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Die Heimath in der neuen Welt/Erster Band/Siebzehnter Brief

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Sechszehnter Brief Die Heimath in der neuen Welt. Erster Band
von Fredrika Bremer
Achtzehnter Brief
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Textdaten
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Autor: Fredrika Bremer
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Titel: Die Heimath in der neuen Welt, Erster Band
Untertitel: Siebzehnter Brief
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Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1854
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Verlag: Franckh
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: Gottlob Fink
Originaltitel: Hemmen i den nya verlden. Första delen.
Originalsubtitel: Sjuttonde brefvet
Originalherkunft: Schweden
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Erinnerungen über Reisen in den USA und Cuba
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Siebzehnter Brief.


Columbia (Südcarolina) den 25. Mai 1850. 

Es ist schon sehr lange, meine Agathe, seit ich das letztemal mit Dir geplaudert habe. Aber Tage und Stunden fahren wie der Strom dahin und ich habe nicht viele Stunden für mich. Ich schrieb Dir das letztemal in Savannah. Kurz darauf verließ ich die Stadt, noch im letzten Augenblick mit Güte und Geschenken überhäuft von seinen freundlichen Bewohnern. Meinem Wirth, Mr. Tefft, werde ich stets eine dankbare Erinnerung[WS 1] widmen für seine innige Güte und sein Wohlwollen. Im letzten Augenblick zwang er mich, ihn meine Reise nach Augusta bezahlen zu lassen.

Man spricht von dem Erwerbsinn der Amerikaner und mit Recht; aber man könnte mit demselben Recht von ihrer Neigung zu geben sprechen. Sie lieben das Geben, wie sie das Erwerben lieben. Just als ich an Bord gehen wollte, kam ein schwedischer Seekapitän, der zu einigen Personen aus meiner Bekanntschaft in Savannah gesagt hatte, er wünsche mich zu sehen, weil er an demselben Ort wie ich und Mamsell Lind erzogen worden sei. Mich belustigte der Gedanke an die Erziehungsanstalt, welche wir drei gemeinschaftlich gehabt haben sollen, und als jetzt mein seefahrender Landsmann zu mir kam und wir einander die Hände schüttelten, fragte er: „Sind Sie nicht in Stockholm erzogen worden?“ Ich bejahte es. „Ja, ja,“ sagte er dann mit bedeutsamem Kopfnicken, „so ist es, ich wußte es wohl, auch ich habe in Stockholm meine Erziehung erhalten.“ Und wir schüttelten uns die Hände und der gute Mann — denn er sah recht brav und herzlich aus — gab mir auch ein Geschenk, das ich nach Schweden mitbringen werde. Beinahe erliegend unter Geschenken, die noch im letzten Augenblick in meine Arme gelegt wurden, reiste ich ab.

Und diese Reise den Savannah-Fluß hinauf, die man mir als so langweilig und einförmig geschildert hatte, ich kann Dir gar nicht sagen, wie viele Freude sie mir machte. Das Wetter war göttlich und da der Strom stark und der Fluß vom Frühlingswasser geschwollen war, so ging die Fahrt langsam und ich hatte gute Zeit die Ufer zu betrachten, zwischen denen er sich hinschlängelte und die Meile um Meile, Stunde um Stunde blos eine einzige Landschaft zeigten, aber diese war — der Urwald. Massen von Laubwerk, von unzähligen Bäumen, Buscharten und schönen Rankenpflanzen schienen auf beiden Seiten des Flußbettes (den Ufern Georgias und Carolinas) auf den Wassern zu ruhn. Hoch, tief, undurchdringlich breitete sich da der Urwald, wie man mir sagte, mehrere Meilen ins Land hinein aus, bevor das Wasser und die Pflanzenwelt dem Anbauer Platz machten. Aber hier herrscht er in seiner ursprünglichen Ueppigkeit und Herrlichkeit vor. Ich meinte dem dritten Schöpfungstag anzuwohnen, als Gott die Pflanzenwelt „jeden Baum mit Samen[WS 2] in sich selbst“ bervorrief, dem Tag, wo die Erde ihren Mutterschooß öffnete und alle Wurzeln, Blumen und Bäume der Erde hervorbrachte. Der Savannah mit seinem rothbraunen Wasser war ein Fluß, kaum erst aus dem Chaos entsprungen und reich am Most desselben. Er hatte noch nicht Zeit gehabt, sich zu setzen, sein Wasser zu klären, als die Pflanzen in wilder Ueppigkeit hervorkamen; er liebt es mit ihnen zu spielen, und sie die neu aus dem Wasser aufgestiegen waren, scheinen sich nicht von ihm trennen zu wollen, sondern eine halbe Sehnsucht zu hegen dahin zurückzuversinken. Blühende Rankengenwächse warfen sich bis an die Gipfel der Bäume empor und fielen dann hinab, um sich wieder in die Wogen des Flusses zu tauchen. Aus diesen Massen von Grün, die Mauern, Säulenhallen, Pyramiden und die phantastischsten, massiven Gestalten bildeten, blickte zuweilen ein Katalpa-Baum in einer Flamme weißgelber Blumen hervor; dunkelgrüne, ernste Magnolien trugen ihre schneeweißen Blumen gegen das Licht, schön und zart wie dieses. Sykomoren, Ambrabäume, Tulpenbäume mit zierlich gelb und roth gesprenkelten Blumen, Maulbeerbäume, alle Arten von Eichen, Ulmen und Weiden bemerkte ich im Vorbeifahren, und am höchsten über alle ragte die Cypresse empor mit langen, hängenden Moosen, gleich Patriarchen ihre kräftigen Arme über die niedrigen Pflanzenfamilien ausbreitend. Keine Menschenwohnungen zeigten sich auf diesen Ufern, keine Spur von menschlicher Thätigkeit. Auch das thierische Leben ließ nichts von sich sehen und hören, und obschon Alligatoren (Amerikas Krokodile) schaarenweise im Savannahfluß vorhanden sein sollen, so sah ich doch keinen einzigen, kein Vogel sang, Alles war schweigsam und still, auch der Wind. Es war eine Ewigkeit voll von phantastischer Schönheit und just jetzt in der Blüthe ihrer Farbenpracht. Nur an einem einzigen Ort sah ich auf den kahlen Zweigen einer abgestorbenen Föhre zwei große Raubvögel sitzen, welche daran erinnerten, daß der Tod in die Welt gekommen war.

So ging die Fahrt in einem Hochdruckboot, dem Oregon, mit zwei schnaubenden Kaminen den Fluß hinauf, Meile um Meile, Stunde um Stunde, während Morgen und Abend, Sonne und Mond in die Wette bemüht schienen, das Schauspiel zu verschönen. Und ich sang in meiner Seele, wie ehedem Georgias älteste Colonisten sangen: „Wie schön ist die Schöpfung, wie herrlich ihr Schöpfer.“ Und dann dachte ich: Welch ein Poem, welch eine herrliche Romanze ist nicht dieser Welttheil in seinem Naturleben! Welchen Reichthum, welch schöne wechselreiche Scenen schließt er nicht in seinem Schooße ein! Ich war jetzt wieder allein mit Amerika, und Amerika öffnete mir seine Mysterien, und ließ mich seinen Reichthum, das Erbtheil kommender Geschlechter, wahrnehmen.

Der Savannah bildet die Grenze zwischen Carolina und Georgia. In Carolina hatte ich zärtlich geliebte Freunde, aber Georgia liebte ich mehr und wandte mich seinem Ufer als einem freieren, jugendfrischeren Lande zu. Die Fahrt war für mich ein unaufhörliches Fest und ich wollte blos schweigen und genießen. Aber um das zu können, mußte ich im Salon einer Schaar schöner, aber wilder junger Mädchen ausweichen, die auf eigene Faust eine Vergnügungsparthie machten und schwatzend, rufend und lachend hin und hersprangen; und ebenso auf dem Verdeck einigen Herren Plantagebesitzern, die höflich waren und sprechen wollten, aber von nichts als Baumwolle, Baumwolle, Baumwolle sprachen, und wie die Welt sich immer mehr um die amerikanische Baumwolle zu drehen anfange. Ich floh von diesen Baumwolleverehrern und suchte Einsamkeit mit dem Fluß und dem Urwald, mit dem Schatten und dem Licht allda. Unter dem Haufen junger Mädchen war auch ein Jüngling, ein schöner junger Mann, der Bruder oder Verwandte einer von ihnen. Er sollte später am Abend das Schiff verlassen. Die wilden jungen Mädchen hielten ihn fest, umarmten und küßten ihn eine um die andere unter Spiel und Gelächter, während er halb verdrießlich, halb entzückt sich aus ihren Armen loszureißen suchte. Welchen Eindruck mochte wohl der junge Mann von dieser nächtlichen Scene mitnehmen? Gewiß ist es nicht Achtung für das Weib. Einer der ältern Herrn auf dem Verdeck schüttelte den Kopf über die Aufführung der Mädchen: „Sie haben dem jungen Mann den Kopf verrückt,“ sagte er. Erst spät in der Nacht konnte ich schlafen, so lang lärmten diese jungen Mädchen fort. Der nächste Tag war Sonntag und die Erde schien einen Festtag zu feiern, so still und so hochzeitlich geschmückt zeigte sich die Natur. Die wilden jungen Mädchen wurden still und versammelten sich vor meiner Kajüte, deren Thüre gegen den Fluß hinaus offen stand. Sie waren offenbar in der Stimmung, Etwas Ernstes zu hören und zu denken. Der Friede des Festtages weilte über diesen Kindern. Und hätte irgend ein vom Himmel gesandter Sämann jetzt die Saat der Wahrheit und den Begriff vom höhern Leben in diese jungen Seelen ausgestreut, so wäre die Aussaat sicherlich in gute Erde gefallen. Ich glaube an die angeborne und innige Verwandtschaft der Weibernatur mit dem Höchsten, und es thut mir wehe, wenn ich sie wie hier verwildert sehe. Nicht als ob ich meinte, daß eine wilde Stunde in einem Menschenleben viel zu bedeuten habe, alles hängt von der Grundrichtung des Ganzen ab; aber überläßt man die Natur sich selbst, so wird daraus eine Wildniß, und die Wildniß in der Menschennatur ist weit weniger schön als die des Urwalds (und auch diese wäre nicht gut, um darin zu leben). Ein ordnender Geist der höheren Natur muß an den jungen Heiden Hand legen, um ihn vollkommen menschenwürdig und schön zu machen.

Väter und Mütter in der neuen jungen Welt scheinen das alte Sprichwort: Die Gewohnheit ist die zweite Natur, und das ebenso gute Sprichwort: Es ist leichter einen Bach zu stemmen als einen Fluß, nicht gehörig zu bedenken.

Heute Nacht wurden die jungen Mädchen da und dort bei den Plantagen, von wo Nachen und Schiffe kamen, um sie abzuholen, ausgesetzt, und von den Ufern hörte ich liebevolle Willkommstimmen und sah freundliche Feuer leuchten in dem tiefen Dunkel. Denn der junge Mond war bereits untergegangen und das Nachtdunkel ist sehr finster um diese Zeit, während an unserem Himmel die Abendröthe Erde und Himmel beleuchtet, bis sie von der Morgenröthe abgelöst wird.

Es war Samstag Nachmittag, als ich in Savannah ausstieg. Am Montag Morgen war ich in Augusta, wo der gefällige, ehrliche Mr. Bones mich in seinem Wagen in sein Haus abholte. Und hier wurde ich mit großer Freundlichkeit empfangen von seiner Frau, einer ausnehmend hübschen Irländerin mit einem schönen Gesicht von englischem Charakter, aber etwas milderen Gepräges, und von Hannah Longstreet, dem blassen Mädchen aus dem Süden, das ich auf meiner Ueberfahrt kennen gelernt und so sehr liebgewonnen hatte. Mit Freude fand ich sie jetzt bedeutend besser von ihrer europäischen Reise, und sie erschien mir im Kreise der Ihrigen noch liebenswürdiger als zuvor.

Hier verbrachte ich einige recht angenehme Tage, indem ich blos Abends Besuche empfing und Nachmittags Ausflüge nach den Pflanzungen in der Gegend, sowie an andere Orte machte. Auch hier mußte ich allerdings oft dieselben trivialen und widerwärtigen Fragen hören und beantworten; eine der schlimmsten und gewöhnlichsten ist: „Entsprechen die Vereinigten Staaten Ihren Erwartungen“ — aber ich lernte auch einige vortreffliche Menschen, Männer und Frauen, kennen, wahre Christen und ächte Bürger der neuen Welt, die im Stillen klug und thätig das Werk der Befreiung ausführen, während sie den Sclaven auf den Weg der Selbstbefreiung verhelfen, indem sie ihnen nämlich Gelegenheit geben, Geld zu verdienen, dasselbe nützlich anzuwenden, und sie zum Fleiß und Wohlverhalten aufmuntern durch die Aussicht, binnen wenigen Jahren ganz befreit zu werden und somit den Lohn ihrer Arbeit zu empfangen. Wie schön sie mir in dieser Thätigkeit erschienen, besonders ein älterer Mann und ein älteres Frauenzimmer! Wie gut und liebenswürdig ich sie fand! Wie glücklich fühlte ich mich, sie kennen zu lernen! Einer dieser Menschenfreunde hatte einem Negerweib ein kleines Kapital vorgestreckt, womit sie auf eigene Faust eine Arbeit unternommen hatte, von deren Ertrag sie nicht blos monatlich ihrem Besitzer den Zins der Summe bezahlte, wofür er sie gekauft, sondern sich zugleich die Mittel verschaffte, vier von ihren Kindern aus der Sklaverei loszukaufen; das fünfte befand sich noch darin, aber auch dieses sollte durch den Geldbeitrag eines wohlwollenden Mannes bald befreit werden. Aber was denkst Du von dieser Sklavin, die nichts darnach fragt, selbst in der Sklaverei zu bleiben, wenn sie nur ihre Kinder loskaufen kann? Eine solche Mutter wäre in den Zeiten Athens und Spartas als eine Ehre für die Menschheit gepriesen worden. Aber diese Mutter bleibt eine unbekannte Sklavin. Es ist wahr, daß sie sich in ihrer Stellung wohl befindet und eine Freiheit nicht wünscht, die sie bei ihrem Alter nicht gewinnen könnte, ohne ein sorgenfreies Leben gegen ein mühsameres, wenigstens in Liberien zu vertauschen. „Wenn ich alt werde, so daß ich nicht mehr arbeiten kann,“ sagt sie, „so muß mein Herr für mich sorgen.“ Und so denken viele alte Sclaven und bekümmern sich nichts um eine Freiheit, bei der sie selbst für sich sorgen müßten. Und das ist gut, wenn die Herrschaft gut ist und nicht vor den alten Sklaven stirbt. In letzterem Fall ist ihr Schicksal höchst ungewiß und wird manchmal unter fremden Herrn weit schlimmer, als das Loos von Hausthieren.

Bei meinen Besuchen auf etlichen Pflanzungen sah ich ganz deutlich, daß die Frauen mich mit argwöhnischen Blicken anschauten. Eine dieser Frauen gewann ich nichts destoweniger lieb. Sie schien mir eine frische, schöne mütterliche Natur zu sein. Ich bat sie um Erlaubniß, mich in dem Sklavendorf in der Nähe des Herrschaftsgebändes umzuschauen. Sie bewilligte es kalt und ging mit mir. Die Hände (Hände werden im Süden die Arbeitsneger genannt, Feldhände auf den Plantagen) waren jetzt außen auf dem Feld, um das Korn zu besorgen, und ihre Häuser waren verschlossen. Einige davon waren jedoch offen, und in diese ging ich hinein. In einem von ihnen saß auf seinem Bett ein alter Neger, der ein Fußübel hatte ; er selbst und Alles im Hause trug das Gepräge sorgfältiger Pflege. „Er wird in seinem Alter wohl verpflegt, denn er ist einer von unsern Leuten,“ sagte Mrs. E. laut zu mir, so daß die Neger es hören konnten; „wäre er frei, würde er dann wohl auch gepflegt werden?“ — „Warum?“ dachte ich aber still vor mich selbst, denn ich wollte der Neger wegen nicht laut sprechen. „Auch wir in Schweden haben auf unsern Gütern alte und kranke Diener, und obschon sie frei sind und frei den Lohn genießen, den sie verdienen, so halten wir es nichts destoweniger für Recht und Pflicht, ihnen in ihrer Krankheit und ihrem Alter alle mögliche Pflege angedeihen zu lassen, und wenn sie uns gut gedient haben, dieses Alter so glücklich wie möglich zu machen, soweit unsere Mittel reichen. So wenigstens thun gute Dienstherrn in Schweden. Die schlechten daselbst mögen wie die bösen Sklavenbesitzer hier — dahin fahren, wohin sie gehören.“ Dies hätte ich jedoch Mrs. E. sagen mögen und würde es ihr auch gesagt haben, wenn wir allein gewesen wären, denn ich konnte nicht umhin, in ihr eine etwas stolze, aber im Grund edle Natur zu erblicken, die durch die Unbilligkeit der Abolitionisten gegen die Stellung der Sklavenbesitzer zur Unbilligkeit gegen die Arbeiter getrieben wurde, welche aber die Wahrheit einsehen könnte und müßte, wenn dieselbe ohne polemische Bitterkeit ihrem freien Urtheil unterstellt würde. Aber ich erhielt keine Gelegenheit, die Probe anzustellen, denn wir waren niemals allein.

Die Sclavendörfer in Georgien sehen ebenso aus wie die in Carolina; die Stellung der Sclaven auf den Plantagen schien mir auch dieselbe zu sein. Der gute und der böse Herr, darin besteht der einzige Unterschied; dieser ist aber in solchen Verhältnissen unermeßlich. „Hier wohnt ein Plantagenbesitzer, der durch Grausamkeit gegen seine Leute bekannt ist,“ wurde mir einmal gesagt, als ich an einem schönen, von laubigen Gebüschen und Bäumen beinah vedeckten Landhaus vorbeifuhr. Dieß weiß man und man geht hier mit einem solchen Mann nicht gern um. Aber das ist Alles. Der Engel der Gerechtigkeit und der Engel der Liebe wagen sich nicht in diese mystischen Haine, wo Menschen geopfert werden. Welch ein Heidenthum mitten im Christenthum! Aber dieß rächt sich auch an der weißen Race und man sieht es an vielen Dingen.

Eines Tags besuchte ich im Wald arme Leute von den sogenannten „Erdessern“; dieß ist eine Art armseliges weißes Volk, das sich sowohl in Carolina als in Georgien in Menge vorfindet, in den Wäldern ohne Kirchen und Schulen, ohne Heerd und zuweilen ohne Haus lebt, dennoch aber selbstständig und stolz in seiner Weise ist und durch eine kränkliche Begierde getrieben wird eine Art fetter Erde zu essen, die sich hier vorfindet, bis dieser Geschmack eine ebenso große Leidenschaft wird, als die Liebe zu starken Getränken, obschon er allmälig sein Opfer verzehrt, dessen Haut ergrauen macht, so daß sein Körper sich bald mit der Erde vermischt, wovon er sich genährt hat. „Thon-Esser“ (Clay-eaters) nennt man diese erdeessenden, außer dem Gesetz stehenden Menschen. Man weiß nicht woher sie gekommen sind und weiß auch kaum wie sie fortleben, aber sie sowohl, wie das sogenannte „Sandhügelvolk“, arme weiße Leute, die in den magern, sandigen Gegenden den der südlichen Staaten leben, sind hier in Menge vorhanden. Das Sandhügelvolk ist gewöhnlich ebenso sittenlos als unwissend; denn da die Staatsgesetze verbieten, Negersclaven lesen und schreiben zu lehren, und da in Folge dieses Gesetzes Schulen sich in Ländern nicht halten können, wo die Hälfte der Bevölkerung aus Sclaven besteht und das Land daher nicht sehr bevölkert ist, so bleiben diese armen weißen Leute ohne Schulen und so gut wie ohne allen Unterricht. Außerdem fehlt es diesen Leuten an Gefühl für die Ehre der Arbeit und ihre Anziehungskraft. Das erste, was ein Weißer thut, wenn er sich ein Bischen Geld erworben hat, ist, daß er sich einen Sclaven oder eine Sclavin kauft. Und dieser oder diese muß jetzt für das ganze Haus arbeiten. Die arme Dienstherrschaft setzt eine Ehre darein nichts zu thun, und läßt alle Arbeit durch den Sclaven verrichten. Die Sclavenarbeit ist gewöhnlich nicht viel werth und wird immer weniger werth unter einem faulen Herrn. Das Haus gedeiht dadurch nicht. Und hungert die Herrschaft, so hungert der Sclave und Alles ist im Elend. — Aber zurück zu den Erdessern.

Herr Grön und seine Familie waren gute Exemplare von dieser Menschenart. Sie wohnten tief innen in einem Wald ohne Weg und Steg. Es war ein heißer und qualmiger Tag und qualmig war es im Wald. Pflanzen von Gifteichen (eine Art Zwergeichen, die sehr giftig sein sollen) wuchsen überall im Sande. Weit innen im Wald stand ein neugebautes Häuschen und barmherzige Leute hatten der Familie darin zur Aufnahme unter Dach und Fach geholfen. Hier wohnten Mann und Frau mit 5 oder 6 Kindern. Sie hatten ein Dach über dem Kopf, aber das war auch Alles; Geräthschaften irgend einer Art sah ich nicht, ebensowenig ein Kamin, und eine Thüre fand sich nicht vor. Aber Herr Grön, ein freundliches Männchen von 50 Jahren, war zufrieden mit seiner Welt, mit sich selbst, seinen Kindern und besonders mit seiner Frau, die er als das beste Weib in der Welt beschrieb und von der er wirklich bezaubert zu sein schien. Die Frau, obschon von Farbe und Kleidern grau wie die Erde und jämmerlich mager, war offenbar noch ganz jung und eine wahre Schönheit in Bezug auf ihre Gesichtszüge. Sie sah gut, aber nicht vergnügt aus; sie war still und schaute oft auf ihre Kinder, die schönsten, prächtigsten, ungetauften Jungen, die man sich denken kann, und die sich in der allerschönsten Freiheit und Natürlichkeit munter und flink um einander tummelten; ganz untadelhafte, Menschenstoffe, dachte ich, und besser als manche getaufte verzogene Salonsjungen.

Herr Grön war redselig und erzählte ohne Aufforderung Verschiedenes aus seiner Lebensgeschichte. Er war eine Zeit lang Aufseher bei einem Sklavenbesitzer und Geistlichen gewesen, fand aber das Amt so grausam, daß er es aufgab. Er konnte es nicht über das Herz bringen, Sklaven zu peitschen und peitschen zu lassen. Aber sein Herr erlaubte ihm niemals davon abzustehen und andere waren nicht besser. Er hatte sie erprobt. Dieser da, dachte er, sollte menschlicher sein, da er ein „kirchlicher Mann“ war. „Und er war auch im Anfang nicht böse, aber nachdem er sich mit der Tochter eines reichen Plantagebesitzers verheirathet hatte, veränderte er sich und wurde mit jedem Jahre schlimmer. Aber daran war seine Ehe schuld, denn er war unglücklich mit seiner Frau.“ Der Erdesser im Walde sah mitleidig auf den reichen Mann und — „einen kirchlichen Mann“ — herab, der mit seinem Weib unglücklich und gegen seine Leute grausam war. Er, der freie Mann im wilden Wald mit seiner schönen und sanften Frau und seinen hübschen Kindern, war reicher und glücklicher als dieser. — Herr Grön war stolz wie ein König in seiner freien, schuldlosen Armuth. „Aber kann man nicht auch als Sklavenaufseher sanft sein?“ fragte ich, „Nein!“ antwortete er, „man muß hart sein, man muß sie mit der Peitsche treiben, wenn sie etwas Tüchtiges arbeiten sollen, und anders duldet es der Plantagebesitzer nicht.“

Ich lasse Herrn Gröns Muß in seinem Werth und will nicht darnach fragen, ob es nicht in Mangel an Klugheit und Milde seinen Grund haben könnte. Aber wahr ist, daß die Aufseher, die ich bis jetzt gesehen habe, mir durch einen gewissen harten und wilden Zug in ihrem Wesen, besonders in ihren Augen mißfallen. Und einer der schlimmsten Beschwerdegründe gegen das Leben auf den Plantagen scheint mir darin zu liegen, daß die Sklaven sehr oft eine lange Zeit des Jahres in der Gewalt dieser untergeordneten Leute gelassen werden, wenn der Herr und seine Familie aus Gesundheitsrücksichten oder zu ihrem Vergnügen von den Plantagen abwesend sind.

Einen Tag nach meinem Besuche bei den Erdessern wohnte ich einer Festlichkeit in Augusta bei, nämlich der vom Staat Georgia ausgehenden Ueberreichung eines Ehrensäbels an einen jungen Offizier aus Augusta, der sich im Krieg mit Mexiko ausgezeichnet hatte und schwer verwundet worden war. Eine hohe Estrade war in Eile in einem kleinen Park innerhalb der Stadt errichtet worden, und ringsum zog sich amphitheatralisch eine Gallerie mit Bänken und Sitzen, die voll Zuschauern waren. Auf der mit Teppichen belegten und mit Fahnen geschmückten Erhöhung wurde dem jungen Krieger das Schwert überreicht. Es war eine recht schöne Scene unter dem freien Himmel und den schönen Bäumen, deren es nur allzuviele und in einer allzulangen Reihe waren. Der junge Held des Tages gefiel mir, denn er sprach in seiner Rede mit Liebe und Lob von mehreren seiner Kriegskameraden die, wie er sagte, die Auszeichnung besser verdient haben würden, als er, und er erzählte von ihren Thaten. Er schien just seine Freude daran zu finden, die Heldenthaten seiner Kameraden zu preisen, und er breitete sich von ganzem Herzen darüber aus. Die Versammlung applaudirte eifrig. Es wurden noch mehrere Reden zum Besten gegeben und ich muß immer die große Leichtigkeit bewundern, womit die Amerikaner sprechen. Aber als der Reden zu viele und zu lange wurden, da mußte ich an Mr. Poinsetts Aeußerung denken, der einmal, als ich diese Leichtigkeit im Redenhalten pries, mir erwiederte: „it is a great missfortune“ (Es ist ein großes Unglück). Nach der Zeremonie wurden 100 Schüsse gethan, die Einem das Trommelfell, wo nicht gar Festungsmauern sprengen konnten.

Der Held des Tages stieg von seiner erhöhten Stellung unter den Haufen seiner Freunde und Bekannten herab; sein Ehrensäbel mit dem schönen silbernen Gefäß nebst Inschrift und zierlichem Gehäng ging von Hand zu Hand, um beschaut zu werden. Darauf spielte die Musik, und die Gesellschaft unternahm eine tanzende Promenade unter den mit farbigen Lampen beleuchteten Bäumen, bei welcher Gelegenheit die Unterzeichnete und der junge Held das erste Paar bildeten. Hierauf entstand ein langer Tanz. Eine Menge kleiner Mädchen zeichneten sich darin aus, was höchst zierlich aussah, obschon es mir nicht gefiel, die jungen Kinder schon so fein und altklug im Tanzen zu sehen. Die nicht tanzenden Damen saßen in großer Galla auf den Bänken in den Gallerien unter den Bäumen. Viele waren sehr schön. Es überraschte mich, als Mrs. E. (die Plantagenbesitzerin, die mich etwas schief ansah, mir aber dennoch gefiel) mir ihren Mann vorstellte und nebst ihm mich mit vieler Wärme und Freundlichkeit einlud, auf ihre Pflanzung hinauszukommen und da zu wohnen, so lang ich wolle. Es that mir leid, das freundliche Anerbieten ablehnen zu müssen, und daraus ersah ich, daß ich mich in meiner Vorliebe für die Frau nicht getäuscht hatte. Ihr Mann sah auch äußerst angenehm aus. Ein Platzregen kam höchst unvermuthet, machte dem Fest ein plötzliches Ende und schickte die Leute in buntem Untereinander nach Hause.

Daheim bei Bones hörte ich Neger singen, welche Hannah Longstreet hieher bestellt hatte. Ich wollte gern ihre eignen naiven Gesänge hören, aber sie antworteten, daß sie den Herrn lieb haben und blos geistliche Lieder singen. Diese Beschränktheit gefiel mir nicht, aber ihre 4stimmigen, geistlichen Gesänge waren herrlich. Es ist unmöglich, reiner und besser zu singen. Sie hatten Notenbücher vor sich und schienen nach ihnen zu singen; ich hörte jedoch meine Wirthsleute lächelnd bezweifeln, daß dieß im Ernste geschehe. Mitten während des Gesanges begann ein Hahn gellend im Haus zu krähen und fuhr unablässig damit fort. Aus der Munterkeit, welche dieser Umstand hervorrief, ersah ich, daß irgend ein Schwank dabei sein müßte. Es war auch kein Hahn, der krähte, sondern ein junger Neger vom benachbarten Hof, der sich die Fertigkeit des Hahns angeeignet hatte und bei dem Concert mitspielen wollte.

Hierauf kam ein andrer junger Neger, der weniger kirchlich gesinnt war als die andern und zu seinem Bagno mehrere Negerlieder sang, die im Süden allgemein bekannt sind und von den Negern, von denen sie herrühren, wie auch in den nördlichen Staaten von allen Klassen der Bevölkerung gesungen werden, denn sie sind in hohem Grad populär. Ihre Musik ist melodisch, naiv, voll von rhytmischem Leben und hat viel Innigkeit. Mehrere dieser Lieder erinnern an Haydns und Mozarts einfache und schöne Melodien, so z. B. „Rosa Lea“, „O Susanna“! „Theuerster Mai“, „Führt mich zurück nach Altvirginien“, „Onkel Red“ und „Mary Blane“, die sämmtlich, Text sowohl als Musik, von einer rührenden Innigkeit sind. Sonst ist der Text weniger probehaltig, als die Musik; er ist oft kindisch und es kommen darin manche ganz närrische Ausdrücke und Bilder vor, mitunter aber auch Ausdrücke und Wendungen, die höchst poetisch sind, sowie kühne und glückliche Uebergänge in den Situationen, wie wir sie in den ältesten Anfängen unserer nordischen Völker finden.

Gewöhnlich sind diese Negergesänge Balladen oder richtiger Romanzen, die Schilderungen von den Liebesverhältnissen des Volkes und den Lebensschicksalen Einzelner enthalten. Man merkt keine Phantasie, keinen dunkeln, sagenreichen Hintergrund, wie in unsern Liedern; dagegen aber viel Gefühl und eine naive, oft humoristische Auffassung des Augenblicks und seiner Verhältnisse. Diese Gesänge sind unterwegs, auf den Wanderungen der Sklaven entstanden; auf den Flüssen, während sie ihre Kähne ruderten, oder ihre Baumflotten den Strom hinauf führten, und besonders bei den Kornerndten, welche für die Neger dasselbe sind, was für unser Bauernvolk das Biersieden, und wobei sie aus dem Stegreif alles singen, was in ihren Herzen und Sinnen am höchsten oben ist. Ja, alle diese Gesänge sind eigentlich Improvisationen, die im Sinn und Gehör des Volkes Wurzel gefaßt haben und immer wieder gesungen worden sind, bis weise Männer mit Musikkenntnissen sie aufgefaßt und aufgezeichnet haben. Und diese Improvisation geht noch jetzt alle Tage fort. Man merkt den Gesängen leicht an, wie sie entstanden sind. Sie sind Kinder der Natur und der Zufälle; Ergießungen der Freuden und Kümmernisse eines kindlichen Geschlechts. Der Reim kommt, wie er kann; zuweilen plump, zuweilen gar nicht, zuweilen höchfst frisch und vollkommen; der Rhytmus ist vortrefflich und die Schilderungen haben lokale Farbe und Bestimmtheit. Alabama, Louisiana, Tennessee, Carolina, Altvirginien, alle die melodischen Namen der südlichen Staaten, Namen von Städten, Flüssen und Orten, wo die Sklaven verweilen, kommen in diesen Liedern vor, nebst ihren Liebesgeschichten, und geben sowohl den Liedern, als auch den Staaten und Orten, welche sie besingen, Lokalinteresse und Farbe. So sind diese Lieder gleichsam die Blume und der Duft des Negerlebens in diesen Staaten, Blumen, die auf die Wege der Flüsse geworfen und vom Wind da und dorthin getrieben werden, Düfte von der Blüthenpracht der Wildniß in ihrem Sommerleben; denn in diesen Gesängen findet sich keine Bitterkeit und kein Düster; sie sind Erzeugnisse vom Sommertag des Lebens und zeugen davon. Und wenn die Bitterkeit oder der Zustand der Knechtschaft in den Ländern der neuen Welt für immer aufhört, dann werden die Gesänge noch leben und von dem Lichtleben zeugen, wie das phosphorescirende Feuer der Feuerfliege noch lebt, wenn die Schalraupe zertreten ist.

Der junge Neger, den ich diesen Abend singen hörte, sang unter anderem ein Lied, dessen frische Melodie und eigenthümlichen Tonfall ich Dir mittheilen zu können wünschte. Vom Text erinnere ich mich noch des ersten Verses, der also lautet:

Ich geh zum alten Pee-Dee,
Und dort bei’m alten Pee-Dee!
In einer Sommernacht
Bei des Mondes Pracht
Werde ich meine Sally sehn.

Die letzten Buchstaben des ersten und letzten Verses werden lange ausgehalten. Die Romanze schildert sodann, wie der Liebhaber und Sally sich verheirathen, sich niederlassen und glücklich leben werden, alles an dem „alten Pee-Dee“! … eine herzig nette, südländische Idylle.

Der Bagno ist ein afrikanisches Instrument aus der Hälfte einer sehr hartschaligen Frucht gemacht, die man Kalebasse oder Gourd nennt; über die Oeffnung wird eine dünne Haut oder eine Blase gespannt und darüber eine oder zwei Saiten, die man oben mit einem Heft befestigt. Der Bagno ist des Negers Guitarre und gewiß das erstgeborne unter den Saiteninstrumenten.

Tags darauf beim Mittagessen bei Mr. und Mrs. Gardiner machte man mir auch das Vergnügen, mich die Negergesänge hören zu lassen. Der junge Neger, welcher sang, hatte eine schwache Brust, konnte also nur wenig arbeiten, und deshalb hatten gute Menschen ihn durch Unterricht und Uebung seine musikalischen Gaben ausbilden lassen. Er sang vortrefflich, und um den eigenthümlichen Zauber dieser Lieder zu verstehen, muß man sie von Negern mit ihren strahlenden Blicken und ihrer naiven Hingebung singen hören.

Augusta ist ein Städtchen von derselben Bauart wie Savannah, aber kleiner, auch weniger schön, und in jeder Beziehung unbedeutender; gleichwohl ist es recht zierlich und liegt an einer breiten Bucht des Savannahflusses. Ringsumher sind nette Landhäuser mit Gärten. Ich besuchte verschiedene, sah schöne und ernste Familien und hörte den hundertzüngigen Vogel im Eichwalde singen. Eichen wie unsere schwedischen gibt es hier nicht, aber eine Menge anderer Eichenarten, worunter die Lebenseiche mit ihren glatteckigen, feinen, ovalen Blättern die prächtigste ist.

Während meines Aufenthalts in Augusta war ich eine Zeit lang unschlüssig wegen eines Ausflugs, den ich nordwärts zu unternehmen beabsichtigt hatte. Ich wünschte sehr, das Hochland Georgias und den Tellulahfall in dieser Gegend besuchen zu können, den man mir in Charleston als den pittoreskesten in Amerika beschrieben hatte; ich hätte gern das Original gesehen, das vor ein paar Jahren bei diesem Wasserfall das erste Wirthshaus baute und seine älteste Tochter „Magnolia grandiflora,“ seine zweite „Tellulahfall“ taufte, auch seinem Sohne irgend einen andern kuriosen Namen gab, dessen ich mich jetzt nicht mehr erinnere. Ich war schon halb entschlossen, die Fahrt zu unternehmen, und ein freundliches, junges Frauenzimmer hatte mir Briefe an ihre Freunde in Athen und Rom mitgegeben, Städte auf dem Weg an den Tellulahfall, die sich vermuthlich zu den großen Städten dieses Namens ungefähr ebenso verhalten, wie wir zu Adam und Eva; aber die Hitze wurde so heftig und ich fühlte mich so matt davon, auch schilderte man mir die Reise als so beschwerlich, daß ich sie unterließ und statt dessen nach Charleston zurückzureisen beschloß über Columbia, die Hauptstadt von Südcarolina, deren außerordentlich schöne Lage in der Hochlandgegend des Staats man mir gepriesen hatte. Mit dem Versprechen des Wiedersehens verabschiedete ich mich von meinen freundlichen Wirthsleuten, dankbar für den Aufenthalt in ihrem Hause, sowie für Alles, was der Aufenthalt in Augusta mir an Gold gegeben hatte, und zwar an besserem Gold, als das kalifornische ist. Der ehrliche, gefällige Mr. Bones begleitete mich eine Strecke Wegs, bis ich auf der andern Seite des Flusses an die Eisenbahn kam.

Auf dem Wege dahin kamen wir am Sklavenmarkt vorbei und 40-50 junge Personen beiderlei Geschlechts wurden just jetzt auf der Piazza vor dem Haus auf- und abgeführt, in Erwartung eines geneigten Käufers. Sie sangen, sie schienen munter und gedankenlos zu sein. Auf meinen Wunsch hielten wir an und stiegen aus dem Wagen. Die jungen Sklaven, die hier verkauft werden sollten, waren von 12 bis 20 Jahre alt; auch war ein bloß fünfjähriger Knabe ohne Angehörige da. Er hielt sich an den Sklavenwächter, der arme, kleine Junge. Wo war seine Mutter? Wo war seine Schwester und sein Bruder? Mehrere dieser Kinder waren helle Mulatten und einige Mädchen recht hübsch. Ein zwölfjähriges Mädchen war so weiß, daß ich geglaubt hätte, sie gehöre der weißen Race an; auch, ihre Züge glichen denen der Weißen. Der Sclavenwächter sagte uns, tags zuvor sei ein noch weißeres und schöneres Mädchen für 1500 Dollars verkauft worden. Diese weißen Kinder der Sklaverei werden meistentheils Opfer des Lasters und versinken in die tiefste Erniedrigung. Noch einmal, welch ein Heidenthum mitten in einem christlichen Land! … Die meisten dieser jungen Sklavenkinder waren aus Virginien, das, da es nicht vieler Sklavenarbeit bedarf, seine jungen Sklaven nach dem Süden verkauft. Es waren einige Herrn da, und etliche von ihnen machten mich aufmerksam darauf, daß die jungen Leute munter und sorglos aussahen. „Um so betrübender ist ihr Zustand,“ dachte ich. Der Gipfel der Erniedrigung ist sie nicht zu kennen.

Von diesem Schandfleck in Georgias jungem, schönem Staat wandte ich meinen Blick einem andern Platz zu, der reich an Ehre und Hoffnung ist. Er heißt „Liberty County“; und ich bedaure sehr, daß ich diese älteste Heimath der Freiheit in Georgia nicht besuchen konnte. Hier begann die erste Bewegung im Süden für die Unabhängigkeit Amerikas. Die „Freiheitsjungen“ gingen von hier aus, und hier haben auch in den letzten Zeiten die ersten wirksamen Bewegungen für die Erziehung der Neger zum Christenthum, sowie für ihre Befreiung und Colonisation in ihrem afrikanischen Mutterlande begonnen. Vor kurzer Zeit starb in Liberty County ein reicher Plantagenbesitzer, der durch seinen Eifer in dieser Sache und durch seine Menschenliebe allgemein bekannt war, Mr. Clay. Seine Leiche wurde von einer großen Schaar weißer sowohl als schwarzer Menschen zu Grabe begleitet. Die Weißen kehrten nach der Beerdigung in ihre Häuser zurück; aber die Neger blieben die ganze Nacht am Grabe stehen und sangen Psalmen. Mr. Clay´s Schwester hat nebst ihrem Bruder an der Arbeit für die Emporhebung der Sklaven Theil genommen und man sagt, daß sie nach dem Tode des Bruders dieselbe fortsetze. Gott segne die edeln, freisinnigen Menschen!

In Georgia fand ich im allgemeinen folgende Ansicht über die Sklaverei vorherrschend:

„Die Sklaverei ist ein Uebel. Aber in Gottes weisem Rath wird sie für die Neger ein Gut werden. Die Weißen, die sie in Sclaverei gebracht haben, werden ihre Schuld dadurch sühnen, daß sie ihnen das Christenthum geben und sie Ackerbau und Handwerk lehren. So werden sie zuerst erzogen, hernach allmälig befreit und in Afrika colonisirt werden. Afrikas heidnische Völker werden durch die zu Christen gewordenen und befreiten Sklaven Amerikas zum Christenthum übergeführt und civilisirt werden.“

Ich bin überzeugt, daß dieß die Wahrheit und der Weg ist. Und in dieser Ansicht in Georgia, sowie in ihren beginnenden Wirkungen sehe ich einen Beweis, wie die öffentliche Meinung hier zu Lande den Gesetzen voraus ist. Denn das Gesetz für die Behandlung der Sklaven steht in Georgia wie in Carolina sehr tief.

Georgia kann mit mehr Recht als Carolina der Palmettostaat[WS 3] genannt werden, denn es finden sich hier wirklich ein Menge Palmetto’s vor, und überdieß mehrere Pflanzen, welche die Nähe des Wendekreises und eine neue Face vom Kopf der Erde andeuten, (Und wie gerne möchte ich nicht dieses Angesicht des Wendekreises näher besehen!) Eine dieser Pflanzen, Yuca gloriosa, auch „der spanische Dolch“ genannt, sendet ihre dolchspitzigen Blätter nach allen Seiten vom Stamm aus und hat einen Büschel prächtiger, weißer, glockenähnlicher Blumen. Und jetzt Adieu für dießmal, ihr schöne Blumen und noch schönere Menschen Georgias!

Columbia ist ein schönes Städtchen mit schönen Villen und Gärten, in deren Mitte sich ein stattliches Capitol befindet; denn Columbia ist die Hauptstadt in Südcarolina. Jeder Staat in der Union hat seine Hauptstadt, die mitten im Staat liegt und gewöhnlich von geringer Bedeutung ist, außer als Sitzungsort der zwei gesetzgebenden Körper des Staats, des Senats und der Repräsentanten, die einige Monate des Jahrs im Kapitol der Stadt sitzen. Ueberdieß hat jeder Staat seine große Handelsstadt, die an der Meeresküste oder an einem der großen Flüsse liegt, welche von allen Seiten durch diesen wasserreichen Welttheil strömen. Columbia in Carolina (jeder Staat in der Union hat, glaube ich, eine Stadt, die Columbia oder Columbus heißt) liegt schön auf einer Anhöhe in der Nähe des Flusses Congoree. Ich habe hier das Vergnügen gehabt, einen Naturforscher, Mr. Gibbs, zu treffen, der mir viele Freundlichkeit erzeigt hat. In seinen Sammlungen habe ich Stücke von den Skeletten der gigantischen Vorweltsthiere Megatherium und Mastodon gesehen, welche hier aus der Erde gegraben wurden. Diese Ueberreste zeugen von titanischen Thieren. Ein Zahn ist so groß wie meine Hand. Mr. Gibbs hat die Güte gehabt, mir Zeichnung und Beschreibung von diesen Thieren zu schenken, und ich freue mich sehr, dieselben unserem Professor Sundevall nach Haus bringen zu können. Er hat mir auch ein kleines Kolibrinest geschenkt, was das allerzierlichste Ding in der ganzen Welt ist, aus feinen Grashälmchen und Papierstreifchen gebaut.

Eines Tags wurde ich von dem Professor H. F. zu einer Negerhochzeit eingeladen, die er für zwei seiner Haussklaven veranstaltete. Die Brautpaare waren junge Leute von recht gutem Aussehen, besonders der eine Bräutigam, ein nachtschwarzer Neger, den sein Herr wegen seines vortrefflichen Charakters und ausgezeichneter Intelligenz rühmte, sowie die eine Braut, aber nicht die Braut dieses Bräutigams, waren förmliche Schönheiten. Beide Bräute trugen weiße Kleider und Blumenkränze, was ihnen recht hübsch ließ. Der Pfarrer kam in die Negergesellschaft, trat vor die Brautpaare und fertigte die Trauung ziemlich kurz und schnell ab; bald darauf begann im selbigen Zimmer der Tanz und Neger und Negerinnen schwangen sich im muntern Walzer, die Damen zierlich mit Gazen und Blumen geschmückt, gerade wie unsere Damen, bloß mit dem Unterschied, daß diese mehr Putz, aber bedeutend weniger Grazie hatten. Gleichwohl sahen sie in dem entlehnten und nachgeahmten Staat weit besser aus, als ich erwartet hatte. Während die schwarze Gesellschaft eifrig tanzte, beschaute die weiße den Hochzeitstisch, der zierlich mit Blumen und hübschen Kuchen bedeckt war, und unter dem Uebermaaß von Gerichten beinahe zusammenzusinken schien.

In einem deutschen Professor Lieber lernte ich einen talentvollen Schriftsteller und freundlichen Mann kennen. Im Uebrigen fand ich hier nichts Merkwürdiges, als die Menge von Cornels (Colonels). Jedermann hier von einigem Vermögen (wirklicher oder ehemaliger Plantagebesitzer) wird Cornel genannt, wenn er auch nicht Militär gewesen ist. Und solche Obersten finden sich in den südlichen Staaten in Menge vor. Als ich meine Verwunderung darüber äußerte, sagte man mir, wenn der Präsident der Vereinigten Staaten die einzelnen Staaten besuche, so ernenne er einen Theil dieser Herrn zu seinen Adjutanten für diese Gelegenheit. Und diese bekommen dann und behalten den Titel als Obersten. Aber der hohe Titel für einen so geringen Dienst, sowie die Schwäche für Titel, die einem Theil der republikanischen Bevölkerung Amerikas, zumal im Süden, sichtlich anklebt, ist etwas närrisch und steht zu schlechter Harmonie mit den Zwecken dieser Staats. Der alte Adam in der alten Uniform spuckt noch.

Gestern ging ich allein auf Entdeckungsreisen in Wald und Feld aus. Ich kam an ein hübsches Häuschen mitten in einem Wald und in seiner Thüre stand eine dicke Mulattin, die aussah, als wäre sie die Besitzerin. Mit der Bitte um einen Schluck Wasser kam ich ins Haus hinein und ins Gespräch mit dem alten Paar, einem Neger und seiner Frau, welche das Verfügungsrecht über das Häuschen und ein Gärtchen hatten. Die Mulattin war gesprächig und zeigte mir das ganze Haus, das ihr und ihres Mannes Herr ihnen gekauft und für ihre Lebenszeit geschenkt hatte. Alles darin, wie auch der Zustand des Gartens, zeugte von der Ordnungsliebe und dem angenehmen Zusammenleben des alten Paares.

An einem andern Ort außerhalb des Waldes sah ich in einem kleinen Hof zwei ältere weiße Frauenzimmer, offenbar Schwestern, in ziemlich dürftigen Kleidern im Schatten eines großen Kastanienbaumes sitzen. Ich bat um Erlaubniß zu ihnen zu kommen und mich mit in den Schatten zu setzen. Sie willigten ein und so wurde ich bekannt mit ihnen, durfte ihr Haus besehen und erfuhr ihre Lebensverhältnisse. Sie waren gering und armselig. Die Schwestern hatten bessere Tage gesehen, waren aber nach des Vaters Tod in Noth gekommen; jetzt ernährten sie sich von dem Höfchen und mit Kleidernähen. Sie waren zufrieden; Frömmigkeit und Arbeit machten ihnen das Leben lieb und die Tage nicht lang. Wenn nur die Gesundheit der einen Schwester etwas besser wäre! und der Sommer und der Sand weniger heiß! … Wie ähnlich sind sich doch die Verhältnisse der Menschen im Ganzen überall! wie gleich die Ursachen des Leidens und Glückes, der Freude und des Kummers! Hier ist es der Sommer und der Sand, der dem Glück im Wege steht, an einem andern Ort ist es der Winter und der Graustein, überall die Kränklichkeit.


Charleston, den 2. Juni.  


Dieses Charleston, dieses „Eulennest“ ist doch sehr angenehm, wie es jetzt gleich einem ungeheuren Strauß von duftenden Bäumen und Blumen dasteht, und es hat recht freundliche, liebenswürdige Menschen. Der Empfang, den mir alte und neue Freunde angedeihen ließen, hat mich wahrhaft gerührt. Ich gewinne Charleston lieb wegen seiner Bewohner, besonders wegen meiner zwei Frauen, Mrs. Howland und Mrs. Hollbrook. Ich bin jetzt wieder in dem guten Hause der ersteren, wo man mich wie ein Mitgleid der Familie behandelt. Ich kam vor drei Tagen halb gebraten von der heißen Luft, von Sonnenschein, Rauch und Staub hier an, traf aber hier eine ächt schwedische kühle Sommerluft, die noch heute vorhanden ist und mich sehr erfrischt, sowie auch all das Gute, Comfortable und Angenehme, woran dieses Haus reich ist. Gott sei Dank für dieses gute Haus und für alle guten Häuser auf Erden! „Für alle gute Heimathen!“ lautet mein gewöhnlicher Toast, wenn ich an einem amerikanischen Tisch einen solchen ausbringe.

Von Mr. Hollbrook fand ich auf meinem Schreibtisch einen schönen Blumenstrauß und ein Buch, das mich überraschte und erfreute. Denn ich erwartete kaum in der jungen neuen Welt und am wenigsten unter den Sandwüsten Südcarolinas einen tiefgehenden, reifdenkenden Geist zu finden, der wie mein Freund Böklin in Schweden und H. Martensen in Dänemark in seiner Religionsphilosophie den Grund des christlichen Glaubens in die höchste Vernunft setzt. Aber just dieser ächt germanische Gedanke ist es, den ich im Buch des jungen Missionärs James W. Miles: „Philosophische Theologie der letzten Gründe alles religiösen Glaubens, basirt auf die Vernunft“ finde; einem kleinen Buch von großem Inhalt, mit englischer Klarheit und Bestimmtheit geschrieben, frei von aller deutschen Weitläufigkeit. Das Büchlein kommt Martensens „Autonomie“, diesem herrlichen Schriftchen (dessen Zukunftssamen für die religiöse Wissenschaft Martensen noch zu entwickeln hat) sehr nahe und freut mich auch deßwegen so sehr, weil es beweist, daß die Denkgesetze im Menschengeschlecht sich nach einer inneren, von zufälligen Verhältnissen unabhängigen Nothwendigkeit entwickeln. Wahrheiten, Entdeckungen emigriren nicht von einem Land in das andere. In allen Völkern, die ungefähr auf der gleichen Bildungsstufe stehen, kommen dieselben Phänomene, dieselben Ansichten vor. So ist hier ein einsiedlerischer, menschenscheuer, aber tief denkender junger Mann auf demselben Gedankenwege zu denselben Resultaten gekommen, wie unsere vortrefflichsten philosophischen Theologen in Scandinavien und ohne von ihnen oder den Quellen zu wissen, aus denen sie das neue Leben des Gedankens getrunken haben. Ein Beispiel in dem Buch, um das Verhältniß der subjectiven Vernunft zur objectiven (des Menschen zu Gott) klar zu machen, ein Beispiel, dessen sich der junge Miles bedient, hat mich um[WS 4] derselben Ursache willen, (nämlich wie getrennte Geister in fern entlegenen Ländern und ganz andern Verhältnissen auf dieselben Gedanken kommen) frappirt, denn dieses Beispiel habe ich mehrmals selbst als Beweis im Gespräch gebraucht, habe es für meine eigene Erfindung angesehen, und meine kleine, eigenliebige Freude darüber gehabt. Aber wie viel froher bin ich nicht zu sehen, daß es auch vor einer andern suchenden Seele geblitzt hat und für sie ein Beispiel geworden ist! Das Beispiel ist das Verhältniß zwischen dem bekannten Le Verrier und dem Stern, dessen Gegenwart seine Berechnung und Entdeckung konstatirte. Der Stern war da und wirkte, der Menschengedanke war da und beobachtete. Der Stern zog an, der Mensch folgte und fand den Stern. Das Licht und das Auge begegneten sich. Und alle Augen können jetzt den Stern sehen und Niemand kann daran zweifeln. So mußten Gottes Wahrheit und des Menschen Vernunft auch in der Theologie einander suchen und finden.[1]

Ich schrieb an Mrs. H. sogleich von meiner herzlichen Freude über das Buch. Und noch einmal hoffe ich in den Myrthenhainen Belmonts mit ihr herumwandeln und ein geistiges Fest feiern zu dürfen.

Die älteste Tochter hier im Hause, Justina, ist jetzt nach mehrjährigem Aufenthalt zu Baltimore in Maryland zurückgekommen. Es war mir ein Genuß, ihren jubelnden Empfang im Hause zu sehen. Wie gleichen sich doch alle guten Heimathen und Familienverhältnisse! Dieselbe Sorge, dieselbe Freude! Aber das habe ich schon lang verstanden, auch ohne es zu sehen.

Heute Abend ist mir zu Ehren eine größere Soiree im Hause. Ich bin froh, daß sie nicht auf meine Verantwortung geht. Ich habe nichts zu thun, als in leidlich eleganter Kleidung herumzugehen, der „schönen Unterhaltung“ obzuliegen, auf Fragen: „how do you like this und how do you like that“ zu antworten und nach Kräften ämabel zu sein.


Den 10. Juni.  

Jetzt, mein liebes Kind, will ich diesen Brief, der allzulange verweilt hat, reisefertig machen. Ich habe mich einige Tage lang damit erfreut, nichts zu thun, auszuruhen, den Kolibri um die rothen Blumen im Garten herum flattern und den großen Bussard auf Dächern und Kaminen sitzen zu sehen, seine gewaltigen Flügel im Wind oder in der Sonne ausbreitend (wo sie recht pittoresk aussehen und im Uebrigen mich ein wenig geistig im Staat und in der Stadt umzuschauen.

Südcarolina ist ein Staat von weit aristokratischerer Art in Gesetzen und im Gesellschaftsleben als Georgia und hat nicht das Freiheits- und Menschlichkeits-Element zur Grundlage seines Lebens, wie der jüngere Schwesterstaat. Massachusetts und Virginien („the Old Dominion“), diese beiden ältesten Mutterkörbe, aus welchen Schwärme nach allen andern Staaten in der Union ausgegangen sind, sendeten auch nach Südcarolina seine ersten Bebauer. Puritaner und Cavaliere vereinigten sich hier, aber blos durch das Geldinteresse; die Engländer, Lord Shaftesbury und John Locke, stifteten hier eine aristokratische Gesellschaft und die Negersklaven wurden als das absolute Eigenthum ihrer Herrn erklärt. Südcarolina ermangelt jedoch in seiner ältesten Geschichte nicht des Momentes, wodurch es zum Mitglied des Reiches der neuen Welt wird und das nach meinem Dafürhalten darin besteht, den in der alten Welt verfolgten Kindern der Freiheit eine neue Heimath zu geben, ja allen verfolgten, unterdrückten und verunglückten Menschen Gelegenheit zu bieten, daß sie von Neuem ein neues Leben, ein neues Hoffen, eine neue glücklichere Entwicklung beginnen können.

Der edle Coligny in Frankreich hatte seit langer Zeit seine Blicke auf Südcarolina, als einen Zufluchtsort für die Hugenotten geworfen. Und als die Verfolgung gegen sie in all ihrer grenzenlosen Grausamkeit ausbrach, da flohen diejenigen, die sich retten konnten, über das Meer und in dieses Land, welches ihnen die Sagen als Nordamerikas „Schönheit und Neid“ gepriesen und wo jeder Monat im ganzen Jahr seine Blumen hatte. (Das Letztere ist vollkommen wahr.)

„Wir verließen unsere Heimath bei Nacht,“ erzählt die junge Judith Manigault[WS 5], „während die Soldaten schliefen, und wir ließen das Haus und alles was sich darin vorfand, im Stich. Wir waren so glücklich uns zehn Tage lang in der Dauphiné verbergen zu können, während man nach uns fahndete.“ Nach einer Reise voll von Abenteuern und Widerwärtigkeiten, welche sie schildert, fährt sie fort:

„Nach unserer Ankunft in Carolina erlitten wir alle Arten von Unglück. Nach achtzehn Monaten starb unser ältester Bruder am Fieber, ermattet durch harte Arbeit, an die er nicht gewöhnt war. Wir hatten seit unserer Abreise aus Frankreich Kummer, Krankheit, Pest, Ansteckung, Hunger, Armuth erlitten. Ich habe sechs Monate lang wie ein Sclave in der Erde gearbeitet ohne ein Brod zu kosten, und ich habe es vier oder fünf Monate lang vermißt, als ich es bedurfte. Und gleich wohl hat Gott große Dinge für uns gethan, indem er uns in so schweren Prüfungen aufrecht erhielt.“ Judith Manigaults[WS 6] Sohn, der ein reicher Mann wurde, weihte im amerikanischen Freiheitskampf sein großes Vermögen dem Dienst des Landes, „das seine Mutter aufgenommen hatte.“ Von Languedoc, von Rochelle, von Saintiage, von Bordeaux und mehreren französischen Städten und Provinzen flohen verfolgte Familien, „welche die Tugenden der Puritaner besaßen, aber ohne ihre Einseitigkeit,“ nach Carolina. Sie erhielten Land an den blumenreichen Ufern der Ströme und frei konnten sie unter den herrlichen uralten Bäumen Lobgesänge zu ihrem Gott emporsenden. So wurde Südcarolina die Zufluchtsstäte der französischen Puritaner und nahm seinen Platz ein in dem großen Völkerasyl, welches die neue Welt noch heut zu Tage anbietet. Und noch heut zu Tage sind Carolina und die meisten Provinzen des Südens voll von Familien, die von diesen ältesten Hugenotten-Emigranten abstammen, aber sie haben von ihnen fast nichts mehr als den Namen. Sprache, Sitten, Erinnerungen sind unter dem Einfluß des Gesetze stiftenden und Ton angebenden Volksstammes der neuen Welt verwischt worden. Aber etwas von französischer Façon und französischer Sinnesart macht sich noch immer geltend im Leben und in der Gemüthsart des südlichen Volks.

In Südcarolina sind Ton und gesellschaftliche Verhältnisse noch heutzutage aristokratisch, und zwar auf eine Art, die ich kaum billigen kann, sosehr mir auch gewisse Personen dort gefallen. Und die Aristokratie hier hat auch das mit allen jetzt bestehenden Aristokratien in der Welt gemeinschaftlich, daß die aristokratischen Tugenden und ihre Grandezza zum größern Theil verschwunden sind; blos ihre Ansprüche sind geblieben. Die reichen und prachtliebenden Plantagenbesitzer von ehemals sind nicht mehr so. Reichthum, Macht, großartige Gastfreundschaft, Alles hat abgenommen. Und unter der Fessel der Sklaverei bleiben die südlichen Staaten immer weiter zurück hinter den nördlichen, deren Wohlstand und Bevölkerung so ungemein schnell zunehmen. Auch in die südlichen Staaten beginnt die Völkerwanderung der Jetztzeit einzudringen mit ihren Manufakturen und Fabriken, und weit mehr in Georgien als in Carolina. Aber auch in Carolina hat neulich ein Neuengländer, Mr. Gregg, eine Baumwollenspinnerei eingerichtet, ähnlich der Lowellschen, nebst sehr schönen Gartenanlagen für die Arbeiter.

Die südlichen Staaten stehen jedenfalls auf der Bahn der menschlichen Kultur hinter den nördlichen weit zurück durch die unglückselige Sklaveneinrichtung mit all ihren Folgen für die Schwarzen sowohl als die weiße Bevölkerung. In den südlichen Staaten finden sich große Individualitäten, aber keine große Gesellschaft, keine im Verein emporstrebende Bevölkerung. Die Sclavenfessel bindet Alles und Alle mehr oder weniger. Aber ich liebe den Süden. Ich habe da viel zu lieben, viel hochzuachten, viel zu genießen, viel zu danken gefunden; und da es in meinem Wesen liegt, mich in das Leben, das ich mitlebe oder zu betrachten habe, hinein zu versetzen, so habe ich mich im Süden als Südländerin gefühlt, und im Gefühl des eigenthümlichen Lebens, der eigenthümlichen Verhältnisse und Lage des Südens, im Gefühl des vielen Guten, das hier lebt und gethan wird, habe ich wohl das bittere Gefühl verstanden, das in manchen, auch edlen Gemüthern gegen den despotischen und unbilligen Norden, d. h. gegen denjenigen Theil des Nordens, der so sehr gegen den Süden ist, gegen die Ultraabolitionisten und ihr Treiben aufgährt. Blos wenn ich sie den Ultras der Sklavereipartei entgegenstelle, dann — — halte ich es mit den ersteren. Aber was wollte ich nicht dafür geben, wenn der Süden, der aufgeklärte, der edle Süden selbst die Streitfrage in die Hand nähme und dem gerechten, sowie dem ungerechten Tadel auf eine große und edle Weise den Mund stopfte durch Gesetze, die eine stufenweise Befreiung befördern könnten, durch ein Gesetz wenigstens, welches dem Sklaven gestattete, für einen gewissen, gesetzlich festgestellten billigen Preis seine und der Seinigen Freiheit zu kaufen! Das könnte man, glaube ich, von den südlichen Staaten verlangen, als eine Gerechtigkeit gegen sich selbst, sowie gegen das gemeinsame Vaterland, — in sofern sie an dessen stolzen Freiheitsbriefen Theil haben wollen, und das wollen sie; — gegen ihre Nachkommen, gegen das Volk, das sie in Sklaverei gebracht haben und welchem sie hiemit eine Zukunft eröffnen würden, zuerst durch die Hoffnung, sodann durch eine neue Existenz im Freiheitsleben, entweder in Afrika, oder auch hier im Vaterland als freie Diener oder Arbeiter der Weißen.

Denn ich gestehe, daß nach meinem Dafürhalten die südlichen Staaten einen großen Theil ihres Reizes und ihrer Eigenthümlichkeit verlieren würden — mit ihrer schwarzen Bevölkerung. Bananas, Neger und Negerinnen sind für die Sinne das Erquikendste, was ich in den Vereinigten Staaten gefunden habe. Und Jedermänniglich in Alt- oder Neuengland, wer vom Spleen, Verdauungsschwäche oder Ueberanstrengung des Kopfs oder der Nerven gequält wird, wollte ich als Radikalkur anbefehlen: reise nach dem Süden, iß Bananas, sieh die Neger und höre Negergesänge an; das wird helfen. Dazu kommt noch der Urwald mit seinen Blumen und Düften sammt den rothen Flüssen! … Aber die Neger vor Allem! Sie sind des Südens Leben und gute Laune.

Je mehr ich von diesem Volk, seinen Geberden, seiner Gemüthsart, seiner Art zu sprechen, zu singen, sich zu bewegen sehe, um so klarer ist es mir, daß sie ein besonderer Stamm in der großen Menschenfamilie sind, bestimmt eine besondere Physiognomie, eine besondere Abart des alten Typus Mensch darzustellen; und diese Physiognomie ist die des kindlichen Gemüthes.

Gestern Abend war ich mit Mrs. Howland an einem Platz in der Stadt, wo die Neger, die den Tag über von den Plantagen nach Charleston gekommen waren, um ihre kleinen Handarbeiten (Körbe, Geflechte, Teppiche u. s. w.) nebst Gartengewächsen zu verkaufen, mit ihren Booten anlegen. Es war jetzt Abend und die Neger kamen an die Boote, um den Fluß hinaufzufahren; sie kamen mit Bündeln in ihren Händen und Körben auf den Köpfen, mit allerlei Gefäßen voll von Vorräthen, die sie für das erlöste Geld eingekauft hatten und worunter Waizenbrod und Melasse oder Molasse (brauner Syrup) die Hauptartikel auszumachen schienen. Schon waren zwei Boote voll von Leuten mit Körben und Krügen und man hörte da das munterste Geschwatz und Gelächter; aber noch wurden mehrere erwartet und ich hörte: Adam, und Aaron, und Sally, und Mehala, und Lucy, und Abraham, und Sarah! rufen. Wir ließen uns inzwischen mit den Negern, die noch am Ufer standen, ins Gespräch ein, fragten sie, wem sie gehören, ob sie es gut hätten u. s. w. Zwei, mit denen wir sprachen, konnten ihre Herrn nicht genug rühmen und erzählten uns, was sie alles von ihnen bekommen; dagegen sprachen sie übel von einem andern Pflanzer in der Nachbarschaft. „Ich glaube, ihr schimpft über meinen Herrn?“ sagte ein junger, etwas griesgrämiger Neger, der mit drohender Geberde vortrat, worauf die andern sogleich sich zurückzogen. „Nein, bewahre; sie hätten nichts gesagt, blos daß ihre Herrn“ … Aber jetzt wurden sie von dem Ritter des getadelten Herrn unterbrochen, welcher betheuerte, daß sein Herr nicht schlimmer sei, als der ihrige u. s. w. Nun entstand ein starkes Rufen nach Sally, und Nelly, und Adam, und Abraham, und Aaron; und nun zeigten sich Nelly, und Sally, und Abraham, und Adam, und Aaron und ich weiß nicht, wie viele farbige Söhne und Töchter Adams mit Krügen und Körben und Flaschen an den Strand herab und sodann in die Boote hinein gesprungen kamen unter lautem Rufen, Schwatzen und Lachen, und wie alles das in die Boote hinein kam, Menschen und Molasse, Männer und Weiber, Körbe und Krüge, drunter und drüber und um einander herum purzelnd ohne Ordnung und Raison, soweit ich entdecken konnte — — — das vermag ich nicht zu beschreiben. Ich gaffte blos voll Verwunderung. Es war wie eine verworrene Masse von Armen und Beinen und Köpfen in einem schwarzen Gemenge; aber munter war es und vergnügt ging es zu und vergnügt ging es ab. Und die ganze schwarze Masse wurde still und die Boote lösten sich vom Strande ab; es ging ein wenig Zickzack im Kanal, und Geschwatz und Gelächter hörte man von einem Boot zum andern, und weiße Zähne glänzten in der Finsterniß. Aber als sie weiter den Fluß hinauf kamen, da schlugen die Ruder in gleichmäßigem Takt in dem spiegelklaren Wasser, da begann der Gesang und die komische Verwirrung löste sich in der schönsten Harmonie auf.

Eine Eigenheit bei diesen sogenannten Naturkindern ist ihr aristokratischer Sinn (aber ich habe die Naturkinder immer als natürliche Aristokraten angesehen). Sie sind stolz darauf reichen Herrn anzugehören und betrachten die Ehe mit dem Diener eines armen Herrn als eine große Mesalliance. Sie halten auf ihren reichen Herrn so viel, wie ein österreichischer Graf von altem Stamm auf seine Ahnen.

Was mehr als irgend etwas anderes der Befreiung dieses Volkes als Volk und in größerer Masse im Wege steht, das ist sein Mangel an Nationalität, sein Mangel an Volksgeist und Gemeinsinn. Sie haben blos Sinn für die Familie oder für Angehörige (und vielleicht für den Stamm, da wo der Stamm unzersplittert geblieben ist, wie in Afrika). Sie haben keine gemeinschaftliche Erinnerungen, und kein gemeinschaftliches nationales, höheres Streben. Auch Afrikas Stämme und kleine Königreiche beweisen das. Und wer glaubt, daß Amerikas befreite Negersklaven jenseits des Meeres in Liberien, in Afrika die republikanische Staatsbildung der Amerikaner fortpflanzen könnten, der befindet sich nach meiner Ansicht im Irrthum. Aber kleine monarchische Staaten — dazu scheinen sie geschaffen zu sein. Sie besitzen in hohem Grade Pietäts- und Loyalitätssinn, und werden sich von einer natürlich überlegenen Person immer leicht und gern regieren lassen. Darum sehe ich das Ideal des Lebens der Negervölker in kleinen Staaten, veredelt durch Christenthum, geordnet um ein Oberhaupt, welches der Priester oder König oder beides zugleich wäre. Und in Amerika sähe ich sie am liebsten so um einen weißen Mann, als freie Diener oder kleine Pächter, und ich bin überzeugt, daß, um das Volk zur Ordnung und zu billiger Arbeit zu bringen, Sklavenketten und Peitschen nicht nöthig sind, sondern blos eine christlich-menschliche Erziehung zur Arbeit und Ordnung, die Predigt des Christenthums und der große Einfluß, den ein Mann von der weißen Race vermöge seiner natürlichen Ueberlegenheit in Denkkraft und System über den Schwarzen besitzt. Wollte er dazu noch ein moralisches Uebergewicht in die Wagschale legen, so würde er sehr mächtig werden. Auch gilt für die weißen Herrn im Süden der Aufruf, welchen Viktor Hugo an die Könige Europas erläßt:

„O, rois! soyez grands, car le peuple grandit!“

(O Könige seid groß, denn das Volk wird groß.)

Die Sklavenbevölkerung des Südens wächst mit jedem Tag an Anzahl und Einsicht, wächst durch den Einfluß der freien Schwarzen und Mulatten, welche auch täglich in den Sklavenstaaten überhand nehmen und sich an den Rechten der Weißen auf Erziehung betheiligen. Mit einem Wort, die schwarze Race ist in den südlichen Staaten in jeder Beziehung im Wachsen begriffen. Möchte die weiße es verstehen, auch zu wachsen an Geist, an Gesetzen und Leben! Sie hat eine große Aufgabe zu lösen. Ich hoffe auf den edeln Süden, auf die Kinder des Lichts, auf die wahrhaft Freien in den Sklavenstaaten. Sie werden die Sache in Gang bringen.

Und es würde nicht schwer halten, wenn nur die Weiber wachen wollten. Aber ach! die meisten hier schlafen noch, schlafen auf weichen Kissen, geflochten von Sklaven und Sklavinnen, nicht als freie Weiber. Man hat so lange mit den Weibern davon gesprochen, daß sie auf die „kleine Stimme“ hören sollen. Und das ist gut. Aber jetzt ist es Zeit, da sie auch auf die große Stimme hören, auf die Stimme des Gottesgeists im Menschengeschlecht, der über die ganze Erde hinzieht und alle freien Völker durchbebt. Wahrlich, es ist Zeit; und Zeit, daß sie, indem sie auf diese Stimme hören, großsinnig werden in Herz und Gedanken. „Wenn die Mütter edelsinnig sind, werden nicht die Söhne edel sein?“ schrieb mir neulich eine der edeln Frauen Amerikas. Die Geschichte antwortet darauf: Ja!

Was die Sklavenbesitzer betrifft, so möchte ich sie in drei Klassen theilen: Mammonsanbeter, Patriarchen, und Heroen oder Zukunftsmänner.

Die ersten betrachten die Sklaven blos vom Standpunkt des Gewinnes aus und gebrauchen oder mißbrauchen sie nach Gutdünken. Die zweiten kennen die Verantwortung ihrer Stellung, glauben das von ihren Vätern ererbte Eigenthum, welches vielleicht auch Alles ist, was sie für sich und ihre Kinder besitzen, nicht aufgeben zu können und zu dürfen, und machen sichs zur strengen Pflicht, diese ererbten Diener zu verpflegen, für ihr Alter zu sorgen und ihr gegenwärtiges Leben so glücklich als möglich zu machen durch Unterweisung im Christenthum, und durch so viel Freiheit, so viel unschuldige Freude, als nur möglich. Die dritte höchste Klasse sorgt für das Wohl der Sklaven mit dem Blick auf ihre Befreiung, und wirkt dafür durch Erziehung und sodann durch praktische Unterstützung. Sie führen Volk und Land vorwärts auf der Bahn der menschlichen Kultur. Als Angehörige dieser letzten Klasse habe ich jetzt einige Personen auch in Carolina bezeichnen gehört, und besonders neulich ein Paar vermögliche Frauen, die ihre Sklaven emancipirt haben. Dies wird durch die Gesetze erschwert; aber auch hier beginnt das allgemeine Bewußtsein dem Gesetze voranzugehen, und Juristen helfen durch Aufsetzung von Dokumenten selbst dazu in diesem Capitel das Gesetz zu umgehen. Wenn man es ihnen vorwirft, lachen sie und scheinen keine Gewissensbisse darüber zu empfinden.

Von den Patriarchen habe ich einige sehr schöne Züge erzählen gehört, und so auch von ihren Sklaven und der beiderseitigen Ergebenheit. Ich glaube daran, weil ich verschiedene davon gesehen habe und es ganz natürlich finde. Ueberhaupt gibt es keinen Menschen, für den ich größere Achtung und größere Theilnahme hätte — (denn seine Stellung ist schwer und reich an Bekümmernissen), als für einen guten und gewissenhaften Sklavenbesitzer.

Aber ich bleibe dabei, das Institut der Sklaverei erniedrigt die Weißen noch mehr als die Schwarzen und wirkt schädlich auf ihre Entwicklung, ihren Rechtssinn, ihre Urtheilskraft; es wirkt schädlich besonders auf die Erziehung der Kinder, es verhindert die in zarten Jahren so wichtige Bemeisterung ihrer von Natur heftigen Gemüthsart und befördert dadurch alle rohe und eigenmächtige Neigungen. Die Privatmoralität, wie die öffentliche leiden gleich sehr darunter. Aber jetzt genug — und vielleicht für Dich zu viel — von dieser Schattenseite in den Staaten, welche die Sonne liebt. Ich muß Dir jetzt eine kurze Zusammenstellung meines Thuns und Lassens in dieser letzten Zeit geben.

Ich glaube, daß ich das letzte Mal bei dem Fest stehen blieb, das im Haus gegeben werden sollte. Es war recht schön und gelungen und auch recht angenehm. Frau Hammarsköld (Emilie Holmberg) sang recht artig; ich spielte schwedische Tänze, man schwatzte, spazierte, aß und trank — „tout comme chez nous.“ Ich sah an diesem Abend einen der ausgezeichnetesten Belletristen, Dichter und Romanschreiber Südcarolinas, Mr. Simms. Er ist Enthusiast für die Landschaften des Südens, das freut mich und darin kamen wir gut überein; nicht so in der großen Frage. Aber das erwartete ich auch nicht. Einen jungen Mann von vorurtheilsfreiem, wahrheitsreinem Blick in dieser Frage möchte ich — an meinen Busen drücken — wenn er es mir erlaubte. Ich sah auch einen Bruder des jungen Miles, der in dieser Frage zu mir sagte: „Die Welt ist gegen uns und wir werden überstimmt und verurtheilt werden, ohne daß man uns Gerechtigkeit für das widerfahren läßt, was wir für unsere schwarzen Diener wirklich sind und thun!“ Ich konnte nicht umhin, mit ihm darin zu sympathisiren. Die Spannung ist stark und die Bitterkeit in diesem Augenblid groß zwischen dem Süden und Norden der Union. Und manche Stimmen in Südcarolina rufen nach Trennung und Krieg.

Ferner bin ich bei einem großen Fest gewesen, das von dem Gouverneur Südcarolinas, Mr. Akin und seiner schönen ladygleichen Frau gegeben wurde. Man machte recht schöne Musik, und im Uebrigen unterhielt man sich drinnen in den Zimmern oder außen auf der Piazza im Schatten blühender Rankengewächse (Clematis, Geisblatt und Rosen) in der milden Nachtluft recht romantisch. Man sagt, es seien 300 Personen eingeladen gewesen. Das Fest war eines der schönsten, denen ich hier zu Lande angewohnt habe. Ich sah da viele hübsche junge Töchter des Südens, aber keine großen Schönheiten, dagegen viele sehr weiße. Die Frauenzimmer pudern sich hier im Allgemeinen mit Weiß und trocknen dann den Puder ab, wodurch ihre Haut für den Augenblick eine sammtartig weiche Farbe bekommt; aber hernach wird sie um so gelber. Man sagt, die große Hitze mache dieses Pudern nothwendig. Ich habe just nichts dagegen, wenn nur der Puder recht abgetrocknet würde; aber dieß geschieht oft sehr unvollkommen. Ich vermuthe, daß diese weiße Schminke ein Erbtheil vom alten Frankreich ist.

Noch einmal habe ich mich mit Mrs. Hollbrook in Belmonts Myrtenhainen ergangen und mit ihr ein Geistesfest genossen. Den geistreichen jungen Missionar Miles habe ich auch gesehen; ein bleiches, ausdrucksvolles Gesicht mit tief dringendem Auge; — aber ach! bis ins Herz der großen Frage drang es so wenig, als die meisten Augen hier. In andern Punkten erfreut mich der starke, freie Blick seines Geistes. Zu Mrs. Hollbrook war ich einen Abend eingeladen, um verschiedene ältere Mitglieder ihrer Familie zu treffen. Ich sah hier ein Paar unverheirathete alte Frauenzimmer, Besitzerinnen einiger schönen Inseln an Carolinas Küste, wo sie allein mitten unter ihren Negern als ihre Eigenthümerinnen, Rathgeberinnen und Aerztinnen und im besten Einverständniß mit ihnen leben.

Eine Einladung bedaure ich nicht annehmen zu können, wenigstens für dießmal, nämlich zu Mr. Spalding, einem reichen alten Mann, der auf der schönen Insel, welche er bewohnt, die Palmettos in Freiheit wachsen und die Negersclaven ebenfalls in Freiheit, nur regiert durch die Pflicht und die Gesetze der Liebe, arbeiten läßt; und das soll vortrefflich gehen, und der Ehrenmann hat mich eingeladen, es zu sehen. Möge er ewig leben!

Es ist jetzt entsetzlich warm hier, und ich muß mich nordwärts wenden, ehe ich vor Hitze verschmelze. Sonst hätte ich mich so gern noch einige Zeit in den Baumwollenplantagen auf den schönen Inseln hier umgesehen.

Die Küsten Carolinas sowohl als Georgias sind reich an Inseln, welche paradiesisch schön und reich an Pflanzen sein sollen. Die feinste Baumwolle wächst auf diesen. Carolina und Georgia kultiviren Baumwolle auf Inseln und in hochländischen Gegenden, Reis auf dem niedrigen Lande. Auch Carolina hat Hochland mit Bergen und Metallen und frischen krystallhellen Bergströmen, welche erst später während ihres Verlaufs die chokoladrothe Farbe annehmen, die ich bemerkt habe.

Ich gedachte den Rückweg nach dem Norden durch Carolinas Bergland und sodann durch Tenesee und Virginia zu nehmen — denn „the Old Dominion“, einen der ältesten Mutterstaaten und Washingtons Vaterland, muß ich nothwendig sehen; — aber die Fahrt durch Tenesee war mir auf schlechten Wegen, in schlechten Wirthshäusern (denn dieser Theil des Staates soll sich im Kindheitszustand befinden) so mühsam geworden, daß ich mich in der starken Hitze nicht damit anzugreifen wage, sondern jetzt ganz schön und still, wie ich gekommen bin, den Seeweg zurücknehme; und deßhalb gehe ich am 15. d. an Bord, reise von hier nach Philadelphia und von da nach Washington. Bis dahin bleibe ich still hier und mache blos kleine Ausfahrten in und außer der Stadt. Ich bin gesund, mein Herzchen; Dank sei es dem lieben Gott und der Homöopathie, sowie meiner fortwährenden Behutsamkeit in der Diät und dem Genuß meiner geliebten Bananas. Ueberdieß gebrauche ich hier Salzbäder, und obschon sie in einem Teich unter Dach genommen werden, fühle ich doch, daß sie mir wohlthun.

Zwei Misses Annelys, vermögliche unverheirathete Schwestern von mittlerem Alter haben die Güte, mir Wagen und Pferde zu leihen, um mich zu sich zu führen. Die jüngste von ihnen kommt gewöhnlich mit. Kutscher und Pferde sind alte und getreue Diener der Familie, und wir müssen fahren wie sie wollen, und das nicht sehr schnell. Neulich einmal fand Morgens folgende Unterredung zwischen dem Sclaven und seiner Beherrscherin statt. Sie: „Lieber Richard, führe uns nicht die … Straße, sie ist so lang und so sonnig; wir kommen gar nicht fort. Hörst Du, Richard?“ — Er: „Ich will diesen Weg fahren, Miß!“ — Sie: „Ach, lieber Richard, kannst Du nicht einen andern fahren, z. B. die … Straße, Richard ?“ — Er: „Nein, Miß, ich habe in der D … Straße etwas auszurichten.“ — Sie: Ach, lieber Richard, könnte ich nicht eine andere fahren?“ — Er: „Nein, Miß, ich muß (I want) diese fahren, Miß!“ Und trotz mehrfacher, erneuter Bitten mußten wir den Weg fahren, den der starrköpfige Richard wollte. Diese alten getreuen Diener sind hartnäckiger als die unsern; aber ihre Augen glänzen von etwas so Gutem und so Warmherzigem. Man muß ihnen zuweilen ihren Willen lassen, sie wollen doch das Beste der Familie.

Unter den Personen, die mir viel Freundlichkeit erwiesen und viel Vergnügen gemacht haben, befindet sich der Pfarrer der lutherischen Gemeinde hier, der talentvolle Naturforscher Mr. Bachmann, ein lebhafter, angenehmer und allgemein geschätzter Mann.

Der Familienvater hier im Haus, Mr. William Howland, ist jetzt ebenfalls daheim, ein Mann von feinem, gentlemännischem Wesen und offenbar ein guter und geliebter Familienvater, der einen innigen Genuß darin zu finden scheint, daß er jetzt einige Zeit in Ruhe unter den Seinigen leben kann. Die Kinder tanzen Abends lebhafter als vorher, seit Justina daheim ist und mittanzt. Justina ist ein edles junges Mädchen von schönem Wuchs und auch edlem Gesicht, aber gar zu blaß. Sie hat ein hübsches Talent für das Klavier, und wenn Abends nach dem Tanz die beiden jungen Schwestern Justina und Illione zum Piano Negerlieder singen, die Mr. Howland ebensoviel Freude machen wie mir, so gehen wir auf der Piazza in der schönen Nachtluft oft bis um Mitternacht spazieren.

Eines Abends, den ich bei Mr. Gilmans zubrachte, wohnte ich einem Abendgottesdienst der Neger bei in einem Saale, welchen der gute wohlmeinende Priester ihnen überlassen hatte. Der erste Prediger, ein alter Neger, mußte einem andern Platz machen, welcher dermaßen von der Macht des Wortes erfüllt zu sein behauptete, daß er unmöglich schweigen könnte, und nun auch seine Beredtsamkeit eine gute Weile ergoß, aber immer ein und dasselbe sagte. Diese Negerprediger stehen weit unter denjenigen, die ich in Savannah gehört habe. Schließlich forderte er eine der „Schwestern“ auf, zu beten. Ein altes kränkliches Weib begann auch bald laut zu beten, und ihre sichtliche Wärme in der Danksagung für den Trost des Evangeliums Christi, sowie ihr Zeugniß für die Kraft desselben in ihrem eigenen langen Leiden war wirklich rührend. Aber das Gebet war zu lang, sagte immer dasselbe wieder mit anderen Worten, und unaufhörliche Faustschläge auf die Bank begleiteten jedes Stoßgebet. Auch sagte, als sie zu Ende war und eine andere Schwester aufgefordert wurde, ein Gebet zu sprechen, der Redner zu dieser: „Aber machen Sie es gefälligst kurz!“ (make it short if you please). Aber die Schwester machte es nicht kurz, sondern noch länger, als die vorhergehende Schwester, und mit noch mehr Umschweifen und noch mehr Faustschlägen auf die Bank. Die dritte Schwester, die zum Beten aufgefordert wurde, erhielt die kurze bestimmte Weisung: „aber kurz!“ und als sie sich auf dem langen Weg der andern Schwestern verlor, so wurde sie ohne Weiteres von dem redelustigen Prediger unterbrochen, der jetzt nicht länger schweigen konnte, sondern sich noch einmal eine gute Weile hören lassen mußte. Erst während des Gesangs und eines von den Negern selbst komponirten Liedes, das im Kanon gesungen wurde und worin der Name Jerusalem oft wiederkehrt, wurde es recht lebhaft in der Versammlung. Sie sangen, daß es eine Lust war, zu hören, sangen von ganzer Seele und mit dem ganzen Körper zugleich. Denn ihre Körper wiegten sich, ihre Köpfe nickten, ihre Füße stampften, ihre Knie schwappelten, ihre Ellenbogen bewegten sich im Takt mit dem Ton, mit den Worten, welche sie mit überschwänglichem Entzücken sangen. Man muß dieses Volk singen hören, um sein Leben recht zu verstehen. Ich habe ihre Nachahmer, die sogenannten „Sable Singers“ (Sandsänger) gesehen, die als Neger bemalt im Lande herumfahren und Negerlieder singen, in der Art und mit den Geberden der Neger, wie es heißt. Aber Nichts ist so gründlich verschieden. Denn das Wesentlichste in der Gleichheit fehlt nämlich das Leben.

Eine meiner Vergnügungen hier besteht darin, mit einem alten Neger Namens Romeo zu schwatzen, der in einem Gartenhäuschen nahe bei Mr. Howlands Haus wohnt und den Garten besorgt, oder vielmehr ganz nach eigenem Belieben unbesorgt läßt. Er ist der gutlaunigste munterste Alte, den man sich vorstellen kann, und besitzt einen schönen Theil Mutterwitz. Er wurde in seinem besten Alter aus Afrika geraubt und hieher geführt, und erzählt diese Geschichte auf die naivste Weise. Ich fragte ihn eines Tags, was die Leute in seiner Heimath vom Leben nach dem Tode glauben. Er antwortete, daß „die Guten zum Gott des Himmels kommen, der sie geschaffen habe.“ „Und die Bösen?“ fragte ich. „Sie fahren hinaus im Gewitter,“ antwortete er und blies nach allen Seiten mit dem Munde um sich. Ich ließ ihn ein äthiopisches Todtenlied singen, das aus einem eintönigen Wiegenlaut in drei Halbtönen bestand, und hierauf ein afrikanisches Liebeslied, das ziemlich plump und in keiner Beziehung[WS 7] bezaubernd zu sein schien. Ich bringe Dir das Portrait des Alten in meinem Album mit. Aber er lachte und scherzte so viel, während ich ihn malte, daß es mir schwer wurde, sein Gesicht recht zu treffen. Er hat da die gewöhnliche Sclaventracht an, graue Kleider und eine gestrickte Wollmütze.

Das Zusammentreffen mit den Negern und dem Urwald hat einen eigenthümlich erweckenden Eindruck auf mich gemacht und mein Auge für den Reichthum der Formen erweitert, in welchen der Schöpfer sein Leben ausspricht. Die Erde erscheint mir als eine große symbolische Schrift, ein Gedicht, wo die einzelnen Arten von Menschen, Pflanzen und Thieren zu Wasser und Land, Gruppen von besondern Gesängen und Stellen bilden, aus denen wir den Styl des großen Meisters, seine Meinung und sein System zu lesen und zu lernen haben. Mein Geist reckt dabei seine Flügel aus und fliegt — ah, blos im Geist — rund um die ganze Erde über Afrikas Wüsten und Paradies, über Sibiriens Eissteppen, über der Hindus herrliches Land, überall zwischen dem Polarkreise und dem Aequator, wo Menschen wohnen und Thiere athmen und Pflanzen gegen das Licht emporstreben, und ich suche unwillkürlich die verschiedenen Gestalten in harmonische Constellationen um eine Alles verklärende Centralsonne zu gruppiren und zusammen zu führen. Aber Alles das sind noch blos Ahnungen, Blitze in meiner Seele, bloße Morgendämmerungen! — Vielleicht tagen sie einmal vollends; vielleicht daß ich im Heimathland der Runen, in meiner stillen Heimath diese Runen der Erde und den Runengesang, dessen Ergründung mir aufgegeben worden ist, werde deuten lernen.

Von den Mysterien Charlestons will ich Dir Nichts sagen — denn ich kenne sie blos vom Gerücht, und was blos das Gerücht mir sagt, das — lasse ich dahingestellt sein. An dunkeln Mysterien in größerer Anzahl, als das Gerücht zu erzählen weiß, kann es in einer bedeutenden Stadt, wo die Sclaverei zu Hause ist, nicht fehlen. Ich habe sagen gehört, daß es in Charleston eine Peitschenanstalt für Sclaven gebe, welche dem Staat ein Einkommen von mehr als zehntausend Dollars jährlich abwerfe. Wer einen Sclaven mit Ruthen bestraft haben will, schickt ihn nebst der Bezahlung für die Abstrafung dahin. Dieß habe ich auch öfters gelesen und gehört, und ich glaube, daß es wahr ist. Meine Stellung dahier macht es mir schwer, ja beinahe unmöglich, solchen Dingen näher nachzuforschen, denn eine Spionin kann und will ich nicht sein. Ich nehme blos so viel davon an, als sich mir durch meine eigene Erfahrung aufzwingt und was ich deßhalb als eine Schickung betrachte, als etwas, das ich wissen und aufnehmen muß. Eigentlich habe ich hier mit dem Ideal zu thun und dieses rein aufzufassen und darzustellen. Und im Gefühl des idealen Südens, sowie er bereits theilweise ist, und wie er einmal vollständig werden soll, um die Absicht des Schöpfers zu erfüllen, nehme ich jetzt Abschied von dem Süden mit Bewunderung und Liebe (mit Kummer über das, was er noch nicht ist) und hoffe noch einmal hieher zu kommen. Ich schreibe Dir nicht mehr von hier aus, sondern das nächste Mal aus einem der nördlichen Staaten. Ich sehne mich nordwärts nach kühlerer Luft und freieren Menschen. Man muß doch hier oft seine innersten Gedanken verschlucken und schweigen, wenn man es vermeiden will, zu verletzen oder zu disputiren. Und diese Wärme, wenn sie jetzt ohne Unterbrechung, wie sie es thun soll, von einem Monat zum andern bis in den Oktober anhält … lieber wollte ich am Nordcap wohnen und zwei Dritttheile des Jahres mit Tannenholz feuern!…

Aber dennoch — — lebwohl Du schöner, warmer, blühender Süden, Nordamerikas Garten! Mich hast du gewärmt und lieblich erquickt. Lebt wohl ihr mit Blumenranken umkleideten Piazzas mit den blassen Schönheiten, die ihr verbergt; lebt wohl ihr duftenden Urwälder, ihr rothen Flüsse, wo die Negergesänge ertönen; lebt wohl ihr guten, schönen, liebenswürdigen Menschen, Freunde der Sclaven, aber nicht der Sclaverei! Wenn ich jetzt im Geist gegen Süden sehe, werde ich an euch denken und in euch an Carolinas und Georgias Zukunft. Ich sehe euch dann unter euren Palmettos oder unter euern Magnolien und Pomeranzenhainen, und alle Früchte der Erde ausgebreitet vor Euch auf eurem gastlichen Tisch; ich seh auf dieselben wie ich es manchmal gesehen habe, austheilen an den Fremdling und den Bedürftigen, sie den Kindern aller Völker mittheilen. Ich sehe um euch her Neger als Diener und Freunde. Sie sind frei und ihr habt sie dazu gemacht; sie singen Hymnen, die sie von euch gelernt haben, fröhliche Weisen, die sie selbst gedichtet. Und für sie und euch singt der hundertzüngige Vogel in den kühlen Lebenseichen mit den langen wehenden Moosranken, und über ihnen und euch ist des Südens milder blauer Himmel und — — der Segen des Himmels! Möge es so sein!

     N. S.

Doch, eines von Charlestons Mysterien muß ich Dir erzählen. Denn ich habe es oft gleich einem Schatten in Straßen und Gäßchen schnell vorbeischleichen gesehen. Es sieht aus wie ein Weib, armselig gekleidet in den Farben der Dämmerung. Sie nennt sich Frau Doctorin Susan. Denn sie ist der Arzt und die Hilfe der Armen. Sie gehört einer der vornehmen Familien in der Stadt an, beging aber in ihrer Jugend einen Fehltritt und wurde von der Gesellschaft ausgestoßen, die in Nordamerika manche heimliche Unsittlichkeit duldet, aber keine, welche offenbar geworden ist. Vielleicht daß man nach Verlauf vieler Jahre der jungen Fehlenden verziehen und sie wieder aufgenommen hätte. Aber sie suchte die elende Gnade der Menschen nicht. Sie wandte ihr Herz und ihre Blicke zu einem Höheren. Sie wurde Gottes Dienerin bei einem armen Volke. Und seit der Zeit findet man sie blos bei ihnen und auf dem Wege zu ihnen. Was man ihr an Geld und Kleidern gibt, das wendet sie für die Armen an und lebt selbst in freiwilliger Dürftigkeit. Die Neger in Mrs. Howlands Haus waren einmal so krank an einem ansteckenden Fieber, daß Jedermann sie floh. Nicht einmal Neger wollten zu den Kranken kommen. Aber Doktorin Susan kam und pflegte sie und machte sie gesund, und als sie dafür belohnt wurde, erklärte sie den Lohn für zu groß. In der ganzen Stadt bekannt, geht sie frei überall in ihrer armen dunklen Tracht wie eine Botin des Trostes umher, aber hastig, schweigsam und gleich als fürchtete sie gesehen zu werden. Gleich der Feuerfliege gibt sie blos im Dunkel ihr klares inneres Licht von sich; gleich ihr ist sie von Menschenfüßen getreten worden, hat aber geleuchtet und leuchtet noch immer.

Lebewohl, Herzchen! Grüße wen Du weißt und willst von Deiner

Friederike.   

  1. Viele Menschen glauben Gott dadurch zu ehren, daß sie den Menschen recht armselig und dumm machen. Ich kann es nicht so ansehen, das Werk muß den Meister ehren. Das ist die Größe des Schöpfers, daß er verständige Wesen macht und von ihnen verstanden sein will. Es ist des Menschen Recht und Ehre, daß er ihn verstehen soll und kann, daß er ihn mit seinem Gefühl und Begriff erfassen kann. Der Abstand zwischen dem Schöpfer und dem Menschen ist noch immer bedeutend genug um ihm Veranlassung zu unendlicher Demuth, unendlicher Anbetung, die mit steigender Einsicht blos steigt, zu geben.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Erinnernng
  2. Vorlage: Namen
  3. Vorlage: die Palmettostadt
  4. Vorlage: nm
  5. Vorlage: Marigault
  6. Vorlage: Marigaults
  7. Vorlage: Beziehnng
Sechszehnter Brief Die Heimath in der neuen Welt. Erster Band
von Fredrika Bremer
Achtzehnter Brief
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