Buchdrucker
Hier steht ein sessel. Dieser sessel ist ein kunstprodukt. Wenn ich den sessel male, so ist dieser gemalte sessel nur eine abbildung dieses kunstproduktes, also ein kunstwerk aus zweiter hand.
Versuchen wir dasselbe auf buchstaben anzuwenden. Buchstaben können in stein gemeißelt, in bronze gegossen, mit der feder hingeschrieben werden. Man kann mit hilfe von licht und schatten und perspektive stein- und bronzebuchstaben zu papier bringen. Das sind aber nur abbildungen von buchstaben, nicht buchstaben selbst. Die buchstaben für das papier haben keine anderen dimensionen als die der druckerschwärze.
Es gibt tischler, denen es freude macht, möbel zu verfertigen, die nur für vorlagenwerke taugen. So gibt es auch buchdrucker, die ihren stolz dareinsetzen, abbildungen von geschriebenen, gemeißelten und gegossenen worten zu schaffen. Da werden typen gewählt, die prachtvolle schatten werfen, und das ganze wird schließlich noch dadurch herausgehoben, daß es auf eine tafel gesetzt erscheint, welchen effekt rechts und unten angebrachte schattenstriche hervorrufen. Aber damit begnügt man sich nicht. Man versucht auch, reine buchdruckerarbeit nachzubilden. Da läßt man entweder ein blatt papier mit der stecknadel angeheftet oder aufgerissen oder wieder mit einem hineingeknickten eselsohr versehen erscheinen. Hier wird ein schiefgestelltes kartenblatt vorgetäuscht, so daß die buchstaben darauf perspektivisch immer kleiner und kleiner werden müssen, dort [134] wirft ein solches nachgebildetes blatt gar schatten auf das wirkliche papier. Alles immer aus zweiter hand!
Der richtige buchdrucker will aber nicht druckarbeiten nachbilden, sondern selbst der schöpfer neuer werke werden. Wenn daher von buchdruckerarbeiten gesprochen wird, wird natürlich nur von diesen talentschöpfungen die rede sein. Verschwiegen darf aber nicht werden, daß es sogar typen gibt, die gezeichnete, lithographierte und geschriebene buchstaben nachahmen. Das gehört in das kapitel der imitation.
In neuerer zeit wurde den künstlern durch die große verbreitung des plakats eine neue aufgabe gestellt. Es galt, das schwierige problem zu lösen, wie buchstaben, richtige buchdruckerbuchstaben, mit abbildungen so vereinigt werden können, daß beides zusammen ein vollendetes kunstwerk ergibt.
Die arbeit war nicht leicht. Die vereinigung zweier verschiedener techniken aus dem gebiet der graphischen kunst ist unmöglich. Man denke sich den effekt aus, den etwa eine alpenlandschaft in der gewöhnlichen ölfarbenmanier hervorrufen würde, wenn man in den blauen äther oder in den grünen see mit der üblichen druckschrift die worte hineinsetzen würde: „Alpenkräutersekt ist der beste!“ Man braucht sich das gar nicht auszudenken, man kann es ohnedies häufig genug sehen.
Da galt es nun, sich in der bildlichen darstellung den buchstaben anzuschließen. Die lithographen hatten es leicht. Cheret, der lithograph, hatte sie gelehrt, lithographierte menschen zu zeichnen. Aber für die buchdrucker war nicht gesorgt. Der mann, der das neue, das niedagewesene schaffen sollte, konnte nur ein buchdrucker sein. Er durfte nur in druckerschwärze denken können, [135] die ganze welt mußte ihm wie ein großes stück papier vorkommen, auf das der liebe herrgott mensch und vieh, hof und haus, baum und berg, himmel und stein hinaufgedruckt hat. Einer mußte es sein, der ohne zu spekulieren, vollständig naiv und aus innerstem drange heraus „gedruckte“ menschen schaffen konnte, menschen aus druckerschwärze, menschen, von denen man nie annehmen würde, daß sie ihr papier verlassen können, menschen, bei denen niemand das verlangen trägt, zu wissen, wie sie von der seite oder von hinten aussehen. Wie würde der zeichenlehrer sagen? „Stilisierte menschen.“
Ein solcher buchdrucker kam. Es ist Bradley, der amerikaner, der nun in Springfield, Massachusetts, lebt. Er ist der prototyp des stolzen, starren schriftsetzers, der nicht zuläßt, daß mit dem gedruckten buchstaben zeichnerkunststücke aufgeführt werden. Bei ihm gibts keine mätzchen, keine typen, die sich über die anderen erheben. Seine buchstaben springen nie herum. In der offizin wurde stets strenge darauf gesehen, daß die lettern eine mathematische gerade bilden. Das setzt sich fest. Luftperspektive, also den wechsel des farbtones innerhalb einer farbfläche bei zunehmender entfernung, kennt er nicht. Hier hört ein farbton auf, hier setzt der andere an. Er sieht sehr primitiv. Er sieht nur zwei farben und die farblosigkeit, die für ihn weißes papier bedeutet. Denn mit zwei „buchdruckfarben“ muß er auskommen. Aber mit diesen zwei tönen wirkt er stärker als unsere maler mit ihrem neunfarbendruck. Seine welt ist klein, klein, wie die welt des handwerks schon einmal ist. Aber in dieser welt ist er könig.
Unsere wiener drucker haben keine herrschergelüste. Sie haben sich das szepter vom maler und vom architekten [136] entreißen lassen, die natürlich in ihrer art damit umgehen. Buchdruckerarbeit können sie nicht liefern, gerade so wie ein maler wohl einen schuh malen, aber niemals machen kann. Denn, glaubt mir, die schusterarbeit ist gerade so schwer oder so leicht zu erlernen wie die anderen gewerbe alle. Der einzige grund, warum uns die maler noch keine schuhe machen, da sie sich doch schon bald aller werkstätten bemächtigt haben, ist, daß unsere füße empfindlicher sind als unsere augen. Die halten einiges aus.
Es war nicht immer so. Als die menschen noch zartere augen hatten, da verlangte man auch, daß man im lesen und denken nicht durch schlechten druck und schlechtes papier gequält werde. Man gab dem buche nach rechts, links und unten eine angemessene breite weißen papieres, damit die finger, mit denen man das buch gefaßt hält, entsprechend raum hatten. Heute muß man mitten in den druck hineintappen.[1]
Leute, die alles von einem guten buche verlangen, was man von ihm verlangen kann, werden bei uns selten auf ihre rechnung kommen. Das ist um so mehr zu bedauern, als die technische leistungsfähigkeit der wiener firmen auf graphischem gebiete in Europa unerreicht ist. Wo gibt es auf der welt eine firma wie Angerer & Göschl, von deren wichtigkeit man erst im auslande kenntnis erhält? Wir haben uns zu sehr an sie gewöhnt.
Unter den druckern ragt die druckerei von Adolph Holzhausen hervor, die allerdings nur wissenschaftliche werke druckt. Denn es ist merkwürdig: die wissenschaftlichen werke repräsentieren sich fast alle tüchtig und vornehm, während die werke der schönen literatur sich alle nur möglichen verunstaltungen gefallen lassen müssen.
Anmerkungen
- ↑ [Anmerkung von Adolf Loos 1931, siehe S. 208–209, er hat nur die Seite angegeben und die Anmerkung nicht exakt platziert.]
Jetzt, 1931, ist man schon viel weiter! Überall werden bücher gedruckt, die den breiten weißen rand innen im bund haben, was ganz sinnlos ist. Die buchstaben aber sitzen außen ganz am rande an, ja selbst die bilder stehen dort. Man kann sie nicht sehen, weil man den daumen darauflegen muß. Von den konstruktivisten bis zur Wiener Werkstätte eine front, siehe etwa das jubiläumsbuch der Wiener Werkstätte von 1928!
Über dieses jubiläumsbuch, ein machwerk, das sich selbst das urteil spricht, wäre viel zu sagen. Hier nur soviel:
1. Die ornamentik ist der von mir sehr verehrten Sonja Delauney entwendet, für bedruckte seide erfunden und dort (meiner these entsprechend, daß ein ding ästhetisch so lange halten soll, wie es physisch hält) sehr am platze.
2. An stelle des von mir bei allen meinen vorträgen zur allgemeinen erheiterung vorgezeigten und glossierten bestecks von losef Hoffmann ist ein richtigeres und normaleres abgebildet, und dabei steht, so sehe das viel geschmähte besteck der Wiener Werkstätte aus!
3. Die zitate von Peter Altenberg könnten den eindruck erwecken, daß P. A. ein verehrer der Wiener Werkstätte gewesen ist, und sollen das vielleicht auch. Aus seinen werken kann man aber herauslesen, daß er der größte und ehrlichste feind der Wiener Werkstätte war.