Zum Inhalt springen

Die Musikalischen (Tucholsky)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Kurt Tucholsky
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Musikalischen
Untertitel:
aus: Mit 5 PS Seite 256-258
Herausgeber:
Auflage: 10. – 14. Tausend
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1928
Verlag: Ernst Rowohlt
Drucker: Herrosé & Ziemsen
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Aus dem Zyklus: EIN STÜCKCHEN ZU FUSS
Erstdruck in: Weltbühne, 26. Oktober 1926
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[256]
Die Musikalischen

Ich bin unmusikalisch. Wenn ich es sage, antworten die Leute mit einem frohen Gefühl der Überlegenheit: „Aber nein – das ist ja nicht möglich! Sie verstehen gewiß sehr viel [257] von Musik …“ und freuen sich. Es ist aber doch so. Musik läßt mich aufhorchen; wenn ich sie höre, habe ich ein Bündel blödsinniger Assoziationen – und dann verliere ich mich im Gewirr der Töne, finde mich nicht mehr heraus … Und um rat- und hilflos zu sein, dazu brauche ich schließlich nicht erst in eine Oper zu gehen. Gut.

Was aber die Musikalischen sind, so ist das eine eigenartige Sache mit ihnen.

Ganz vernünftige Menschen, solche mit einer Stellung oder einem Mann oder einer oder mehreren Überzeugungen – diese also fallen plötzlich in das Musikfeld ein. Gurgelnd jagen sie durch die Notenstoppeln. Was gibts –?

Plötzlich sind sie drin, und ich bin draußen. Auf einmal sind sie alle verwandt, und ich bin eine Waise. Der Name eines Dirigenten fällt: und Haß leuchtet aus ihren Augen, ihre Zähne zermalmen ein Gekeif, sie ereifern sich, Hitze bricht aus den Kühlsten – was gibts, um Gotteswillen? Sie sind eine große Familie, wenn sie über Musik sprechen, ja, sie zanken sich, wie man sich nur in Familie zankt, mit jenem kundigen Haß der Nähe, jeder Hieb sitzt, weil man weiß, wo es weh tut, sie schnattern, wirtschaften im Irrgarten ihrer Musik – was gibts? Ich weiß es nicht.

Auch ist viel Stolz in ihnen und schöne Gesinnung, weil daß sie so musikalisch sind, was sie oft mit musisch verwechseln – besonders die Frauen hassen das Gemeine, sind unentwegt edel und schweben hörbar eine Handbreit über dem Erdboden. So: „Ich bin eine Hohepriesterin der Musik, und das will ich mir auch ausgebeten haben.“

Auch zeichnen sich Musiker durch einen fühlbaren Mangel an Humor aus – das ist grauslich. Sie verständigen sich schon von weitem durch kabbalistische Terminologie; kaum haben sie sich berochen, so bricht es aus ihnen hervor, jeder hat ein [258] Klavier im Stall oder einen schwarzen Steinway-Rappen und erzählt von seinen Feldzügen auf diesen geschundenen Tieren … Stehn Sie einmal so kulturlos draußen herum, vor der Tür, so durchum und durchaus nicht dazu gehörig …

Horch! Wie sie murmeln! „Furtwängler habe ich doch noch gehört, wie er … Also von Mahler versteht er nichts, davon soll er die Finger lassen … Die Baßlage bei der Kulp ist in der letzten Zeit nicht so …“ Beschämt, zerknirscht, ein Trällerliedchen aus Palestrina auf den Lippen – so schleiche ich betrübt aufs Lavabo.

P. S. Selbstverständlich habe ich die falschen Musiker kennengelernt, Karikaturen musikalischer Menschen – Ausnahmefälle. „Denn Sie werden doch nicht leugnen, daß die Musik …“ Gute Nacht.