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Die Offenbarung Johannis/3,14-22. Laodicea

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« 3,7-13. Philadelphia Wilhelm Bousset
Die Offenbarung Johannis
Exkurs zu Kap. 1-3 »
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Inhalt Kapitel 3,14-22. Laodicea
3,14 - 3,15 - 3,16 - 3,17 - 3,18 - 3,19 - 3,20 - 3,21 - 3,22
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3,14-22 Laodicea. 3,14. καὶ τῷ ἀγγέλῳ τῆς ἐν Λαοδικίᾳ ἐκκλησίας[1] γράψον. Laodicea, östlich von Ephesus, südöstlich von Philadelphia, in der Nähe von Colossae gelegen, hat seinen Namen von der Gemahlin Antiochus II., Laodice. Im Jahre 60 (Erbes 128) wurde Laodicea gleichzeitig mit Colossae durch ein Erdbeben zerstört, erholte sich aber bald wieder. Tacit., Annal. XIV 27: eodem anno Laodicea tremore terrae prolapsa nullo a nobis remedio propriis viribus revaluit. Dort gab es schon zu Zeiten des Paulus eine Gemeinde Kol 4,13ff.; Constit. VII 46 wird Archippus (Kol 4,17) als erster Bischof von L. bezeichnet. Eusebius H. E. IV 26,3; V 24,5 nennt einen Bischof von Laodicea, den Märtyrer Sagaris (um 170).

τάδε λέγει ὁ ἀμὴν, ὁ μάρτυς ὁ πιστὸς καὶ ἀληθινός[2]. Ps 89,38. Hier liegt wie 3,1 eine Rückbeziehung auf 1,4-6 vor. Vgl. zu dem Ausdruck ὁ ἀμήν Jes 65,16: „wer sich segnen will im Lande, wird sich segnen בֵּאלֹהֵי אָמֵן“ (LXX τὸν θεὸν τὸν ἀληθινόν). Christus ist dem Apokalyptiker der treue (der zuverlässige πιστός und daher echte ἀληθινός) Zeuge[231] jeglicher göttlichen Offenbarung, er wird hier mit besonderem Nachdruck wegen des folgenden warnenden Zeugnisses wider den sittlichen Zustand der Gemeinde so genannt (Sp.). ἡ ἀρχὴ τῆς κτίσεως τοῦ θεοῦ. Prv 8,22: κύριος ἔκτισέν με ἀρχὴν ὁδῶν αὐτοῦ εἰς ἔργα αὐτοῦ (Sap. Sal 6,22; 9,2; Sir 24,9.(14). Vlt.). Kol 1,15ff. Es ist immerhin bemerkenswert, daß gerade hier im Brief an die Laodicener sich, wie es scheint, eine Berührung mit dem Kolosserbrief findet. ἀρχή kann entweder Anfang d. h. Erstlingswerk (vgl. Gen 49,3; Dt 21,17) der Schöpfung Gottes (Ew., Züll., Hltzm.?) oder Prinzip (Urgrund) derselben (so die meisten Ausleger) bedeuten. Wie es der Apok. hier meint, kann nicht entschieden werden. Über die hier vorliegende fortgeschrittene Christologie s. u.

3,15. οἶδά σου τὰ ἔργα, ὅτι οὔτε ψυχρὸς εἶ οὔτε ζεστός. ὄφελον (vgl. Winer 41,5 A. 2) ψυχρὸς ἦς ἢ ζεστός. Eines der großen Worte der Apk von klassischem Gepräge und packender psychologischer Wahrheit. Gänzliche Erkaltung und völliger Abfall ist immer noch besser, als ein laues lügnerisches Scheinwesen. Denn in jenem ist wenigstens Wahrheit, dieses aber ist ungenießbar wie laues Wasser. Daher heißt es dem Bilde entsprechend weiter 3,16: οὕτως ὅτι[3] χλιαρὸς εἶ [καὶ οὔτε[4] ζεστὸς οὔτε ψυχρὸς[5]], μέλλω σε ἐμέσαι[6] ἐκ τοῦ στόματός μου. Die Strafe steht nahe bevor; doch denkt der Apokalyptiker wohl nicht an ein spezielles Gericht über diese Gemeinde, sondern an das Schicksal der Gemeinde im Endgericht.

3,17. ὅτι (der Hauptsatz folgt in V. 18) λέγεις, [ὅτι[7]] πλούσιός εἰμι καὶ πεπλούτηκα. „Ich bin reich und habe mich bereichert“. Der umständliche Ausdruck ist wohl durch einen Einfluß von Hos 12,8 (καὶ εἶπεν Ἐφραίμ· πλὴν πεπλούτηκα, εὕρηκα ἀναψυχὴν ἐμαυτῷ. Vgl. Sach 11,5: εὐλογητὸς κύριος καὶ πεπλουτήκαμεν) zu erklären.καὶ οὐδὲν (AC 12. 81; die übrigen οὐδενός) χρείαν ἔχω. Wegen der in V. 17 folgenden bildlichen Redeweise muß übrigens auch dieser ganze Satz bildlich verstanden werden. Nach ihrer eignen Überzeugung ist die Gemeinde reich ein ihrem innern geistigen Leben und bedarf keiner weiteren Förderung. (I Kor 4,8.) Auf den äußern Wohlstand und Reichtum der Gemeinde ist das Wort nicht zu beziehen. Sonst läge es allerdings nahe, dies Wort mit dem oben zitierten Bericht des Tacitus in Verbindung zu bringen und auf das rasche Aufblühen von Laodicea nach dem zerstörenden Erdbeben (vgl. das πεπλούτηκα und οὐδὲν χρείαν ἔχω) von 60/61 zu beziehen (Hltzm.). Dagegen ist aber auch noch daran zu erinnern, daß hier ja nicht die Stadt Laodicea, sondern die christliche Gemeinde in Laodicea angeredet ist. Gegenüber der unwahren [232] und heuchlerischen Selbstgefälligkeit der Gemeinde, zu der ihr innerer Zustand ihr so wenig Recht gibt, erfolgt nun die tadelnde und scharfe Zurechtweisung: καὶ οὐκ οἶδας, ὅτι σὺ (steht betont) εἶ ὁ ταλαίπωρος (nur hier und Rö 7,24) καὶ[8] ἐλεεινὸς καὶ πτωχὸς καὶ τυφλὸς καὶ γυμνός[9]. Der Artikel vor ταλαίπωρος ist mit Absicht gesetzt: Du bist „die“ elende, — Du gerade bist elend. Und nun folgen sich überstürzend die Vorwürfe mit dem monotonen καί aneinander gereiht. Die Gemeinde ist elend (ταλαίπωρος) und (deshalb) bemitleidenswert. Die Ausdrücke arm, blind und nackt sind mit Rücksicht auf die folgenden Ausführungen gewählt. Der ganze Satz: καὶ οὐκ οἶδας bis γυμνός, ist entweder ein parenthetischer Zwischensatz, oder als zweiter von ὅτι abhängiger Satz zu konstruieren, so daß dann im folgenden Vers der Hauptsatz beginnt. 3,18. συμβουλεύω σοι ἀγοράσαι παρ’ ἐμοῦ χρυσίον[10] πεπυρωμένον ἐκ (das ἐκ vertritt hier den Dat. med. s. oben S. 167) πυρὸς (I Pt 1,7) ἵνα πλουτήσῃς (über das Tempus bei ἵνα s. o. S. 170). Die Wendung erinnert an Jes 55,1ff. Auch hier ist an ein „Kaufen ohne Geld“ gedacht, da man Geld doch nicht eigentlich kaufen, sondern nur mit ihm kaufen kann. πυρόω = צרף‎ Sach 13,9. καὶ ἱμάτια λευκὰ (s. z. 3,4), ἵνα περιβάλῃ καὶ μὴ φανερωθῇ ἡ αἰσχύνη τῆς γυμνότητός σου (die in deiner Nacktheit bestehende Schmach), καὶ κολλύριον[11] (sc. ἀγοράσαι), ἐγχρῖσαι[12] (Infin., nicht Imper.) τοὺς ὀφθαλμούς σου, ἵνα βλέπῃς. ἐγχρίω ist ein selten vorkommendes Wort; κολλύριον bedeutet „eine in die lange und runde Form einer κολλύρα (d. h. Brodkuchen) gebrachte Masse, welche mit mancherlei Medikamenten versetzt insbesondre zum Bestreichen der Augen gebraucht wurde“ (Dstd. nach Wtst.). Die jüdische Bezeichnung dafür ist קולורין‎ = κουλουριον. Zu Vergleichen ist Siphra Fol. 143b: Verba legis corona sunt capitis, collyrium oculis (Schöttgen). Vajjikra R. Fol. 156a: verba legis corona sunt capitis, torques collo, collyrium oculis (Wtst.). Die Frage, ob mit der Augensalbe das Wort Gottes, oder die erleuchtende Kraft des heiligen Geistes gemeint sei (Dstd.), ist gar nicht einmal aufzuwerfen. Es ist hier ganz allgemein davon die Rede, daß die Gemeinde sich mit Gottes Hülfe eine bessere Selbsterkenntnis erwerben möge.

[233] 3,19. ἐγὼ ὅσους ἐὰν (s. o. S. 171) φιλῶ (Joh 5,20 und noch 12mal B. Weiß), ἐλέγχω καὶ παιδεύω. ζήλευε[13] οὖν καὶ μετανόησον. παιδεύω (erziehen) ist gegenüber dem ἐλέγχω (hart tadeln) der weitere Begriff (Dstd.). Vgl. Prv 3,12: ὃν γὰρ ἀγαπᾷ κύριος, ἐλέγχει, μαστιγοῖ δὲ πάντα υἱὸν, ὃν παραδέχεται; Ps Sal 10,2.14; Hbr 12,6; I Kor 11,32. Über den im Spätjudentum weitverbreiteten Gedanken der erziehenden Gerechtigkeit Gottes vgl. Bousset, Rel. d. Judentums 364f. Die Ermahnung ζήλευε - μετανόησον (beachte hier allerdings die feine Auswahl des Tempus; die Sinnesänderung ist eine einmalige Handlung, das „Eifern“ etwas Dauerndes), sollte man in umgekehrter Reihenfolge erwarten.

3,20. ἰδοὺ ἕστηκα ἐπὶ τὴν θύραν καὶ κρούω. Hier ist nicht etwa an ein Anklopfen an die Herzenstür der Gemeinde und an ein Wohnen Jesu im Herzen der Menschen gedacht, sondern die Wendung ist durchaus eschatologisch zu verstehen. Der zum Gericht wiederkehrende Herr wünscht seine Knechte wachsam zu finden; er ist schon ganz nahe, klopft gleichsam schon an die Tür. Das Bild erinnert in erster Linie an Lk 12,36ff.; (Mt 25,1ff.), auch an Mk 13,29 u. Par. Zu vergl. ist auch Hohel. 5,2: φωνὴ ἀδελφιδοῦ μου, κρούει ἐπὶ τὴν θύραν· ἄνοιξόν μοι ἀδελφή μου, ἡ πλησίον μου. Jak 5,9: ἰδοὺ ὁ κριτὴς πρὸ τῶν θυρῶν ἕστηκεν. – ἐάν τις ἀκούσῃ τῆς φωνῆς μου (ἀκούειν φωνῆς hier und 14,13; 16,1; 21,3; hier ist der Gen. vielleicht gewählt, um das willige und erfolgreiche Anhören anzudeuten; Joh 10,3) καὶ ἀνοίξῃ τὴν θύραν, „καὶ“[14] εἰσελεύσομαι (Joh 14,23) πρὸς αὐτὸν καὶ δειπνήσω μετ’ αὐτοῦ καὶ αὐτὸς μετ’ ἐμοῦ (sc. δειπνήσει). — Die Verheißung des himmlischen Mahles ist eine in der Sprache des Urchristentums sehr geläufige Wendung. Eine spezielle Parallele liegt vor Lk 22,16.18.29f.; Mt 26,29. Hen 62,14: „Und sie werden mit jenem Menschensohn essen, sich niederlegen und aufstehen bis in alle Ewigkeit“. Daß diese Weissagung wörtlich zu nehmen und nicht zu verflachen und zu spiritualisieren ist, bedarf wohl kaum eines weiteren Beweises. 3,21: ὁ νικῶν δώσω αὐτῷ καθίσαι[15] μετ’ ἐμοῦ ἐν τῷ θρόνῳ μου. Hen 108,12: „Ich will in ein helles Licht die hinausführen, die meinen heiligen Namen liebten, und ich werde jeden einzelnen auf den Thron seiner Ehre setzen“. Lk 22,29f.; Mt 19,28; 20,21; I Kor 6,3. Der Zusammenhang in V. 20 und 21 beweist, daß der Apokalyptiker das charakteristische Herrenwort über den Lohn seiner Jünger in der zukünftigen Welt in der Form, wie es Lk 22,29ff. überliefert ist, kannte. Dann aber ist es weiter sehr bemerkenswert, daß hier von einem Sitzen der Jünger auf dem Thron ihres Herrn, aber nicht von ihrem Sitzen auf den (zwölf) Thronen und dem Richten der Stämme Israels die Rede ist. Es ist möglich, daß die Apk hier noch den ursprünglichen Wortlaut des Herrenwortes [234] bewahrt hat, das in der Fassung des Mt und Lk doch immer wieder wegen der stark nationalen Färbung der Hoffnungsidee einen ganz singulären Eindruck macht. — Auch hier darf man die stark realistische Zukunftserwartung nicht (wie z. B. noch Dstd.) spiritualisieren. Der Apokalyptiker stellt sich die Königsherrschaft des Herrn ganz real vor, seine speziellen Anhänger denkt er geschart um die Stufen seines Thrones, dem Könige am nächsten stehend. Ob er bei diesem Bild an das tausendjährige Reich gedacht hat, läßt sich schwer sagen, namentlich nicht, ehe das kritische Urteil über die Zusammengehörigkeit unserer Kapitel mit dem ganzen der Apk feststeht. — ὡς κἀγὼ ἐνίκησα καὶ ἐκάϑισα μετὰ τοῦ πατρός μου ἐν τῷ ϑρόνῳ αὐτοῦ. Jesus verheißt also die Herrlichkeit, die er mit seinem Vater teilt, auch seinen Gläubigen vgl. 5,6; 22,1.


  1. της εκκλ. Λαοδ. s¹ Pr.; τ. Λαοδ. εκκλ. g vg.
  2. και ο αληθινος ℵC; ο αληθινος An.²⁵.
  3. > ουτως οτι a s¹ (dafür και); > ουτως 36 sa.; sed quia (quoniam) g vg. Pr.
  4. ου Min.³⁰ (nicht An.) s¹².
  5. ουτε ψυχρος ουτε ζεστος AP 17 vg. ist wohl Konformation nach V. 15; bemerkenswert ist, daß 10 g m harl. ae. Pr. Ambros. Haym. και ουτε ζεστος ουτε ψυχρος auslassen. Die Diktion würde sehr gewinnen, wenn man den ganz überflüssigen und matten Passus striche.
  6. ℵ εμειν s. o. S. 169.
  7. AC An.¹²⁴ 6. 31. 40. 48. 95 g vg. s¹² (Pr. fehlt); alle übrigen >. Das ὅτι konnte leicht als überflüssig weggelassen werden.
  8. CP An.¹²³; + ο" ελεεινος AQ Rel., verfehlte Korrektur, die im folgenden aufgegeben wurde.
  9. γυμνος – τυφλος 7. 8. 16. g m a ae. Ambr. Haym. (Pr. fehlt) ( > και τυφλος); die Lesart ist nicht ganz zu verwerfen, vgl. die im folgenden befolgte Ordnung.
  10. παρ’ εμου χρυσ. ℵAC An.¹²³ g. vg. s¹² a ae. Cypr. (Pr. fehlt) Vict.; χρυσιον παῤ εμου P Q Rel. c.
  11. κολ(λ)υριον ℵCQ Rel. g vg. Cypr.; κολλουριον AP An.³ al. κουλ(λ)ουριον An.¹(¹)² (P); auch B. Weiß zieht die ältere Form κολλυριον vor.
  12. AC (wahrscheinlich auch die meisten Übersetzungen, die jedoch εγχρισαι als Imper. auffassen s¹² m g vg. Pr.). Die Lesart εγχρισον P An.¹²³ ist eine aus falschem Verständnis der Stelle hervorgegangene Korrektur. — Die Variante ινα εγχριση Q Rel. scheint zum Zweck der Verdeutlichung der Konstruktion eingebracht zu sein, oder auch Konformation nach dem Vorhergehenden zu sein. Dabei wurde nicht beachtet, daß der Inf. hier mit Absicht wegen des folgenden ἵνα βλέπῃς gesetzt ist.
  13. ζηλευσον ℵP An. (über das Tempus beim Imperativ s. o. S. 170).
  14. > και AP An.¹²³ (nicht s¹ Pr.) g m c a ae. s² Orig. — Die schwierige und hebraisierende Lesart ist beizubehalten (gegen B. Weiß). Die Übersetzungen haben in diesem Falle eine geringe Autorität.
  15. Die Konstruktion von δοῦναι mit dem Inf. ist die gebräuchliche in der Apk (10mal), nur 9,5 und 19,8 folgt ἵνα, 11,2 u. 3 ein Hauptsatz mit καί.
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