Die Heimath in der neuen Welt/Zweiter Band/Achtzehnter Brief
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Endlich, meine liebe Agathe, habe ich einen Augenblick Ruhe und kann mit Dir plaudern; aber es ist mir schwer geworden, in der freundschaftlichen Stadt der „Freunde“ diese Ruhe zu finden.
Charleston verließ ich am 15. dieses, auch hier, wie an andern Orten, mit Geschenken, sowie mit unendlich vieler Güte und Freundlichkeit überhäuft. Aber ach, wie wurde ich nicht in den letzten Tagen in der Stadt herumgejagt, wie müde machte mich nicht die Arbeit eines unaufhörlichen Gesellschaftslebens! Den letzten Abend in Carolina brachte ich damit zu, daß ich in Gesellschaft eines lebhaften kleinen Astronomen, Mr. Gibbs (er ist der Bruder des gefälligen Naturforschers in Columbia), von der heimischen Piazza aus den Sternenhimmel betrachtete. Die drei großen Constellationen, der Scorpion mit seinem feuerrothen Herzen (Antares), der Schütze und der Steinbock sammt der südlichen Krone (unbedeutend) standen klar am südlichen Himmel, und das Zodiakallicht warf seinen weißen Schein zur Milchstraße hinauf. Wir richteten das Teleskop auf ein Nebelbild in derselben und dann auf denjenigen Theil der Milchstraße, wo unsere Erde sich befindet, verloren in der Unermeßlichkeit des Universums wie ein Infusionsthierchen im Meer. Aber ich kann jetzt dieses Verhältniß sehen, ohne daß es mich niederdrückt und unruhige Gedanken in mir hervorruft. Oersteds Schrift „über die Vernunfteinheit im ganzen Universum,“ und die Gründe, auf welche er baut, haben mir das Gefühl der Heimathlichkeit in diesem Universum gegeben und mich zur Weltbürgerin gemacht. Das ganze Universum ist mir jetzt nur des Menschen eigene Welt und Heimath. Die Nacht war sehr finster, aber die Sterne um so klarer, obschon sie nicht wie bei uns leuchten und auch nicht so groß scheinen. Die Luft war voll von Wohlgerüchen und so ruhig, daß man die Ruderschläge und Gesänge auf den Booten der Neger vom Fluß her hörte. Erst um halb ein Uhr begab ich mich zur Ruhe. Tags darauf nahm ich Abschied von meiner guten und geliebten Heimath im südlichen Carolina. Meine gute Mrs. Howland verpflegte mich schwesterlich-mütterlich bis zum letzten Augenblick. Mein Armkörbchen wurde mit schönen Früchten, Apfelsinen und Bananas gefüllt, welche sie von ihrer Obsthändlerin zum Geschenk erhalten hatte, einer hübschen Mulattin, die ihr Kopftüchlein immer auf eine ausnehmend pittoreske Art knüpfte, und deren Porträt ich in mein Album gezeichnet habe; und der alte Romeo beschenkte mich mit Blumen. Nachmittag halb 4 Uhr begab ich mich an Bord des Dampfschiffes „Meeradler.“ Die Compagnie in Philadelphia und Charleston[WS 1], welcher das Schiff gehört, schenkte mir ein Freibillet bis nach Philadelphia, ein Geschenk von 20 Dollars, das man nicht auf eine artigere Weise hätte anbringen können.
Am ersten Tag, den ich an Bord zubrachte, war die Hitze kochend. Luft und Meer waren still, gleich als wäre der Wind gestorben. Und nun begriff ich, daß man vor Hitze sterben kann. Eine Menge Spanier aus Kuba, die sich an Bord befanden, gewährten mir einen kurzweiligen Anblick durch ihre eigenthümliche Physiognomie und ihr Wesen, das dem der Amerikaner so gänzlich ungleich ist. Die Lebhaftigteit der Geberden, die stark accentuirte, melodische Sprache, die Eigenthümlichkeit der Gesichtszüge scheinen auf einen bedeutenderen Volksstamm, als der angelsächsische ist, hinzudeuten, und gleichwohl verhält es sich nicht so, wenigstens nicht in der gegenwärtigen Zeit. Die Spanier, besonders in dieser Hemisphäre sollen in Bezug auf menschliche und wissenschaftliche Bildung weit unter den Amerikanern stehen. Man sagte, ein Theil dieser Spanier entfliehe aus Furcht vor der Untersuchung, welche der mißlungene Raubzug des Generals Lopez gegen Kuba jetzt auf der Insel veranlasse; andere reisten nach New-York, um Aerzte zu befragen, oder dem tropischen Sommer zu entfliehen; ein junges Paar aus vornehmer Familie, nahe Verwandte, fuhr hin, um sich trauen zu lassen, da, wie man sagt, das spanische Gesetz einer Verbindung zwischen nahen Anverwandten Hindernisse in den Weg legt, und das mit Recht, weil ihre Kinder oder Kindeskinder oft blödsinnig oder auf die eine oder andere Art verunglückte Wesen sein sollen. Der junge Bräutigam war recht hübsch, sah aber spanisch hochmüthig und launisch aus. Die Braut und ihre Schwester waren jung und schön, aber etwas zu rund. Ein alter „Conte“ pustete in sichtbarer Brustwassersucht und wurde von einem Neger mit der größten Zärtlichkeit verpflegt. Kleine Kinder fielen mir ganz besonders auf durch ihr lebhaftes Geberdenspiel und Geplauder. Die Meerfahrt war ruhig und im Ganzen angenehm. Ein gefälliger junger Mr. Linton, aus der Stadt der Freunde, sorgte für mich mit ritterlicher Artigkeit. Das Meer sandte uns Schaaren von fliegenden Fischen als Schauspiel auf der Fahrt, und Pelikane mit ungeheuern Schnäbeln schwangen sich, auf Raub lauernd, über die Wogen; ein großer Wallfisch, gleich uns auf der Reise durchs Meer begriffen, ließ uns verschiedene schöne Wasserkünste sehen. Die Fahrt den Delaware hinauf, am Dienstag Morgen, war trotz des nebligen Wetters unendlich angenehm. Aber der Nebel hob von Zeit zu Zeit wieder seine schweren Draperien, und ließ dann hellgrüne Ufer von idealischer Schönheit sehen, mit Hügeln, schönen Bäumen, Landhäusern, waidenden Thieren, und einen ganz andern Charakter der Natur, als ich bis jetzt im Süden gefunden hatte. Bei Philadelphia kam der artige Professor Hart mir entgegen und holte mich in seine Wohnung ab. Und da bin ich die ganze Zeit über gewesen, und da bin ich auch jetzt an Seele und Leib in Anspruch genommen von dem Staats- und Gesellschaftsleben, sowie von vielem Interessanten, mitunter aber auch recht Mühsamen.
Die Quäcker — die „Freunde,“ wie sie hier gewöhnlich genannt werden, sind ausnehmend freundlich gegen mich, nehmen mich bei der Hand, nennen mich Friederike und Du, und führen mich in schönen Wagen umher, um alles Merkwürdige und Hübsche, sowohl in als außer der Stadt zu sehen. Und welch große und gute Anstalten sind nicht hier für das allgemeine Beste vorhanden! Das Herz erweitert sich, wenn man sie betrachtet und den Geist sieht, in welchem sie gehalten werden. Man muß hier nothwendig sehr staunen über den Contrast zwischen dem Sklavenstaate und[WS 2] dem freien Staat, zwischen dem Staat, dessen Princip[WS 3] die Selbstsucht, und dem Staat, dessen Princip die Menschenliebe ist, zwischen dem Staat, wo die Arbeit Sklaverei, und dem Staat, wo die Arbeit frei und eine Ehre der Freien ist. Und hier, wo man weiße Weiber vor ihren Hausthüren fegen sieht, wie ist nicht Alles so wohlgehalten, so zierlich und blühend, sowohl in der Stadt, als auf dem Land! Und diese öffentlichen Anstalten, diese Blumen der Menschenliebe — — ach! die Prachtgärten der Natur and das Paradies sind duftlos gegen[WS 4] sie, stehen hinter diesen Wohnungen, diesen Asylen für die Kindheit, für unglückliche und alte Leute eben so weit zurück, wie der Vorhof hinter dem Allerheiligsten.
Ich konnte nicht umhin, ich mußte Freudenthränen weinen, als ich dieser Tage in dem großen Philadelphia daß Narren-Asyl besuchte, so gros und so edel erschien mir hier das Menschenherz, dessen Wirken und Sorgen sich in Allem verräth.
Die Anstalt liegt in einem großen schönen Park, mit schattigen Gängen, Lauben und Gärten. Der ganze Park ist von einer Mauer umgeben, die jedoch so tief unter den Hügeln liegt, daß sie vom Park oder vom Hause aus nicht gesehen wird, und die armen Gefangenen sich vollkommen frei glauben können. Es ist hier auch[WS 5] ein schönes Museum mit ausgestopften Vögeln und andern Thieren, Schnecken- und Mineralien-Sammlungen, wo die Geisteskranken sich zerstreuen und Belehrung holen können. Denn Arbeit und Zerstreuung sind die hauptsächlichsten Mittel, wodurch man hier auf die Besserung des Zustandes dieser Unglücklichen wirkt. Deßhalb werden zwei bis dreimal in der Woche in einem großen Saal, wo die Geisteskranken auf Bänken sitzen, Vorlesungen über verschiedene Gegenstände gehalten. Sie versammeln sich oft auch zu gemeinschaftlichen Vergnügungen, als Concerten, Bällen u. s. w. Mehrere Arten von Spielen, wie z. B. Billard, Fortuna und andere finden sich ebenfalls im Hause vor. Ueberall hörte ich Musik. Die Musik ist für die Narren ein besonders wirksames Heilmittel. Manche spielten ausgezeichnet gut Klavier. Man zeigte mir ein älteres Frauenzimmer, das im Zustand vollkommenen Wahnsinns hieher gebracht worden war. Man gab ihr ein Klavier und veranlaßte sie, ein einfaches Stückchen zu spielen, daß sie in ihrer Kindheit gespielt hatte. Allmälig war die Erinnerung an mehrere Stücke in ihr erwacht, bis ihre ganze Kindheitsmusik für sie neues Leben gewann, und mit ihr, wie es schien, auch die Welt ihrer Kindheit. Sie spielte mir vor und ging mit sichtbarem Vergnügen[WS 6] von einem kleinen Stück auf das andere über, und dabei wurde ihr Gesicht so lieblich und unschuldig heiter, wie das eines glücklichen Kindes. Sie wird vermuthlich nie wieder vollkommen gesund und stark an Seelenkräften werden; aber sie lebt jetzt ein glückliches, harmloses Leben in der Musik aus ihren Kinderjahren.
Mehrere Frauenzimmer, besonders die jüngeren beschäftigten sich damit, künstliche Blumen zu machen, und schenkten mir ihrer verschiedene, die sehr gut gearbeitet waren. Die Männer beschäftigen sich viel mit Landarbeit und Gartenbau. Eine Bruderstochter des großen Washington war hier, eine schöne alte Dame, deren Gesichtszüge merkwürdig dem Präsidenten gleichen, und die eine würdevolle, vornehme Art zu sein hat. Sie war sehr blaß, und man sagte, sie sei mehr schwach als eigentlich gemüthskrank. Die Menge schöner, lebendiger Blumen, zumal Rosen, war außerordentlich, und auch die unheilbaren[WS 7] Kranken finden sich, wenn sie einen Augenblick zum Verstand kommen, von Rosen umgeben. Während mein Begleiter, ein gefälliger und humoristischer Quäcker, einer der Direktoren der Anstalt, mit großer Aufmerksamkeit und sichtbarer Theilnahme den Mittheilungen einer alten Frau über ihre wichtigen Geschäfte in Jerusalem lauschte, flüsterte eine andere mir ironisch zu: — „Ein prächtiger Ort das hier, nicht wahr? just ein Paradies, finden Sie nicht auch?“ — Dann fügte sie scheu und leise hinzu: „Es ist eine Hölle! ich versichere Sie! Hier geschehen entsetzliche Dinge!“ Ach, die armen Unglücklichen können wohl nicht immer blos mit Musik und Blumendüften behandelt werden, und man muß manchmal zu Zwangsmitteln greifen. Genug, daß die erstgenannten Mittel überwiegend sind — die vielen Geisteskranken, die hier geheilt werden, zeugen davon — und daß die letzteren so wenig und so gelind als möglich angewendet werden. Ein junger Militär von gutem Aussehen sagte zu mir : „Ach, ich sehe, daß Sie gekommen sind, mich zu befreien, und wir werden Arm in Arm zusammen aus diesem Gefängniß gehen.“ — Er fügte hinzu: „Sagen Sie mir, wenn Sie eine Schwester hätten, die Sie über Alles in der Welt liebten, und man Sie[WS 8] eingesperrt hielte, damit Sie nicht zu ihr kommen könnten, wie würde Ihnen das gefallen?“ — Ich antwortete, wenn ich unwohl wäre und müßte eine Zeitlang meine Gesundheit pflegen, so würde ich mich in Geduld darein ergeben. — „Ja, aber ich bin gesund,“ sagte er, „ich bin ein Bischen unwohl gewesen, der Kopf ein wenig angegriffen, wie sie sagen, aber ich bin jetzt wieder ganz gut, und diese Menschen da sind sicherlich verrückt, weil sie das nicht sehen können, sondern eigensinnig darauf beharren mich hier zu behalten.“
Diese Aehnlichkeit haben die Narren gewöhnlich mit klugen Leuten, daß sie sich immer für klüger halten als alle andere. Mein junger Oberst war offenbar noch immer ein angegriffener Kopf und begleitete uns unter warmen Ausdrücken zu Gunsten der Damen.
Das Collegium Girard ist eine große Schule, um
mittellose Knaben zu geschickten Handwerkern aller Art
heranzubilden. Ein in Amerika naturalisirter
Franzose, Namens Girard, bestimmte sein ganzes großes
Vermögen zur Einrichtung dieser Schule. Das noch
nicht ganz ausgebaute Haus von weißem Marmor, eine Nachbildung des griechischen Minervatempels, hat
ungeheure Summen gekostet, und Mancher mißbilligt
die Verschwendung derselben an das äußere Prachtwerk,
wodurch das wesentliche gute Werk in den Hintergrund
gedrängt wird. Nur ungefähr hundert Knaben befanden
sich noch in der Anstalt. Die Vorliebe der Amerikaner
für die Tempelgestalt in ihren Bauten ist auffallend.
Ich für meinen Theil habe nichts dagegen, wenn
auch die Anwendung von Kolonnaden und andern
Zierrathen hier zuweilen im Verhältniß zur Idee des
Gebäudes, besonders bei einzelnen Häusern, übertrieben
wird; denn das beweist doch, daß das Volksbewußtsein
weit über dem Stadium steht, wo die Wohnung blos
eine Unterkunft für den Körper ohne weiteren Sinn
ist. Es will, daß die Wohnung des Menschen auch
symbolisch von seiner Seele und seinem Emporstreben
zeugen soll. Und sieht man ein recht großes und prächtiges
Gebäude, gleich einem griechischen Tempel oder
einem Pantheon, oder einem gothischen Schloß, so kann
man gewiß sein, daß das keine Privatwohnung,
sondern ein öffentliches Institut ist, entweder eine Akademie,
oder eine Schule, oder ein Kapitol, oder — ein
Hotel.
Herr Girard hat in seinem Testament ansdrücklich verordnet, daß in seinem Institut der Jugend kein Religionsunterricht ertheilt werden dürfe, und unter den Lehrern oder Direktoren der Anstalt befindet sich kein Religionslehrer. Aber so klar ist dieses Volkes Blick über das Verhältniß der Religionslehre zum Menschen und zur Gesellschaft, und so stark seine Anhänglichkeit daran, daß es immer einen Ausweg findet, um dergleichen Verbote zu umgehen. Und, obschon man hier die Anordnung des Erblassers in Betreff der Anschließung des Religionslehrers und des Religionsunterrichts befolgt, so wird doch jeden Morgen im Girard College, wie in andern amerikanischen Schulen ein Kapitel aus dem neuen Testament der versammelten Schuljugend vorgelesen, bevor sie an die Arbeit des Tages geht. Herr Girards Bildsäule in weißem Marmor steht in einer der prächtigen Gallerien des Schultempels. Sie ist eine vortreffliche Arbeit als treues Bild eines einfachen bürgerlichen Mannes in bürgerlicher Kleidung. Eine höchst prosaische Figur ohne alle Idealisirung dargestellt, und angenehm anzuschauen durch ihre kraftvolle Wirksamkeit, obschon sie sonst beinahe als etwas nicht hieher gehöriges in dem schönen Tempel steht. Denn Adel und Schwung werden in dieser Gestalt gänzlich vermißt.
Ich muß Dir auch vom Zuchthaus in Philadelphia erzählen. In der Mitte der großen Rotunde, zu welcher die großen Gänge mit den Gefängnißzellen führen, wie Radien zu einem gemeinschaftlichen Mittelpunkt, saß in seinem Lehnstuhl bequem und behaglich in hellgelbem Rock, mit großen Knöpfen und breitkrämpigem Hut, Mr. Scattergood, einer großen Spinne gleich, welche die in ihrem Gewebe gefangenen Fliegen beobachtet. Aber nein, dieses Gleichniß paßt nicht gut auf die Sache und den Mann, einen freundlichen alten Herrn von ganz klugem und humanem, humoristischem Aussehen. Einen angenehmeren Wächter könnte man sich wirklich nicht denken. Er begleitete uns in die Gefängnißzellen. Die Gefangenen leben hier ganz allein ohne Gemeinschaft mit ihren Mitgefangenen ; aber sie dürfen arbeiten und lesen. Die Bibliothek war bedeutend und enthielt außer religiösen Büchern naturwissenschaftliche Schriften und Reisebeschreibungen, wie auch schönwissenschaftliche, gut ausgewählte Werke. Nicht mit filziger Hand werden die Samen edlerer Bildung für die Kinder des Gefängnisses ausgestreut, für diejenigen, „die im Finstern sitzen.“ Der Geist der neuen Welt ist nicht ängstlich oder knigerig und er fürchtet nicht zu viel zu thun, wenn er Gutes thun will. Er sieht blos darauf, daß er die rechte Art wählt, und er geht dann mit reichem Herzen und reicher Hand zu Werk. Ich habe oft gedacht, daß schöne Erzählungen, Züge aus dem menschlichen Leben, gute Biographieen, insbesondere von Verirrten, die sich gebessert haben, von Gefangenen, die freie und tugendhafte Mitglieder der Gesellschaft geworden, nützlicher auf die Gemüthsstimmung und Herzen der Gefangenen wirken würden, als Predigten und Religionsbücher, natürlich immer die Bücher des neuen Testaments ausgenommen; und ich habe deßhalb sehr gewünscht, selbst etwas in dieser Richtung zu thun. Hier wurde mein Glaube bestärkt durch das, was Freund Scattergood mir sagte. Neulich hatte er einen Gefangenen besucht, der wegen seiner harten, halsstarrigen Gemüthsart bekannt war und dieselbe in einer schon mehr als ein Jahr dauernden Gefangenschaft immer bewiesen hatte; aber diesen Morgen hatte er ganz verändert, ganz mild und beinahe weich geschienen. „Wie ist es heute?“ fragte der Quäcker, „Sie sind sich selbst gar nicht gleich. Was ist los?“ Hm, — ich weiß nicht, wie es kommt,“ antwortete der Gefangene, aber dieses Buch da …“ und er zeigte halb ärgerlich auf ein Büchlein mit dem Titel „Die kleine Johanna“ … „hat mich ganz wunderlich gestimmt. Schon manche Jahre habe ich keine Thränen vergossen, aber diese Geschichte da! und er wandte sich ab, verdrießlich darüber, daß die dummen Thränen wieder seine Augen verfinstern wollten bei dem Gedanken an diese Geschichte da. So hatte die Erzählung von dem schönen Leben eines Kindes das harte Sünderherz mürbe gemacht. Der Mann hatte nämlich einen Mord begangen.
Ein junger Gefangener, der jetzt bereits zwei Jahre im Kerker gesessen, hatte bei seiner Ankunft weder lesen noch schreiben können und nicht die mindeste Religionskenntniß gehabt. Jetzt schrieb er eine vortreffliche Hand und das Lesen war sein größtes Vergnügen. Er sollte jetzt bald das Gefängniß verlassen, und zwar verließ er es als ein kenntnißreicher und besserer Mensch, als er bei seiner Ankunft gewesen war. Seine Gesichtsbildung deutete eine rohe Natur an, aber er hatte jetzt einen sehr guten Ausdruck und seine Stimme und Worte verkündeten die Verwandlung der Natur. Ein anderer Gefangener hatte mit artistischem Sinn seine Zelle ausgemalt und eine Laube in den Gang gepflanzt, wo er einmal des Tages frische Luft schöpfen durfte.
Alle Gefangene erhalten einmal des Tags diese Erquickung in einem Gang, der strahlenartig von dem Gefängniß ausgeht und von den andern Gängen durch eine hohe Mauer abgesondert ist. Der da sich ergehende Gefangene sieht blos die Erde und den Himmel. Freund Scattergoods Anblick war offenbar eine frohe Erscheinung für alle Gefangene. Sie sahen in dem Freund ganz deutlich ihren Freund und sein gut gelauntes kluges Aussehen versetzte sie auch in gute Laune. Ein junges Frauenzimmer, welches das Gefängniß bald verlassen sollte, erklärte, sie gehe ungern, weil sie Mr. Scattergood nicht mehr zu sehen bekommen werde.
In den Zellen der weiblichen Gefangenen (unter ihnen waren ein Paar Negerinnen) sah ich frische Blumen in Gläsern. Ihre Schließerin hatte sie ihnen gegeben. Alle lobten das Weib. Ich verließ dieses Gefängniß weit erbauter, als ich manchmal aus der Kirche ging.
Freund Scattergood sagte mir, die Zahl der Gefangenen habe sich seit Anlegung des Gefängnisses nicht vermehrt, sondern erhalte sich ungefähr gleich, was sehr erfreulich ist, da die Bevölkerung der Stadt in dieser Zeit bedeutend zugenommen hat und mit jedem Jahr zunimmt. Minder erfreulich und verheißungsreich für die Macht des Systems ist die Thatsache, daß nicht selten dieselben Gefangenen wegen derselben Art von Verbrechen wiederkehren. Aber dieß ist natürlich, Fehler, die so viele Jahre zur Gewohnheit geworden sind, lassen sich nicht leicht ablegen; alte Verbrecher lassen sich nicht leicht bessern. Auch ist die Hoffnung der neuen Welt nicht in den Gefängnissen zu suchen, sondern in den Schulen und mehr noch in den Häusern, wenn alle Häuser das sind, was sie sein sollen und was bereits mehrere sind. Zwei „houses of refuge,“ Asyle für verwahrloste Knaben scheinen mir glücklich angelegte und gut verwaltete Anstalten zu sein. Die Knaben hier, sowie die in der großen Anstalt in Westboro (Massachusetts) für dieselben Zwecke (ich besuchte sie verwichenen Herbst auf meiner Reise mit Springs) werden nach demselben System behandelt. Sie werden nur wenige Monate in diesen Anstalten behalten, bekommen einen gewissen Unterricht und etwas Disciplin, dann werden sie in guten Häusern auf dem Lande untergebracht, mehr westlich, was für alle arbeitsfähige Wesen ein guter Platz ist.
Das Matrosenhaus, eine von Privatpersonen errichtete Anstalt, um den Seeleuten von allen Nationen während ihres Aufenthalts in der Stadt für billigen Preis eine gute Wohnung zu besorgen, besuchte ich mit Mrs. Hale, — der Verfasserin Mirjams — einer Dame, die eine prächtige Denkerstirn und ein offenes gemüthliches Wesen hat. (Sie beschäftigt sich jetzt mit der Herausgabe eines Buchs über die Stellung der Frauen in der Gesellschaft; sie ist jedoch nach meinem Dafürhalten in der Tendenz etwas zu freisinnig.)
Unter den öffentlichen Anstalten, die ich besucht habe, erbaute mich am wenigsten das große Armenhaus von Philadelphia, ein ungeheures Institut von ungefähr dreitausend Personen, das der Stadt unerschwengliche Summen kostet und seinem Zweck unmöglich gut entsprechen kann. Alles muß hier zu fabrikmäßig getrieben werden, das Individuum verliert sich in der Masse und kommt nicht zu seiner gebührenden Schätzung. Der Faule bekommt ebensoviel wie der Lahme und Blinde, und der letztere kann die besondere Pflege, deren er bedarf, nicht erhalten. So kam es wenigstens mir vor. Auch schien der pflegende Geist hier nicht so edelmüthig und sorgsam, wie bei den andern Anstalten, und ich vermißte Ruheplätze unter dem freien Himmel mit Bäumen und grünen Feldern und Blumen für die Alten. Der kleine Hof mit einigen Bäumen war gar zu unbedeutend. Im Uebrigen zeichnet sich diese Anstalt durch die Ordnung und Reinlichkeit aus, die sich in allen öffentlichen Anstalten der neuen Welt verräth. Große, helle Säle und rundum in ihren Mauern kleine finstre Zimmer, als Nischen der Zellen angebracht, worin die Alten ihre Schlafstätten haben, und somit jeder sein eigenes Stübchen besitzt, mit offener Thüre zu dem gemeinschaftlichen Saal, wo ein eiserner Ofen Wärme für Alle verbreitet — so schien mir die herrschende Anordnung der Zimmer für die Bewohner zu sein. Und dies ist wahrhaftig gut, da die Alten auf solche Art, so oft sie wollen, allein sein und ebenso, wenn sie wünschen, Gesellschaft und Bücher in einem hellen, warmen Saale mit Tischen und Stühlen oder Bänken genießen können.
Ich habe noch von mehreren guten Einrichtungen hier in der Stadt sprechen gehört und hoffe sie noch besuchen zu können. Ueberal sind die Quäcker als Gründer oder Direktoren dabei, und in Allem bemerkt man den Geist der Menschenliebe, der Pennsylvaniens ersten Gesetzgeber, den Gründer Philadelphias, William Penn, belebte; und je mehr ich von den Quäckern sehe, um so besser gefallen sie mir. Die Männer haben etwas Kluges und Humoristisches, etwas Sicheres und trocken-Spaßhaftes, was im höchsten Grad anspricht, und sie erzählen gerne gute Geschichten, gewöhnlich zur nähern Beleuchtung des Friedensprincips, und um zu zeigen, wie gut dasselbe und menschliche Klugheit zusammengehn, und wie siegreich sie aus dem Kampf mit der Welt hervorschreiten. Christliche Liebe zeigt sich bei ihnen mit einiger unschuldigen weltlichen Schlauheit vermischt, und das stille Wesen hat viel feines Salz auf seinem Grunde.
Die Weiber gefallen mir besonders wegen des Stillen, Fertigen in ihrem innern und äußern Wesen, wie ich bereits bemerkt habe; ihr Ausdruck ist verständig, man hört keine unverständige Fragen und bekommt unter ihnen manche bedeutende Gesichter mit schönen Augen, reinen Zügen und klarer Farbe zu sehen.
Das Interesse der Quäckerinnen für vaterländische Angelegenheiten, besonders wenn sie die menschlichen Fragen betreffen, ist ebenfalls ein Zug, der sie vor der Masse der Frauenzimmer auszeichnet. Die Quäcker sind zu allen Zeiten die besten Freunde der Negersclaven gewesen, und die aus den Sclavenstaaten entflohenen Sclaven haben gegenwärtig ihre mächtigsten Beschützer und Fürsprecher unter den Freunden. Mehrere Quäckerinnen zeichneten sich durch Rednertalent aus und sind in öffentlichen Versammlungen oft aufgetreten, irgend eine Sache der Humanität kräftig verfechtend. Im gegenwärtigen Zeitpunkt führen sie die Sache der Antisclaverei, und eine berühmte Rednerin derselben, Lucretie Mott, war dieser Tage unter meinen Gästen. Sie ist ein schönes Weibchen von etlichen und fünfzig Jahren, mit feinen Zügen, prächtigen Augen und einem sehr klaren, stillen, aber bestimmten Wesen — kristallartig möchte ich sagen.
Gestern am Johannistag besuchte ich die alte schwedische Kirche dahier. Denn Schweden waren die ersten Ansiedler am Delaware-Strom, vom Trentonfall bis zum Meer, und von ihnen kaufte William Penn den Boden, wo Philadelphia jetzt steht. Unser großer Gustav Adolph war es, der nebst Oxenstierna den Plan zu einer schwedischen Kolonie in der neuen Welt entwarf, und der König verbürgte sich selbst mit einer Summe von 400,000 Reichsthalern aus der königl. Schatzkammer für die Förderung derselben. Personen aus allen Ständen wurden zur Theilnahme an dem Unternehmen eingeladen. Die Kolonie sollte von freier Arbeit leben. „Sclaven, sagte man, kosten viel und arbeiten mit Widerwillen. Das schwedische Volk ist arbeitsam und verständig, und wir werden sicherlich durch ein freies Volk mit Weib und Kindern mehr gewinnen.“ Die Schweden erblickten in der neuen Welt ein neues Paradies, und glaubten, die zukünftige Kolonie könnte ein sicheres Asyl für Weiber und Töchter Derjenigen werden, welche durch Religionsverfolgung oder Krieg landflüchtig geworden, ein Segen für Einzelne und für die ganze protestantische Welt. „Sie dürfte der ganzen unterdrückten Christenheit nützlich werden können," sagte der große König, der in seinen Plänen für Schwedens Ehre immer das Wohl der Menschheit mit im Auge hatte.
Unter Oxenstierna's Leitung wurde dieser Plan nach dem Tod des Königs ausgeführt. Dem südlichen Ufer des Delaware entlang wurde Land aufgekauft und mit schwedischen Auswanderern bevölkert. Die Kolonie nannte sich Neuschweden, und genoß einige Zeit ein blühendes Leben und steigendes Ansehen, trieb Ackerbau und andere friedliche Gewerbe und baute zur Vertheidigung gegen die Holländer, welche die nördlichen Ufer des Delaware inne hatten, die Festung Christiana. Die Seelenzahl der Schweden belief sich indeß nicht höher als auf 700 Köpfe, und als Streitigkeiten mit der mächtigeren Kolonie Neu-Niederland entstanden und der schwedische Gouverneur Rising die holländische Festung Casimir angriff, da rãchten sich die Holländer, überrumpelten die schwedische Kolonie mit Uebermacht, und so mußte sie untertauchen. Der Name der schwedischen Waffen hatte auf der andern Seite des Oceans aufgehört Achtung einzuflößen; die Schweden blieben trotz ihrer Protestation unter fremder Gewalt. Das Verhältniß zum Mutterland hörte völlig auf. Und nachdem der zuletzt ausgewanderte schwedische Geistliche Collin vor einigen Jahren in hohem Alter gestorben, wird die sogenannte schwedische Gemeinde und Kirche von einem amerikanischen Priester versehen. Mr. Clay, der gegenwärtige Geistliche, hatte mir zu lieb in seinem Haus alle Abkömmlinge der ersten schwedischen Ansiedler, von denen er wußte, versammelt. Es war eine Versammlung von 50 bis 60 Personen und ich schüttelte vielen recht angenehmen Leuten, die aber außer den Familiennamen, von denen ich manche wieder erkannte, durchaus nichts Schwedisches hatten, die Hände. Aber Erinnerungen an ihre Hieherkunft hatten sie nicht, und Sprache, Aussehen, Alles war vollkommen mit dem jetzt herrschenden angelsächsischen Volksstamm verschmolzen. Nur der Glöckner der Kirche hatte etwas recht schwedisch Glöcknerartiges in seinem Aussehen und hieß Jochum.
Die Kirche, ein schönes und solides kleines Gebäude aus Ziegelsteinen, war blos in ihrem Aeußern alt. Inwendig war sie neu und recht zierlich. Ein großes Buch lag aufgeschlagen auf einer Art höherem Notenpult mitten in der Kirche, und man las darin in großen, aber durch die Reparatur etwas verdorbenen, Buchstaben folgende Worte: „Leute, die im dunkeln Lande wohnen, haben ein großes Licht gesehen!“
Diese Inschrift nebst der alten Kirche und Familiennamen, die ich auch auf den Grabsteinen des Kirchhofs las, war Alles, was auf der Ostküste der neuen Welt von Neuschweden übrig blieb. Doch nein, nicht Alles. Eine friedliche, edle Erinnerung davon besteht noch und lebt in den Blättern der Geschichte fort als eine Episode von idealischer Reinheit und Frische. Die Pilger Neuenglands hatten ihre Erde durch Grausamkeit gegen die Indianer mit Blut befleckt. Die schwedischen Pilger waren in der Behandlung dieser Leute so gerecht und klug, daß in der ganzen Zeit, so lang die schwedische Herrschaft auf dieser Küste währte, nicht ein Tropfen Indianerblut von ihnen vergossen wurde, daher die Indianer sie auch liebten und „unser eigenes Volk“ nannten. „Die Schweden sind ein gottesfürchtiges Volk,“ sagt der Chronikschreiber jener Zeit; „sie sind arbeitsam, begnügsam und den Bräuchen und Sitten des Mutterlandes sehr ergeben. Sie leben von Ackerbau und Viehzucht; die Weiber sind sittsam, sie spinnen und weben, verwalten das Haus und erziehen ihre Kinder gut.“ William Penn, in einem Brief an die Londoner Handelsleute, vom 6. Aug. 1683, schreibt folgendermaßen von ihnen:
Schweden und Finnen bebauen die Gegenden am Delaware-Fluß, wo das Wasser hoch steigt. Sie sind ein einfaches, kräftiges und arbeitsames Volk, scheinen aber in Kultur und Pflanzung nicht weit voranzukommen. Es scheint ihnen mehr daran zu liegen genug zu haben, als Ueberfluß zu bekommen oder Handel zu treiben. Ich muß ihren Gehorsam gegen die Obrigkeit und ihr herzliches Verhalten zu den Engländern rühmen. Sie arten von der alten Freundschaft zwischen den beiden Königreichen nicht ab. Da sie ein körperlich kräftiges und gesundes Volk sind, so haben sie schöne Kinder. Es ist selten eine Haushaltung ohne 3 bis 4 Jungen und ebenso viele Mädchen zu sehen; einige haben 6, 7 und 8 Söhne. Und ich muß ihnen die Gerechtigkeit widerfahren lassen zu sagen, daß ich wenige junge Männer nüchterner und fleißiger sehe.“
So sprechen die ältesten Zeugnisse von der alten schwedischen Kolonie. Sie sind in den Geschichtsbüchern zu lesen und die alte schwedische Kirche steht noch. Eine neue schwedische Kirche erhebt sich jetzt westlich im Missisippithal. Ich hätte große Lust sie zu sehen!
Gestern besuchte ich auch Franklins Grab und flocht Klee und andere Wiesenblumen zu einem Kranz auf dasselbe. Franklin gehört zur Gruppe glücklicher Männer, welche die Helden des Friedenslebens und die stillen Wohlthäter des Menschengeschlechts sind. Er war der dritte Mann in dem großen Triumvirat (Fox, Penn, Franklin), das in der neuen Welt die Herrschaft des Friedensprincips gründete, und der erste Mann im Kampf der Presse für die Gedankenfreiheit des Volks und für die Selbstständigkeit Amerika's.
Franklin mit seinem stillen Wesen, seinen einfachen Sitten, seinem freien Forscherblick, den er stets auf die einfachsten und allgemeinsten Gesetze aller Dinge und Wesen gerichtet hielt, Franklin, „der mit dem Donner wie mit einem Bruder spielte, und ohne Geräusch und Getöse den Blitz aus der Wolke herabnahm,“ Franklin mit seiner praktischen Lebensphilosophie (die indeß mehr in die Breite, als in die Tiefe ging), mit seiner großen Arbeitsamkeit und seinem gemüthlichen Humor, erscheint mir als ein vortrefflicher Vertreter des eigenthümlichen Charakters der Neuengländer in seiner Annäherung an den Charakter der Quäcker.
Aber ich muß Dir noch etwas mehr von dieser Sekte sagen, welche nicht blos Pennsylvanien und Philadelphia geschaffen und dem Staat, sowie der Stadt ihren eigenthümlichen Charakter gegeben, sondern auch auf das geistige Leben und das Volk Englands und Neuenglands einen durchgreifenden Einfluß ausgeübt hat. In Schweden kennen wir die Quäcker blos als ein wunderliches Völkchen, das zu allen Menschen Du sagt, vor allen Menschen mit dem Hut auf dem Kopfe erscheint, und breite Hutkrempen hat. Wir kennen sie blos durch ihre äußern kleinen Eigenthümlichkeiten. Hier habe ich ihre innere Bedeutung für die ganze Menschheit verstehen gelernt.
Es sind ungefähr 200 Jahre, seit Georg Fox in England geboren wurde. Sein Vater, genannt „Christoph der Rechtschaffene“ war ein Weber in Leicestershire, die Mutter stammte aus dem Häuslein der Märtyrer. Der Knabe zeichnete sich früh durch tiefes religiöses Gefühl und eine unbeugsame, aber aufrichtige Sinnesart aus. Er wurde einem Schuhmacher in Nottingham, der auch Landbebauer war, in Dienst gegeben. Dieser gebrauchte den Knaben, um seine Schafe zu hüten. Dabei beschäftigte er sich mit Bibellesen, Beten und Fasten. Seine junge Seele dürstete nach Vollkommenheit und wurde von einer dunkeln Sehnsucht nach dem höchsten Gut, nach Licht in dem unveränderlichen wahren Licht aufgeregt. Seine Jugend fiel in eine stürmische Periode Englands, wo Kirche und Staat gleich sehr von feindlichen Parteien erschüttert wurden, die Religionssecten aber sich untereinander zersplitterten und befehdeten. Der Jüngling, der nach der unumstößlichen Gewißheit, nach einem tragfähigen Grunde, nach einer Klarheit, welche ihn und Alle zur Wahrheit führen könnte, nach dem höchsten Gut verlangte, hörte um sich her nur Meinungsstreitigkeiten und Kämpfe. Sie verdüsterten seine Seele noch mehr. Von unaussprechlicher Angst getrieben, verließ er sein Handwerk und seine Heerde, und vertiefte sich, nach einer Offenbarung Gottes verlangend, in die Einsamkeit der Wälder. Er ging zu vielen Priestern, um Trost zu erhalten, aber er erhielt keinen Trost von ihnen. Er ging nach London, um Licht zu suchen; aber bei den streitenden Secten, bei den großen Professoren fand er blos Finsterniß. Er kehrte aufs Land zurück, wo Einige ihm riethen sich zu verheirathen, Andere in Cromwell's Armee zu treten. Aber sein friedloser Geist trieb ihn zur Einsamkeit und auf die Felder hinaus, wo er manche Nacht in einer Seelenangst, „die zu groß war, um beschrieben werden zu können,“ umherirrte. Gleichwohl drang von Zeit zu Zeit ein Strahl himmlischer Freude in seine Seele, und „da war ihm, als ruhe er friedlich in Abraham's Schooß.“
Er war in der englischen Staatskirche erzogen worden. Aber er hatte jetzt gesehen, daß man in Oxford oder Cambridge herangebildet und gleichwohl unfähig sein konnte, die Räthsel des Daseins zu lösen. Er dachte auch daran, daß Gott nicht in Tempeln wohne, die aus Stein gebaut sind, sondern in dem Herzen der Lebendigen. Von der Staatskirche ging er zu den Dissenters über. Aber bei ihnen fand er die „unveränderliche Wahrheit“, den unerschütterlichen Grund für die sittliche Ueberzeugung, die er suchte, auch nicht.
Er gab die Kirchensecten auf und suchte die Wahrheit über ihnen, und „obschon von Stürmen erschüttert, glaubte sein Herz an eine Macht über den Stürmen,“ einen festen Ankergrund des Geistes. Eines Morgens faß Fox in stillem Nachdenken beim Feuer, in seine eigene Seele blickend. Eine Wolke ging darüber und er meinte eine Stimme zu hören, die da sagte: „Alle Dinge kommen von der Natur.“ Und eine pantheistische Vision verdüsterte und bedrückte seine Seele. Aber als er fortfuhr nachzudenken, da erhob sich in der Tiefe seines Geistes eine andere Stimme, welche sagte: „Es gibt einen lebendigen Gott!“ Auf einmal ward es hell in seinem Innern; alle Wolken, alle Zweifel flohen, er fühlte sich durchstrahlt, emporgehoben von einer unendlichen Gewißheit und einer unaussprechlichen Freude.
Und das Licht und die Gewißheit, welche seine Seele beleuchtet hatten, welche durch seine eigene innere Erfahrung darin aufgegangen waren, sprachen also:
”Es findet sich bei allen Menschen ein inneres Licht, das die Offenbarung Gottes im Menschen ist, eine innere Stimme, welche von der Wahrheit zeugt und Gottes Stimme ist und sie in alle Wahrheit leitet. Um Wahrheit zu finden, braucht sich der Mensch blos aufmerksam zu diesem innern Lichte zu wenden, auf diese innere Stimme zu hören.“
„Das innere Licht!“ Die innere Stimme gebot ihm hinauszugehen und diese Botschaft dem Menschengeschlecht zu verkünden. Sie gebot ihm auch in die Kirche zu gehen und mitten unter dem Gottesdienst den Priestern entgegenzurufen: „Die Schrift ist nicht die Richtschnur, sondern der Geist, welcher in der Schrift ist.“ Sie gebot ihm gegen die „heuchlerischen Diener der Religion“ als gegen Wölfe in Schafskleidern aufzutreten.
Ich will Dir nicht von den Verfolgungen gegen den Mann erzählen, der sich wider alten Glauben und alte Sitten auflehnte, von den Steinen, die nach dem Mann geschleudert wurden, der mit des Geistes Kraft die Steinmauer der Kirche erbeben machte, obschon nichts interessanter wäre, als diesem göttlich Besessenen zu folgen, ihn aus Mißhandlungen, Gefangenschaft, Todesgefahr immer mit dem gleichen Muth, immer noch stärker, bestimmter und mit brennenderem Eifer hervorgehen zu sehen, die Schaar seiner Anhänger zunehmen zu sehen, trunken von den Fluthen des innern Lichtes, während ein Theil der Diener der Staatskirche sich fürchtet und bebt, wenn es heißt: „Der Mann in den Lederhosen ist gekommen!“ Und nichts ist von höherem Interesse als diese ungelehrten Anhänger der Offenbarung des inneren Lichtes, der innern Stimme in Kraft „dieser göttlichen Saat, die in jeder menschlichen Seele lebt“ auftreten und die Orakel des innern Lebens aussprechen zu sehen. Taglöhner und Dienstmädchen werden Prediger und senden Stimmen aus in alle Welt, den Pabst und den Sultan, Puritaner und Kavaliere, Neger und Hindus auffordernd, dem höchsten Urtheil der innern Stimme zu lauschen.
Das Licht, welches die Höchsten unter den Heiden, ein Sokrates und Seneka, als der äußerste Grund der moralischen Selbstbestimmung, als der klarste Lebensbrunnen des Heidenthums beleuchtet hatte, war durch den Schäfer George Fox zum Durchbruch bei dem Volk gekommen und dessen Eigenthum geworden. Auch der Geringste wurde seiner theilhaftig, denn die Lehre sagte: setze dich nieder, wer du sein magst, setze dich nieder an deinem eigenen Herd und lies die göttliche Inschrift in deinem Herzen. „Einige suchen die Wahrheit in Büchern, andere bei gelehrten Männern. Aber was sie suchen ist in ihnen selbst. Denn der Mensch ist ein Abriß der ganzen Welt, und um ihn zu verstehen, brauchen wir blos uns selbst recht zu lesen.“
Das Hervorbrechen dieser Lehre zu einer Zeit, wo die alte Gewalt wankte und alte Orakel blos unklare Antworten gaben, erklärt den bis an hochmüthige Trunkenheit grenzenden Enthusiasmus, womit mehrere Anhänger von Georg Fox seine Lehre auszubreiten suchten. Sie betrachteten sich als Stifter einer Weltreligion und gingen aus, die „Unfehlbarkeit des innern Lichtes zu predigen“, in Rom und Jerusalem, in Amerika und Egypten, in China und Japan.
Von seinem innern Licht geleitet, ging Fox zu immer weitern Bestimmungen. Die innere Stimme, die ihm geboten hatte den Geist über die Schrift zu setzen, gebot ihm zu allen Menschen Du zu sagen, gebot ihm vor keinem Menschen den Hut abzunehmen, gebot ihm jeden Eid zu verweigern, und gebot ihm keine äußere Regierungsform gut zu heißen, die nicht von der innern Stimme geboten wurde. Dagegen gebot sie ihm alle Menschen mit den Armen der Bruderliebe zu empfangen und selbst die Thiere gütig zu behandeln. Er reiste in die neue Welt und sagte zu dem Indianer: Du bist mein Bruder. Ueberall goß er mit seiner Lehre die innere Schönheit seiner eigenen Seele und ihre Liebe für das ewig Gute und Wahre aus, und überall fand er zahlreiche Begleiter auf einem Weg, welcher so klar und so leicht schien. Denn Georg Fox lehrte, daß die Menschenseele von Natur gut und ein reines Kind Gottes sei.
William Penn, ein junger Mann von ausgezeichneten Gaben, schönem Aeußern und reicher Familie, wurde einer der eifrigsten Schüler Foxens. Auch er mußte für seine Lehre Verfolgung und Gefangenschaft leiden und wurde dadurch gestärkt ihr kräftigster Apostel zu werden.
Die Waffen der Verfolgung und des Spottes waren lange Zeit gegen die zunehmende Quäckerschaar gerichtet worden, und auch bessere Beweismittel wurden ihnen entgegengesetzt. Man warf ihnen die Selbsttäuschung der Eigenliebe vor, und sagte: „Wie kann ich wissen, ob ich nicht die Eingebungen meines selbstsüchtigen Geistes für Eingebungen vom Geist Gottes nehme?“
Penn antwortete: „Durch denselben Geist. Der Geist zeugt mit unserem Geist.“
„Die Bibel war die Regel und Richtschnur der Protestanten. Hatten die Quäcker einen besseren Führer?“
Der Quäcker antwortete, daß die Wahrheit eine einige sei. Gottes Wort in der Offenbarung kann nicht im Widerspruch stehen mit Gottes Stimme im Gewissen. Aber der Geist ist der Richter. Und der Geist wohnt in des Menschen Geist. Der Buchstabe ist nicht der Geist. Die Bibel ist nicht die Religion, sondern die Geschichte der Religion. Die Schrift ist eine „Darstellung der Quellen, aber nicht die Quelle selbst.“ Gottes Licht in unserem Geist zeugt von Gottes Wahrheit in der Schrift und im Christenthum.
Der christliche Quäcker berief sich auf seine Gemeinschaft mit allen Kindern des Lichtes in allen Zeitaltern und nahm die Offenbarung des christlichen Lichtes blos an, weil sie durch das innere Licht in seiner Seele bekräftigt wurde. Sein Glaube gründete sich auf das Zeugniß des universalen Gewissens. Dieses half ihm in allen Streitfragen. Wenn man ihm die Lehre von der Prādestination, die Frage über Freiheit und Nothwendigkeit vorhielt, so legte der Quäcker die Hand auf seine Brust. Die innere Stimme darin zeugte von der Freiheit und Verantwortlichkeit des Willens. Er sagte ferner:
„Alle Menschen sind gleich, weil das innere Licht in Allen leuchtet, und alle Regierung ist verwerflich, wenn sie sich nicht auf die Gesetze der universalen Vernunft gründet. Es gibt keinen Unterschied zwischen Priestern und Laien, zwischen Mann und Weib. Das innere Licht beleuchtet Alle und kennt keinen Unterschied von Klassen oder Geschlechtern.“
Aber ich darf mit meinen Auszügen aus der Lehre der Quäker nicht zu weit gehen; ich muß zur Entstehung des Quäckerstaats übergehen. Je mehr die Secte in ihrer Protestation gegen Kirche und Staat zunahm, um so stärker wurde die Verfolgung und der Haß gegen sie, und Tausende von ihren Bekennern starben in den Gefängnissen vor Kälte und Mißhandlung.
Unter diesen Umständen warf das bedrückte Volk seine Blicke auf die neue Welt, um allda eine Freistätte zu suchen. Fox war zurückgekehrt von seiner Missionsreise durch die östlichen Staaten Nordamerika’s von Rhode-Island bis nach Carolina, wo er den Samen seiner Lehre in Tausende von offenen Seelen ausgestreut hatte. Mehrere Quäckerfamilien in England vereinigten sich, um sich und ihren Freunden ein Asyl auf der andern Seite des Oceans zu bereiten, in dem Land, das Georg Fox eine Heimath gegeben hatte; sie kauften Land an den Ufern des Delaware und reisten mit einer großen Schaar von Glaubensverwandten fort, um allda einen Staat zu gründen, dessen einziges Gesetz und einzige Regel das innerste Gesetz des Herzens, beleuchtet von dem innern Licht, sein sollte. An sie schloß sich bald William Penn, und übernahm die Leitung der Colonie als ihr natürliches Oberhaupt und ihr Regent.
In ihrer bürgerlich politischen Organisation schloß sich die Gesellschaft der Freunde an die der puritanischen Colonie, mit dem Bemerken, die Concessionen derselben seien von der Art, daß die Freunde sie billigen können; „denn,“ sagten sie, „auch wir wollen die Macht in das Volk legen.“
Aber die Quäcker gingen in ihrer Auffassung und Anwendung dieses Princips weiter als die Pilger.
Die Puritaner hatten in religiöser Beziehung die Schrift zu ihrer Richtschnur genommen. Die Freunde machten den Geist zum Richter über das, was man an der Schrift glauben und befolgen müsse. Die Puritaner hatten der Gemeinde das Recht verliehen, selbst aus ihrem eigenen Schoos die Priester zu wählen; die Freunde wollten überhaupt keine Priester haben. Jeder Mensch (Mann oder Weib) war Priester und hatte das Recht Andern zu predigen, wenn der Geist ihn anregte und die innere Stimme ihn ermahnte eine Wahrheit auszusprechen. Denn das innere Licht war beständig bei Allen.
Die Puritaner hatten jedem Manne in der Gesellschaft Stimmrecht verliehen und ließen Gesetze und Urtheile von der Stimmenmehrheit abhängen. Die Freunde, welche an die Macht des inneren Lichtes und an sein schließlich harmonirendes Zeugniß bei allen Menschen glaubten, ließen in ihren Rathsversammlungen die Fragen immer wieder von Neuem zur Verhandlung kommen, bis eine freiwillige Uebereinkunft sich ergab.
Die Puritaner hatten ihre Kirchen ohne alle Zierrathen und Bilder gebaut.
Die Freunde bauten keine Kirchen. Sie trafen sich in Sälen oder Häusern, welche Versammlungslokale genannt wurden. Sie saßen da still den Offenbarungen der innern Stimme lauschend, beisammen und sprachen blos, wenn diese sie ermahnte etwas zu sagen.
Die Puritaner betrachteten das Weib als die Hälfte des Mannes und als seine Gefährtin im Hause, sowie auf dem Weg des Privatlebens.
Die Freunde betrachteten das Weib als die Gehülfin des Mannes im Allgemeinen, wie auch in den Angelegenheiten des Privatlebens, und sie erkannten ihr das Recht zu, sowohl in Staats- als in Kirchensachen zu sprechen. Die Rathsversammlungen der Weiber galten bei der Entscheidung der Fragen soviel wie die der Männer, und den Eingebungen des Weibes lauschte man mit Ehrfurcht, wenn sie auf den Ruf des Geistes in den Versammlungssälen der Freunde auftrat.
Die Puritaner hatten den Trauungsact vereinfacht. Die Freunde verwarfen alle Trauung, bei welcher eine äußere Macht mitwirkte. Wenn Mann und Weib vor der Gemeinde erklärten, daß sie als Ehegatten zusammenleben wollten, so genügte dieß, um eine Ehe zu stiften. Die innere Stimme genügte, um den Bund zu heiligen und ihn stark zu machen, das innere Licht allein konnte den Weg dazu zeigen und das Herz rein machen.
So rein, so hoch waren die Grundsätze bei diesem Völkchen, das nach der neuen Welt hinüberfuhr, um allda, wie William Penn sich ausdrückte, „das heilige Experiment“ zu unternehmen, eine Staatsgesellschaft zu stiften, die gänzlich auf das Innigste und Geistigste im Menschenleben gegründet ware. So begann die Kolonie, die sich unter William Penn’s Leitung zum blühendsten Wohlstand emporschwang und den Namen Pennsylvanien annahm. Penn wollte in ihr eine „freie Kolonie für das ganze Menschengeschlecht“ gründen.
Der Ruf von dem „heiligen Experiment“ erscholl weit und breit. Söhne des Waldes, Häuptlinge der Indianerstämme kamen, um mit dem „Quäcker König“ zu unterhandeln. Penn trat unter freiem Himmel in der Tiefe des durch Novemberfröste entlaubten Waldes mit ihnen zusammen und brachte ihnen dieselbe Botschaft vom Adel des Menschen, sowie von der Wahrheit und Einheit des inneren Lichtes bei allen Menschen, welche Fox bereits Cromwell und Marie Fisher dem Beherrscher der Muselmänner überbracht hatte. Engländer und Indianer sollten dasselbe moralische Gesetz verehren, und jeden Streit untereinander durch ein Friedensgericht ausmachen, zu welchem die beiden Nationen die gleiche Anzahl Mitglieder stellten.
„Wir begegnen uns,“ sagte Penn, „auf der breiten Heerstraße des guten Glaubens und guten Willens; Keiner soll den Andern zu übervortheilen suchen, sondern Alles soll in Ehrlichkeit und Liebe abgemacht werden. Wir sind Alle Ein Fleisch und Blut.“
Die Indianer wurden durch diese edeln Worte gerührt. „Wir wollen“ sagten sie, „mit William Penn und seinen Kindern in Liebe leben, so lange Sonne und Mond sein werden.“
Und die Sonne, der Wald und der Strom bezeugten den Bund des Friedens und der Freundschaft, der auf solche Art am Strand des Delaware geschlossen wurde; „den ersten Bund,“ fügt ein Geschichtschreiber hinzu, „der durch keinen Eidschwur bekräftigt und niemals gebrochen wurde.“
Die Quäcker sagten: „Wir thun ein besseres Werk, als wenn wir mit den stolzen spanischen Helden die Gruben von Potosi gewonnen hätten. Wir lehren die armen verfinsterten Seelen um uns her ihre „Menschenrechte.“
Auf einem zwischen den Flüssen Schuykill und Delaware gelegenen, den Schweden abgekauften, mit „krystallklaren Quellen und gesunder Luft gesegneten“ Stück Land legte Penn die Stadt Philadelphia an, „ein Asyl für die Verfolgten, eine Wohnung der Freiheit, eine Heimath für die ganze Menschheit“. „Hier,“ sagten die Freunde, „wollen wir Gott nach seinem reinen Gesetz und Licht verehren; hier wollen wir ein unschuldvolles Leben auf einer jungfräulichen elysäischen Erde führen.“ Die Quäcker schlossen einen festen Bund mit der schwedischen Kolonie und Schweden hatten Sitz und Stimme in W. Penn’s Rathsversammlung.
Philadelphia sollte später der Geburtsort der Selbstständigkeit Amerika’s und desjenigen Actes werden, welcher dieselbe vor der ganzen Welt erklärte und all die verschiedenen Staaten der Union im Namen der höheren Menschlichkeit vereinigte; daran dachten die Freunde damals nicht.
Dieß, mein Herzchen, habe ich theils aus Büchern,
theils aus mir selbst, oder aus meinen eigenen
Beobachtungen und Gedanken für Dich aufgezeichnet.
Denn diese Episode in der Geschichte der Menschheit
spricht mich in hohem Grade an und ich sehe die Spuren
ihres Lebens noch ganz frisch um mich her.
Betrachte ich das Quäckerwesen an und für sich, so ist es mir klar, daß es dieselbe Lehre ist, für welche Socrates starb, Luther lebte und der große Gustav Adolph kämpfte, siegte und den Heldentod starb, — das Recht der Gedankenfreiheit im Glauben an Gottes Licht und Stimme in der Menschenseele. Daß dieses Princip in Georg Fox aus dem Volksherzen selbst auftaucht und sich zum Princip für das Volk, die Kirche und den Staat macht, das ist das Eigenthümliche an der Quäckerei und der volle Durchbruch des Princips im Staatsleben. Neu ist es nicht und auch nicht ausreichend in der Einseitigkeit, womit die Quäcker es auffaßten.
Wie? wenn das innere Licht einen finstern Willen in der Menschenseele beleuchtet? wenn die innere Stimme auf den Widerstand eines gemeinen oder bösen Triebes im Herzen stößt? Die Quäcker haben die alte Sage, daß sich in jedem Menschenherzen ein Tropfen schwarzen Blutes vorfinde, vergessen oder nicht beherzigt. Und um das Herz rein zu machen, dazu hilft das Licht oder die mahnende Stimme nicht, sondern nur ein anderer Tropfen Bluts von göttlicher Kraft und Reinheit. Die Quäcker können in den Mysterien des Quäckerlebens Beweise genug für das Dasein des schwarzen Tropfens selbst bei den Kindern des inneren Lichtes finden, vielleicht keine blutigen Beweise, keine brennenden Scheiterhaufen; aber düstere Geschichten von zähen, trüben, lichtscheuen, bittern Fehden unter „Freunden“, von heimlicher Bedrückung, von heimlichen langen[WS 9] Quälereien, unversöhnlichem Groll und all diesen grauen Teufeln, die mich überall, wo ich sie das Gesellschaftsleben verbittern sehe, an die alte nordische Hölle mit ihren zähen giftigen Strömen, ihren beinlosen Kobolden, ihren regenvollen Wolken, ihren giftträufelnden Schlangen u. s. w. erinnern. Aber die Quäckerei sah bei ihrer Entstehung dieses nicht und vielleicht hatte sie es nicht. Der Enthusiasmus für eine schöne Idee verwandelt die Seele in einen Frühlingsmorgen mit klarem Himmel und reinster Luft voll von Vogelgesang und Blumendüften. Die Wolken kommen später an den Tag. Die Quäckerei in ihrer ersten Morgenfrische war selbst eine reine ungetrübte Fluth aus reinen Quellen und taufte die Welt neu mit den reinigenden Wassern der Wahrheit zum Glauben an die Stimme und Macht der Wahrheit. Dieß war, dieß ist ihr gutes Werk in der Menschheit. Und ihr Weckerruf hat Millionen Seelen mit reinigender Kraft durchdrungen. Waldo Emerson ist im Glauben an die Macht des inneren Lichtes und der Wahrheit ein Quäcker.
Daß die Quäcker glaubten, der Mensch habe in seinem eigenen inneren Lichte an seiner eigenen Kraft genug, um die Vollkommenheit zu erreichen, das war ihr Irrthum und ist es noch heute. Darum machen sie zu wenig aus dem Gebet, zu wenig aus dem Nachtmahl, zu wenig aus den Mitteln, welche der allgütige Vater seinen Kindern gegeben hat, um sie mit sich und sich mit ihnen in Verbindung setzen, um ihnen sein Leben mittheilen zu können, Mittel, die man deßhalb mit großem Recht Gnadenmittel genannt hat. Darum fehlt es ihnen auch an der Zuversicht und Freiheit, womit ein Kind Gottes sich im ganzen Kreis seiner Schöpfungen bewegt und Nichts als unrein und schädlich betrachtet, wenn es nur mit reinem und dankbarem Gemüthe genossen wird. Sie sehen mit mißtrauischen Blicken auf alle freie Schönheit und Kunst, und sie haben eine gewisse Scheu vor offener Freude; ja, sie beargwöhnen selbst die Schönheit der Natur, und es fehlt ihnen an dem universellen Sinn, der den Scandinaviern angehört (obschon er sich zuweilen ein Bischen mit ihnen verläuft), und der Deinen etwas excentrischen Bekannten L——g. zu dem Ausspruch veranlaßte: „Man solle in Gott essen, man solle in Gott spielen und singen, ja man solle in Gott tanzen!!“[WS 10]
Aber Friede mit dem Quäckerthum! Es hat seine Sendung vollendet und die Fackel des Lichts eine Zeitlang den Menschen vorgetragen auf ihrem Weg „aus dem Dunkel durch die Schatten zum Licht.“ Es hat seine Zeit gehabt. Diese ist in Bezug auf die frühere Macht der Secte vorüber. Aber ihr Einfluß lebt in der neuen Welt noch fort und macht sich geltend, besonders als Princip strenger Rechtlichkeit und allgemeiner Menschenliebe, und auch mit diesem dürfte er sich bei den Völkern der neuen Welt noch eine neue Bahn brechen.
Die Lehre des inneren Lichtes stirbt nicht, sondern sie dringt zur Vereinigung mit einem anderen höheren Lichte.
Sie hat besonders in ihrer bürgerlichen Gleichstellung der Männer und Weiber einen reichen Samen, der in einem größern Kreise Keime treiben muß. Wie ungefährlich diese Gleichheit ist und wie wenig äußere Veränderungen sie im Staat hervorruft, hat der Quäckerstaat factisch bewiesen. Mann und Weib haben da gleiche Rechte und üben sie auf die gleiche Art aus. Aber sie sind da ihren Naturen gleich geblieben. Das Weib hat sich mehr dem Hauswesen zugethan, der Mann hat sich mehr mit den Angelegenheiten der Gesellschaft beschäftigt. Die Weiber sind gleich weiblich geblieben, aber dabei in Bezug auf Charakter bedeutender geworden. Das Verhältniß zwischen den Geschlechtern zeigt sich in dem Besten was es hatte unverändert, aber in Bezug auf seine schlimmeren Partieen besser und höher. Das heilige Experiment zeigt sich hierin als vollkommen geglückt und mußte ein noch großartigeres Experiment veranlassen.
Die gegenwärtige jüngere Quäckergeneration schließt sich in Dichtkunst und Musik immer mehr an die Welt an, und beginnt ihrer alten blauen und blaßgelben Tracht durch die eine und andere hellere Farbe einige Heiterkeit zu geben. Die Veränderung in den Gemüthern ist vorbereitet. Die Welt ist durch die Reinheit der Quäcker geläutert worden. Die unschuldige Freude und Schönheit der Welt beginnt sich zu ihnen Bahn zu brechen. Ein junges Mädchen von einer Quäckerfamilie unter meinen hiesigen Bekannten trug hellrothe Bänder und eine schönere Hutform als die bei der Secte gebräuchliche, und ihre Mutter machte ihr Vorwürfe, daß sie mehr daran denke den Menschen zu gefallen als Gott. „Ach Mutter,“ antwortete sie, „Er hat die Blumen und den Regenbogen gemacht!“
Die Beschränktheit der Quäckersecte ist gebrochen. Und gleichwohl ist sie so eigenthümlich und so schön in ihren einfachen milden äußern Formen, daß ich bange um sie bin und sie um Vieles nicht vermissen möchte. Mir gefällt ihr Du, ihre Versammlungen, ihre Tracht, besonders die Tracht der Weiber in ihrer thauartig keuschen Reinheit und Feinheit. Und unter dieser Tracht wandelt noch manche edle Seele im Schein des inneren Lichtes, verklärt von der christlichen Offenbarung, für sich und Andere daraus Orakel schöpfend, welche das zerstreute Auge und Ohr der Welt nicht wahrnimmt. Und Dichter wie Whittier, Rednerinnen wie Lukretia Mott beweisen, daß der Geist mit seinen reichen Gaben noch immer über der Gemeinde der Freunde ruht.
In neuerer Zeit haben sich die Quäcker in den Vereinigten Staaten in zwei Secten zersplittert und sich just nicht mit den freundlichsten Gefühlen in verschiedene Gesellschaften abgesondert. Die sogenannten Hicksiten haben sich von den Orthodoxen getrennt. Die Letzteren schließen sich wie früher so ziemlich an das Glaubensbekenntniß der Trinitarier an, die ersteren nähern sich mehr dem unitarischen.
Gestern wohnte ich einem Meeting der orthodoxen Quäcker an. In einem großen hellen Saal ohne Verzierungen waren etwa 200 Personen versammelt, die Männer auf der einen, die Frauenzimmer auf der andern Seite, und unter diesen eine Menge Kinder; da saß jetzt Alles auf Bänken und sah schweigend gerade vor sich hin; ich dagegen sah mich in aller Stille genau ringsum. Es war ein sehr heißer Tag und die Schweigsamkeit und Unbeweglichkeit in der Versammlung war mir drückend, und ich dachte beständig: „Wird nicht der Geist irgend Jemand in der Versammlung rühren?“ Aber nein, der Geist rührte Niemand. Ein alter Herr hustete und ich nießte, und das Laub auf den Bäumen bewegte sich matt vor den Fenstern. Dieß war die einzige Bewegung, die ich vernahm. Die Weiber, als sie so dasaßen mit ihren grauen Hüten, sämmtlich von Einer Farbe und Form, umgekehrten Nachen mit flachen Böden gleich, gefielen mir weniger als gewöhnlich. Aber in manchem Gesicht bemerkte ich dennoch Augen und einen Ausdruck, der sichtlich vom tiefen Eindringen des Geistes zeugte, obschon ich in dieser Tiefe Licht vermißte. Und die Kinder, die armen kleinen Kinder, die gezwungen waren, still und wach dazusitzen, ohne Beschäftigung und ohne Gegenstand für ihre kindliche Aufmerksamkeit, was konnten sie anders denken als: „Ach, wie ist das so langweilig! möchte es doch bald aufhören!“ So dachte auch ich, die ich mich nicht gut in einen Gegenstand hineindenken oder vertiefen kann, außer wenn ich gehe. So saßen wir gewiß eine Stunde lang still in der Hitze da, bis endlich auf der Emporkirche zwei der Aeltesten sich erhoben und einander die Hand reichten, was das Signal zum allgemeinen Aufbruch war. Und ich war glücklich, ins Freie hinaus zu kommen. Am Sonntag werde ich die Versammlung der unitarischen[WS 11] Quäcker besuchen. Will sehen, ob der Geist da lebendiger ist. Hier war er vielleicht tief, aber er blieb in der Tiefe und kam nicht ans Tageslicht hervor. Als Disciplin können diese stillen Versammlungen jedenfalls vortrefflich sein. Der undisciplinirten Versammlungen, wo ohne bestimmtes Ziel und Resultat hin und her geschwatzt wird, gibt es genug in der Welt.
Ja, richtig, der Geist war lebendig in der Versammlung der unitarischen[WS 12] Quäcker. Er rührte zuerst einen Mann, dann ein Weib, und ich hörte den Geist aus dem eigentlichen Mittelpunkt des Quäckerbekenntnisses sprechen. Der Mann, dessen Namen mir jetzt entfallen ist, ein älterer Herr von lebensvollem und ernstem Aussehen, ermahnte festzuhalten an der Ehrlichkeit und Reinheit des Willens und der Ueberzeugung. Von ihrem reinen Licht gehe Licht aus über das ganze Leben und seine Handlungen. Die Rede war gut, lebhaft, klar und wahr. Aber ich dachte an die Worte: „Der Mensch wird wiedergeboren durch Wasser und Geist.“ Hier war das Wasser aber weiter Nichts. Es war die menschliche Reinigung. Vom Geist des Himmels, von dem inspirirenden Leben der Liebe war nicht die Rede. Nachdem der Redner sich gesetzt und Alle schweigend eine Weile dagesessen hatten, erhob sich in ihrer Bank eine kleine hübsche Frau mit reinen Zügen und klaren schönen Augen. Es war Lucretia Mott. Mit nicht starker, aber sehr klarer Stimme, mit einer Deutlichkeit der Aussprache, die kein Wort verloren gehen ließ, sprach sie gewiß eine Stunde lang ohne Unterbrechung, ohne Wiederholung, ohne daß ich einen andern Wunsch hegte, als daß sie fortfahren möchte. So klar und kräftig war ihre Darstellung des quäckerischen Nichtconformitätsprincips, so logisch und vortrefflich die Anwendung desselben auf die Fragen des practischen Lebens in gegenwärtiger Zeit: Streitfragen, welche nach der Rednerin den Frieden, die Sklaverei und die bürgerlichen Rechte des Weibes betrafen. Mit dem größten Vergnügen hörte ich diesen trefflichen Vortrag, der von dem inneren Leben der Rednerin, von einem frischen, obschon gebundenen Feuer durchgeistet war. Da war Talent, Kraft, Klarheit, Licht. Gleichwohl fehlte die Wärme der Inspiration und die Kraft des ewigen Lebens. Das Licht war ein Winterlicht. Ich bin inzwischen froh, daß ich eine in ihrer Art vollkommene Rednerin gehört habe. Der Saal war ganz voll und man hörte sie mit sichtlicher Bewunderung an. Ich habe von ein paar jungen Frauenzimmern erzählen gehört, die in diesen Versammlungen zuweilen sprechen sollen. Aber ich bekam sie nicht zu hören. Diese Versammlung schloß wie die erste damit, daß zwei Aelteste aufstanden und einander die Hände reichten.
Heute habe ich zum ersten mal vollständig die amerikanische Unabhängigkeitserklärung gelesen, von welcher die Welt so viel gehört hat, und ich und Du ebenfalls. Und ich las sie in demselben Saale, wo sie unterzeichnet wurde, und Du mußt sie hören, d. h. ihren ersten Grundsatz, denn auf diesem beruhen die Freiheiten und Menschenrechte in der neuen Welt.
Er sagt: „Wenn es im Verlauf menschlicher Ereignisse für ein Volk nothwendig wird, die politischen Bande aufzulösen, die es mit einem andern vereinigt hatten, und unter den Mächten der Erde den besonderen unabhängigen Standpunkt einzunehmen, zu welchem die Natur und die Gesetze des Herrn der Natur es berechtigen, so erfordert eine geziemende Achtung vor dem Urtheil des Menschengeschlechtes, daß es die Ursachen erklärt, die es zu dieser Handlung veranlassen.“
„Wir betrachten folgende Wahrheiten als selbstverständlich: daß alle Menschen gleich geschaffen sind; daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt sind, daß unter diese Leben, Freiheit und Streben nach Glück gehören; daß, um diese Rechte sicher zu stellen, unter den Menschen Regierungen festgestellt sind, die ihre rechtmäßige Gewalt aus der Einwilligung der Regierten schöpfen, und wenn irgend eine Regierungsform für diese Zwecke störend wird, so ist das Volk berechtigt, sie abzuschütteln und eine neue Regierung einzusetzen, deren Gewalt es in derjenigen Form begründet und organisirt, die ihm die dienlichste scheint, um seine Sicherheit und Wohlfarth zu fördern.“
Hierauf werden in verschiedenen Punkten alle Beschwerden aufgezählt, welche die amerikanischen Colonien gegen die englische Regierung haben und wodurch sie sich veranlaßt sehen, ihre Regierung in die eigenen Hände zu nehmen. Die Colonien, die sich auf solche Art zu einem Staatenbund vereinigten, waren dreizehn an der Zahl. Jefferson war (wie ich gehört habe, mit Hülfe von Thomas Payne) der Verfasser der Schrift, und man merkt ihr auch den Naturverehrer an, aber in dem Werk des Naturverehrers merkt man auch die Leitung einer höheren Vorsehung. Am 4. Juli 1776 wurde die Erklärung im amerikanischen Congreß zur Abstimmung gebracht und angenommen. Sie entstand in der Morgenstunde einer neuen Zeit; in einer Zeit großer Gedanken und großer Kämpfe wurde sie der Welt verkündet. Mitten im brennenden Krieg mit England und als man über den Ausgang desselben noch nicht gewiß sein konnte, wurde sie verfaßt und unterzeichnet. Am Tag vor einer entscheidenden Schlacht wurde sie der republikanischen Armee vorgelesen. So wollte es ihr großer Anführer, General Washington.
In dem Saal, wo sie von den Häuptern der Revolution unterzeichnet wurde, hat man Alles so gelassen, wie es an jenem Tage war, und der grüne Tisch steht noch da, um welchen die Mitglieder der Regierung saßen und auf welchem die Erklärung der Freiheit unterzeichnet wurde.
Man hat mir von einem lustigen Ausdruck erzählt, den Franklin bei dieser Gelegenheit gebrauchte. Als das Document unterzeichnet werden sollte, schienen einige der Anwesenden unschlüssig zu sein und sich zurückziehen zu wollen. Da sagte eine Stimme: „Meine Herrn, laßt uns jetzt alle zusammenhängen.“ „Ja,“ versetzte Franklin in seiner stillen Weise, „sonst werden wir alle vereinzelt hängen! Man lachte und unterzeichnete schnell.
Diese prächtige Erklärung der unveräußerlichen menschlichen Freiheit und Rechte widerstreitet noch vielen Dingen hier zu Lande — wie lange?
Jetzt muß ich Dir etwas von meinen hiesigen Bekannten und Freunden erzählen. Zuerst von meinen Wirthsleuten, in deren guter Wohnung ich wie ein Mitglied der Familie lebe. Professor Hart und seine Frau sind stille, blasse und gottesfürchtige Menschen, sehr freundlich und für mich im Umgang höchst ansprechend. Sie beide und ihr zehnjähriger artiger Junge Morgan machen die ganze Haushaltung aus. Hart ist ein interessanter und liebenswürdiger Mann. Ein milderes und sanfteres Wesen, verbunden mit großer Arbeitskraft und energischem Willen, wäre schwer zu finden. Dazu kommt ein feiner Humor und ein milder, aber eigenthümlich durchdringender Blick. Er besitzt ein ungewöhnliches Organisationstalent in Allem, was er unternimmt, und ist ausgezeichnet als Lehrer und Vorstand einer höheren Schule in Philadelphia, die 500 Jungen zählt. Er ist auch Redacteur eines sehr gelesenen literarischen Magazins (Sartaines Magazine), und findet noch zu manchen andern Dingen Zeit, weil er jede Stunde genau in Acht nimmt und Alles zu der Stunde thut, wo es gethan werden soll. Darum bringt er vieles zu Stande und scheint niemals in Eile oder sehr geschäftig zu sein. Morgens geht er gewöhnlich auf den Markt und kauft das Nöthige für die Haushaltung; eine hübsche Magd begleitet ihn um seine Aufkäufe heimzutragen. Neulich ging ich einmal mit ihm um den durch seinen Reichthum berühmten Markt von Philadelphia zu sehen. Und während wir durch das Volksgewimmel in dem bedeckten Gange wandelten, wo die Buden mit allen Bedürfnissen und Leckerbissen des Tisches sich befinden (die Fleischbuden, die Fischbuden, die Gemüsebuden, die Obstbuden nehmen jede ihre besondere Abtheilung in dem langen Brettergange ein, der in einer breiten Straße steht), sah ich meinen Begleiter von Zeit zu Zeit etwas auf ein Papierchen zeichnen, das er in der Hand hielt. Ich dachte, er schreibe die Preise der Waaren auf, die er eingekauft habe, und so war es auch. Aber dabei war auch eine Note für mich, die meine Pläne und Unternehmungen für den Tag enthielt, was ich sehen und besuchen sollte, sowie noch viele andere Dinge, worüber er mir gewöhnlich jeden Morgen eine Uebersicht gibt. Heute sagte er zu einer Fleischhändlerin: „Heute, meine gute Frau, erbitte ich mir von Ihnen ein Paar recht fette Hühner, denn ich will dieses kleine Frauenzimmer da (a little woman here) tractiren.“ Und die freundliche Frau nickte, suchte ein Paar prächtige Hühner aus und verehrte mir einen großen Blumenstrauß. Ich mußte den Markt wegen seines Reichthums bewundern. Trotz der Menge der Eßwaaren und der Hitze verspürte man durchaus Nichts von einer bösen Luft. Um halb 9 Uhr frühstücken wir in aller Ruhe und Gemüthlichkeit mit einander, und um 9 geht Hart zu seinen 500 Jungen, denen er mit großer Liebe zugethan scheint. Abends nach 10 beschäftigt er sich mit der Redaction und Correctur von Artikeln für das Magazin und arbeitet bis um Mitternacht. Zeit für seine Familie und jetzt für mich und das Gesellschaftsleben findet er gleichwohl. Ich bewundere wirklich die stille Arbeitskraft und die Kunst für Alles Zeit zu finden, die dieser Mann besitzt.
Zu meinen angenehmsten Bekanntschaften hier gehört die Familie des dänischen Geschäftsträgers Bille. Die Töchter des Hauses sind außerordentlich anmuthige, seelenvolle, lebhafte junge Mädchen. Es macht mir so viel Vergnügen mit ihnen die Sprache meiner Heimath reden und von Dänemark und guten Freunden allda plaudern zu können. Oehlenschlägers Tod war für mich eine überraschende Nachricht. Er sah so gesund und lebenskräftig aus, als ich vor einem Jahr auf seinem Landsitz bei ihm war, und er war damals liebenswürdiger als je gegen mich, brachte auch einen Toast auf das Glück meiner Reise in die neue Welt, wozu ich mich kaum erst entschlossen hatte, aus. Eines der Fräulein Bille las das Stück vor, daß er sich als Todesvorbereitung hatte vorlesen lassen, nämlich einen von Oehlenschläger selbst geschriebenen Monolog von Socrates in der Todesstunde. Er war in reinem stoischem Geist abgefaßt. Aber wie wunderlich sich in solcher Stunde seine eigenen Verse vorlesen zu lassen! Besser dachte unser Erzbischof Wallin, der, als man an seinem Todtenbett einen seiner eigenen schönen Psalmen vorzulesen anfing, den Leser unterbrach mit den Worten : „Ach nein, nein, das jetzt nicht!“ Und er fand erst dann Ruhe, als man ihm aus dem Evangelium Johannis vorlas. Aber ich wollte von meinen Bekannten hier sprechen.
Zu meinen guten Freunden zähle ich auch ein Quäckerpaar, aber von der etwas verweltlichten Quäckersorte, Mr. und Mrs. Elisa Townsend, angenehme und vermögliche Leute, die mir viel Güte erzeugen und mich in ihrem Wagen oft außer und innerhalb der Stadt spazieren führen. Mr. Townsends elterliches Hauß, eine strenge Quäckerfamilie, interessirt mich besonders durch ein junges Mädchen, das mir vorher ein recht liebenswürdiges Briefchen geschrieben. Ich wußte, daß sie in Folge einer Rückenmarkskrankheit sehr schwach und seit mehreren Jahren bettlägerig war. Als ich in ihr Zimmer geführt wurde, sah ich auf einem Bett in weißem Kleid mit breiten plastischen Falten ein Wesen liegen — ich sage Dir, ich habe nie etwas so engelähnliches gesehen. Aus dem schönen engelreinen Gesicht strahlte ein großes Augenpaar mit wahrhaft überirdischer Klarheit. Sie machte keine Bewegung, um den Kopf zu erheben, als ich mich über sie hinbeugte, aber sie schlang still ihre Arme un meinen Hals. Das Gesicht des einnehmenden Mädchens — sie heißt Marie — trug keine Spur der Kränklichkeit und Nervenschwäche, deren Raub sie ist, und die sie mit wahrer Lammsgeduld erträgt. Auch wird ihr geistiges Leben dadurch nicht gehemmt. Gott hat ihrem Geist Schwingen gegeben, und das körperlich gebundene Mädchen hat von ihrem Krankenbett aus sinnreiche Lehren in die Welt hinausgesandt, wozu sie durch ihre Beobachtungen des Sinnreichen im Leben der Naturwelt befähigt wurde.
Ihr Büchlein für die Kinder und Jugend „Leben in der Insektenwelt“ ist mir ein willkommenes Geschenk, auch darum, weil es mir ein junges Mädchen zeigt, welches sich demjenigen Zweig der Naturwissenschaften widmet, wozu ich oft, aber meines Wissens ohne Erfolg, junge Frauenzimmer aufgefordert habe, nämlich dem Biographischen in Bezug auf Thiere und Pflanzen. Der Detailsinn, der Blick für die kleine Welt, welcher den Frauenzimmern eigen ist, nebst dem poetischen Sinn, der an das Geistige, das Universelle anknüpft und in Allem ein Symbol, eine gedankenreiche Bedeutung entdecken kann, sind Naturgaben, die eigentlich diesen Theil der Wissenschaft gewidmet zu sein scheinen und ihn bereichern müssen, während ihre Anwendung die forschende Seele in ihrem täglichen Leben reicher macht. Marie Townsend hat ihren Gegenstand in dieser poetischen und biographischen Richtung behandelt und in ihrer Arbeit die Geschichte der Metamorphosen der Insekten gegeben. Das Büchlein ist mit Kupferstichen geschmückt, worin man verschiedene Insektenarten in verschiedenen Stadien ihres Lebens sieht, besonders in demjenigen, wo sie ihre Puppen sprengen und ihre Schwingen in dem freien Raum entwickeln.
Kein Wunder, wenn dieser schöne Menschengeist, der hart in seine irdische Puppe gefesselt ist, für diesen Augenblick der Verwandlung eine ausnehmende Vorliebe empfunden hat. Marie Townsend und eine jüngere Schwester, die ebenfalls wohlbegabt, aber auch kränklich (doch nicht wie Marie) und durch die innigste Liebe mit ihr vereinigt ist, beschäftigen sich jetzt mit Abfassung einer Reimchronik von Englands Geschichte als Gedächtnißaufgabe für Kinder. Und so umschließt dieses gemüthliche Quäckerhaus ein reiches poetisches Leben und in diesem ein Wesen, das beinahe bereits ein Engel ist und nur noch auf seine Verwandlung wartet, um es vollständig zu werden.
Die Eltern sind ein klassisches altes Quäckerpaar. Der Greis läßt sein vornehmsten Geschäft und seine größte Freude darin bestehen, daß er seine Töchter pflegt.
Bei Lucretia Mott bin ich zu einem Mittagsmahle gewesen, wobei sie alle ihre Kinder und Kindeskinder, eine schöne blühende Schaar, um sich versammelt hatte. Sie interessirt mich ohne mich anzuziehen. Ihr Mann Mr. Mott ist ein kräftiger alter Herr, der seinen Platz wohl zu vertheidigen scheint, aber vor dem Publikum durch die Glorie seiner Frau verdunkelt wird. Man behauptet, er sei damit wohl zufrieden. Und dieß gereicht ihm zur Ehre.
Neulich wurde bei einer öffentlichen Vorlesung, die ein ausgezeichneter Literat Mr. Dana über Shakesspeare hielt, Desdemona als Ideal der Weiblichkeit für alle Zeiten, das kein höheres über sich habe, dargestellt. Nach der Vorlesung erhob sich Lucretia Mott und sagte: „Freund Dana! ich halte dafür, daß Du in Deiner Darstellung dessen, was das Weib sein soll, Unrecht hast, und ich will es zu beweisen suchen.“ Sie ersuchte also die Versammlung an einem gewissen Tag in diesem Zimmer zusammenzukommen. Die Versammlung ermangelte nicht, sich einzustellen, und Lucretia hielt einen trefflichen Vortrag, durchdrungen von der Liebe zur Wahrheit und Ehrlichkeit, welche der Liebesgrund der Quäckersecte ist. Lucretia ist eine prächtige Frau und Rednerin, und würde noch prächtiger sein, wenn sie auch ein wenig auf die Reden und Gedanken Anderer hörte, besonders in der Sklavenfrage; aber das thut sie nicht.
Unter den Personen, die mir hier ihre Wohnung angeboten haben, befindet sich die Frau des brittischen Consuls, Mrs. S. Peter. Ich besuchte sie um ihr zu danken, und fand eine warmherzige lebhafte Dame, die sich mit ganz besonderem Eifer die Entwicklung ihres Geschlechts zu einem unabhängigeren sowohl leiblichen als geistigen Leben angelegen sein läßt. Sie hatte in ihrem Hause eine Zeichnungsschule für arme junge Mädchen eingerichtet, wo sie zeichnen, Muster anfertigen, Holzschnitte machen und dergl. Dinge lernen, und sie zeigte mir verschiedene schöne Arbeiten dieser Kinder. Andere gute Anstalten für Frauenzimmer hatte sie ebenfalls zu Stande zu bringen gesucht. Aber sie war verdrießlich über die Theilnahmslosigkeit, worauf sie besonders von Seiten der Frauenzimmer stieß. Sie sagte: „Diese Damen wollen ihrem Geschlecht nicht zur Seite stehen.“ Sie meinte, so wie die Welt jetzt stehe, könnte man allen neugebornen Mädchen keinen größeren Dienst erweisen, als wenn man sie ins Wasser werfe. Ich lächelte über diesen sonderbaren Liebesbeweis, konnte aber der warmherzigen Frau nicht so ganz Unrecht geben; nämlich wenn die Welt in diesem Punkte nicht gerechter und aufgeklärter werden sollte als sie es jetzt ist. Aber in Amerika scheint man mir wenig Ursache zu haben, daran zu zweifeln, und folglich ganz und gar keinen Grund, kleine Mädchen zu ertränken.
Ich habe hier blos Abends Besuche angenommen, aber eine ganze Menge Leute gesehen, von denen mich Mehrere interessirten. Gestern schenkten mir einige anmuthsvolle junge Mädchen einen frisch ausgeschlagenen Riesencactus von der Art, wie er blos alle 30 Jahre blüht. Man kann sich keine herrlichere Schöpfung des Sonnenlichtes denken. Die Sonne hat in dieser Blume sich selbst abspiegeln wollen.
Hier erhielt ich Deinen Maibrief, meine Agatha. Schön, daß Ihr endlich ein bischen Frühlingswetter in Stockholm habt und daß ihr beide, Mama und Du, gesund seid. Als Du davon sagtest, ob wir wohl in Marstrand zusammentreffen würden, wandelte mich just eine kleine Versuchung an einzupacken und auf und davon zu geben. Aber es wäre eine Thorheit von mir, mein liebes Herzchen, jetzt nach halbverrichteter Arbeit, nachdem ich so viel gesagt, aber auch so viel gelitten, um sie ausführen zu können, nach Haus reisen zu wollen. Ich fühle, daß mein Leben und meine Erfahrungen von so großer Wichtigkeit für mich sind, und ich meine so deutlich die Hand einer leitenden Vorsehung in dieser meiner Reise zu erblicken, daß ich es zu beklagen und zu bereuen hätte, wenn ich sie ohne unbedingte Nothwendigkeit unterbrechen oder abkürzen sollte. Ich muß sehr wünschen, daß ich noch einen Winter auf dieser Seite des Oceans bleiben kann. Im nächsten Juli könnte ich dann nach Hause kommen, und dann wollen wir zusammen fortfahren und die Maistange in Marstrand aufrichten.
Trotz der starken Hitze, die jetzt herrscht, fühle ich mich immer mehr acclimatisirt und kann mich weit besser als bisher über das besinnen und klar machen, was ich hier zu Lande sehe und erfahre.
Du fragst über die Stellung der Frauenzimmer im Schulwesen. Ja, darüber hätte ich Dir viel zu sagen und habe Dir auch schon Einiges gesagt. Denn ihre Stellung hier ist unzweifelhaft eine der schönsten Seiten der neuen Welt. Man sieht immer allgemeiner ein, daß die Frauenzimmer die besten Lehrerinnen der Kindheit und Jugend sind, und sie werden in großen und kleinen Schulen, auch für Knaben bis ins dreizehnte oder vierzehnte Jahr, zuweilen auch noch länger als solche verwendet. Ich habe mit jungen Frauenzimmern gesprochen, welche Lehrerinnen von siebzehn- bis achtzehnjährigen Jünglingen waren, und sie sagten, sie haben von ihnen nie etwas Anderes als Aufmerksamkeit und Achtung erfahren. Es ist wahr, daß diese jungen Mädchen in ihrem ganzen Wesen ausgezeichnet edel und ladygleich sind. Die Lehrerinnen sind bei Weitem nicht so gut belohnt, wie die Lehrer. Aber man sieht die Ungerechtigkeit dieses Verhältnisses ein, da die Gesundheit der Weiber durch diese beharrliche Arbeit mehr leidet, als die der Männer, so daß sie nicht so lang dabei auszuharren vermögen. Man hofft auch dieser unbilligen Theilung abhelfen zu können, sobald die Frauenzimmer mehr Mittel finden, sich etwas zu verdienen. Und solche Mittel und Wege beginnen sich immer mehr zu eröffnen. Eine ausgezeichnete junge Dame hier in der Stadt hat in dieser Beziehung als Aerztin Bahn für ihr Geschlecht gebrochen, sie hat sich im Kampf mit unendlichen Schwierigkeiten und Vorurtheilen (auch hier in diesem freien Lande!) so entschlossen gezeigt und durch ihr Talent einen so glänzenden Sieg davon getragen, daß man jetzt im Begriff steht, ein medicinisches Collegium für Frauenzimmer zu bilden, wo sie studiren und doctoriren können.
Das freut mich unendlich. Wie nützlich werden nicht diese Aerztinnen für ihr eigenes Geschlecht und für die Pflege der Kinder werden, namentlich bei ihren vielen besondern Krankheiten, für deren Behandlung die Frauenzimmer ein besonderes Talent zu haben scheinen!
Was industrielle Geschäfte betrifft, so glaube ich, daß die Erziehung der Frauenzimmer auch hier bedeutend vernachlässigt wird. Sie sollten weit allgemeiner, als es bis jetzt der Fall ist, in der Buchführung unterrichtet werden. In Frankreich sind die Frauenzimmer in dieser Beziehung viel weiter gekommen als hier. Und hier, wo zwei Drittel der Bevölkerung Handel treiben, wäre es von großer Wichtigkeit, wenn die Frauenzimmer das Rechnungswesen besorgen könnten. Gegenwärtig besteht ihr vornehmstes Amt außer dem Hause im Unterricht der Jugend. Ich sah dieser Tage ein Mädchen von etwa zwanzig Jahren einer Klasse von Jünglingen, unter denen sich Einige von mehr als zwanzig befanden, Declamationsunterricht ertheilen. Sie besaß ein ausgezeichnetes Talent für diese Kunst, und die Jünglinge nahmen ihre Berichtigungen wie gute Kinder hin. Sie hatten aus freiem Antrieb diese Klasse gebildet, um von ihr zu lernen.
Jetzt werde ich bald die freundliche Stadt der Freunde verlassen, um nach Washington zu fahren, wo der Congreß gegenwärtig beisammen ist und der brennende Kampf wegen Californiens und der Sklaverei bereits begonnen hat.
Philadelphia kennst Du aus Reisebeschreibungen für seine Regelmäßigkeit und Ordnung. Es hat darin den Quäckercharakter, und ist eine stille Stadt im Vergleich mit New-York; es besitzt keine Paläste und ausgezeichnete Gebäude, ist aber im Allgemeinen gut gebaut und hat schöne breite Straßen, die mit Bäumen bepflanzt sind, und hinter diesen breite Seitengänge und eine Menge prächtige Privathäuser mit marmornen Treppen und Thoren, besonders in den fashionablen Straßen. In jedem der Stadtviertel ist ein großer grüner Markt, mit Bäumen bepflanzt wie ein Park, und es ist recht gemüthlich, da herum zu spazieren und zu sitzen. Unter dieser Oberfläche von Ordnung, Reinlichkeit und Regelmäßigkeit soll sich indeß eine bedeutende Dosis Unregelmäßigkeit befinden, und unter den minder civilisirten Theilen der Bevölkerung, wie auch unter den gröbern Arbeitern und den freien Negern, meist geflüchteten Sclaven, die zum Theil sehr unordentlich leben, kommen nicht selten Streitigkeiten und Schlägereien vor. Ein Theil der männlichen Jugend in der Quäckerstadt scheint gewisse gährende Getränke in Flaschen, welche den Kork in die Höhe treiben oder die Buteille zerspringen, wenn es ihnen darin zu enge wird, sehr zu lieben. Ich sage davon blos das, was man mir erzählt hat, und ich finde es natürlich. Hätte man meinen Geist in eine strenge Quäkerform eingesperrt, so wäre ich entweder eine heilige Therese oder verrückt geworden, oder — ich wage gar nicht zu sagen, was.
Mit der Liebenswürdigen Familie Bille habe ich den schönen Kirchhof Philadelphias, genannt Lorbeerhügel, am Ufer des Schuykill besucht, (letzteren Namen will man hier aus der scandinavischen Zeit und dem dänischen „skjulte Kilder", verborgene Quellen, ableiten), und mit Townsends habe ich einige der schöneren Umgebungen der Stadt gesehen, worunter auch die pittoresken Felsenufer des Schuykill. Das Land ist überall sehr fruchtbar. Man sieht indianisches Korn (Mais) und Waizenäcker nebst schönen Wiesen. Alles zeugt von Kultur und Fleiß. Kastanien, Wallnußbäume, Eschen, mehrere Eichenarten, Ulmen, Ahorne und Linden sind die gewöhnlichen Baumgattungen. Man sieht auch häufig die kleine schöne Virginiafichte, ein pyramidenförmiges, dunkles, dichtnadliges Bäumchen, nebst vielen schönen Buscharten. Ganze Parke von Obstbäumen, meist Pfirsichbäumen, schmücken die Felder. Das Land um Philadelphia ist hübsch. Eine schöne Abwechslung von Höhen und Thälern, eine idylische Natur. Die Bäume sind groß und laubreich. Aber es kommen hier keine Bäume auf, die sich mit der Magnolia und der Lebenseiche des Südens vergleichen ließen. Die Tulpenblume habe ich auch hier gesehen.
Pennsylvanien wird der Staatenschlüssel genannt wie ich glaube, schon von alten Zeiten her, wegen seiner centralen Lage unter den ersten Unionsstaaten. In Bezug auf Bevölkerung und Wohlstand gilt Pennsylvanien für den zweiten Staat in der Union. Es hat in der Erde ungeheure Kohlenlager und in den inneren Theilen des Landes große Naturschönheiten. Der Susquehannafluß und das Wyomingthal sind durch ihre romantische Schönheit berühmt. In Bezug auf Größe und Bevölkerung kommt Philadelphia zunächst nach New-York. New-York hat 700,000 Einwohner, Philadelphia ungefähr 300,000, und die Unordnungen in der Stadt dürften wohl großentheils von der stark zunehmenden Volksmenge herrühren, mit welcher das Erziehungswesen bisher nicht gleichen Schritt halten konnte. Aber nach dem Beispiel des Pilgerstaates in neuerer Zeit hat auch der Quäckerstaat sich bedeutend angestrengt, sein Schulsystem gleich dem von Massachusetts organisirt, und schmeichelt sich sogar, wie ich höre, es zu übertreffen. Ob mit Recht, weiß ich nicht. Und jetzt lebe wohl, Philadelphia!
Bergfalk ist nach Schweden zurückgereist; am 26. Juni sollte er von Boston aus an Bord gehen. Er ist in Philadelphia tödtlich an einer Lungenentzündung erkrankt, aber durch homöopathische Behandlung gerettet worden. Während seiner Krankheit und Reconvalescenz hat er Einiges von dem überfließenden Herzen dieses Volkes erfahren, welches für den Leidenden Alles thut und keine Grenze seines Wohlwollens kennt. Und das freut mich sehr. Bergfalk hat in Amerika wie ein guter Schwede gelebt; unaufhörlich arbeitend und forschend im Gesetzeswesen und in Gesetzesfragen, stets sich besinnend: „Was kann für Schweden gut und anwendbar sein?“ Nach Anderem hat er wenig gefragt. Er sehnte sich ungemein nach Hause zurück. Es thut mir leid, daß ich vor seiner Abreise nichts mehr für ihn thun konnte, und daß Fremde an seinem Krankenlager saßen, und nicht seine Landsmännin. Sein Brief sagt mir, daß er in diesen Fremden liebevolle Brüder und Schwestern gefunden habe.
Ich empfand einen kleinen Freudeschauer, als ich vorgestern Abend vom Capitol der Vereinigten Staaten herab das herrliche Panorama des vom Potomak durchschnittenen und von goldenen Abendwolken beglänzten Landes überschaute. Es war ein prächtiger Anblick. Diese Lage des Capitols, seine Umgebung und die Aussicht, die es darbietet, gehören wahrlich zum Schönsten, was man sehen kann. Und der Volksvertreter, welcher hier für Land und Volk sprechen soll, muß nothwendig begeistert werden von dem Anblick, den er von hier aus über das Land hat; er muß Freude und Stolz empfinden, daß dieß sein Land ist und daß er für das Wohl desselben wirken kann. Ich war diesen Abend in Gesellschaft mit Miß Lynch, der anmutsvollen jungen Dichterin, die jetzt in Washington ist, um für ihre Mutter, die Wittwe eines Marineoffiziers ist, eine Pension vom Congresse auszuwirken, sowie mit dem amerikanischen Consul in Canada, einem angenehmen jungen Mann Namens Andrews.
Tags darauf besuchte ich mit ihr und Dr. Hebbe, einem seit mehreren Jahren in Amerika ansäßigen Schweden, den Senat und das Repräsentantenhaus. Der Tag war schön, die Fahne der Vereinigten Staaten mit ihren 33 Sternen (ein Stern für jeden Staat in der Union) wehte vom Capitol herab, wie dieß während der Sitzung des Congresses gebräuchlich ist. Es sah recht festlich aus. Der Senat, der in einer großen, durch hohe Fenster, sämmtlich auf dem einen Halbtheil des Saales beleuchteten Rotunde sitzt, macht einen guten und klaren Eindruck. Die Senatoren sind meistens schöne Gestalten mit theilweise eigentümlichen Physiognomien, und die Haltung des ganzen Collegiums ist ruhig und würdig, was inzwischen nicht verhindert, daß manchmal ziemlich störende und des Senats unwürdige Scenen hier vorkommen. Auch während dieser Session kam es einmal zu einem wilden und komischen Auftritt zwischen Mr. Benton, Senator von Missouri, und Mr. Foote, Senator von Mississipi; der Erstere, ein kräftiger Mann mit etwas raubvogelartigem Ausdruck und Schnabel in seinem Gesicht, ging dem Letzteren mit einer Haltung und einem Geberdenspiel entgegen, wodurch sich dieser, ein kleiner Mann von nervöser Lebhaftigkeit, veranlaßt sah, eine Pistole herauszuziehen und Benton auf die Brust zu setzen. Als aber der Senator von Alabama ganz ruhig sagte: „Geben Sie dieses Instrument her!“ und kaltblütig Foote entwaffnete, da zeigte es sich, daß die Pistole nicht geladen war. Habicht und Taube waren jetzt beide auf ihren Plätzen im Senat, und der Streit schien beigelegt zu sein, aber ich würde dem Habicht nicht trauen.
Die beiden großen Staatsmänner Clay und Webster waren im Senat, sprachen aber nicht. Clays Aueßeres habe ich Dir bereits beschrieben. Daniel Webster hat eine merkwürdige Aehnlichkeit mit unserem verstorbenen Erzbischof Wallin, besonders durch seine großen tiefen Augen und die mächtige prächtig gewölbte Stirn; aber Webster ist ein schönerer Mann und sieht massiver aus. Sein Kopf ist wahrhaft magnifik. Webster ist Senator für Massachusetts, Clay für Kentucky. Im Verhältniß zu den großen Streitfragen zwischen dem Norden und Süden hier zu Lande scheint Webster den gemäßigten Norden und Clay den gemäßigten Süden zu repräsentiren. Der Senat ist im Saale in zwei Abtheilungen getheilt. Jeder Senator hat einen kleinen Schreibpult vor sich, worauf er Papiere oder Bücher hat. Der Vicepräsident, welcher der Sprecher ist und auf einer von dem amerikanischen Adler überschwebten Erhöhung vor beiden Parteien sitzt, ist eine schöne, kraftvolle Gestalt von mannhaftem und offenem Aussehen. Auf der Zuhörergallerie, die über den Köpfen der Senatoren rund um den Saal geht, ist die vorderste Reihe für Damen bestimmt. (Amerikanische Galanterie!) Man hört also von da aus ganz gut, was im Senat gesprochen wird.
Das Repräsentantenhaus macht einen weniger vortheilhaften Eindruck. Der Saal ist weit größer und minder gut beleuchtet, als der des Senats. Auch ist die Mitgliederzahl weit größer, und sie spricht, bewegt und benimmt sich mit ungleich weniger Würde. Das Ganze machte einen chaotischen Eindruck auf mich. Und von der Zuhörergallerie herab konnte ich nicht ein einiges klares Wort hören. Der Ton kommt nicht rein dahin und die Mitglieder sprachen mit überstürzender Hast. Mit vielen Senatoren sowohl als Repräsentanten wechselte ich einen Händedruck. Sie waren ausnehmend höflich und munter.
Nachmittags führte Mr. Hale, Senator von New-Hampshire, Miß Lynch und mich nach dem Weißen Haus, der Wohnung des Präsidenten, nahe bei der Stadt, wo im Park jeden Samstag Abend Militärmusik ist und das Volk in aller Freiheit lustwandelt. Der Präsident (General Taylor) befand sich unter der Menge; ich wurde ihm vorgestellt, und wir drückten einander die Hände. Er hat ein gutes, angenehmes Aussehen und Wesen und war einfach, beinahe nachlässig gekleidet. Er soll sich durch keine großen Talente als Staatsmann auszeichnen, wird aber allgemein verehrt wegen seines reinen fleckenlosen Charakters, sowie wegen seiner Fähigkeiten und seiner Menschlichkeit als Feldherr. Der mexikanische Krieg hat ihn zum Präsidenten gemacht. Seine ganze Erscheinung kam mir mehr bürgerlich als militärisch vor. Vicepräsident Fillmore, mit dem ich an diesem Abend auch bekannt wurde, sieht mehr wie ein Präsident aus, als Taylor. Die Wohnung des Präsidenten ist ein schönes pallastartiges Haus (aber von zu einfachem Styl, um Pallast genannt werden zu können) in der Nähe des Potomakflusses. Lage und Aussichten sind schön. Die Musik spielte „das sternbesäte Banner“ und andere vaterländische Stücke. Drei- bis vierhundert Personen, Herren, Frauenzimmer und Kinder, lustwandelten im Grünen; der Abend war schön, die ganze Scene heiter und munter, sie zeugte von ächt republikanischem Geist. Ich labte mich daran, indem ich bald mit dem einen, bald mit dem andern Congreßmitglied Arm in Arm umherspazierte und nach rechts und links Händedrücke wechselte. Da man weiß, daß ich kleine Kinder liebe, führten mehrere Mütter und Väter ihre Kinder vor, um mir die Händchen zu reichen. Dieß freute mich. Der Präsident sah ebenfalls seine Lust an den Kindern, die sorglos umhersprangen oder im Grase saßen. Er schien mir ein Mann zwischen 50 und 60 Jahren zu sein; man sagt aber, er sei seiner Stellung und der gegenwärtigen Streitigkeiten in der Union herzlich müde und sehr darüber bekümmert. Hier schien er eine Ruhestunde zu genießen und stand in patriarchalischer Einfachheit und Freundlichkeit unter der Menge da.
Ich komme soeben vom Capitol heim, wo ich den Morgen zugebracht habe, wo man aber mehr mit den Senatoren Arm in Arm umherspaziert und plaudert, als man den Rednern im Senat zuhört. Das Letztere ist es jedoch, was ich wollte. Der Eintritt Californiens in die Union mit oder ohne Sklaverei ist die große Streitfrage des Tages, welche den Norden und Süden in feindliche Parteien spaltet. Niemand weiß, wie der Kampf endigen wird, und der Präsident soll neulich gesagt haben: „Es sieht allerwärts trübe aus.“ Der Staatsmann Henry Clay, der einen Vergleich zu Stande zu bringen sucht und lange dafür gearbeitet, hat in den letzteren Zeiten (man sagt, in Folge seines despotischen und übermütigen Benehmens) den Senat gegen sich bekommen, und der Widerstand, den er bei seinen Herrn Collegen trifft, macht ihm manche verdrießliche Stunde. Er beklagte sich heute bitter darüber, als ich vor der Sitzung nebst Anna Lynch, ihn auf seinem Zimmer besuchte. (Er war gestern bei mir gewesen, so lange ich im Weißen Haus war.) Sodann fragte er mich über König Oskar, seinen Charakter, seine Stellung zum Volke u.s.w. Ich bekomme so viele bedeutungslose und triviale Fragen zu hören, daß es mich wahrhaft erfrischt, wenn ich manchmal auch andere, in denen ein Ernst und ein Gedanke ist, und die mit ernster Absicht an mich, gestellt werden, zu beantworten habe. Und ich freute mich, Clay sagen zu können, daß wir in König Oskar einen guten, klugen und gerechten Monarchen besitzen, den wir lieben. In Allem, was Clay von Schweden und der schwedischen Staatsverfassung wußte, erkannte ich den Blick des Genies, das weniger Kenntnisse bedarf, um Vieles einzusehen und zu verstehen. Just als wir an diesem Capitel waren, führte der Bediente einen wunderlichen kleinen Mann mit einem Stocke in der Hand ein, der wie ein Knittel und zugleich wie ein Zauberstab aussah — irgend ein Ungeheuer aus dem großen Westen, dachte ich. Notabene, wir saßen bei offenen Thüren da. „Ist dieß Henry Clay“ sagte der kleine Mann, indem er sich und seinen Knittel gerade vor dem großen Staatsmann aufpflanzte. „Ja, mein Herr! dieß ist mein Name,“ antwortete Clay ungeduldig. „Setzen Sie sich. Was wollen Sie von mir?“ — Der kleine Mann setzte sich ganz ungenirt in einen Lehnstuhl, und ich erhob mich, indem ich etwas von meiner Befürchtung äußerte, Clay's Zeit zu sehr in Anspruch zu nehmen. „O nein, nein!“ versetzte er galant. „Damengesellschaft ist immer so erfrischend für mich. Aber diese Bursche da, ich hasse sie!“ Und er machte gegen den kleinen Mann eine Geberde, die ihn hätte aus dem Zimmer treiben mussen, wenn er ihre Bedeutung recht verstanden hätte. Aber er saß wie eingewurzelt mit seinem Knittel da und schien fest entschlossen, sich nicht stören zu lassen. Ich mußte also den müden Staatsmann dem Kobold überlassen. Clay, der in hohem Grad populär ist, läßt Jedermann vor und soll sehr überlaufen werden von Personen, die seine Zeit und seine Dienstfertigkeit in Anspruch nehmen. Gegenwärtig soll er reizbarer und ungeduldiger sein, als man ihn je zuvor gesehen hat. Der Widerstand, auf den er stößt, ist wohl die Ursache davon. Welch ein Leben! Und doch ist es das, wornach die Männer streben.
Mit dem Senator von Georgia, Richter Berrian, einem geistreichen und scharfsinnigen Mann, dem schlimmsten Sklaverei-Vertheidiger, aber, wie ich glaube, von der Patriarchanart, besah ich heute die Bibliothek auf dem Capitol, einem großen schönen Saal mit herrlicher Aussicht und einem Versammlungszimmer während der Session, wenn man von den Staatsgeschäften ausruhen, mit Bekannten sprechen will u. s. w. Hier kann man alle Tage in einer Fensternische vor einem mit Papier und Büchern bedeckten Tische eine Dame vom Anfang des mittleren Alters, von eleganter Gestalt, feinem Gesicht und einnehmendem Ausdruck sehen. Sie scheint immer beschäftigt zu sein und mit mehreren bedeutenden Männern des Congresses in Rapport zu stehen. Sie wünscht auch etwas von dem Congress und sitzt da, um ihr Anliegen zu überwachen. Was begehrt sie, was will sie? Sie will zehn Millionen Dollars (von Land im Westen) als Grundstock zu einer jährlichen Austheilung für Irrenanstalten und Armenhäuser in allen Staaten der Union. Es ist Miß Dorothea Dix, die seit zehn bis zwölf Jahren die meisten Staaten durchgereist, Narrenhäuser und andere Asyle für Unglückliche besucht und bedeutend zu ihrer Verbesserung, namentlich zur bessern Pflege und Behandlung der Wahnsinnigen beigetragen hat. Durch ihren Einfluß und die vortrefflichen Denkschriften, welche sie verfaßt und an die Regierungen der verschiedenen Staaten eingeschickt hat, sind mehrere Irrenanstalten an Orten, wo solche mangelten und die Unglücklichen der Privatwillkür oder der elendesten Vernachlässigung ausgesetzt waren, eingerichtet worden. Die einflußreiche Thätigkeit dieser Dame ist einer der schönsten Züge im bürgerlichen Leben des Weibes in der neuen Welt. Ich werde Dir später einmal, aber mündlich, mehr von ihr erzählen.
Ich komme eben heim vom Capitol, wo ich das Vergnügen hatte, Clay und Webster nebst mehreren der angesehensten Senatoren sprechen zu hören. Clay spricht lebhaft und mit starkem Nachdruck. Seine Stimme, deren Schönheit ich oft preisen hörte, frappirte mich gleichwohl nicht, und ich meine, er stoße sie oft zu heftig aus, so daß die Worte durch den beinahe bellenden Klang der Stimme übertönt werden. Webster spricht mit großer Ruhe in Ton und Wesen, aber in seiner ganzen Art und Weise liegt viel intensive Kraft. Er hat mit dem Erzbischof Wallin als Redner auch das gemein, daß er seine Stimme senkt und leiser spricht, je größeren Eindruck er machen will. Dieß ist das Gegentheil von dem sonstigen Brauch amerikanischer Redner, aber es ist von großer Wirkung. Andere Redner interessirten mich gleichfalls, aber ich konnte kaum etwas mit Ruhe anhören, weil mir fortwährend Congreßmitglieder vorgestellt wurden, mit denen ich sprechen mußte. Sie sind außerordentlich höflich. Später jedoch werde ich mein Ohr den Geschäften leihen und die leichte Conversation Anna Lynch überlassen, welche eine Meisterin darin ist, während ich nur eine Pfuscherin bin. Vom Capitol fuhren wir zum Präsidenten, der seinen Empfangtag hatte. Wir kamen spät, so daß wir allein bei dem alten Herrn waren, der heiter und freundlich war und uns von den südlichen Indianern allerlei Dinge erzählte, welche Miß Lynchs und meine etwas allzu romantische Vorstellungen von ihnen bedeutend abkühlten. Hinter seiner galanten Freundlichkeit glaubte ich eine Wolke geheimen Kummers zu erblicken, die er verbergen wollte. Seine Tochter, die Oberstin Blix, war in ihrem weißen Kleid unendlich anmuthig und schön. Sie ist ein stilles und äußerst gebildetes Wesen.
Gestern war ich über Mittag bei Professor Henry, einem ber berühmtesten Chemiker hier zu Lande. Ich fand in ihm einen großen Bewunderer von Berzelius und Oersted, wie auch einen außerordentlich liebenswürdigen Mann. Vicepräsident Fillmore kam gegen Abend. Er ist ein vollkommener Gentleman und äußerst angenehm in der Conversation.
Gestern Abend war ich mit Daniel Webster und verschiedenen andern Personen bei Mr. und Mrs. Sexton, den Eltern der Mrs. Schröder, einem schönen älteren Pärchen. Webster hat eine ungesunde, blaßgelbe Gesichtsfarbe, er geht viel allein, ist schweigsam, und sieht bedrückt und zerstreut aus. Seine schöne, freundliche Frau placirte ihn neben mich, da sie mir das Vergnügen gewähren wollte, mit ihm zu sprechen. Er hat merkwürdige Augen; wenn sie sich gegen Einen kehren, meint man in Katakomben voll alter Weißheit zu sehen. Es kommt jedoch im Alltagsgespräch und Gesellschaftsleben nich viel davon zum Vorschein, und das Tiefe liegt tief genug darinnen in diesem prächtig geformten Kopfe. Der Mann scheint vollkommen einfach und sans façon zu sein — eine sehr bestimmte Natur, die sich gibt, wie sie ist. Aber nach meinem Dafürhalten gehört er zu denjenigen, deren Kräfte erst im großen Augenblick recht eigentlich erwachen.
An der Table d'hote heute erzählte Anna Lynch, Jemand habe von Daniel Webster gesagt, kein Mensch sei so weise, als Webster aussehe. Richter Berrian fiel sogleich ein: „Nicht einmal Webster selbst!“ worauf wir Alle beifällig lachten. Anna Lynch und ich sitzen an einer Ecke der Wirthstafel, wo Clay zwischen uns sitzt, und auf beiden Seiten verschiedene Südländer, so daß ich durch meine liebe Freundin mitten in die Sklavereipartei gekommen bin. Doch kann Henry Clay nicht zu ihr gerechnet werden. Ich wohne im Nationalhotel, ziehe aber bald in ein Privathaus, wohin ich schon lange eingeladen bin. Hier im Hotel ist es ein unaufhörliches Gesellschaftsleben und eine schreckliche Hitze. Aber man bekommt da allerlei interessante Leute zu sehen und zu hören. Von dem californischen Senator, einer prächtigen Riesengestalt, die großartig für die Bewohner des großen Westens zeugt, habe ich eine Brustnadel von californischem Golde erhalten, deren Knopf ein californisches Goldklümpchen in seinem natürlichen Zustande ist, worin man — mit einiger Beihilfe der Phantasie — einen Adler erblickt, der im Begriff steht, sich zu erheben und aus seinem Neste zu fliegen.
Und jetzt, mein Herzchen, muß ich diesen langen Brief schließen. Ich werde wohl etwa vierzehn Tage in Washington bleiben; hierauf begebe ich mich an den Meerestrand, um ein paar Wochen zu baden und Stärkung zu suchen, bevor ich weiter reise. Statt mich jetzt westwärts zu wenden, was bei der starken Sonnenhitze gefährlich und mühsam wäre, gedenke ich mich nordwärts nach Maine und New-Hampshire zu ziehen (vielleicht besuche ich auch Canada, wozu der junge Mr. Andrews mir sehr räth); von da fahre ich westlich über die großen Binnenseen nach Chicago, und hierauf in die skandinavischen Niederlassungen noch weiter im Westen. Denn diese will ich endlich einmal besuchen. In der schwedischen Bauernkolonie am Mississippi sind neulich unruhige Auftritte vorgefallen, und Erich Janson (der Prophet) ist von einem Schweden Namens Rooth erschossen worden. Er soll sein Ansehen unter den Seinigen fortwährend behauptet, rings um die Kolonie aber in schlechtem Ruf gestanden haben.
Morgen, den 4. Juli, gedenken Miß Lynch und ich nach Mount Vernon, dem ehemaligen Landsitze und späteren Begräbnißplatz Washingtons, zu fahren, um da in aller Stille den großen Tag der Vereinigten Staaten zu feiern, den Tag der Unabhängigkeitserklärung, der im ganzen Land, in allen Staaten und Städten mit Reden, Kanonendonner und Toasten begangen wird. Meine kleine Freundin Miß Lynch lebt hier wie in ihrer eigentlichen Lebenslust, und ohne die geringste Koketterie zieht sie durch ihr frisches Leben und ihren heitern Witz immer einen Kreis von Personen, meistens Herren, um sich. Diesen sagt sie manche etwas gepfefferte Wahrheit, aber in einer so lustigen Art, daß sie ihnen besser gefällt als Schmeicheleien. Sie besitzt eine ausnehmende Leichtigkeit für Wortspiele und witzige Einfälle, die immer eine ermunternde Wirkung hervorbringen und in der zuweilen schweren oder gewitterschwangeren politischen Atmosphäre frische Luft schaffen. Eines Tags, als Clay gegen diejenigen loszog, die ihm bei seinem Vergleichsvorschlag egoistische Absichten, Pläne auf den Präsidentenstuhl u. s. w. unterschieben, und als er betheuernd hinzufügte: „Es liegt in keines Mannes Gewalt (in the power of Mankind), mir eine Belohnung zu bieten, die mir verlockend erscheinen könnte,“ da fragte Anna Lynch, ob er behaupten wolle, es liege auch in keiner Frau Gewalt (in the power of Womankind)?[1] Clay lächelte und sagte, darüber müsste er sich noch besinnen. Und mit seiner übeln Laune war es vorüber.
Lebe wohl, mein Kindchen! Ich küsse Dich und Mama. Das nächste Mal will ich Dir mehr von dem Kongreß und den Kongreßherren erzählen.
- ↑ Leider lässt sich dieses hübsche Wortspiel in der Uebersetzung nur sehr abgeschwächt, dem Sinne nach wiedergeben. A. d. Ueb.
Anmerkungen (Wikisource)
← Siebzehnter Brief | Die Heimath in der neuen Welt. Zweiter Band von Fredrika Bremer |
Neunzehnter Brief → |