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Die Pässe des Balkans

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CCCCLXX. Die grosse Moschee in Brussa Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band (1843) von Joseph Meyer
CCCCLXXI. Die Pässe des Balkans
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DER HAUPTPASS DURCH DEN BALKAN

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CCCCLXXI. Die Pässe des Balkans.




Wie die Alpen die Scheidewand zwischen Italien und Deutschland, den Völkern germanischer und lateinischer Abkunft, bilden, so trennt der Balkan die Nationen hellenischer und slavischer Art. An dem hohen Gebirgswall, der vom schwarzen bis zum adriatischen Meere reicht, brach sich vielmal die Fluth der Menschenströme, vielmal die Ländergier der Eroberer. Doch nicht immer. Beim letzten Akt der Völkerwanderung, dem Ausbruch der Türken aus den tartarischen Steppen, nachdem sie das in Fäulniß ersterbende Reich der Byzantiner verschlungen hatten, überstiegen sie den Balkan und zertrümmerten die dortigen schwachen Reiche. Seitdem sind die überwundenen Völker hörige Knechte des Osmanenreichs geworden, rechtlos hingelegt unter den Fuß der Sieger. Keine moralische Verpflichtung, kein Vertrag knüpft diese Nationen an ihre Kette; die aufgedrungene Sklaverei tragen sie daher auch nur so lange, als die Unterdrückung mächtig ist, die auf ihnen liegt; läßt aber ihre Kraft nach, dann sieht man sie zum Schwerte greifen und versuchen, die Banden zu zerhauen und heilige Rechte zu vindiziren, welche keine Tyrannei auslöschen kann. So ist seit langer Zeit kein Jahrzehnt verflossen, wo nicht der Aufstand eines mißhandelten Volks in diesen Gegenden das türkische Racheschwert herbeilockte, wo nicht Europa zusehen mußte, wie die rohe Uebergewalt niedergeschmetterten Bevölkerungen alle Adern aufriß, damit das Blut aus tausend Wunden auf die Erde rinne und der innere Empörungsdrang in physischer Ohnmacht verende. Ohne irgend eine Sympathie für die Länder und Völker, die dem türkischen Schwerte gehorchen, ohne irgend eine Theilnahme für ihr Wohl und Wehe, nur den Standpunkt des Eroberers festhaltend gegenüber den Ueberwundenen, vergeht bei einem Zuge der Türken gegen aufgestandene Provinzen das Leben wie Staub auf ihrem Wege; kein Erbarmen, kein menschliches Gefühl hat sich jemals ihrer rasenden, reißenden Gewalt genaht; Städte hat sie in ihren Wirbel wie leichte Spreu umher getrieben, ganze Bevölkerungen standrechtlich gerichtet, weite Landschaften wüste gelegt. Noch heute, obschon das entartete, verweichlichte Geschlecht Osmans kaum noch so viel Kraft hat, um die Zügel des Reichs zu halten, sehen wir, wie die türkische Regierungskunst den religiösen Fanatismus, die Zügellosigkeit und Raubsucht der wilden Horden mohamedanischer Stämme benutzt, um sie gegen die christlichen Unterthanen zu hetzen, wie Bluthunde auf scheues Wild.

[145] Aber obschon eine schamlose Politik fortwährend bemüht ist, die Türken als liebe Bundesgenossen anzunehmen, obschon sie sich nicht scheuet, in diesem Bündniß mit plumper Tyrannei ihre Maximen in widerlichster Gestalt zur That werden zu lassen, macht doch eine mächtigere Hand ihre schlechtesten Gedanken und Absichten zu Schanden. So hoch ist die Masse der Fäulniß und des innerlichen Verderbens im Türkenreiche angewachsen, so eilig folgen sich die Schläge und drängen sich die Zeichen unvermeidlicher Auflösung, so laut und immer lauter rufen die Ereignisse, daß, nachdem man alle Künste aufgewendet und alle Arglist verbraucht hat, um die Völker des schönsten Theils der Erde den türkischen Treibern zu bewahren, man endlich doch mit Ernst darauf zu denken scheint, dem lieben Bundesgenossen einen Todtenschein auszustellen und sich über die Theilung der Verlassenschaft zu verständigen. Dann wird auch der Balkan wieder, wie in vortürkischer Zeit, Reiche trennen, und Kultur, Glaube, Sitten und Regierungsformen werden sich auf seinem Rücken scheiden.


Der Balkan hat in seiner ganzen Längenausdehnung nur sechs gangbare Pässe, und eine einzige Heerstraße aus den nördlichen Provinzen des Reichs führt nach Constantinopel. Sie geht von Rustschuck an der Donau aus über Schumla, ist aber jetzt sehr schlecht unterhalten und ohne eine Bedeckung von Tartaren nicht sicher zu passiren. Häufiger schlagen die Reisenden seit einiger Zeit die besser hergestellte Straße über Tirnova ein, welche sicherer ist und nicht beschwerlicher, als jene.

Von Rustschuck aus bis zum Balkan nimmt der Anbau des Landes allmählich ab; in der Nähe des Gebirgs liegen Dörfer und Flecken in weitern Zwischenräumen aus einander; dünner wird die Bevölkerung; sie flieht den wasserarmen Boden. Desto wohlthätiger sind die hübschgefaßten Brunnen, die man am Wege findet, größtentheils Werke frommer Gelübde, oder Stiftungen von Privatpersonen, die zugleich einen Fond für die Unterhaltung hergaben. Um diese Brunnen ist gemeinlich ein freundliches, grünes Plätzchen mit schattigen Bäumen und steinernen Ruhebänken. Ein eisernes Schöpfgefäß steht immer in einer kleinen Nische neben der wafferspendenden Röhre. Niemand bewacht es und niemals wird es gestohlen.

Der Eintritt in den Balkan ist sehr malerisch. Man sieht links, hart an der Straße, umgeben von Cypressen und Platanen, eine geschmackvolle und wasserreiche Fontaine; rechts schmiegt sich in eine Vertiefung ein freundliches Dörfchen, und vorwärts wölbt sich eine hohe Brücke über eine Schlucht, durch die ein reißender Strom, der Sohn des Gebirgs, fortbraust. Jenseits öffnet sich eine dunkle Kluft mit senkrechten, oft überhängenden Steinwänden; sie ist das Thor, durch welches der Weg in die wunderbare Felswelt führt, die den Balkan [146] schmückt, wie der Säulenvorhof einen Tempel des Osiris. Die Straße folgt der Felsschlucht nach jeglicher Windung, bis man, wie ein Geiersnest an der Felszinne, auf steiler Höhe Tirnova liegen sieht.

Hinter Tirnova beginnt die zweite, höhere Gebirgsregion. – Nach zweistündigem Aufsteigen wird wieder ein Wohnort menschlicher Wesen erreicht: es ist Gablowa, ein regsames Bergstädtchen. Seine Lage ist einzig. Ein krystallheller Strom stürzt über breite Felsstufen in ein Dutzend schäumender Kaskaden nieder und an jede sind Hammerwerke gebaut, deren Getöse noch lauter ist, als das Toben der Fluthen. Aus allen Häusern sprüht rothe Gluth durch die weitgeöffneten Pforten und gucken Cyklopengestalten heraus. Das Eisen, das hier gemacht wird, ist das beste in Bulgarien, und täglich kommen ganze Züge von Maulthieren und Pferden, um es abzuholen und in die Gegend zu verführen. –

Hinter Gablowa tritt die Straße in die dritte Region des Gebirgs. Die prächtigen Waldungen schrumpfen nach und nach zu niedrigem Buschwerk zusammen; Wildbäche stürzen von den steilen Bergstufen und verlieren sich in tiefe Schluchten, in welchen das ganze Jahr hindurch Schnee und Eis nicht schmelzen. Die höchsten Kuppen sieht man selbst noch im August mit Schnee bedeckt, und schon im September legen sie das neue Winterkleid wieder an. Auf menschliche Wohnplätze trifft man nicht mehr. Nur dann und wann steht hart am Wege ein kleines Häuschen, das bei eintretendem Unwetter einen ärmlichen Schutz für Menschen und Thiere bietet.

Die höchste Zinne des Passes wird 4 Stunden über Gablowa erreicht. Herrlich ist von diesem über 7000 Fuß hohen Punkte die Aussicht. Rückwärts und zu beiden Seiten irrt das Auge in der labyrinthischen Bergwelt umher, aus der hundert und aber hundert Kegel und Spitzen wie Riesen und Thürme aufstarren; vorwärts aber öffnen sich die gesegneten Gefilde Rumeliens. Wie eine Landkarte liegt die Landschaft ausgebreitet zu den Füßen. Kleine und große Flüsse durchziehen sie wie Silberfäden, sie ist übersäet mit Städten und Dörfern. Das Auge sucht am Horizont die Säulenthürme der Constantinsstadt, die Gestade des Hellesponts und des Bosporus, die Marken zweier Weltlheile.

Unser Stahlstich versinnlicht die grandiose Szenerie des Balkanpasses unweit Gablowa.