Die Pilgerinn
Die Pilgerinn.
Wenn Rom ersinken soll, so warte nicht,
Daß seine Wölfinn erst vom Jupiter
Ein Blitzstral treffe, daß das alte Erz
Der Tafeln schmelze, und die Sonne sich
Gebähr’ und alle Götter fliehn; es heulen
In Tempeln Stimmen, und der Altar sinkt. –
Der Altar sank, sobald ihn Frömmigkeit
Nicht stützte, wenn geheime Schand’ ihn schmäht,
Die Götter flohn, sobald man sie verbannte
Aus Herz und Brust. Das eherne Gesetz
Zerschmolz in weichen Sitten; und ein Blitz
Trift auf die Wölfinn, weil sie Wölfinn ist.
Mit stillem Schritt. Die Erde wendet sich;
Die Luft wird wärmer; vor der Sonne schmilzt
Das Eis; es sproßen Saaten. – Schaut empor!
Die Lerche singt; die Mandel blüht; es knospet
Singt laut die Nachtigall: „der Lenz ist da!“ –
Dann suche niemand in der neuen Zeit
Die alte wieder. Jede Tugend blüht
An ihrem Ort, und webet ihr Gewand
Der Römer Geist erstarb, das Capitol
Zum Christentempel ward, und neue Noth
Auch neue Sorge fodert; o so schone
Des frommen Wahnes! Statt Cornelien,
Paulla Romana.
* * *
Paulla konnte sich
Der Scipionen, Gracchen, Julier,
Ja des Geschlechts Aeneas rühmen; doch
Im tiefbedrängten Rom war einig nur
Ihr Stolz, ihr Schatz, ihr Capitolium
Der Armen Herz.
Und als ihr Ehgemal
Da, längst ermüdet von der Römer Pracht
Und Eitelkeit, von ihrem Neid’ und Haß,
Ging sie von Babel aus nach Nazareth.
Umsonst ereifert sich der Römer Stolz,
Ihr seyd nicht Gracchen, Scipionen mehr,
Ich nicht Cornelia; gehabt euch wohl!“
Sie suchte die Verbannten auf; sie zog
Durch Meer und Inseln gen Jerusalem,
Auf Golgatha, und stieg auf Sion, ging
Dann nach Aegypten und nach Nubien,
Stets eine helfende Wohlthäterinn
Der Armen. Endlich fand in Bethlehem
Der Welten Heil (sprach sie) gebohren ward,
Hier will ich sterben.“
Und fortan ward sie
Im heiligen Lande aller Sittsamkeit,
Mit Tagesfrühe auf, arbeitend stets
Und lernend;[1] stiftete der Andacht Viel,
Doch nicht zum Müßiggange. Sie ergriff
Der Unschuld Herzen, zähmete dann auch
Und diese Lieb’ und Strenge flößte sie
All’ ihren Geistestöchtern ein, vor allen
Der eignen Tochter, die ihr Abbild war.
Eustochium, (so hieß das holde Kind,
Saß an der Mutter Bette, als im Alter
Der Tod ihr nahte. Um sie knieeten
Die Heiligen und Schwestern. Lange schon
Lag Paulla mit geschloßnem Auge, stumm
Das Brautlied an, das Lied der Sterbenden:
„Wohlauf, Geliebte! Meine Freundinn, auf!
Der Winter ist vergangen!
Die Regenzeit vorüber!
Die Blumen sprossen schon!“
Da richtet’ auf sich die Gestorbene,
Mit Himmelsglanz verklärt, und sang darein:
„Ich sehe sie die Blumen,
Ich höre süße Stimmen,
Wie unaussprechlich süß!“ –
Und küssete ihr Kind Eustochium,
Und sank und war verschieden. –
Zu küssen, die unzählbar Guts gethan,
Kam Jedermann, und alle Jungfraun kamen
Zu theilen, was mit unermüdetem
Kunstreichem Fleiß mildthätig sie gewebt. –
Sie zu begleiten; da ertönte dann
In allen Sprachen ihr Triumphgesang.
Von ihrem Grab’ im Tempel, wo ihr Leib
Hoch über der Geburtsstatt Jesu ruht,
Ihr treues, ihr wohlthätigsanftes Bild.
In tausend Herzen lebete fortan
Paulla Romana. –
- ↑ Hieronymus, der ihr Leben geschrieben, weiß ihre Gelehrigkeit nicht gnug zu rühmen. Sie legte ihm oft Fragen vor, die er nicht zu beantworten wußte.