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Die Offenbarung Johannis/Kap. 7-8,1. Intermezzo und siebentes Siegel

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« Exkurs zu Kap. 4-6 Wilhelm Bousset
Die Offenbarung Johannis
Kap. 8-9. Die ersten sechs Posaunen »
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D. Intermezzo und siebentes Siegel. Kap. 7-8,1.

Erstes Intermezzo. Die Versiegelung der 144000 7,1-8. 7,1. [καὶ][1] μετὰ τοῦτο[2] εἶδον τέσσαρας ἀγγέλους ἑστῶτας ἐπὶ τὰς τέσσαρας γωνίας τῆς γῆς. Die Frage, ob gute oder böse Engel gemeint seien, ist überhaupt kaum aufzuwerfen. Es sind die Engel, die speziell über die vier Winde gesetzt sind, gemeint. Zur Vorstellung derartiger Elementarengel vgl.[280] 14,18 (Feuerengel), 16,5 (Wasserengel); Bousset, Religion des Judentums 317. — Zur Vorstellung von verderblichen Windgeistern vgl. Sach 6,5; Jer 49,36, und namentlich Dan 7,2. Von Plagen, welche durch Winde geschehen, spricht Hen 34,3; 76,4; vgl. Hen 18,2f.; 36,1; 60,12; 69,22 (Geister des Wassers, der Winde und aller Lüfte). Die Engel stehen an den vier Ecken (Enden) der Welt (über ἐπί mit dem Akkus. s. o. S. 166), d. h. an den Orten, von denen aus die Winde über die Erde wehen. κρατοῦντας τοὺς τέσσαρας ἀνέμους τῆς γῆς, ἵνα μὴ πνέῃ ἄνεμος ἐπὶ τῆς γῆς μήτε ἐπὶ τῆς θαλάσσης μήτε ἐπὶ [τι (πᾶν)][3] δένδρον. Über den Wechsel von Gen. und Akk. nach ἐπί s. o. S. 166. Offenbar liegt die Vorstellung zugrunde, daß diese (als bekannt vorausgesetzten) vier verderblichen Winde zu einer bestimmten Zeit und zwar am Ende der Welt losgelassen werden sollen. Bis dahin werden sie von ihren Engeln gehalten. Nun erfährt man aus der Apk selbst nichts weiter von dieser Erwartung. Die Lösung der Winde erfolgt nicht, 9,14f. liegt zwar eine verwandte, aber nicht dieselbe Vorstellung vor. Wir werden also vermuten, daß der Apok. hier eine ältere Tradition bruchstückweise weiter gegeben hat. Diese Vorstellung von den vier Winden (nicht also Winden überhaupt, sondern bestimmten apokalyptischen Winden), welche am Ende der Tage zur Reinigung der ganzen Erde losgelassen werden, findet sich nun in der Tat noch in späteren Apokalypsen. Ich setze einige Beispiele hierher. In der unechten Johannesapok. 25,2 heißt es: τότε ἀποβουλώσω τὰ τέσσαρα μέρη τῆς ἀβύσσου (vgl. Dan 7,1), καὶ ἐξέλθωσιν τέσσαρες ἄνεμοι μεγάλοι καὶ ἐκλείψωσιν ἅπαν τὸ πρόσωπον τῆς γῆς, καὶ λεικανθήσεται πᾶσα ἡ γῆ ὥσπερ χιὼν καὶ γενήσεται ὥσπερ χαρτίον. In der syrischen Petrusapk (ZwTh 1893 I 454ff.): „Darauf werde ich den vier Winden gebieten, und sie werden losgelassen einer in der Richtung des andern. Und wenn der Seewind losgelassen wird, so steigt Schwefel vor ihm auf, und wenn der Südwind losgelassen wird, so steigt loderndes Feuer vor ihm auf, und wenn der Westwind losgelassen wird, so werden die Berge und die Felsen gespalten“. Ebenso heißt es schon Sib. VIII 204f.: πολλῇ δέ τε λαίλαπι θύων γαῖαν ἐρημώσει· νεκρῶν δ’ἐπανάστασις ἔσται (noch andre Stellen vgl. in meinem Antichrist S. 165f.). Es ist möglich, daß sich in dieser späteren Literatur eine apokalyptische Tradition erhalten hat, die nicht aus unsrer Apk stammt, vielmehr dieser schon vorlag, die mindestens bis Dan 7,1, ja Vielleicht noch weiter zurückgeht.

7,2. καὶ εἶδον ἄλλον ἄγγελον ἀναβαίνοντα ἀπὸ ἀνατολῆς[4] ἡλίου. Unter dem Engel ist einfach ein Engel zu verstehen, nicht Christus. Nach Ew. steigt der Engel von Osten auf, weil dort der Thron Gottes gedacht wird, nach Ebr., Hgstb., Vlkm., Dstd., weil von Osten die lebenbringende [281] Sonne kommt. Sp. erinnert daran, daß im Osten das Paradies liege Gen 2,8; 3,24; I Hen 32,3; Erbes (51 A. 1) daran, daß von Osten der Messias komme (Sib. III 652). Sicheres wird sich nicht ausmachen lassen. Aufklärung könnte man nur erhalten, wenn uns noch ausführlichere Quellen erschlossen würden. ἔχοντα σφραγῖδα θεοῦ ζῶντος. Über den in der spätjüdischen Literatur geläufigen Terminus θεὸς ζῶν s. 43f; Rel. d. Judentums 293. Ob die Verbindung der Idee der Versiegelung der Knechte Gottes mit der andern von den vier Winden dem Apok. schon vorlag, oder seine eigene Konzeption ist, läßt sich aus den sonstigen Parallelen nicht mehr erkennen. καὶ ἔκραξεν (ἔκραζεν)[5] φωνῇ μεγάλῃ τοῖς τέσσαρσιν ἀγγέλοις (κράζειν hier und 14,5 mit dem Dat. im Sinne von Zurufen), οἷς ἐδόθη αὐτοῖς ̔(s. o. S. 160) ἀδικῆσαι τὴν γῆν καὶ τὴν θάλασσαν. Die Schädigung würde dadurch erfolgen, daß sie die ihnen anvertrauten Winde loslassen. Die Schädigung der Bäume ist hier nicht mehr erwähnt. 7,3 λέγων· μὴ ἀδικήσητε τὴν γῆν μήτε[6] τὴν θάλασσαν μήτε τὰ δένδρα, ἄχρι[7] σφραγίσωμεν (bis wir versiegelt haben werden; der Plural hier wie in dem Folgenden ist nicht Pluralis majestaticus, sondern setzt Gehilfen des Engels voraus) τοὺς δούλους τοῦ θεοῦ ἡμῶν (vgl. θεός μου 3,2; 3,12; (2,7); ἡμῶν 7,10.12; 12,10; 19,1.5) ἐπὶ τῶν μετώπων αὐτῶν (s. o. S. 166). Die Idee der Versiegelung spielt in der Apk eine große Rolle. Nicht nur die Knechte Gottes (vgl. 9,4; 14,1; 22,4), sondern auch die Anhänger des Tieres werden versiegelt 13,16f.; 14,9; 16,2; 19,20; 20,4. Vorbildlich für diese Szene der Versiegelung ist offenbar Ez 9,4, wo der Engel Befehl bekommt, ein Zeichen auf die Stirne der Männer zu drücken, die da seufzen und jammern über die Greuel in Jerusalem. Deutlich erkennbar liegen hier Vorstellungen aus dem Gebiet der Zauberreligion vor. Das auf die Stirn gedrückte Siegel (Zeichen oder Namen Gottes) hat Sinn und Wert eines Amuletts. Es stellt den Gläubigen in den Schutz des betreffenden Gottes und sichert ihn namentlich vor den von Seiten niederer böser Mächte drohenden Gefahren. Es läßt sich im alten Testament auch noch tatsächlich die Sitte einer solchen Stigmatisierung nachweisen. Jes. 44,5: „Ein andrer wird auf seine Hand „Jahwe gehörig“ schreiben“. (Vgl. das hierhergehörige Kainszeichen Gen 4,15.) Das häufige Vorkommen der Versiegelung in der Apk beweist vielleicht, daß auch bei Christen zur Zeit der Apok. es noch hie und da Brauch war, sich durch den der Haut eingeritzten Namen (Gottes oder Jesu) gegen allerlei Gefahren zu schützen. An die Taufe ist bei der σφραγίς hier in der Apk gar nicht zu denken. Wohl aber ist auch die Taufe, insofern in ihr der Name Gott über dem Täufling genannt wird, ebenfalls eine (abgeschwächte) σφραγίς. Hier wie dort liegt dieselbe Art von Vorstellungen vor. Vgl. noch Ps Sal 15,10: τὸ σημεῖον τῆς [282] ἀπωλείας ἐπὶ τοῦ μετώπου αὐτῶν. (Heitmüller im Namen Jesu 150. 174. 234, vgl. auch das zu 2,17 Vermerkte.) 7,4. καὶ ἤκουσα τὸν ἀριθμὸν τῶν ἐσφραγισμένων, ἑκατὸν τεσσεράκοντα τέσσαρες χιλιάδες ἐσφραγισμένοι[8] ἐκ πάσης φυλῆς υἱῶν Ἰσραήλ. Der Vollzug der Versiegelung wird also stillschweigend vorausgesetzt, der Seher sieht auch den Vorgang nicht mehr, er hört nur noch die Zahl der Versiegelten. 7,5-8. ἐκ φυλῆς Ἰούδα δώδεκα χιλιάδες ἐσφραγισμένοι[9] – ἐκ φυλῆς Βενιαμεὶν δώδεκα χιλιάδες ἐσφραγισμένοι. Vgl. die Listen Gen 46,8ff.; 49; Num 13,4ff.; Ez 48; Dt 33,6ff.; I Chron 2,1ff.; 4-7. Die Liste der Apk zeigt die Eigentümlichkeit, daß der Stamm Manasse neben dem Stamme Joseph (Ephraim) steht, wie in Num 13. Ez 48 (I Chron 5,23ff.; 7,14ff. 20ff.). Aber während Num 13; Ez 48 dafür der Stamm Levi fehlt, läßt der Apok. den Stamm Dan fort. Das ist eine ganz singuläre Eigentümlichkeit, die ihre Parallele auch nicht an I Chron 7 findet, da hier Dan (neben Sebulon) nur im gegenwärtigen Text fehlt. (Die Söhne Dans werden hier ursprünglich 7,12 gestanden haben, da der hier erwähnte Husim nach Gen 46,23 Sohn Dans war). Die Erklärung, daß die Auslassung von Dan deshalb erfolgt sei, weil der Stamm damals ausgestorben war, reicht nicht zu (de W., Dstd.). Denn das ließe sich auch von manchem andern der 12 Stämme sagen. Hartwig, Züll., Sp. nehmen an, daß ursprünglich Δάν im Text gestanden hätte, dieses dann in Μάν verschrieben, und daraus Manasse entstanden sei. Doch ist das eine im höchsten Grade unwahrscheinliche Auskunft, da eine derartige vorausgesetzte Abkürzung in den alten Majuskelhandschriften sehr selten vorkommt, und die Verschreibung von Δάν in Μάν, da bei den Abschreibern doch Bekanntschaft mit den 12 Stämmen vorausgesetzt werden kann, höchst unwahrscheinlich ist. Die einzige mir möglich erscheinende alte Erklärung ist die des Irenäus, der, nachdem er von der Abstammung des Antichrist aus dem Stamm Dan gesprochen hat, fortfährt (V. 30,2): et propter hoc non annumeratur tribus haec in Apooalypsi cum his, quae salvantur. Die an Dt 33,22; Gen 49,17; Jer 8,16 sich anlehnende Idee, daß aus dem Stamm Dan die wider Gott sich empörende Gewaltherrschaft des Antichrist hervorgehen werde, mag recht wohl so alt und älter wie die Apk sein. Sie findet sich schon im Testament Dans c. 5; Irenäus setzt sie als selbstverständlich voraus, auch die meisten älteren Kommentatoren (Andreas, Arethas, Beda) teilen sie (über die Verbreitung dieser Erwartung vgl. Bousset, Antichrist 112ff.). Es ist anzunehmen, daß sie dem Apok. geläufig war, und daß er deshalb den Stamm Dan fortließ. Die Reihenfolge der 12 Stämme in der Apk ist ganz willkürlich. Charakteristisch ist es, daß Juda voransteht, wie in keiner der alttestamentlichen Listen. An zweiter Stelle folgt Ruben, dann die Nebenstämme Gad, Asser, Naphthali; daß neben diesem Manasse steht, könnte von neuem die Konjektur Dan = Manasse empfehlen. Darauf folgen die übrigen Levistämme Simeon, Levi, [283] Issachar, Sebulon. Endlich ganz zum Schluß (wie Gen 49) Joseph und Benjamin. Exkurs zu 7,1-8. Ein endgültiges Urteil über diesen Abschnitt kann erst gefällt werden, wenn man über sein Verhältnis zu dem Folgenden, 7,9-17, zur Klarheit gekommen ist. Aber einiges kann doch schon hier festgestellt werden. Vor allem fällt, wie schon angedeutet wurde, das Fragmentarische an diesem Abschnitt auf. Das hat auch Sp. bereits gesehen, wenn er behauptet, daß in der mit Kap. 7 für ihn beginnenden zweiten Quelle das erste Stück bereits anderswoher eingesprengt sei[10]. Zwei Stücke sind hier mit einander verwoben: die Weissagung von den vier Winden und die Versiegelung der Knechte Gottes. Beide stehen ziemlich isoliert in der Apk in rätselhafter Kürze und ohne Zusammenhang mit dem Folgenden. Die vier Winde werden überhaupt nicht mehr erwähnt, die 144 000 kehren nur noch einmal, (14,1ff.) dort ebenfalls außer allem Zusammenhang und umgedeutet, wieder. Für das erste Stück gelang es uns, bereits eine ausführlichere apokalyptische Tradition wenigstens in einem Zweig der Antichristapokalypsen nachzuweisen. Eine bemerkenswerte Parallele enthält ferner II Bar 6. Hier sieht Baruch vier Engel mit Feuerfackeln an den Ecken der Stadt Jerusalem. Und ein fünfter Engel steigt vom Himmel herab und befiehlt jenen, nicht eher die Stadt anzuzünden, als bis er die heiligen Tempelgeräte verborgen. Hier ist zwar nicht der Inhalt, aber die Form der Vision eine überraschend ähnliche.

Auch für das zweite Stück lassen sich gewisse Berührungen mit der Antichristtradition nachweisen. Auf eine wurde bereits hingewiesen. Zu beachten ist aber dann weiter die durchaus jüdisch-partikularistische Stimmung in diesem Fragment. Es handelt sich nur um eine Versiegelung von 144 000 Juden aus den 12 Stämmen. Eine allegorisierende Umdeutung (des Zwölf-Stämme-Volks auf die Christen) ist wegen der bestimmten Aufzählung der einzelnen Stämme nicht erlaubt. Von neuem ergibt sich hier, daß der Apokalyptiker an dieser Stelle ziemlich mechanisch einer vorliegenden Tradition folgt. Wir werden anzunehmen haben, daß es eine jüdische Tradition gab, derzufolge in den Zeiten der letzten Not eine Auswahl[11] aus dem Volk durch eine wunderbare Versiegelung vor allem Ungemach bewahrt bleiben sollte. Über die näheren Zusammenhänge dieses Fragmentes wird sich nichts ausmachen lassen. Die spätere Tradition deutete auf die kleine Schar von Gläubigen, die in den letzten Zeiten dem Antichrist Widerstand leisten soll (Bousset, Antichrist 139ff.). Dagegen ließe sich allerdings einwenden, daß es schwer erklärbar sei, wie ein Jude von den 12 damals gar nicht existierenden Stämmen [284] noch ernsthaft habe reden können, und daß diese Beobachtung gerade eine allegorisierende Auslegung der Stelle nahelege. Doch läßt sich darauf erwidern, daß die Erwartung der Erneuerung des Zwölfstämmevolkes am Ende der Tage im Spätjudentum sehr verbreitet war (Antichrist 61. 65. 143). Ja, es finden sich sogar noch Spuren, die selbst dafür zeugen, daß auch sonst in der spätjüdischen Literatur die 12 Stämme als gegenwärtige vorhandene Größen behandelt werden. Bousset, Testament d. 12 Patr. ZnW I 206ff. So sind wir imstande, noch einigermaßen die hinter Apk 7,1-8 liegende apokalyptische Tradition zu erraten. Was nun der Apok. sich dabei dachte, wenn er diese so einfach herübernahm, kann erst weiter unten erörtert werden.

Die Seligen vor Gottes Thron. 7,9. μετὰ ταῦτα εἶδον [καὶ ἰδοὺ][12] ὄχλος(ν) πολὺς(ν), ὃν[13] ἀριθμῆσαι αὐτὸν[14] οὐδεὶς ἐδύνατο (den Relativsatz weist Sp. ohne sonderlich zwingende Gründe dem Redaktor zu), ἐκ παντὸς ἔθνους καὶ φυλῶν καὶ λαῶν καὶ γλωσσῶν (s. zu 5,9) ἑστῶτες(ας)[15] ἐνώπιον τοῦ θρόνου καὶ ἐνώπιον τοῦ ἀρνίου. Wer diese ungezählten Scharen sind, kann erst weiter unten ausgemacht werden. Durch die Betonung ihrer Unzählbarkeit soll jedenfalls die bestimmte Angabe von den 144 000, die der Apok. ja übernahm, übertrumpft werden. Das Stehen vor dem Thron kann kaum etwas anders bedeuten, als den Zustand der vollkommenen Seligkeit vor Gottes Angesicht. Gegenüber Vischers Streichung des ἀρνίον in der ganzen übrigen Apk beachte man, wie hier in einem Abschnitt, der nach Vischer vom Redaktor stammt, das ἀρνίον auf den ersten Blick genau so interpoliert zu sein scheint wie an manchen andern Stellen. περιβεβλημένους(οι)[16] στολὰς λευκάς. Gut bemerkt B. Weiß: wie die Märtyrer 6,11, deren Zahl hier voll geworden zu sein scheint. Über die weißen Kleider s. z. 3,5; 6,11. καὶ φοίνικες(ας)[17] ἐν ταῖς χερσὶν αὐτῶν. Vgl. Joh 12,13; II Makk 10,7. Buch das Attribut der Palmzweige weist auf einen erkämpften Sieg und Freude und Frieden nach dem Kriege hin, so daß auch hiernach der Gedanke naheliegt, daß die ungezählte Schar die Schar der Märtyrer ist. Weiße Kleider und Palmzweige sind übrigens so naheliegende, in sich selbst verständliche Attribute, daß man nicht nötig hat, [285] hier nach allen möglichen Beziehungen zu suchen (auch nicht mit Deißmann, Bibelstud. 285 auf dem Gebiet des griechischen Kultus). 7,10. καὶ κράζουσιν[18] φωνῇ μεγάλῃ λέγοντες· (6,10; 18,2; 18,18f.; 19,17) ἡ σωτηρία τῷ θεῷ ἡμῶν τῷ καθημένῳ ἐπὶ τῷ θρόνῳ (s. o. S. 165f.) καὶ τῷ ἀρνίῳ. Vgl. das zu 5,9 bemerkte. σωτηρία ist Hebraismus. Vgl. Ps 3,9 9 לַיהוָֹה הַיְשׁוּעָה (Hltzm.). Zu übersetzen ist etwa Heil unserm Gott! Derselbe Hebraismus 12,10; 19,1. Zu θεὸς ἡμῶν s. o. zu 7,3. 7,11. καὶ πάντες οἱ ἄγγελοι εἱστήκεισαν κύκλῳ τοῦ θρόνου καὶ τῶν πρεσβυτέρων καὶ τῶν τεσσάρων ζῴων (Vgl. 5,11; wir haben dort ganz denselben Aufbau des Hymnus.) καὶ ἔπεσαν ἐνώπιον τοῦ θρόνου[19] ἐπὶ τὰ πρόσωπα αὐτῶν καὶ προσεκύνησαν τῷ θεῷ. Über die Konstruktion von προσκυνεῖν s. o. S. 163. 7,12. λέγοντες· ἀμήν · (bekräftigender Abschluß des vorhergehenden Gebets, dann folgt die Weiterführung) ἡ εὐλογία καὶ ἡ δόξα καὶ ἡ σοφία καὶ ἡ εὐχαριστία καὶ ἡ τιμὴ καὶ ἡ δύναμις καὶ ἡ ἰσχύς τῷ θεῷ ἡμῶν εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων· ἀμήν[20]. Hier ist anders als in 5,12 der Artikel nachdrücklich vor jedem Wort wiederholt; auch diese Doxologie ist siebengliedrig. (Vgl. das zu 5,12 Bemerkte). 7,13. καὶ ἀπεκρίθη εἷς ἐκ τῶν πρεσβυτέρων λέγων μοι· Das ἀπεκρίθη entspricht dem hebräischen ענה „er hob an“. Nicht ist das Folgende als eine Antwort auf eine unausgesprochene Frage aufzufassen. Über den erklärenden Dialog in der Apokalyptik s. Einleitung S. 12. οὗτοι οἱ περιβεβλημένοι τὰς στολὰς τὰς λευκὰς τίνες εἰσὶν καὶ πόθεν ἦλθον; Die im Altertum so bekannte Frage nach Charakter und Heimat. 7,14. καὶ εἴρηκα[21] (übersetze: und [da] habe ich ihm gesagt) αὐτῷ· κύριέ μου[22] σὺ οἶδας. Die Anrede hätte, wenn die πρεσβύτεροι nur Vertreter der Gemeinde sein sollen, etwas Befremdliches und läßt darauf schließen, daß die πρεσβύτεροι als Engelwesen gedacht sind. Zwingend ist dieser Schluß allerdings nicht. Engel werden mit diesem Ausdruck angeredet Sach 4,5 (οὐ γινώσκεις τί ἐστιν ταῦτα; καὶ εἶπα· οὐχὶ, κύριε), ebenso Sach 1,9; 4,4: 4,13, aber Gen 23,6 Abraham; 31,35 Laban; Num 12,11 Moses; Joh 12,21 Philippus. Aber immerhin ist es jedesmal die übergeordnete Persönlichkeit, die so angeredet ist. Der aber, der hier anredet, ist der Seher, dem eigentlich doch nur ein Engel nach seinem eigenen Bewußtsein übergeordnet sein kann. Das Perfektum εἴρηκα zwischen den Aoristen verlebendigt die Erzählung, wie es sonst ein Präsens tun würde (Joh 21,15). καὶ εἶπέν μοι· οὗτοί εἰσιν οἱ ἐρχόμενοι ἐκ τῆς θλίψεως τῆς μεγάλης[23]. Es ist jedenfalls nicht an die Trübsal des ganzen Lebens gedacht. Auch ist bis jetzt noch gar nicht eine μεγάλη θλῖψις geschildert, auf die der [286] Ausdruck zurückweisen könnte. Denn ἡ μεγάλη θλῖψις bedeutet mehr als die in Kap. 6 geschilderten Vorwehen, nämlich die furchtbaren Nöte, die unmittelbar dem Ende vorhergehen, die allerletzte Zeit. Von dieser letzten Zeit redete der Seher, wenn er von der Stunde der Versuchung weissagt, die über den ganzen Erdkreis kommen soll (3,10). Diese Zeit der letzten Not aber war für ihn in erster Linie eine Zeit des Martyriums, in der die im voraus bestimmte Zahl der Märtyrer sich vollenden sollte (6,11). So sind denn auch wahrscheinlich die aus der großen Trübsal kommenden diejenigen, die im Martyrium der letzten Zeit bestanden haben. Über die bei dieser Auffassung vorliegende Schwierigkeit, daß der Apokalyptiker hier bereits vorgreifend die allerletzten Ereignisse schaut, wird weiter unten die Rede sein. Hier aber erheben sich außerdem spezielle Bedenken gegen diese Erklärung aus der folgenden Charakterisierung dieser vor Gottes Thron stehenden Schaar: καὶ ἔπλυναν[24] τὰς στολὰς αὐτῶν καὶ ἐλεύκαναν[25] αὐτὰς ἐν τῷ αἵματι τοῦ ἀρνίου. Danach läge es auf den ersten Blick näher, hier die durch das Blut des Lammes erlösten, zur Seligkeit gelangten Christen überhaupt zu verstehen. Aber es läßt sich der Ausdruck auch anders deuten. Dazu zwingt uns der parallele Ausdruck 12,11 καὶ αὐτοὶ ἐνίκησαν αὐτὸν διὰ τὸ αἷμα τοῦ ἀρνίου. Auch dort wird der Sieg der Märtyrer als durch das Blut[26] des Lammes errungen dargestellt. Demgemäß ist hier nicht zu übersetzen: Sie haben ihre Kleider in dem Blut des Lammes gewaschen, sondern durch das Blut. Nicht aus eigener Kraft haben die Märtyrer ihre Kleider im Martyrium gewaschen, d. h. sind durch ihr Martyrium rein von aller Schuld und Gott wohlgefällig geworden, sondern die Kraft dazu haben sie erhalten durch den Erlösungstod des Lammes. Das ἐν τῷ αἵματι gibt die entferntere Ursache an. Etwas anders erklärt Ewald aber in demselben Sinn: sanguine Chr. i. e. caede, quam ob Christi doctrinam, Christi et in hac re exemplar secuti, passi sunt. Zu der hier vorliegenden Opfervorstellung vgl. I Kor 6,11; I Joh 1,7; Hbr 9,14. 7,15. διὰ τοῦτό εἰσιν ἐνώπιον τοῦ θρόνου τοῦ θεοῦ καὶ λατρεύουσιν (22,3) αὐτῷ ἡμέρας καὶ νυκτὸς ἐν τῷ ναῷ αὐτοῦ, καὶ ὁ καθήμενος ἐπὶ τοῦ θρόνου (s.o.S. 165f.) σκηνώσει ἐπ’ αὐτούς. 21,3; Joh 1,14. Wie Gott (die Schechina) nach alttestamentlicher Vorstellung im Tempel wohnt, Lev 26,11; Ez 37,27; Jes 5,5, so thront er hier — er selbst, nicht verhüllt durch eine Rauch- oder Feuer-Säule — über seiner Gemeinde. Das Futurum σκηνώσει deutet übrigens an, daß der Seher sich bewußt ist, ein Bild zu sehen, das der Entwickelung der Dinge vorgreift. 7,16. οὐ πεινάσουσιν [ἔτι][27] οὐδὲ[28] διψήσουσιν ἔτι[29], οὐδὲ[30] μὴ πέσῃ ἐπ’ αὐτοὺς ὁ ἥλιος οὐδὲ πᾶν καῦμα. Jes 49,10: οὐ πεινάσουσιν οὐδὲ [287] διψάσουσιν, οὐδὲ πατάξει αὐτοὺς καύσων οὐδὲ ὁ ἥλιος; vgl. Ps 121,6. Bei dem οὐδὲ πᾶν καῦμα ist vor allem an die Hitze des Glutwindes (καύσων) zu denken. 7,17. ὅτι τὸ ἀρνίον τὸ ἀνὰ μέσον τοῦ θρόνου ποιμανεῖ[31] αὐτοὺς καὶ ὁδηγήσει[32] (Ez 34,23) αὐτοὺς ἐπὶ ζωῆς[33] πηγὰς ὑδάτων. Bemerkenswert ist, daß hier ἀνὰ μέσον gebraucht wird, während es sonst immer ἐν μέσῳ heißt. Da offenbar aber mit τὸ ἀνὰ μέσον zurückgewiesen wird, muß ἀνὰ μέσον = ἐν μέσῳ sein. Tatsächlich ist auch ἀνὰ μέσον Jos 19,1 die Übersetzung von בְּתֹוךְ (= ἐν μέσῳ; Hltzm.), während es sonst zwischen zwei oder mehreren Dingen bedeutet. Zu dem Ausdruck ἐπὶ ζωῆς πηγὰς ὑδάτων vgl. 16,3 πᾶσα ψυχὴ ζωῆς, 22,1 ποταμὸν ὕδατος ζωῆς, 22,17 ὕδωρ ζωῆς, 21,6 ἐκ τῆς πηγῆς τοῦ ὕδατος τῆς ζωῆς. Über den johanneischen Stil in diesen Worten s. o. S. 178f. ζωῆς ist Gen. Qualitatis oder des Inhalts. „Lebenswasserquellen“. Zur Stellung vgl. I Pt. 3,21: σαρκὸς ἀπόθεσις ῥύπου; zum Ganzen Jes 49,10 (vgl. 9): ἀλλ’ ὁ ἐλεῶν αὐτοὺς παρακαλέσει καὶ διὰ πηγῶν ὑδάτων ἄξει αὐτούς. Vgl. Ps 23,2f. καὶ ἐξαλείψει ὁ θεὸς πᾶν δάκρυον ἐκ[34] τῶν ὀφθαλμῶν αὐτῶν. Jes 25,8 καὶ πάλιν ἀφεῖλεν κύριος ὁ θεὸς πᾶν δάκρυον ἀπὸ παντὸς προσώπου. Vgl. Apk 21,4.

Exkurs zu Kap. 7. Bei der Beurteilung des Kap. 7 tun wir am besten, von gewissen feststehenden Punkten auszugehen. Fast allgemein anerkannt dürfte es sein, daß die 144 000 in dem ersten Teil des Kapitels und die zahllose Menge in dem zweiten Teil nicht identisch sind. Hier ist eine unbestimmte, dort eine bestimmte Anzahl derselben angegeben, hier sind es Leute aus allen Völkern und Nationen, dort wird die Menge ganz bestimmt als aus Juden, (resp.) Judenchristen bestehend charakterisiert, diese stehen noch vor den Nöten und Wehen der letzten Zeit, und die Versiegelung hat den Zweck, sie in denselben zu bewahren, jene kommen bereits aus der großen Trübsal mit weißen Kleidern angetan und Palmen in den Händen.

Daß mit den 144 000 Leute jüdischer Nationalität, seien es Juden, seien es Judenchristen, gemeint sind, muß vor allem durchaus festgehalten werden. Die Aufzählung der einzelnen Stämme zwingt unbedingt zu diesem Schluß[35]. Nur hinsichtlich der Bedeutung der Versiegelung ist eine verschiedene Beurteilung möglich. Der Apokalyptiker scheint nach 9,4 die Versiegelung als das Mittel zur sicheren Bewahrung der Gläubigen in den Nöten des Endes aufgefaßt zu haben. Auf diese Auffassung scheint nun auch eine Vergleichung von Ez 9,4ff. (Ex 12,7.13) hinzuführen. Die Versiegelung der Knechte Gottes bedeutet hier ihre Bewahrung vor dem Verderben, und von Ez 9,4ff. scheint eben unser Stück abhängig zu sein. Auf der andern Seite kann man [288] auch mit Dstd. die Versiegelung als ein Symbol der Bewahrung vor den Versuchungen des letzten großen Kampfes auffassen; nicht vor diesem selbst sollen dann die 144 000 behütet werden, aber vor dem Unterliegen im Kampfe. Doch scheint mir schließlich diese Differenz in der Auslegung nicht allzu stark zu sein, die beiden Deutungen können sogar in einander übergehen. Wie dem aber auch sein möge, so steht es andrerseits fest, daß die ungezählten Scharen aus allen Völkern Märtyrer und zwar christliche Märtyrer der letzten großen Verfolgungsnot sein sollen.

Bei dieser Auffassung der vorliegenden Stücke hat nun die Kritik fast einstimmig die Unmöglichkeit der Annahme der literarischen Einheit von Kap. 7 behauptet. Man stützt sich dabei aber auf eine doppelte Erwägung: 1) Es erscheine unmöglich, daß derselbe Apokalyptiker, der seine Hoffnungen und seinen eschatologischen Gesichtskreis so bestimmt auf Israel beschränke, zugleich 7,9-17 geschrieben haben sollte. 2) Kap. 7,9-17 erscheine überhaupt vollkommen deplaziert, die Reihenfolge der Visionen werde aufs störendste unterbrochen, dem Inhalt nach gehöre dieses Gesicht ganz an das Ende.

Die meisten Kritiker schieben nun 7,9-17 aus diesen Gründen dem Redaktor (oder einem der Redaktoren) zu (Vlt., Vischer, Pfleid. I, Schmidt) und betrachten das Stück als eine Interpolation in eine jüdische oder judenchristliche Grundschrift. Die Unebenheiten in der Komposition des Kapitels fallen damit dem Redaktor zur Last. Anders urteilt Sp. Auch nach ihm stammen 7,1-8 und 7,9-17 von verschiedenen Händen. Aber 7,9-17 gehöre nicht dem Redaktor, sondern sei die Fortsetzung von Kap. 6 (also zur Quelle U gehörig). Damit rückt für ihn 7,9-17 wirklich an das Ende einer Apk, wohin es zu gehören scheint. Dagegen haben Erbes und Weyland versucht, durch Streichungen in dem Kapitel selbst die literarische Einheit herzustellen. Erbes beseitigt V. 4-8, Weyl. (ebenso Rauch) streicht V. 9 die Worte καὶ ἰδού – γλωσσῶν; ἐνώπιον τοῦ ἀρνίου, V.10 καὶ τῷ ἀρνίῳ, V.14 καὶ ἐλεύκαναν – ἀρνίου, V.17 τὸ ἀρνίον τὸ ἀνὰ μέσον τοῦ θρόνου; jener beseitigt also die jüdischen, dieser die christlichen Elemente des Stückes.

Es erscheint mir nun aber nicht unmöglich, gegenüber jenen Haupteinwänden die relative Einheit des Kapitels (mit Weizs., Sabat, Schön) festzuhalten. Gesetzt, der Verfasser der Apk war ein Judenchrist, ein Christgläubiger und daneben doch noch ein begeisterter Anhänger jüdischer Nationalität, wie dies schon aus 3,9 sehr wahrscheinlich geworden ist, so ist es gar nicht verwunderlich, wenn er des Glaubens lebte, daß am Ende der Dinge sein Volk eine besondre eschatologische Rolle spielen würde. Hat doch selbst Paulus in seiner Eschatologie daran festgehalten, daß das bekehrte Judenvolk dereinst am Ende zu großen Dingen berufen sei. Wenn ihm nun in der Eschatologie seines Volkes die Hoffnung überliefert war, daß in den letzten Zeiten des großen Abfalls und der allgemeinen Not eine große Zahl aus dem dann wieder in seinen zwölf Stämmen versammelten Israel aller Versuchung widerstehen und vom Verderben wunderbar errettet werden solle, — warum hätte er dann nicht mit Freuden auch diesen Zug in seinem apokalyptischen Gemälde verwerten und, was ursprünglich nur von Gläubigen Israels galt, [289] nun von Gläubigen in seinem Sinn, d. h. bekehrten Judenchristen, aussagen sollen? Solche Ideen und Hoffnungen lagen nun aber, wie wir schon oben in der Beurteilung von 7,1-8 bemerkt haben, als alte Tradition dem Apokalyptiker vor. Zugleich aber war der Apokalyptiker allerdings überzeugter Universalist, die Heidenmission stand ihm als etwas Selbstverständliches fest. Und in demselben Moment, in dem er an die Bewahrung und den Triumph der Gläubigen seines Volkes in den Nöten der Endzeit erinnert wird, erweitert sich sein Blick sofort auf die Gläubigen in der ganzen weiten Welt, die nun auch den großen Kampf zu bestehen haben; und um diesen zu sagen, daß auch sie ihres Sieges gewiß sein können, verwendet er nicht wieder dasselbe Bild, sondern läßt diese Märtyrer proleptisch als Gerettete vor Gottes Thron erscheinen. Dabei entsteht allerdings in der Reihenfolge der Bilder eine Inkongruenz, aber ich sehe nicht ein, weshalb man das, was man einem hier angenommenen Redaktor der Apk so ohne weiteres zutraut, nicht schließlich auch dem Apokalyptiker selbst zutrauen könnte. Mit Recht hat Hirscht (63) überdies hervorgehoben, daß gerade das Stück 7,9-17 eine Unmenge von sprachlichen Berührungen mit dem übrigen Ganzen der Apk zeige (vgl. die Formel: μετὰ ταῦτα εἶδον καὶ ἰδού, ἔθνος φυλαί etc. die weißen Kleider, ὁ καθήμενος ἐπὶ τοῦ θρονοῦ, κράζεν φωνῇ μεγάλῃ, die Doxologie). Man kann ruhig behaupten, daß, wenn irgendwo, so in diesem Stücke der Apokalyptiker selbst deutlich erkennbar ist. Das gilt auch gegen den Versuch von Sp., 7,9-17 als das Ende seiner Quelle U aufzufassen. Überdies sei noch einmal darauf hingewiesen, daß man die μεγάλη θλῖψις, auf die 7,14 hinweist, keineswegs in den Siegelplagen finden darf. Als Ende einer Kap. 1-6 umfassenden kleinen Apk ist 7,9-17 undenkbar, denn nach der Darstellung des sechsten Siegels erwartet man noch das Ende, das 7,9-17 als vollzogen bereits vorausgesetzt ist. Es klafft hier also eine breite Lücke, welche Sp.s Quelle U zu einem fragmentarischen Torso macht.

Der einzige Grund, der nach alledem zu Gunsten einer kritischen Operation an Kap. 7 noch sprechen könnte, liegt also nicht in 7,9-17, sondern in 7,1-8. Hier liegt jedenfalls traditionelles Material vor. Eine andre Frage aber ist es immerhin, ob diese für den Apok. bereits in einer schriftlichen Vorlage fixiert war. Was auch zu dieser Annahme geneigt machen könnte, ist der in mehrfacher Hinsicht fragmentarische, abrupte Charakter dieses Stückes, der vielleicht darauf hindeutet, daß die hier nur halb verarbeitete Tradition dem Apok schon in einer schriftlich fixierten Form und nicht als nur mündlich überliefertes Rohmaterial vorgelegen habe.

Eine eingehende Untersuchung hat neuerdings J. Weiß (64-72) unserm Stück gewidmet. W. nimmt (vgl. oben Erbes, Weyland) an, daß das ganze Kapitel eine Einheit sei und, wenn auch in veränderter Form, der apokalyptischen Grundschrift angehört habe. W. unterscheidet streng zwischen der Auffassung des Stückes im Sinne des Apokalyptikers und des Herausgebers. Für den Herausgeber handle es sich in der ersten Hälfte des Kapitels um die 14,1ff. genauer beschriebenen christlichen Asketen, die in der letzten Zeit der Not wunderbar bewahrt werden sollen, in der zweiten Hälfte um christliche Märtyrer, die ihren Sieg im Himmel feiern. Für den Verfasser der apokalyptischen Grundschrift seien die 144 000 die aus Israel erwählten Christen, die [290] zahllose Menge die heidenchristliche Gemeinde, die aus allen Gegenden gesammelt, nun ihrem Herrn entgegen ziehe. Der Herausgeber habe in der zweiten Hälfte des Kapitels stark eingegriffen und aus der versammelten Gemeinde Märtyrer gemacht, aus der auf Erden zu denkenden Szene eine himmlische. Ich stimme mit W. überein in der Behauptung der relativen Einheit des Kapitels und seiner Zugehörigkeit zu Kap. 1-6 (resp. dem Ganzen der Apokalypse). Ich vermag aber keinen zwingenden Grund zu finden, hinter dem vorliegenden Zusammenhang einen vollständig andern zu postulieren, der aus der uns vorliegenden Bearbeitung sich überhaupt kaum mehr erkennen läßt. W.s Hypothese hat das Bestechende, daß nach ihr sich in reinlicher Sonderung die Schar der Judenchristen und der Heidenchristen gegenübertritt. Aber es kommt doch auch dann ein Gegensatz heraus, wenn man annimmt, in V. 1-8 schildre der Apok. die besonderen Günstlinge Gottes aus Israel, die in den letzten Nöten der Antichristzeit sich bekehren und wunderbar errettet werden sollen, und in V. 9ff. lasse er dann die Heroen der christlichen Gemeinde, die Märtyrer, als Gegenstück erscheinen. Der Gegensatz ist freilich einigermaßen künstlich; aber das wird erklärlich, wenn wir annehmen dürfen, daß der Apok. in 7,1-8 eine überkommene Tradition verarbeitet. Wenn aber der Apok. einmal die Märtyrer in ihrer Gesamtheit als Gegenstück zu den 144 000, dem bekehrten Rest Israel, einführen wollte, so mußte er die Szenerie ganz in die Zukunft und in den Himmel verlegen. Wenn endlich W. zum Beweis seiner Hypothese darauf hinweist, daß die weißgekleidete Schar in V. 14 gar nicht durchgängig als eine Schar von Märtyrern geschildert werde, so ist darüber das Nötige im Kommentar gesagt.

Jedenfalls gehört die zweite Hälfte des siebenten Kapitels zu den Höhepunkten der ganzen Apk. Hat der Apok. in der ersten Hälfte in fremder Manier gemalt, so ist er hier wieder ganz er selbst. Nach dem Sturm und Drang und dem wilden Wechsel der Erscheinungen in Kap. 6 zeichnet er hier ein Bild von einer wundervollen Ruhe und einer ergreifenden Schönheit und Verklärung. Eine starke Massenwirkung wird aufgeboten. Ungezählte Scharen nahen sich Gottes Thron, und alle Engel umstehen ihn und stimmen den brausenden Lobgesang an. Und über das alles ist die große Ruhe ausgebreitet: Alle in weißen Kleidern und Palmzweigen in der Hand! Und dahinten liegt die Zeit der großen Trübsal! Die letzten Töne des Kampfes verhallen so eben, noch zittert der Schmerz und die Klage nach, aber Gott trocknet alle Thränen, und der Blick schweift über schattige Gefilde und grüne Auen und rinnende Quellen. — An diesem Bilde ist die nordische Malerei zum Bewußtsein ihrer Kraft und ihres Könnens erwacht.

8,1. Das siebente Siegel. καὶ ὅτε[36] ἤνοιξεν τὴν σϕραγῖδα τὴν ἑβδόμην, ἐγένετο σιγὴ ἐν τῷ οὐρανῷ ὡς ἡμίωρον[37] (ὤριον). Eine gewisse Parallele bietet Da 4,16, wo berichtet wird, daß Daniel, nachdem er den Traum Nebukadnezars gehört, eine ganze Weile (LXX, Theod. ὥραν μίαν) vor Entsetzen verstummt sei. Sehr lebendig schildert namentlich die LXX die Szene erweiternd, den ekstatischen Starrkrampf des Sehers. Was bei Da als subjektives Erlebnis des Sehers geschildert wird, ist hier gleichsam objektiviert. Das Stillschweigen im Himmel drückt die bange Erwartung des Kommenden aus. Die Bestimmung ὡς ἡμίωρον soll die erdrückende Schwüle und Länge dieser angstvollen Stille ausmalen. Das Schweigen ist [291] nicht etwa der Inhalt des siebenten Siegels, sondern wie die meisten Ausleger richtig erkannt haben, ist dieser Inhalt in dem Ganzen, das nun folgt, enthalten, also zunächst in der Enthüllung der sieben Posaunen. Auch von den Kritikern, die die Siegel- und Posaunen-Visionen auf verschiedene Quellen verteilen, wird das zugestanden werden, daß nach der Absicht des Redaktors die sieben Posaunen aus dem siebenten Siegel hervorgehen sollen. Zu verwerfen ist jedenfalls an dieser Stelle die Rekapitulationstheorie, derzufolge das Schweigen des siebenten Siegels den Weltuntergang bedeutet oder gar das tausendjährige Reich (Vict.), und dann mit der ersten Posaune die Weissagung von neuem beginnt. Sp. muß seiner Quellentheorie zufolge den Vers vor 7,9ff. stellen.
  1. > AC vg. (c) Pr.
  2. ταυτα P An. vg. s² a Pr., Korrektur nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch der Apk.
  3. παν δενδρον ℵ P An.¹²³ s¹; τι δενδρον CQ Rel. g vg. Pr.; δενδρου A (δενδρα c s² a ae.). Nach Apk 9,4; 21,27 wäre man allerdings geneigt (mit Tisch. gegen Weiß), παν für das Ursprüngliche zu halten, dem Sprachgebrauch der Apk entsprechend. Doch ist παν recht schlecht bezeugt. Zu überlegen wäre, ob nicht mit A nur επι δενδρον (δενδρου) zu lesen ist.
  4. ανατολων A, es ist doch fraglich, ob man mit B. Weiß ανατολων in den Text zu setzen hat, da C auf der andern Seite steht. Vgl. dieselbe Variante 16,12; (21,13).
  5. εκραζεν AP; s. über Imperf. u. Aor. bei κράζω o. S. 169.
  6. και A 37. 38. 41. 42 cle. arm. Harl. lips.⁵⁶ Tic.
  7. αχρι ℵACP An.¹ Or.; αχρις ου Q Rel.; αχρις αν An.² (grammatische Korrekturen).
  8. Q Rel. verbessern in εσφραγισμενων s. o. S. 184.
  9. Nur hier und am Schluß ist das εσφραγισμενοι in den Text aufzunehmen, Q al.²⁵ lesen εσφραγισμεναι.
  10. Mit dieser Erkenntnis verliert Sp. jedoch einen Grund, Kap. 7ff. von 1-6 abzutrennen. Die Erklärung des Fragments 7,1-8 wird dadurch um nichts leichter, daß man mit 7,1ff. eine neue Quelle beginnen läßt.
  11. J. Weiß meint, daß die geringe Anzahl der Geretteten mehr auf eine juden-christliche als auf eine jüdische Quelle deute. Aber einmal ist die Zahl der „Geretteten“ nicht gar so gering, und andrerseits handelt es sich hier wahrscheinlich nicht um alle im messianischen Gericht zu Bewahrenden, sondern nur um den Teil der Gläubigen, der vor den Leiden der letzten Zeit geschützt werden soll.
  12. > A vg. c s¹ sa. ae. Cypr. Pr. (nicht Tic.) (C > ιδον) und dann οχλον πολυν A vg. c s¹ ae. Cypr. Pr. Es scheint mir doch das Wahrscheinlichste zu sein, anzunehmen, das in A etc. das και ιδου per Homoiotel. ausgefallen sei. Der Apok. liebt die Wendung και ειδον και ιδου. Auch erklärt sich so am besten das Schwanken des Kasus im folgenden εστωτες-περιβεβλημενους-φοινικες (genau wie 14,14).
  13. A και, was B. Weiß fälschlich in den Text aufnimmt.
  14. > αυτον Q Rel. (vg. Cypr. Pr.).
  15. εστωτες ℵAP An.; Q Rel. -ας; (C -ων); dagegen ist im Folgenden die Unregelmäßigkeit περιβεβλημενους mit allen gegen ℵcP An.¹²³ vg. Tic. Vict. (Cypr. Pr.) vielleicht stehen zu lassen.
  16. Siehe letzte Anmerkung.
  17. Man kann schwanken, ob φοινικες mit ℵcAP An. s¹ g vg. (Cypr. Pr.) oder φοινικας ℵQ Rel. zu lesen ist. Da ein relativ neuer Satz beginnt, so mag vielleicht φοινικες das ursprüngliche sein (B. Weiß).
  18. εκρζον g vg. sa. Cypr. Pr.
  19. ACP An.¹²³ 95 g vg. c Pr.; + αυτου Q Rel. s¹² ae.
  20. > C Pr (hier fehlt das αμην oft). Fulg.
  21. ACP An.¹²; Q Rel. ειπον.
  22. > μου A 1 vg.cod. a se. sa. Cypr. Pr.
  23. απο θλιψεως μεγαλης A.
  24. επλατυναν l. (Tisch.) 2. 9. 13. 29. 30. 41. 42. 50. 82. 93. 94. 95. 97. 98.
  25. AP An. (¹)²³ g vg. c s¹² Cypr. (Pr.: et stolas suas candidas fecerunt; >και επλυναν); Q Rel. a. ae. > αυτας.
  26. Zur Übersetzung vgl. den Kommentar zu der Stelle.
  27. > ℵ 36 vg. c s¹² a ae. Cypr. Fulg. Pr. (Konformation nach LXX?).
  28. + μη A 14. 92.
  29. > P An.¹⁴ c s¹ a (Fulg.?).
  30. + ου Q Rel.
  31. APQ An.¹²(³)⁵ g vg. s¹² a ae. Cypr.cod; Rel. a Pr. ποιμαινει.
  32. ℵAPQ An.¹² al g vg. c s¹² a ae. Cypr.cod; Rel. Pr. οδηγει.
  33. An.¹² c s² ζωσας (vgl. 16,3).
  34. απο ℵ An.²⁵ 95 g cle. lipss c.
  35. Etwas weniger entschieden würde z. B. das Urteil lauten, wenn wie in I Pt. und Jak nur vom Zwölfstämmevolk die Rede wäre.
  36. Auf die Autorität von AC darf man nicht ὅταν in den Text nehmen, da ὅταν in der Apk immer mit dem Konj. steht.
  37. AC ημιωρον.
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