Zum Inhalt springen

Seite:Meyers Universum 10. Band 1843.djvu/245

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Aber obschon eine schamlose Politik fortwährend bemüht ist, die Türken als liebe Bundesgenossen anzunehmen, obschon sie sich nicht scheuet, in diesem Bündniß mit plumper Tyrannei ihre Maximen in widerlichster Gestalt zur That werden zu lassen, macht doch eine mächtigere Hand ihre schlechtesten Gedanken und Absichten zu Schanden. So hoch ist die Masse der Fäulniß und des innerlichen Verderbens im Türkenreiche angewachsen, so eilig folgen sich die Schläge und drängen sich die Zeichen unvermeidlicher Auflösung, so laut und immer lauter rufen die Ereignisse, daß, nachdem man alle Künste aufgewendet und alle Arglist verbraucht hat, um die Völker des schönsten Theils der Erde den türkischen Treibern zu bewahren, man endlich doch mit Ernst darauf zu denken scheint, dem lieben Bundesgenossen einen Todtenschein auszustellen und sich über die Theilung der Verlassenschaft zu verständigen. Dann wird auch der Balkan wieder, wie in vortürkischer Zeit, Reiche trennen, und Kultur, Glaube, Sitten und Regierungsformen werden sich auf seinem Rücken scheiden.


Der Balkan hat in seiner ganzen Längenausdehnung nur sechs gangbare Pässe, und eine einzige Heerstraße aus den nördlichen Provinzen des Reichs führt nach Constantinopel. Sie geht von Rustschuck an der Donau aus über Schumla, ist aber jetzt sehr schlecht unterhalten und ohne eine Bedeckung von Tartaren nicht sicher zu passiren. Häufiger schlagen die Reisenden seit einiger Zeit die besser hergestellte Straße über Tirnova ein, welche sicherer ist und nicht beschwerlicher, als jene.

Von Rustschuck aus bis zum Balkan nimmt der Anbau des Landes allmählich ab; in der Nähe des Gebirgs liegen Dörfer und Flecken in weitern Zwischenräumen aus einander; dünner wird die Bevölkerung; sie flieht den wasserarmen Boden. Desto wohlthätiger sind die hübschgefaßten Brunnen, die man am Wege findet, größtentheils Werke frommer Gelübde, oder Stiftungen von Privatpersonen, die zugleich einen Fond für die Unterhaltung hergaben. Um diese Brunnen ist gemeinlich ein freundliches, grünes Plätzchen mit schattigen Bäumen und steinernen Ruhebänken. Ein eisernes Schöpfgefäß steht immer in einer kleinen Nische neben der wafferspendenden Röhre. Niemand bewacht es und niemals wird es gestohlen.

Der Eintritt in den Balkan ist sehr malerisch. Man sieht links, hart an der Straße, umgeben von Cypressen und Platanen, eine geschmackvolle und wasserreiche Fontaine; rechts schmiegt sich in eine Vertiefung ein freundliches Dörfchen, und vorwärts wölbt sich eine hohe Brücke über eine Schlucht, durch die ein reißender Strom, der Sohn des Gebirgs, fortbraust. Jenseits öffnet sich eine dunkle Kluft mit senkrechten, oft überhängenden Steinwänden; sie ist das Thor, durch welches der Weg in die wunderbare Felswelt führt, die den Balkan