburg, widersetzte sich; oder vielmehr es war der dortige Spielpächter Blanc, welcher, trotz des Reichsgesetzes, die Schließung der Spielbank weigerte. Man erzählt, er habe seine Weigerung mit dem schnöden Witzworte begleitet: „Mein Reich (die Spielhölle) wird länger dauern, als das deutsche“, eine Prophezeiung, die leider noch in dem nämlichen Jahre durch Auflösung der Centralgewalt [43] und Sprengung des Parlaments ihre Verwirklichung fand. Im Mai 1849 übrigens hatte die Reichsgewalt noch Kraft genug, um dem Herrn Blanc in Homburg ein paar Compagnien „Reichstruppen“ auf den Hals zu schicken und die Schließung der Spielbank zu erzwingen. Freilich auch nur scheinbar. Der Spielpächter verlegte sich nämlich auf Rabulisterei. Er sagte: „das Reichsgesetz verbietet die „öffentlichen Spielbanken“, nicht die geheimen; machen wir also eine geheime.“ Er verlegte die Spieltische in ein kleineres Zimmer, erklärte, dies sei geschlossen für Jedermann, der nicht eine besondere Eintrittskarte habe, und gab „besondere Eintrittskarten“ an Jedermann, ohne Ausnahme, der eine solche verlangte. So schlug sich die Spielhölle durch, um sich, nachdem „das deutsche Reich“ niedergeworfen war, zu neuem Glanze zu entfalten.
Wir aber, sagt Max von Schenkendorf,
„Wir woll’n den Eid nicht brechen.
Nicht Buben werden gleich;
Woll’n predigen und sprechen
Vom heil’gen deutschen Reich;“
und wenn auch für den Augenblick der Homburger Spielpächter Recht behalten hat, so ist das doch nur eine Sache der Täuschung und des Augenblicks; auf die Dauer und für die Länge eines solchen Zeitraumes, womit die Geschichte zu messen pflegt, wird das deutsche Reich Recht behalten und wird Herr werden über seine Feinde, auch über die Spielpächter, welche ihm Hohn gesprochen.
Die Actiengesellschaft, welche sich deren Betrieb zum Zweck gesetzt hat, wurde, wie gesagt, 1856 gegründet. Sie hat ein Actiencapital von zwei und einer halben Mill. Gulden süddeutscher Währung, getheilt in 25,000 Actien à einhundert Gulden, die auf den Inhaber lauten und unterzeichnet sind von dem herzoglichen Regierungscommissar und den Directoren der Gesellschaft. Von diesem Gesellschaftscapital wurde der größere Theil, nämlich eine Million achtmalhunderttausend Gulden, den „Gründern“ zugewiesen dafür, daß sie die früheren Spielpächter abgefunden und von denselben „Mobiliar und sonstiges Eigenthum“ erworben hätten, das indeß in dem Gesellschaftsvertrage nicht aufgeführt ist und keinen sonderlichen Werth gehabt zu haben scheint. Da der von der Regierung zur Ueberwachung des Spiels bestellte Commissar im Juli 1858 in der Ständeversammlung erklärte, es sei bei der Abfindung den früheren Spielpächtern eine Abfindungssumme von „über eine Million Gulden“ bezahlt worden, und da immerhin zwischen einer Million und 1,800,000 Gulden ein sehr weiter Spielraum übrig bleibt, so scheinen die Herren „Gründer“ gegenüber den Actionären nicht zu kurz gekommen zu sein. Uebrigens haben mir glaubhafte Leute in Wiesbaden versichert, die früheren Pächter hätten nur 800,000 Gulden erhalten. Sei dem nun, wie ihm wolle, die „Gründung“ kostet 1,800,000 Gulden, wofür an dem Tage, an welchem das Spiel unterdrückt wird, keinerlei reeller Werth vorhanden ist. Denn an diesem Tage ist die Spielconcession gar nichts mehr werth, und die Spieltische sowie sonstiges Eigenthum wenigstens nicht viel. Daß die nassauische Regierung, so lange sie es halten kann, wie sie will, das Spiel ganz gewiß nicht aufhebt, davon werde ich im weiteren Verlaufe meiner Auseinandersetzung den Leser überzeugen. Allein das ist doch gewiß, daß sie schon im Jahre 1847 den Fall der Möglichkeit der Aufhebung vorausgesehen und sich vorgesehen hat, daß ihr in diesem Falle eine Entschädigungsforderung nicht gemacht werden kann wegen der Vernichtung des Spielmonopols, das bis dahin noch einen künstlich erzeugten Scheinwerth besitzt. Also, die 1,800,000 Gulden abgerechnet, welche die „Gründer“ erhalten haben, bleiben von den dritthalb Millionen Gesellschaftscapital nur noch 700,000 Gulden übrig. Hiervon sollen 500,000 Gulden als Betriebsfonds dienen und 200,000 Gulden den Reservefonds bilden.
Laut der von der Spielgesellschaft gestellten Rechnungen hat dieselbe in der Zeit von 1857 bis 1860 folgende Summen durch das Hazardspiel in Wiesbaden und Ems eingenommen:
Jahr- gang |
Gesammt- Einnahme des Jahres |
2. in Ems | |
a. im Sommer | b. im Winter |
Der Gesammtertrag der vier Jahre ist:
I. Wiesbaden, Sommer- und Winterspiel | 3,816,040 fl. 27 kr. |
II. Bad Ems | 1,370,439 fl. 32 kr. |
im Ganzen | 5,186,479 fl. 59 kr. |
Der Betriebsfonds von 500,000 Gulden trägt also per Jahr beinahe 1,400,000 Gulden ein!
Die Jahreseinnahmen von 1861 bis 1863 sind dem Vernehmen nach noch gestiegen. Freilich werden diese Summen nur als „Rohertrag“ aufgeführt. Denn es ruhen auf diesen Spieleinkünften auch Ausgaben, deren eigenthümliche Natur wir später untersuchen werden.
Als „Reinertrag“ führen die Rechnungen folgende Summen für die erwähnte Zeit auf:
I. Spielbank in Wiesbaden 1. 1857. a. Sommer |
292,631 fl. 8 kr. |
b. Winter | 28,998 fl. 56 kr. |
2. 1858. a. Sommer | 206 fl. 25 kr. | 394,
b. Winter | 124,409 fl. 46 kr. |
3. 1859. a. Sommer | 311,185 fl. 45 kr. |
b. Winter | 222,222 fl. 36 kr. |
4. 1860. a. Sommer | 486,791 fl. 7 kr. |
b. Winter | 173,287 fl. 45 kr. |
im Ganzen | 2,033,733 fl. 28 kr. |
II. Spielbank in Ems | |
1. 1857 251,832 fl. | 1 kr.|
2. 1858 175,589 fl. 11 kr. | |
3. 1859 157,263 fl. 53 kr. | |
4. 1860 167,140 fl. 42 kr. | |
= 751,825 fl. 47 kr. | |
im Ganzen | 2,785,559 fl. 15 kr. |
Ich überlasse dem Leser, sich die Zahlen näher zu gruppiren. Dieselben geben an, daß die Spielbank in dem einen Jahr mehr, in dem andern weniger gewinnt, je nachdem mehr oder weniger gespielt wird, daß sie aber niemals verliert, weil die ganze Einrichtung so getroffen ist, daß sie nicht verlieren kann. In Wirklichkeit spielt nicht die Bank mit den Spielern, sondern die Spieler spielen untereinander; was der Eine gewinnt, verliert der Andere. Die Bank aber vermittelt nur den Gewinn und Verlust unter den Spielern, indem sie vermöge der Spielvortheile, die sie genießt, und des Monopols, das ihr die Staatsgewalt verliehen hat, von einem jeden Einsatz, welcher gemacht wird, ihre enormen Procente bezieht. Nach einer genauen mathematischen Berechnung, auf welche wir später zurückkommen werden, beträgt der Vortheil der Bank beim Roulette, den Einsatz zu 100 Gulden angenommen,
= 1/19 · 100 = 5,26 = ungefähr 51/4 Procent.
Oder, um es populärer auszudrücken: So oft ein Gulden über den grünen Tisch spaziert, nimmt sich die Spielbank davon drei Kreuzer. Spaziert er also zwanzig Mal darüber, so hat er sich in zwanzig Groschen aufgelöst und diese sind in die Casse der Bank geflossen.
Dies erinnert an die wundervolle Geschichte, welche der bekannte Verfasser des „Struwwelpeter“, Dr. Heinrich Hofmann in Frankfurt, in seinem „Bad Salzloch“ – eine unübertroffene Satire auf den modernen Bade-Industrie-Schwindel – zur Anpreisung und Verherrlichung der tonisch-auflösenden und abführenden Wirkungen des dortigen Wassers erzählt.
Ein junger Mensch hatte im Eifer einen Silber-Gulden verschluckt. Zwölf Gläser Salzlocher Wasser brachten die unglaubliche, aber durch ärztliche Zeugnisse constatirte Wirkung hervor, daß er das Guldenstück in sechszig einzelnen Kreuzern wieder von sich gab. Die Wirkungen der Spielbank sind zwar weniger wahrnehmbar, aber sie führt noch drastischer und schneller ab. Wenn du gewinnst und glaubst, von der Bank zu gewinnen, so irrst du dich. Denn im Ganzen, gegenüber der Gesammtheit der Spieler und auf die Länge der Zeit gerechnet, kann die Bank gar nicht verlieren. Was du gewinnst, das gewinnst du von deinen Mitspielern; und wenn einer der Letzteren in Folge der erlittenen Verluste im nahen Walde sich erhängt oder im See des Parks seinem Leben ein Ende macht, so kannst du nicht deine Hände in Unschuld waschen und die Schuld auf die Spielbank schieben. Denn du bist es, der durch Vermittelung der ihren Makellohn ziehenden Bank mit ihm gespielt und ihn ruinirt hat, – freilich ohne es zu wissen und zu wollen. Die Bank giebt niemals, sie nimmt nur, [44] und das nachstehende Couplet, das wir in dem neuesten Kladderadatsch-Kalender finden:
„Du siehst in einem schönen Thal
Ein Haus auf Säulen, drin ein Saal;
Und in dem Saal thut wieder stehn
Ein Tisch, ganz grasgrün anzusehn;
Und wem der Tisch nun wohlgefällt,
Der legt auf diesen Tisch sein Geld;
Und eben an demselben Ort
Steht auch ein Kerl, der nimmt es fort;
Das geht, bis daß man nichts mehr hat; –
– – –
– Der Selbstmord findet draußen statt.“
mag noch so frivol lauten, es ist deshalb doch leider eine ganz unbestreitbare mathematische Wahrheit, die uns im neunzehnten Jahrhundert, in welchem die Menschheit mit dem Dampf fährt und mit dem Blitz schreibt, lehrt, wie sehr trotz alledem ein Theil dieser Menschheit in den civilisirtesten Ländern von Dummheit, Leidenschaft und Verblendung beherrscht wird.
Alles das ist auch, im Grunde genommen, gar nichts Neues. Schon die deutsche Reichsversammlung, als sie vor fünfzehn Jahren die Spielhöllen aufhob, wußte, daß diese Institute gemeinschädlich und unsittlich sind; daß sie in dem Spieler die niedrigsten und verderblichsten Leidenschaften wecken, ihn demoralisiren, seiner Familie, seinem Beruf, seiner wirthschaftlichen, socialen und bürgerlichen Stellung entfremden, ihn in Verzweiflung und Verderben treiben und ihm nur zwischen Verbrechen und Selbstmord die Wahl lassen; daß sie dem Spieler das Geld abnehmen, ohne die geringste Gegenleistung dafür (denn die Gegenleistungen der Spielbank gelangen nicht an den Spieler, sondern an den Verleiher oder Verpächter des Spielmonopols); daß sie, weit entfernt, Werthe zu erzeugen, dieselben zerstören, indem sie das Capital aus den Händen, in welche es die natürliche wirthschaftliche Bewegung gebracht hatte, wegnehmen und in die Hände solcher legen, welche seinen Erwerb als das Spiel eines blinden Zufalls ansehen und aus dem, was dieser bescheert hat, in der Regel nichts zu machen wußten, als es auf dem Wege des Lasters todtzuschlagen oder auf dem der schalsten Vergnügungen zu vergeuden.
Das Alles haben schon die großen Redner der Paulskirche in den Jahren 1848 und 1849 viel schöner und besser gesagt; und wenn ich weiter nichts beifügen könnte, so hätte ich geschwiegen und die Leser gebeten, die stenographischen Protokolle des Professor Wigard zu lesen.
Allein Manches, was ich während einer Saison in Wiesbaden erfahren, wußten die Herren in der Paulskirche nicht; Manches aber hat sich auch erst zwischenzeitig, unter dem gewitterschwülen Himmel der Reaction, die für die Erzeugung und Vermehrung von Giftpflanzen und Ungeziefer so außerordentlich fruchtbar war, entwickelt, und deshalb halte ich es nicht für überflüssig, diesen Stoff noch einmal ganz gründlich zu debattiren, und zwar mit mehr Material und weniger Worten, als es vor fünfzehn Jahren geschehen, wo sogar noch ein sonst braver Mann, blos deshalb, weil er das Unglück hatte, in dem Reichswahlbezirk Hessen-Homburg gewählt zu sein, schwach genug war, einige Worte nicht der Rechtfertigung, aber doch der Entschuldigung und provisorischen Daseinsfristung für das Spiel zu sprechen.
Was bisher noch nicht beleuchtet worden ist, das ist der Unterschied zwischen den grünen Tischen in Californien und in Deutschland, – eine Vergleichung, welche, wir müssen es mit Schmerz und Scham sagen, sehr zu Ungunsten unseres Vaterlandes oder, um uns richtig auszudrücken, der wenigen deutschen Regierungen, welche noch Spielhöllen unterhalten, ausfällt. Glücklicher Weise giebt es in der Mehrzahl der deutschen Staaten solche nicht mehr, namentlich auch nicht in Oesterreich und Preußen. Denn eine europäische Großmacht kann keine Spielhöllen halten, sonst hört sie auf, eine Großmacht zu sein.
In Californien hält Jeder, der da will, eine Spielbank. Durch die Concurrenz ist der Bankhalter genöthigt, die Spielchancen zwischen sich und den Andern möglichst gleichzustellen. Er kann dies um so eher, da er ja nicht an die Regierung, oder wer sonst das Spiel concessionirt oder verpachtet, Hunderttausende zu zahlen hat. Will er die Spieler übervortheilen, so begiebt er sich in die Gefahr, dem Strafgesetz oder der Lynch-Justiz zu verfallen. Die Spielhöllen befinden sich in elenden Hütten, die aus ein paar Tannenstämmen mit schlechtem Calico umkleidet bestehen; ihr Aeußeres hat mehr Abstoßendes als Anziehendes.
In Deutschland sitzt die Spielhölle gleich einer Kreuzspinne in der Mitte ihres Netzes, im Centrum einer volkreichen Haupt- und Residenzstadt. Sie öffnet ihren Marmorpalast Allen, die ihrer Gesundheit halber gekommen sind und an dem Versucher kaum vorbei können. Sie umgiebt sich mit allen Reizen der Eleganz und des Luxus, mit Allem, was die Sinnlichkeit reizen und die Gewinnsucht aufstacheln kann. Ihr Geschäft ist nicht ein geduldetes, sondern sie genießt ein Privileg, das ihr einen besonderen Schutz gewährt, und ein Monopol, das den ohnehin an Capital, Spielchancen, Ruhe der Berechnung u. s. w. weit im Nachtheil stehenden Spieler ihrer Allmacht unterwirft. Denn die Spieler haben Concurrenz, die Spielbank nicht. Sie bezahlt für ihr Monopol und ihre Privilegien enorme Summen an öffentliche Cassen und öffentliche Anstalten. Wer an diesen Cassen und diesen Anstalten betheiligt ist, der ist auch an dem Spiel interessirt. Dann aber ist sie eine Actiengesellschaft geworden. Alle Capitalien, bis auf die kleinsten herunter, sind dabei betheiligt, daß gespielt wird und daß die Bank gewinnt. Die Actien sind in solchen Händen, in die sie am allerwenigsten gehören. Die Concessionirung der anonymen Gesellschaft hat ein geduldetes Privatgeschäft in eine allgemeine, öffentliche und officielle Verschwörung aller Einheimischen, die gewinnen wollen, gegen die Fremdlinge, die verlieren sollen, umgewandelt.
Das Spiel gleicht jenen Hasenjagden, welche man „Kesseltreiben“ nennt. Eine große, fruchtbare Ebene, in welcher sich die Hasen befinden, ist auf ihrer ganzen Peripherie von Treibern umstellt. In dem Centrum ist eine Höhle oder ein Kessel ausgegraben, geschützt durch Wälle, die mittelst der ausgegrabenen Erde ausgeworfen sind. In diesem Kessel stehen die Schützen. Die Treiber ziehen ihren Kreis immer enger, die Hasen werden in Masse dem Kessel immer näher getrieben und dort von den Schützen erlegt. Die Treiber sind die Actionaire. Die Schützen im Kessel sind die Spieldirectoren.
- ↑ Unsere Leser machen wir auf die authentischen Zahlenmittheilungen dieses Artikels noch besonders aufmerksam. D. Red.
WS-Anmerkung
- ↑ Die gegilbten Zahlen sind in der Vorlage unleserlich und wurden rechnerisch ermittelt.