Die Möbel aus dem Jahre 1898
Auch solche gibt es in der ausstellung. Möbel, die ganz „stillos“ sind, möbel, die in keinem stile einer früheren zeit unterzubringen sind. Sie sind weder ägyptisch noch griechisch, weder romanisch noch gotisch, weder aus der renaissance noch aus der barockzeit. Jedermann sieht es ihnen auf den ersten blick an: es sind möbel aus dem
jahre 1898.
Das ist ein stil, der sich nicht lange halten wird. Das soll er auch gar nicht. Nur ein jahr lang dauert seine herrschaft. Dann kommt der stil vom jahre 1899 daran, der wieder ganz anders sein wird. Uns wird das nicht so recht zum bewußtsein kommen, aber die museumsdirektoren der nächsten jahrhunderte werden es schon herausfinden und richtig etikettieren.
Es gibt leute, die es sehr bedauerlich finden, daß sich unser stil nicht lange halten wird. Die gehören nach China. Dort hält sich alles jahrtausende lang. Die anderen kennen aber nur die eine lust im leben, es immer besser zu machen als der andere. Da ergeben sich die neuen formen von selbst.
Sandor Jaray und Müller segeln noch unter fremder flagge. Sie nennen ihre modernen räume englisch. Das reizende kabinett Müllers ist es auch. Man kann stimmen hören, die so etwas unpatriotisch finden. Wir haben bisher alle völker und zeiten nachgeahmt. Wir waren zufrieden, wenn unsere tischler holländisch, französisch, italienisch und spanisch arbeiteten. Die mauren, perser, inder und chinesen haben wir bis aufs i-tüpferl kopiert und waren auf die verschiedenen japanischen boudoirs [128] nicht wenig stolz. Nun frage ich: Warum um alles in der welt bekommen wir nervenanfälle, wenn es sich um englische räume handelt? Was ists mit den engländern? Warum machen wir bei ihnen eine ausnahme?
Das zimmer von J. W. Müller ist aber auch in anderer beziehung sehr bemerkenswert. Es zeigt uns, daß man mit billigen mitteln neue und originelle wirkungen erzielen kann. Reiche arbeit ist gewiß eine sehr gute sache. Man vergesse aber nicht, daß unsere kunstgewerbetreibenden nicht nur für millionäre, sondern auch für alle anderen zu sorgen haben. Einfache möbel wurden ja in den letzten jahrzehnten auch von unseren ersten firmen hergestellt. Nur stellte man sie nie aus und tat so, als ob man sich ihrer schäme. Und als hofrat von Scala in der weihnachtsausstellung auch einfache möbel zur schau stellte, da ging ein sturm der entrüstung durch unsere gewerbewelt. Es wäre aber besser, wenn diese mit dem mittelstande mehr fühlung nehmen würde als bisher. Dann würde sie am besten ihren gefährlichsten feind bekämpfen können, die imitation. Denn nicht der glaserer, der glatte, farblose fenster einschneidet, ist der feind des glasmalers, sondern der diaphanpapierfabrikant; nicht der tischler, der glatte möbel erzeugt, ist der feind des holzbildhauers, sondern der sägespäne- und leimornamentenpresser.
Sandor Jarays englisches zimmer ist nicht englisch. Ein persischer teppich in einem zimmer macht es noch nicht zu einem persischen. Ein japanischer paravent und einige dazugehörige nippes machen ein zimmer noch nicht japanisch. Eine dame von altem englischen adel, die ich in die Jaray-exposition führte, erkannte sofort sämtliche stilperioden. „This is Louis XVI., this italian, [129] this rococo, this empire! But what is that?“ – „That is english“, antwortete ich.
Das zimmer ist sicherlich nicht englisch. Das ist aber kein fehler. Es ist wienerisch. Alles atmet liebenswürdigkeit und eleganz. Uns kommts nur so englisch vor, weil eine menge englischer formen darin verwendet wurde. Das ist freudig zu begrüßen. Man verwerte alle anregungen, die von draußen kommen. Das haben die deutschen renaissancemeister auch getan. Nur die toten lasse man in ruhe.
Den stolz und den mittelpunkt der Bernhard Ludwigschen ausstellung bildet das speisezimmer, ein raum, von dem eine neue aera der wiener möbel industrie ausgehen wird. Was macht das zimmer so bedeutend? Daß der größte holzornament-bildhauer unserer zeit ihm den dekorativen schmuck verliehen hat.
Es ist ein merkwürdiges zimmer, gleichsam die wiege dieses holzschneiders. Vor dem entstehen dieses zimmers wußte noch keiner, auch er selbst nicht, was er vermag. Als Bernhard Ludwig den plan faßte – es war sechs wochen vor der eröffnung der ausstellung – ein speisezimmer aus eichenholz mit holzschnitzereien anzufertigen, war er sich der tragweite seines beginnens noch nicht bewußt. Der bildhauer, Franz Zelezny ist sein name, war ihm als tüchtiger mann wohl bekannt. Zelezny hatte bisher den ruf, die beste, stilreinste arbeit zu liefern. Aber Bernhard Ludwig wollte anderes. Er machte nur die reine tischlerarbeit und ließ den platz für die ornamente frei. „Hier, lieber Zelezny, fügen sie mir etwas hinein.“ – „In welchem stil?“ – „In ihrem stil!“
In seinem stil! Wie das dem manne in herz und mark ging. In seinem eigenen stile, so, wie er sichs stets erdacht, [130] erträumt und ausgemalt hatte, während er, der künstler, die banausenarbeit des möbelzeichners in form umwandeln mußte. Sollte es also doch dazu kommen! Und er begann. Anfangs ängstlich, nicht ganz auf seine bärenkraft vertrauend, wurde er schritt für schritt stärker und freier. Was gotik, was rokoko: hier ist die natur und nun drauf los!
„Hier ist die natur und nun stilisiere!“ wird in der schule gelehrt. Oh, diese „stilisierenden“ kunstgewerbeprofessoren! Da gibt einer ein werk heraus mit stilisierten pflanzen und tieren. Fragt man ihn, für welches material alle diese sachen stilisiert sind, so erhält man zur antwort: „Ja, die kann man ganz nach belieben verwenden.“
Das ist natürlich unsinn. Ein stilisieren in diesem sinne der zeichenlehrer gibt es nicht. Der zeichenlehrer kann allerdings stilisieren, aber nur für das reißbrett, für die fläche. Er kann ein tier, eine pflanze, einen gegenstand auf die ebene bringen. Das geht natürlich nicht so leicht. Er muß striche machen, die nicht in der natur enthalten sind, andere striche wieder auslassen. Trotzdem kann er, besonders, wenn er sich des pinsels und der leinwand bedient und zum maler wird, der natur am besten nahekommen. Das will jeder handwerker, das will jeder künstler. Der steinmetz im mittelalter fing sich einen salamander. „Warte, kerl, dich haue ich in stein aus. Als wasserspeier.“ Und er hieb drauf los. „Sieh her, bruder maler, wie fein ich den abporträtiert habe. Ist es nicht der salamander, wie er leibt und lebt?“
Der bruder maler schüttelte das haupt. Was das sehen anging, hatte er mehr übung. Das ist ja leicht begreiflich. Während der steinmetz sein auge nur ausnahmsweise zum vergleichen mit der natur gebrauchte, er, der sich das [131] gehirn damit zermarterte, dem gerechten steinmetzgrunde einen neuen grundriß abzuringen oder einen neuen vierpaß innerhalb der regel und des gesetzes zu erfinden, und dem die sezession von Rochlitz[H 1] zu denken gab, die sezession jener ungetreuen hütte, die abtrünnig wurde vom alten steinmetzbrauche, hatte der maler zeit seines lebens nur eine arbeit zu überdenken: wie er hinter die geheimnisvollen formen der natur kommen könne, die doch jeder sah und die niemand zu papier zu bringen vermochte.
Der bruder maler schüttelte das haupt. „Aber lieber bruder steinmetz,“ sagte er, „du bist im argen wahne, wenn du glaubst, daß dein werk mit dem tier auch nur die geringste ähnlichkeit hat. Sieh doch die vorderbeine! Die sind viel zu lang. Und hier der hals, und hier, und hier …“
Der steinmetz wurde böse. „Ja, wie soll ich denn das tier auf die fiale aufstützen, wenn ich ihm nicht die vorderbeine länger mache?“ Für alles hatte er eine entschuldigung, in allem gab er dem maler unrecht. Er hatte durchaus recht. So sah ers und so war es daher auch.
Man bedenke nur: Der mann hatte seit seinem vierzehnten jahre täglich zwölf stunden in der hütte gearbeitet. Was wunder, daß er die welt anders sah, als der maler. Wenn man zeit seines lebens immer nur in stein arbeitet, da beginnt man steinern zu denken und steinern zu sehen. Der mann hatte ein steinernes auge, das alle dinge versteinerte. Der mann hatte eine steinerne hand bekommen, eine hand, die alles von selbst in stein umwandelte. Unter seinem blicke, in seiner hand erhielten das akanthus-, das rebenblatt ein anderes aussehen, als [132] unter dem blicke, in der hand des goldschmiedes. Denn dieser sieht alles in gold. Und je höher ein meister steigt, desto mehr verliert er das, was ihm von der werkstatt anhaftet. Er kommt der natur immer näher und näher, bis er endlich die werkstatt überwunden hat. Die gräser, farne, käfer, schmetterlinge und eidechsen am aufsatze von Wenzel Jamnitzer in Rothschilds besitz gleichen naturabgüssen. Und so stellen sich die arbeit des handwerkers und die des künstlers als ein großer kampf zwischen material und natur dar. Der zeichenlehrer aber lehrt: „Hauptsache ist das stilisieren. Die regeln dafür werde ich in der nächsten stunde vortragen.“
Zelezny hat nicht stilisiert. Er ist der meister mit dem blick, dem alles in holz sich formt, mit der hand, die alles in holz bildet, der künstler, der nicht erst seine blumen und blätter auf dem reißbrett verstümmelt. Er schafft direkt im holz, und dadurch erhält sein ornament jene frische und jenes selbstbewußtsein, das allen werken des genius eigen ist. Das ist nicht die sklavenarbeit der antike, die imstande war, ein und dasselbe ornament, perlenschnur und eierstab, kilometerweise zu liefern; das ist die arbeit des freien arbeiters am ende des neunzehnten jahrhunderts, der aus freude an der eigenen arbeit schafft, schnell schafft und viel schafft.
Anmerkungen (H)
- ↑ [452] am beginn des 16. jahrhunderts fiel die bauhütte der sächsischen stadt Rochlitz ab und gab sich neue, eigene regeln.