Die Heimath in der neuen Welt/Dritter Band/Neununddreißigster Brief
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Ich habe die Insel der Sonne und der Palmen verlassen und befinde mich wieder auf dem festen Land. Am dritten Mai ging ich an Bord des schönen, aber theuern Dampfschiffes Isabel.
Der letzte Anblick, den ich von der Königin der Antillen hatte, zeigte sie mir von düstern Wolken umschwebt bei einem aufsteigenden Gewitter. Das Meer ging hoch, das Schiff schwankte stark und das Morrolicht glänzte wie eine Brandfackel von dem hohen Leuchtthurm herab, so oft eine Welle stieg, und verbarg sich dann wieder, wenn das Schiff in den Schooß der Wogen hinabsank. Das schöne, klare Licht, das mich in Cubas Abenden und Nächten so oft erfreut hatte, erschien mir jetzt bei dem zunehmenden Wind und in der immer dunkler werdenden Nacht wie ein Unglückssignal, das aus dem stürmischen Horizont hervorblitzte. Den Tag zuvor war Sonnenfinsterniß gewesen und um die Sonne her ein großer schwarzer Ring. Diese Zeichen scheinen mir prophetisch. Denn der innere Zustand auf Cuba, der Despotismus der Regierung, ihre Geldgier und Feilheit, das bittere Mißvergnügen der Creolen, die Lage der Negersklaven, der fortgesetzte Sklavenhandel, welcher die Insel jährlich mit Tausenden von wilden Africanern bevölkert, die lüsternen Blicke, welche die americanische Regierung auf diese neue Helena wirft, alles das verkündet eine sturmvolle Zukunft und vielleicht eine entsetzliche blutige Krisis. Möge meine Prophezeiung sich nicht erwahren!
Ach diese schöne Insel, mit ihren lieblichen Winden, ihren herrlichen Bäumen, ihren prächtigen Abenden, ihrem ewigen Sommer — ich werde sie stets als eine der schönsten Schöpfungen Gottes lieben und werde stets dankbar dafür bleiben, daß ich sie gesehen und von ihr einen neuen Himmel und eine neue Erde besser verstehen gelernt habe.
Was mich betrifft, so wünsche und hoffe ich, daß Cuba eines Tags auf friedlichem Wege unter die Herrschaft der Vereinigten Staaten kommen möge. Wenn America einmal auch die Welt des Wendekreises in sich aufgenommen und sein Staatenreich bis dahin ausgedehnt hat, dann und erst dann wird es das Universalreich, wozu es bestimmt ist. Und Cuba wird in angloamericanischen Händen bald den Sklavenhandel aufheben; das Evangelium wird den Sklaven gepredigt werden; die Gefängnißmauern der Bohea werden sich in hübsche americanische Sklavendörfer verwandeln, und vielleicht werden Spaniens edelsinnige Gesetze zum Vortheil der Sklaven der Gesetzgebung der Union einverleibt werden, wenn Cuba ein Theil der Union wird.
Ich kam nach Charleston am Morgen des 11. Mai beim hellsten Sonnenschein. Aber dennoch kam er mir wie Mondschein oder wie verschleierter Sonnenschein vor. So düster und glanzlos erschien mir das Licht an Charlestons Mauern und Dächern oder unter seinen buschigen Bäumen, nach all der Sonnenpracht und dem Glanz, woran ich auf Cuba gewöhnt worden war.
Aber welch eine herzliche Freude war es für mich Mrs. Howland und ihre Familie wieder zu sehen, mit ihnen von Cuba zu sprechen und einen ganzen schönen Tag in Heiterkeit und Ruhe mit ihnen zu verleben!
Dennoch war mein Gemüth jetzt nicht der Ruhe und Stille zugekehrt; ich war auf neue Fahrten und neue Abenteuer erpicht. Ich wollte Florida sehen und ich überredete meine gute Mrs. Howland leicht mitzureisen, da ich überzeugt war, daß diese Reise ihr Vergnügen machen würde, wie ihre Gesellschaft mir Vergnügen machen mußte.
Der Beschluß mußte bald gefaßt werden. Am nächsten Tag ging ein Dampfschiff nach Savannah ab, und dort sollte ich mit der Familie Mac-Intosh zusammentreffen und mit ihr der Verabredung vom vorigen Jahr zufolge die Reise nach Florida auf dem schönen Flusse St. John unternehmen.
Gesagt gethan. Der nächste Morgen sah Mrs. Howland und mich an Bord des nach Savannah bestimmten Dampfschiffes. Es war der schönste Maimorgen, und am Ufer, just als ich abreisen sollte, stand Mrs. Holbrook mit einem Blumenstrauß und bei ihr noch einige andere Freunde. Wie freundlich und wie angenehm!
Und jetzt bin ich nach eintägiger Lustfahrt auf dem Flusse wiederum in der Stadt, wieder unter alten Freunden, die gut, herzlich und gastfrei sind wie vorher, Mr. und Mrs. Tefft, Mrs. Burrows u. s. w., und alle sagen, ich habe mich verjüngt, ich sehe unendlich besser aus (wonderfully improved), und schreiben es America zu. Aber ich weiß es besser und ich sage, daß sie alle zusammen nach Cuba fahren müssen, wenn sie sich verjüngen wollen.
Die Familie Mac-Intosh fand ich in tiefem Kummer um eine geliebte Tochter und Schwester, die im vorigen Herbst gestorben war. Aber der alte ehrliche Vater, Oberst Mac-Intosh, und seine jüngste Tochter, ein seelenvolles und höchst gebildetes junges Mädchen, begleiten uns nach Florida, wo sie den ältesten der Söhne der Familie besuchen wollen, der daselbst ansäßig und verheirathet ist. Auf dem Rückweg werde ich eine Plantage von Mr. Cooper am Altamahafluß besuchen, wo ich, wie man mir sagt, das Ideal des Sklavenlebens in den Plantagenstaaten zu Gesicht bekommen werde.
Uebermorgen fahren wir auf einem kleinen, schönen, nagelneuen Dampfschiff, genannt die Magnolie, ab, und gedenken den St. Johnfluß hinaufzufahren, soweit die Dampfschiffe gehen, das heißt bis an den Monroesee.
Miß Dix, die zufällig jetzt nach Savannah gekommen ist, hat sich an unsere kleine Gesellschaft angeschlossen, da sie Florida zu besuchen wünscht. Das Wetter ist herrlich, der Mond ist voll, und ich bin voll von Reiselust, von Verlangen Florida zu sehen, die Blume der Staaten des Südens, das Land, dessen liebliche balsamische Luft die Spanier glauben ließ, daß die Quelle ewiger Jugend da verborgen sei.
Selten bekommt wohl Jemand einen Brief von einem Dampfboot, das auf einer grünen Wiese sitzt. Aber just von einem Dampfboot in dieser Lage aus schreibe ich jetzt an Dich. Und wie lange es und seine Passagiere so dasitzen müssen, das hängt vom Mond und von der Menschenliebe ab; aber wir haben Ursache in diesem Augenblick den guten Willen beider zu bezweifeln.
Die erste Tagreise war ausnehmend munter und die Frauenzimmer in unserer kleinen Gesellschaft unterhielten sich recht lustig mit einander. Miß Mac-Intosh, die jetzt ihrer kummervollen Umgebung entrückt war, entwickelte eine Blüthe von Frische und Munterkeit, die ich hinter ihrem classischen, ernsten Gesichte nicht gesucht hätte. Mrs. H. hat immer einen ruhigen und gutmüthigen Humor zur Hand. Beide forderten Miß D. in freundschaftlichem Wortwechsel heraus. Und dann hatten wir eine gewisse menschenfreundliche und regierende Dame an Bord, die dominiren und über und Alle herrschen wollte und aus jedem Strohhalm ein großes Wesen machte. Aber wir nahmen Alles leicht und munter. Unsere kleine hübsche Magnolie keilte sich lustig in die Biegungen und Winkel durch das Sumpfland hindurch ein, wo sie unter einer Menge von Strombetten das ihrige herauszufinden hatte, und ich mußte ihren Scharfsinn und ihren frischen Muth bewundern; nur schien es mir, als hätte sie einen allzu starken Zug nach dem Lande hin, denn wir stießen oft an den Ufern an, während wir uns zwischen ihnen hinschwenkten. Aber da waren der Sund und der Raum zur Schwenkung oft äußerst knapp und zugemessen.
„Ein schöner Abend, Missis,“ sagte der schwarze Steuermann, indem er mit gutmüthigem Gesicht aus seinem Häuschen auf dem Verdeck hervorguckte und eine der Damen in unserer Gesellschaft anredete.
„Ja, aber kommen wir denn nicht bald an einen Ruheplatz für die Nacht?“
„O ja, o ja, bald; wir werden bald an Ort und Stelle sein. Seien Sie ruhig, Missis, Maam.“
Eine Weile nachher, als wir Alle am Theetisch saßen, wurde das Schiff plötzlich wie von einer starken Welle emporgehoben, und nun standen wir still, obschon die Maschinerie noch einige Zeit arbeitete. Der Kapitän, der mit am Tische saß, und ein paar andere Herrn sprangen auf und hinaus.
Bald zeigte es sich, daß der unwissende außerordentliche Steuermann (der eigentliche Steuermann lag krank in Savannah) sich im Flußbett geirrt und uns gerade auf eine hervorspringende Landspitze zu geführt hatte. Sie war jetzt vom Fluß überschwenmt, denn der Mond war voll an diesem Abend und es war hohe Fluth.
Am folgenden Morgen, als die Ebbe eintrat, sahen wir, daß wir ganz auf dem Trockenen saßen, mit grünem Gras rund um uns her und ganz nahe bei einem Hain von Lebenseichen und blühenden Magnolien, welche letztere irgend eine geheime Anziehungskraft auf unsere arme kleine Magnolie ausgeübt haben mußten. Sie lag da, mit dem Vordertheil dem Hain zugekehrt, just als wollte sie sich in denselben einkeilen.
Wir saßen auf eine bedenkliche Art fest. Und fest sitzen wir noch jetzt, heute am 17. in grünem Gras und Lehmboden, am Abend begrüßt von des Whip poor Will flötenden Tönen aus dem Magnolienhain und am Morgen von strahlenden Schmetterlingen, die uns umtanzen. Ein ganzes Regiment Negersklaven ist beschäftigt, den Kiel des Schiffes zu umgraben, um es aus dem Sand loszumachen, und nun zeigt es sich bloß, wie tief es sich hinabgebohrt hat. Am ersten Tag sagten wir: „Heute Abend, wenn die Fluth kommt, dann …“ Aber als die Fluth kam, da kam sie nicht so hoch wie am vorhergehenden Abend, und der Mond, weniger voll, sah kalt auf uns herab und ließ uns sitzen, wo wir saßen.
„Morgen, wenn das Dampfboot Gaston hier vorbeikommt,“ hieß es jetzt, „muß es uns einen Stoß geben und uns loshelfen.“ Und Miß Mac-Intosh machte den Vorschlag, daß alle Damen bei Gastons Ankunft auf das Verdeck steigen und sich mit ihren Nastüchern vor den Augen zeigen sollten, um dadurch das voraussichtlich harte Herz des Kapitäns vom Gaston zu erweichen.
Der morgende Tag kam und der Rauch des Gaston zeigte sich und machte den Rauch der Hoffnung in unsern Herzen aufsteigen. Der Gaston kam näher, blieb stehen, sah uns an. Die Fluth war eingetreten. Wir waren voll von Hoffnungen auf einen Stoß vom Gaston. Aber der verhärtete Gaston sah uns bloß an, setzte dann seine Fahrt fort und überließ uns unserem Schicksal auf dem Trockenen. (NB. die Rührungsscene mit den Nastüchern wurde versäumt!)
Große Indignation auf der Magnolie. Unsere herrschende Dame will eine Indignationserklärung gegen Gaston aufsetzen, die in den Zeitungen kommen soll. Sie veranlaßt auch die Damen an Bord zu einer Hochachtungserklärung für den Kapitän der Magnolie und sein gentlemännisches Benehmen, eine Erklärung, die wir gut finden und unterzeichnen.
Jetzt ruht unsere Hoffnung auf dem Dampfer St. Matthäus, der morgen Abend erwartet wird; wir hoffen, daß er sich als ein guter Apostel erweisen und uns an Bord nehmen werde, denn so viel ist klar, daß die Magnolie in diesem Stadium des Mondes nicht loskommt, da der Mond mit jedem Tage mehr abnimmt und die Fluth ebenfalls, die Magnolie aber, vermöge ihrer Schwere, mit jedem Tag tiefer in den Sand sinkt.
Inzwischen trösten wir uns mit gutem Humor und gutem Tisch, wie auch mit allerlei Ausflügen am Ufer hin (wir können nemlich trockenen Fußes aus dem Schiff und um dasselbe herumgehen) und nach den schönen Plantagen daselbst.
Die Frauenzimmer sind voll Munterkeit. Die gute Mrs. H., die ohne ihre hausmütterliche Thätigkeit nicht leben kann, stellt eine feine Wäsche an und rekommandirt sich dem verehrten Publikum, erhält aber allerlei Verweise wegen Faulheit und Ungeschicklichkeit. Miß Dix hinwiederum wird des Diebstahls beschuldigt und mit Correctionshaus bedroht; und dann lachen wir so herzlich und vergnügt, besonders Miß Mac-Intosh, in deren Brust die Jugendquelle frisch aufspringt, und die selbst nicht begreift, wie sie so munter sein kann. Heute Abend feierten wir den Geburtstag des schönen Töchterleins unseres Kapitäns. Ich flocht ihr einen Kranz von wilden Blumen; die andern Frauenzimmer machten ihr kleine Geschenke und das gute Kind sprang überglücklich fort, um sich in seinem Blumenschmuck dem Vater zu präsentiren.
In der Gesellschaft befindet sich eine Dame, noch nicht vierzig Jahre alt, schön, geschnürt, gut gekleidet, mit hellfarbigen Locken, und ihre Gedanken sichtlich auf die Welt und ihre Vergnügungen gerichtet. Diese Dame ist jedoch Wittwe von drei Männern, Mutter von zwölf Kindern, wovon neun todt und zwei verheirathet sind, und Großmutter von drei Enkeln.
„Und Sie haben alle diese Verluste sehr gut durchgemacht?” fragte ich mit einiger Verwunderung.
„Yes indeed (ja allerdings),“ erwiederte sie, augenscheinlich zufrieden mit sich selbst und ihrer Seelenstärke.
„Und Sie wären vielleicht nicht abgeneigt, zum vierten Mal zu heirathen?“ fragte Mrs H., etwas neugierig auf die Antwort.
„O nein,“ antwortete sie ruhig, „außer wenn ich meine Umstände dadurch verbessern könnte“ (better my self, mich verbessern, ist der eigentliche Ausdruck hiefür).
Miß Mac-Intosh wurde dadurch so empört, daß sie nahe daran war, ihrer Entrüstung Luft zu verschaffen.
Unter den Herren befindet sich ein junger Californienfahrer, der neuerdings aus dem Goldland zurückgekommen und auf der Heimreise zu seiner Frau begriffen ist, mit verschiedenen geschmolzenen und ungeschmolzenen Goldklumpen, californischen Ducaten und einem weißen chinesischen Seidenshawl für seine Frau. Er ist ein schöner junger Mann, aber mehr Dandy und kindlicher, als man es bei einem Americaner findet und es sich wohl für einen Californienfahrer paßt. Ich hätte gern ein wenig von Land, Leuten und Lebensart in Californien, von den Chinesen und ihrer gesellschaftlichen Ordnung, ihrem Gottesdienst u. s. w. erfahren. Aber der junge Mann wußte bloß, daß er mehrere Goldklumpen und einen chinesischen Shawl für seine Frau bei sich hatte.
Heute früh sind wir am Land gewesen und haben eine schöne Baumwollenplantage gesehen, die schön auf einer hohen Terrasse am Flusse liegt. Sie gehörte, sagte man uns, einem Mr. Valburg. Besonders gefielen mir da einige der Sklavenwohnungen, die ich besuchte; sie zeugten, wie auch das Aussehen einiger Sklaven, die von der Arbeit zu Hause waren, von einem gewissen Wohlstande.
An einem Brunnen sah ich eine sehr alte Negerin, die in Begriff stand Wasser zu holen. Ich fragte sie unter Anderem, wie alt sie sei.
„Etwas über hundert, Maam,” war ihre Antwort.
Die Neger setzen einen Werth darauf sehr alt zu werden und sie werden es auch, wenn sie gute Tage haben.
Von dieser Plantage hätte ich bloß freundliche Eindrücke mitgenommen, wenn ich nicht auf dem Rückweg nach dem Ufer bei einem Gatterthor den Aufseher (der Herr und seine Familie waren fort) getroffen und in ihm einen starkgliederigen jungen Mann mit jenem wilden und friedlos irren Blick gesehen hätte, den ich bei mehreren Plantagenaufsehern bemerkt habe, und der sogleich allen Glauben an Gerechtigkeit in der Behandlung der Sklaven raubt.
Die Sklaven, die unser Schiff umgraben, sind kräftige Bursche und arbeiten tüchtig, aber so still, als grüben sie ein Grab. Dies ist bei den Negern nicht natürlich und ein schlimmes Zeichen.
Es ist der allerschönste Mondschein an den Abenden, und aus dem Magnolienhain flötet der Whip poor Will seine melodischen, aber einförmigen Töne.
Bei Tag ist die Sonnenhitze stark und — möge St. Matthäus sich unser erbarmen!
Ich schreibe Dir jetzt aus dem Innern des blühenden Florida, ruhend auf einem seiner spiegelklaren Binnenseen, mit grunzenden Alligatoren, die um unsere kleine schwimmende Wohnung (ein sehr schwaches Dampfboot mit Namen Sarah Spalding) herumschwimmen. Ein Kranz von dunkelgrüner Waldung, ähnlich einem Myrthenkranz, umgibt den stillen See, denn die Orangen- und Palmettohaine, sowie die Cypressenwälder, lassen sich in dieser Entfernung nicht unterscheiden. Das ganze Ufer ist niedrig, der See spiegelruhig und Alles rund umher sehr still. Keine Städte und Thürme, keine Dampfboote und Flotten, keine Menschen außer uns Floridafahrern. Hier ist junges Land, ja beinahe noch wildes Land. Aber wie froh bin ich nicht, daß ich mich jetzt mitten in Floridas poetischen Wildnissen befinde, daß ich von seiner reichen wunderbaren Naturpoesie Etwas gesehen habe.
St. Matthäus erwies sich uns als ein guter Apostel, und am 18. Nachmittags nahm er uns gestrandete arme Sünder, die jedoch von keiner Noth wußten und weiter nichts zu klagen hatten, als daß es verdrießlich war, in einem Dampfboot auf einer Landzunge mitten im heißen Sonnenschein stille zu liegen, sammt und sonders in seinem Schooß auf. Unser Kapitän dagegen war wirklich zu beklagen und ebenso die Mannschaft, von welcher mehrere sich bereits unwohl befanden. Unser Erlöser St. Matthäus kam uns nicht sehr nahe, sondern ließ uns im Boote abholen. Vier Neger ruderten uns. Mir schien es, als gehe die Fahrt sicher und gut. Unsere herrschsüchtige Dame aber, die durch ihre Philanthropie gegen weiße Sünder bekannt ist, sah den Schwarzen scharf auf die Finger und sagte jeden Augenblick mit strenger Stimme: „Warum rudert ihr nicht stärker?“
Und sie fügte, gegen mich gewandt, hinzu: „Man kann es an ihrer Brust und ihrem Athem sehen, ob sie sich nach Kräften anstrengen.“
Die philanthropische weiße Dame saß also da und beobachtete die Athemzüge der Negersklaven, den Blick auf ihre nackte Brust gerichtet, um zu erforschen, ob sie sich bis zum Aeußersten anstrengen, um ihr und uns zu dienen. Ich muß hinzufügen, daß diese Dame aus einem der Staaten Neuenglands war. Solcher Art ist die Philanthropie mancher Americaner.
Unsere herrschsüchtige Dame gewann indeß Nichts mit ihren Bemerkungen und Ermahnungen. Die Neger ruderten ruhig, aber gleichmäßig und gut das schwerbelastete Boot, und wir kamen glücklich an Bord des St. Matthäus. Und bald rollten wir zu unserer großen Befriedigung auf dem Altamahafluß dahin, dessen Wasser hier in der Nähe des Meeres salzig war und in der Abenddämmerung wie ein Strom von hellrinnendem Silber voll von funkelnden Diamanten erschien.
Der St. Matthäus hatte bereits eine Masse von Leuten an Bord. Unter diesen befanden sich drei Paar Turteltauben von der menschlichen Race. Ein Pärchen, das physisch schön war, aber in Bezug auf Bildung und Manieren der zweiten Sorte von Menschen angehörte, war so verliebt, und zeigte es so ungezwungen, daß es abgeschmackt war. Der junge Mann, der eine große Nadel von falschen Diamanten an seiner Halskrause trug, vertraute einem Bekannten in der Gesellschaft, daß er die Ueberzeugung hege das vollkommenste Weib auf Erden geheirathet zu haben. Aber ihre vollkommene schöne Gestalt sah nicht aus, als ob sie viel Seele in sich beherbergte.
Die Turteltauben Nro. 2. waren von feinerem Schrot und Korn, anmuthsvolle Leutchen, und liebende Seelen leuchteten aus den dunkeln, schönen Augen; die junge Frau war von sehr schwacher Gesundheit, nachdem sie sich erst ein Jahr verheirathet hatte; er zeigte sich sehr besorgt um sie.
Die Turteltauben Nro. 3. waren weder jung noch schön mehr, aber von den drei Paaren das interessanteste und vielleicht das glücklichste. Es war eine Lust, sie anzusehen und ihre Geschichte zu hören.
Sie gehörten der ärmeren, weißen Volksclasse in Carolina oder Georgia an, die gewöhnlich dort Sandhügelvolk genannt wird, weil sie in den sandigsten und magersten Theilen des Landes lebt und ihre Felder bestellt, ohne Schulen oder irgend andere Mittel zur Bildung zu haben. Die Frau hatte ihren Mann gegen den Willen ihrer Angehörigen genommen. Und als sie einige Zeit nach ihrer Verheirathung durch die Schuld des Mannes in große Noth gerieth, da gaben sie ihr zwar eine Freistätte, verstießen aber den Mann und verboten ihr ihn zu sehen. Der erbitterte Mann schwur, daß sie ihn nicht wieder sehen sollten, bis er komme, um seine Frau in ein eigenes Haus abzuholen. Er blieb sieben Jahre aus und ließ Nichts von sich hören. Sie hielt sich mit ihren Kindern, zwei Jungen und einem Mädchen (der jüngste Knabe war kaum erst geboren, als der Vater sie verließ) bei den Eltern auf und verlor allmälig beinahe alle Hoffnung ihren Gatten wieder zu sehen, den sie jedoch innig liebte. Aber eines Tags rief der älteste Knabe: „Da kommt Papa!“ Sie wollte ihm nicht glauben. Sie hatte so manches Jahr vergebens auf Nachrichten von ihm gewartet. Sie ging jedoch jetzt aus dem Hause, um den Ankommenden zu sehen, und als sie noch in der Entfernung ihren Mann erkannte, da fiel sie ohnmächtig nieder. Es war ihm nach beharrlichen Anstrengungen gelungen sich ein sicheres Brod zu verschaffen; er hatte sich in dem schönen Florida eine Hütte erbaut, und nach dieser Heimath in diesem Lande ewigen Sommers wollte er jetzt seine Frau und seine Kinder führen. Sie waren auf der Reise dahin begriffen. Am Ufer des Monroesees lag die neue Wohnung; dort sollten die beiden Gatten ein neues Leben beginnen. In dem mondheilen Abend küßten sie sich und ruhten an einander mit der innigsten Liebe und Freude. Er sah gut und mannhaft aus. Sie hatte feine Züge und war offenbar schön gewesen, schien aber durch Kummer und harte Arbeit gelitten zu haben. Sie konnte nicht viel über dreißig Jahre sein; er schien einige Jahre jünger. Sie saßen beständig neben einander. Sie lehnte mit einem Ausdruck inniger Zuversicht und Ruhe ihren Kopf an seine Schulter. Sie sollte nicht mehr allein, getrennt von dem Manne, umgeben von Verwandten, die ihn mißachteten und haßten, für Haus und Kinder arbeiten. Er war bei ihr; sie hatte ihn wieder bekommen, und was noch mehr war, sie hatte wieder Achtung gewonnen vor ihm als Mann und Gatten. Er konnte, er mußte fortan sie und die Kinder versorgen, er führte sie weit, weit hinweg von den Sandhügeln, wo sie so viel Böses ausgestanden hatte, nach dem blühenden Florida, wo Orangenbäume ihre Wohnung am Ufer des Sees umschatten und Floridas Sommerwinde neue Blumen auf ihre Wangen rufen sollten. All diese lieblichen Gefühle und Gedanken waren ganz deutlich im Ausdruck und im Wesen der beiden Gatten zu lesen. Sie schienen mir die glücklichsten Menschen zu sein, mich selbst ausgenommen, die ich sie sah und von Gott die Gabe empfangen habe mich am Glücke anderer Menschen sehr zu erfreuen.
Der jüngste Knabe war ein außerordentlich hübscher freimüthiger Junge und von der Zärtlichkeit der Mutter mit einem zierlichen Käppchen ausgestattet, das ihm allerliebst ließ; der älteste Knabe, der fünfzehn Jahre zählte, war weniger hübsch, und die einzige Tochter des Hauses, die vierzehenjährige Polly war ein schwarzer Strich im Roman der Eltern, denn obschon nicht häßlich, obschon sie die Gutmüthigkeit des Vaters in ihrem runden Gesichte hatte, war sie doch eine ächte Tochter des Sandhügels, bei einer alten Großmutter aufgewachsen, wie der Tannenbusch im Sande, ohne mehr Cultur oder Bildung zu erhalten als diese. Unsere herrschsüchtige Dame nahm den verwilderten Menschenstoff unter ihren Schutz, und ihre Versuche die junge Novize mit ihren Sandhügelmanieren zu cultiviren, gaben uns Stoff zu manchem herzlichen Lachen.
Die erste Nacht auf dem St. Matthäus war heiß und schwül in dem vollgedrängten engen Salon. Der Boden war mit da liegenden Frauenzimmern übersät. Einige von ihnen waren schön, zwei ganz jung und wahrhaft classisch schön in ihrem Schlaf und ihrer ruhenden Haltung. Und da ich nicht schlafen konnte, machte ich mir die Unterhaltung sie mit Künstleraugen von meinem hohen Bette herab zu betrachten.
Am Abend waren wir aus dem Altamahafluß heraus und nach mehrstündiger Fahrt in den St. John hineingekommen, nachdem wir glücklich über eine gefährliche Sandbank an seiner Mündung hinweggefahren, ohne etwas Anderes als einen starken Stoß zu erleiden, welchen der Schwall der Meereswogen uns gegen die Bank zu versetzte, und der den alten St. Matthäus in allen Fugen krachen machte. Aber er zerfuhr nicht in Stücke, wie dieß leicht hätte geschehen können (und wobei wir Alle unfehlbar zu Grunde gegangen wären), sondern er hielt fest zusammen, und so hatten wir Nichts dagegen zu sagen. Mehrere Passagiere verließen das Schiff bei den Colonien oder Pflanzungen unterwegs; Alles wurde freier und angenehmer, und ich fand einen unbeschreiblichen Genuß an dem herrlichen Morgen und der Flußfahrt.
Der St. John (auf indianisch Welaka oder der Binnenseenfluß) ist eine Kette von größeren oder kleineren Binnenseen, die durch enge, aber tiefe Sunde verbunden sind, welche sich in unzähligen Buchten und Windungen zwischen den Ufern hinschlingen, deren wunderbares Aussehen man sich kaum denken kann, wenn man noch nichts Aehnliches gesehen hat. Hier ist wieder der Urwald, so wie ich ihn auf dem Savannah sah, aber noch reicher in seinen Erzeugnissen, denn der Welaka fließt zum größten Theil unter tropischen lauen Winden dahin, unterhalb der Region, welcher die Kälte naht. Hier sind dichte Haine und Gruppen von Palmettos, hier sind wilde Orangenhaine mit glänzenden Früchten belastet, die keine Hand abpflückt; Massen von Schlingpflanzen, Vanille, wilde Weinrebe, Convolvulus u. s. w. bedecken die Ufer in unbeschreiblicher Ueppigkeit und bilden, indem sie über die Bäume, Stämme, Gebüsche und das sogenannte Knie der Cypressen hinwachsen, Pyramiden, Altäre, ganze Tempel mit Pfeilern, Gewölben, Säulenhallen, dunkeln, tiefen Gängen, sowie die schönsten, zierlichsten Blumengewinde an dem klaren Fluß entlang und über demselben. Aus den Massen des Laubwerks strecken die Fächerpalmen ihre schönen Kronen frei und phantastisch hervor; die Magnolie steht voll von schneeweißen Blumen, und hoch über dieser Republik von Pflanzen, Blumen und mannigfaltigen Bäumen stehen die hohen Cypressen, gleich schützenden, bärtigen Patriarchen, horizontal ihre hellgrünen Kronen mit langen flatternden Moosen, die von ihren starken Zweigen herabhängen, hinausstreckend.
Hier ist das Naturleben in all seiner Ueppigfeit. Aber es ist dieß des alten heidnischen Naturgottes, des alten Pans Reich und Herrschaft, welche das Gute und das Böse, das Leben und den Tod mit gleicher Liebe umfaßt und kein Gesetz, keine Ordnung kennt, außer denen der Erzeugung und der Zerstörung. Unter diesen grünen Laubgewölben, die das Wasser beschatten, liegt die friedliche Schildkröte, aber auch der grimmige Alligator, der auf Raub lauert. Das Elennthier wohnt in diesen Naturtempeln, aber auch der Panther, der Tiger und der schwarze Bär. Rings um diese Säulen von Laub und Blumen windet sich die Klapperschlange und die giftige Moccasine, und der schöne, romantische Wald ist voll von kleinen, giftigen, schädlichen Thieren. Gefährlicher als sie alle ist hier jedoch die liebliche Luft, welche im Sommer, beladen mit den Miasmen des Urwaldes und der Flüsse, den Colonisten Fieber und andere langsam zehrende Krankheiten bringt, woher es kommt, daß diesen wunderschönen Ufern noch die Menschen fehlen. Kleine, da und dort am Fluß angefangene Colonien sind nach einigen Jahren verlassen und dem Verfall preisgegeben worden.
Aber just dieses Urleben in der Wildniß, diese regellose üppige Schönheit, welche der Menschenkraft Trotz bietet und durch ihren Reichthum stark ist, ist mir hier von unaussprechlichem Interesse und bereitet mir ein unaufhörliches Fest, das ich genieße, ohne die mindeste Beschwerde dabei zu haben. Und die Luft ist so lieblich und die Magnolie so voll von Blumen, der Fluß so voll von Leben, Alligatoren, platschenden Fischen, großen, schönen Wasservögeln, Alles so üppig, so wunderbar reich, mild und schön — ein unaufhörliches Feenschauspiel, besonders an den Abenden, wenn der Mond aufgeht und seine mystischen Halblichter und Schatten in die Gewölbe und Pfeilerreihen der wunderbaren Naturkirche hereinwirft. Ich sitze schweigend außen auf der Piazza und sehe mit Andacht und Entzücken zu, während bei jeder Wendung des Flusses neue frappante Scenen hervortreten; ich bin glücklich, wenn ich allein dasitzen kann, oder an der Seite meiner guten Mrs. Howland, wo ich mich immer wohl befinde. Aber es fehlt uns nicht an allerlei kleinen Störungen. Am ersten Morgen unserer Fahrt auf dem Welaka verlor St. Matthäus aus Unachtsamkeit sein Steuerruder in einem Gebüsch, und das gab unserer herrschenden Dame viel zu herrschen und zu bestellen, und wir mußten eine ganze Stunde stillliegen, um unsern Schaden wieder zu ersetzen. Die Sandhügel-Polly war uns beständig im Weg, und wenn wir zufällig ihr im Wege standen, so konnte man sich auf einen tüchtigen Puff gefaßt halten. Das Erziehungssystem unserer herrschenden Dame wurde immer strenger, aber wir begannen alle Hoffnung auf die Macht der Bildung über diese Tochter der Wildniß zu verlieren. Wir hatten auch allerlei komische Auftritte, und die heitere Miß Mac-Intosh belustigte sowohl sich selbst als uns mit ihren Bemerkungen über Polly und ihre Bildung.
Die Turteltauben Nr. 1 und 2 wurden bei der kleinen Colonie Pulatky ans Land gesetzt, die mitten im heißen Sande liegt und vielleicht deßhalb gesunder ist, als andere von üppiger Vegetation umgebene Orte. Die Turteltauben Nr. 3 sollten uns bis an den Monroesee begleiten. Im Pulatky erfrischen wir uns mit großer Waschung und guter Milch. In Pulatky befinden wir uns unterhalb der Region, wo die Kälte Macht hat; sie kann sich hier zwar von Zeit zu Zeit fühlbar machen, aber sie kann Nichts zerstören. Etwas mehr im Norden hat sie vor einigen Jahren die herrlichen Haine von süßen Orangen, die in der Gegend von St. Augustin der einzige Reichthum von mehreren tausend Personen waren, von Grund aus zerstört. Aber in Pulatky spüre ich wieder die balsamische Luft und die sanften Winde, die auf Cuba wehten. Dieser Wind kann bloß dahin kommen, wohin der Frost nicht kommen kann.
In dieser bezaubernden Luft lag, in Pulatky, weit getrennt von Familie und Freunden, ein Jüngling sterbend an der Lungenschwindsucht darnieder. Er war von Philadelphia und hatte die Reise nach Florida unternommen, um Gesundheit zu trinken; aber die Krankheit war übermächtig geworden. Floridas balsamische Winde spielten durch die Fenster herein, ein treuer Neger saß da und fächelte den Kranken mit einem Sonnenfächer — aber vergebens. Das Fieber verzehrte ihn und er konnte nicht mehr viele Tage zu leben haben. Er war schön, hatte große blaue Augen und helle Haare. Seine Großmutter war eine Schwedin und er führte ihren Namen, nemlich Rudolph. Schwach wie er war, schien es ihm gleichwohl Vergnügen zu machen, die aus weiter Ferne gekommene Landsmännin zu sehen. Er war jetzt auf dem Rückweg nach Philadelphia begriffen und glaubte diese Stadt erreichen zu können, aber … Miß D., die sich immer der Kranken annimmt, schrieb sich die Adresse des kranken Jünglings in Philadelphia auf, um seine Verwandten von seiner Gefahr zu unterrichten.
In Pulatky wurden wir von St Matthäus dem kleinen, elenden Dampfboot Sarah Spalding überlassen, das mich an diesem Abend beinahe dazu brachte, daß ich mein Unternehmen bereute, besonders um meiner Freunde willen. Denn Alles sah höchst unfreundlich und dürftig aus, und unsere Kajüten wimmelten von Schnaken. Aber selten habe ich mehr und herzlicher gelacht als an diesem Abend. Miß Mac-Intosh gerieth in eine Art von lustiger Raserei gegen unsere Friedensstörer und verfolgte sie mit so komischer Wuth, und Mrs. H. war, wie das prächtige junge Mädchen, so geneigt alle unsere Beschwerden auf die lustige Seite zu nehmen, daß Alles für uns Stoff zu Vergnügen wurde. Die Mondscheinnacht war herrlich während der Flussfahrt, und wir saßen bis spät auf der kleinen dreieckigen Piazza im Hintertheil des Schiffes; ein paar junge Schwestern mit lieblichen Stimmen sangen den holden Mai und andere anziehende Negerlieder, das Schauspiel an den Ufern nahm einen immer tropischeren Character an. Sodann schliefen wir ein wenig, und ich für meinen Theil gut, trotz der Schnaken. Aber unsere herrschsüchtige Dame glaubte über unser Wohl wachen zu müssen; sie war sehr unruhig in dieser Nacht und machte wegen einiger kleinen Insecten Lärm, als ob sie es mit grimmigen Tigern zu thun hätte.
Am nächsten Morgen in der Frühe fuhren wir an Land, um Holz zu holen. Ich ging ans Ufer, um mich nach der unfreundlichen Nacht zu erfrischen. Die Gegend schien ganz unangebaut und wild. Aber ein Fußsteig bog sich in den Wald hinein, und ich ging von da auf gut Glück aus, um eine Entdeckungsreise zu machen. Und als ich allein durch die Wildniß wandelte, kamen meine Flügel und meine Freude wieder über mich. Aber der Morgen und die Wildniß waren auch so unaussprechlich schön. Die Lebenseichen standen prächtig da mit ihren hängenden Moosen; durch ihre Arcaden drang die aufgehende Sonne. Auf dem Laub der Ambrabäume, auf unzähligen kleinen Pflanzen und Büschen am Fußsteig entlang lag der Morgenthau frisch und glänzend. Die Erde duftete. Ich küßte den Thau von den Blättern; ich legte sie auf meine Augen, an meine Stirne, die morgenfrischen Blätter der jungen neuen Erde; ich wollte mich neu baden in diesem Urdarbrunnen; ich weinte halb vor Wehmuth, halb vor unaussprechlicher Dankbarkeit und Freude. Leicht wie ein Vogel ging ich vorwärts und stimmte in die Hymnen der Vögel ein, denn ich hatte ja hier den Labetrank zu kosten bekommen, nach welchem ich während einer langen, langen Wüstenfahrt gedürstet; ich hatte getrunken, ich trank noch immer des Lebens Fülle aus den Brunnen von Gottes Reichthum und getragen allein von seiner Kraft und den Flügeln, die er mir verliehen bat. Wer war freier, wer war reicher als ich! Was sind die gewöhnlichen Vergnügungen und Genüsse des Lebens, nach denen ich in meiner Kindheit oft gedürstet, im Vergleich mit denjenigen, die mir jetzt zu Theil wurden, und nicht bloß mir, sondern in Zukunft auch noch Vielen, denn noch Viele werden lernen, daß Gott ihnen Flügel gegeben hat, und werden sie benützen lernen.
So wanderte ich voll von glücklichen Gefühlen und Gedanken, bis ich an einen offenen Platz im Walde kam, wo man gelichtet und wo vermuthlich früher irgend eine Colonie gestanden hatte. Jetzt war der Ort verlassen. Der schöne Wald umgab still den offenen öden Platz. Weder Menschen noch Thiere zeigten sich. Es war tiefe, wilde Einsamkeit. Ich hatte mich so sehr an dem Morgenspaziergang erlabt, daß ich mir Mrs. Howland wünschte, um diesen Genuß zu theilen, und ich kehrte also zurück, um sie zu suchen. Ich traf sie am Ufer, am Fuße einiger Cypressen sitzend. Sie war jetzt nicht zum Spazierengehen aufgelegt, deßhalb setzte ich mich zu ihr und betrachtete weiße Blümchen, die umgeben von einem Blätterkranz wie kleine Blumeninseln auf dem Wasser schwammen. Ich kannte ihren Namen nicht, hatte sie aber schon früher während unserer Flußfahrt bemerkt. Da sie auch dicht am Ufer im Wasser wuchsen, so untersuchte ich sie und fand, daß die ganze kleine Pflanze bloß mit einer einzigen fadenschmalen Wurzel an der Erde festhing. Diese Wurzel wird leicht von Wogen und Wind abgerissen, und die Pflanze mit ihrer weißen Blume mitten im Blätterkleid begibt sich jetzt, dem Spiel der Wogen und Winde folgend, auf auswärtige Reisen.
Der Zustand an Bord der Sarah Spalding war diesen Morgen etwas unruhig. Ein paar ganz junge und recht schöne Mädchen, die ohne Mutter oder ältere Freunde an Bord waren, hatten durch Unachtsamkeit und Gedankenlosigkeit einigen Herrn Veranlassung zu einer minder feinen Art von Hofmacherei gegeben und dadurch einen unpassenden Auftritt verursacht, den unsere herrschsüchtige Dame vielleicht zum Besten der fehlenden Mädchen, wenn auch nicht gerade zu ihrem Behagen vergrößerte. Die jungen Mädchen erhielten von einigen der älteren Damen, die ihnen jedoch fremd waren, passende Ermahnungen. Und einer der fehlenden Herrn wurde öffentlich vom Capitän des Dampfschiffes zurecht gewiesen. Er war ein älterer Mann und hatte einen so gutmüthigen Ausdruck im Gesicht, daß ich kaum glaube, daß er einen so strengen Verweis verdiente, der ihn auch so angriff, daß er krank wurde.
Mit aufrichtigem Vergnügen hörte ich die würdige und wahrhaft mütterliche Zurechtweisung an, welche Mrs. Howland dem schönsten und, wie es schien, leichtsinnigsten Mädchen ertheilte, und mit eben so großem Vergnügen sah ich die Art und Weise, wie das junge Mädchen sie annahm. Sie stand still vor der älteren Dame, welche sie zu sich gerufen hatte, und lauschte ihr ehrerbietig und achtungsvoll; nicht ein Wort, nicht eine Miene verrieth Verdruß oder Ungeduld, sie sah aus, als wollte sie recht in der Tiefe ihres Herzens die guten und klugen Worte bewahren, die gleich einem guten Samen für die Zukunft in ihre junge Seele ausgestreut wurden. Ich war die einzige von den älteren Frauenzimmern, die den jungen Mädchen keine Predigt hielt. Aufrichtig gestanden, ich hatte mehr Lust mich schwesterlich an das junge Mädchen anzuschließen, welches die mütterliche Zurechtweisung so gut aufnahm. Vielleicht ahnte sie mein Wohlwollen; so viel ist gewiß, daß sie mir den Tag über das ihrige durch verschiedene, angenehme kleine Dienste beweisen zu wollen schien, und als wir uns Abends trennten, nahm sie auf eine solche Art von mir Abschied, daß ich mich gedrungen sah ihr ein herzliches God bless you (Gott segne Sie) mit auf den Weg zu geben. Warum schickt man solche junge Lämmer auf eigene Faust mitten unter Wölfen und Eulen ohne einen berathenden oder leitenden Freund in die Wildniß hinaus? Das ist nicht recht und gut. Mein Glaube an das Gute und Reine bei jungen Mädchen ist groß und wird auch durch dieses kleine Ereigniß bestärkt. Aber man sollte doch junge Kinder nicht behandeln, als ob sie bereits die Weisheitszähne hätten.
Die Flußfahrt war bezaubernd schön den ganzen Tag über; aus den schmalen geschlängelten Pässen kamen wir in große helle Binnenseen hinaus, die von üppig grünenden Ufern umgeben waren. Der Reichthum des Pflanzen- und Thierlebens schien mit jeder Stunde zuzunehmen, die Flora und die Luft des Wendekreises schienen sich zu nähern; und wir fuhren ein in die Heimath des ewigen Sommers. Das wilde Zuckerrohr wuchs jungfräulich an den Ufern entlang und bewies, daß der Boden sich zum Zuckerbau wohl eignete. Die Naturtempel wurden immer reicher. Schöne, strahlende Blumen, roth und blau auf hohen Stengeln, weiße Lilien und riesige Wasserpflanzen, unter welchen die hohe Alisma plantago, glänzten wie Leuchter unter den dunkelgrünen Gewölben; Schwärme von kleinen grünen Papageien flogen zwitschernd über die wilden Zuckerrohre und in die Palmettohaine hinein; wilde Truthähne, größer als unsere zahmen, zeigten sich an den Ufern. Schöne, schlanke Wasservögel flatterten furchtlos rings umher, und ebenso furchtlos, aber nicht schön, schwammen Dutzende von Alligatoren vor und neben dem Schiff, und die Fische hüpften und plätscherten, als wären sie außer sich, ich weiß nicht, ob aus Schrecken oder aus Vergnügen; es war ein großes Spectakel auf dem ganzen Weg.
Wir hatten es auch ganz angenehm an Bord, denn unsere kleine Coterie war jetzt beinahe allein auf Sarah Spalding, und zu ihr hatte sich ein feingebildeter, angenehmer französischer Creole aus Cuba gesellt, Herr Bellechasse, der nebst einem Freund auf einer Entdeckungsreise nach Florida begriffen war, um die Brauchbarkeit der Erde für den Zuckerbau zu untersuchen. Seine Gesellschaft war ein Vergnügen und eine Zierde für die unsrige. Der Capitän war ein artiger und gutmüthiger Mann, und die Neger, welche die ganze Mannschaft bildeten, schienen die Sache ungefähr treiben zu dürfen, wie sie wollten. Aber sie wollten das Rechte, sie waren gefällig und heiter. Der Koch, ein junger Mann, der sein Geschäft sehr gut verstand, war ein Witzkopf, der allerlei Spässe sagte und machte. Aber die Perle der schwarzen Mannschaft war unser kleiner Aufwärter, der Negerjunge Sam, flink, verständig und willig; er richtete alle unsere Geschäfte aus, er bediente uns bei Tisch, er wurde mit Allem fertig und war stets munter. Wir hatten keine Aufwärterin an Bord und fanden hier, daß dieß ein Gewinn war, denn diese Damen sind auf americanischen Dampfbooten selten Vorbilder für ihr Geschlecht, mögen sie nun weiß, schwarz, braun oder gelb aussehen. Auf St. Matthäus hatten wir jedoch eine Wirthin, eine ausgezeichnet gefällige und schöne junge Negerin, die ein freies Weib und mit einem freien Neger verheirathet war.
Die einzige Plage für mich unterwegs war die Mordlust, wovon besonders einer der Passagiere besessen war, der nicht bloß Alligatoren rechts und links von uns zusammenschoß, sondern auch die schönen Wasservögel, von denen er doch keinen Vortheil haben konnte, und denen ich mit Schmerz zusah, wie sie verwundet da und dort ins Schilf herabfielen. Ich nahm mir die Freiheit ihm meine Vorstellungen über dieses unnöthige Schießen zu machen. Er lächelte, gab mir Recht und — fuhr fort zu schießen. Ich wünschte ihm im Stillen schlechte Verdauung.
Was die Alligatoren betrifft, so kann ich kein Mitleid mit ihnen hegen. Sie sind so garstig anzusehen und dabei grausame Thiere, denn obschon sie sich, wenn sie nicht angegriffen werden, nicht an große Leute wagen, so verschlingen sie doch kleine Negerkinder ohne viele Umstände. Sie schwimmen mit dem obern Theil des Körpers über der Wasserfläche, so daß es nicht schwer ist sie mit einer Kugel zwischen den Bauch und die Vorderbeine zu treffen. Hierauf tauchen sie unter oder wenden sie sich, wenn sie schwer verwundet sind, auf die Seite; oft sieht man sie wie eine Masse von lebendigem Schlamm sich ans Ufer hinwälzen, um sich in den Wasserpflanzen daselbst zu verbergen. Ihre Menge und Dreistigkeit ist hier zum Erstaunen. Vor einigen Jahren sollen sie so zahlreich da gewesen sein, daß die Boote Mühe hatten ans Land zu kommen. Sie geben ein grunzendes oder brüllendes Getöne von sich und sollen im Frühling, wenn sie ihre Paarungszeit haben, einen abscheulichen Lärm machen.
Ich verbrachte den ganzen Tag auf der Piazza, indem ich meine Zeit bald den Naturscenen, bald dem Tagbuch des Columbus widmete, welches er während seiner ersten Entdeckungsreise unter den bezaubernden Inseln der neuen Welt geführt hatte. Die Sandhügel-Polly war den ganzen Tag lästig, obschon sie von unserer herrschsüchtigen Dame so viel als möglich in Zucht erhalten wurde. Nachmittags fuhren wir an mehreren wilden Orangehainen vorbei.
Gestern Abend kamen wir an den Monroesee, das Ziel unserer Reise. Denn über diesen Punkt hinaus gehen weder Dampfschiffe noch fahrbare Wege. Herr Bellechasse verließ uns hier, um zu Pferd seine Entdeckungsreise in der Wildniß fortzusetzen.
Wir landeten bei Enterprize, einer Colonie mit einem Krankenhaus, in der Nähe des Fort Melün, das ebenfalls nahe beim See liegt und zum Schutz gegen die Indianer erbaut ist. Die Häuser in Enterprize lagen in tiefem Sand; die Zimmer schienen so wenig Angenehmes zu bieten, und die Bevölkerung sah so kränklich aus, daß wir beschlossen die Nacht draußen auf dem See in unserer kleinen schwimmenden Wohnung zuzubringen, mit welcher wir jetzt beinahe gut Freund geworden waren. Wir fuhren daher von der äußerst gefährlichen und gebrechlichen Brücke an dem mißlungenen Enterprize ab, steuerten näher gegen das Fort Melün hin, und warfen ein Stück davon Anker.
Nicht weit davon am Ufer hatte das Turteltaubenpaar Nr. 3 seinen neuen Wohnsitz und es sollte jetzt das Dampfboot verlassen. Es sah hübsch aus, wie eine Weile vorher Mann und Frau sich auf ihr Gepäck setzten, in stiller aber froher Erwartung des Bootes, welches sie ans Land führen sollte. Es sah auch hübsch aus, wie sie in dem kleinen Boot mit ihren Kindern und Effecten nach dem grünen Ufer abfuhren und uns ein freundliches Lebewohl zuwinkten. Wäre nur die Tochter Polly etwas bezaubernder gewesen! Die letzte Plage und die letzte Erinnerung an sie war, daß sie mich an der Schulter nahm, ungefähr wie man einen Zaunstock nimmt, um an mir vorbei auf eine Bank zu klettern, als ihr Vater sie ins Boot hinabrief. Nun, nun, in Floridas Sommer dürfte sie noch zu einer Rose aufblühen und vielleicht den Commandanten des Forts Melün oder irgend einen Gutsbesitzer von Enterprize heirathen.
Als die Colonistenfamilie sich dem Ufer näherte, verloren wir sie aus dem Auge, aber bald darauf schimmerte ein helles Licht in einer Wohnung unweit des Platzes, wo sie an Land gestiegen war. Es war jetzt Dämmerung und die Dunkelheit nahm schnell zu, obschon der Himmel ganz klar war. Lange saß ich oben auf dem Verdeck und erfreute mich an der stillen Scene. Das dunkle, niedrige Ufer lag wie ein großer Myrtenkranz um den spiegelklaren See. Feuerfliegen funkelten da und dort darüber hin, und Fische, große und kleine, schlugen unaufhörlich ihre Ringe. Der Abendvogel Whip poor Will flötete seine lieblichen Töne vom Ufer her und der Alligator grunzte den Baß dazu. Die Neger auf unserem kleinen Schiff begannen auf Geigen und Flageoletten recht artig und lebhaft Duette zu spielen und gaben mit vortrefflichem Takt und Rythmus lauter heitere, scherzhafte Melodien zum Besten. So trieben sie es bis gegen Mitternacht. Nur von drei Orten an den Ufern glänzten Lichter. Das eine kam aus einer Orangepflanzung, die einer Wittwe gehörte, das andere von Enterprize, das dritte brannte in dem Colonistenhaus bei dem Turteltaubenpaar Nr. 3, und es glänzte so ausnehmend hell an dem dunkeln Abend. Die ganze Gegend war flach, kein Gegenstand ragte bedeutend hervor. Einige Wolken schwammen oder lagen vielmehr wie kleine Inseln am westlichen Horizont und verflossen allmälig in der hinsterbenden Abendröthe. Ich versuchte vergebens unter ihnen einige symbolisch poetische Figuren zu entdecken; das Höchste, auf was ich kam, war eine auf einem Haus sitzende Frau mit einem Quäkerhut. Sie und alle Wolken verwandelten sich endlich in einen Haufen kleiner Spanferkel und so verschwanden sie. Das Licht bei der Wittwe in dem Orangenhain und das Licht in Enterprize waren erloschen. Jeder Windhauch hatte sich schlafen gelegt. Alles im Raume war still, Alles am Ufer war dunkel. Nur das Licht in dem Colonistenhaus brannte noch, aber dunkler; endlich erlosch auch es. Aber ich sah es doch im Hause brennen. Gegen Mitternacht verstummte auch die Musik der Neger; aber der Alligator und der Whip poor Will setzten ihr Duett die ganze Nacht fort.
Ich konnte nur wenig schlafen, obschon ich mich vollkommen wohl befand. Aber die Geister der Luft riefen mich, und wieder und immer wieder mußte ich auf unsere kleine Piazza im Hintertheil des Schiffes hinausgehen, wozu die Thüren vom Salon aus offen standen, und mußte da bloß in meinen weißen Kleidern immer und immer wieder das stille Schauspiel betrachten. Noch in der Morgendämmerung, als die Sterne erloschen und nur der Morgenstern klar stand über dem spiegelklaren See, währte das Duett zwischen dem Vogel und dem Alligator fort. Als die Sonne aufging, schwieg der erstere, und andere Vögel begannen zu singen und die Fische zu tanzen. Und die Unthiere des Flusses schwammen und schwimmen noch rings um uns her, sie scheinen es offenbar auf unser Schiff und seine Eßwaaren abgesehen zu haben. Der grausame Jäger ist nicht mehr hier. Und wir auf Sarah Spalding leben mit aller Welt im Frieden und denken gleich den Krokodilen nur auf ein Frühstück.
Wir sollten frische Fische zum Frühstück zu bekommen suchen; unser Capitän ließ also ein paar Neger mit einem Boot näher ans Ufer rudern und einige hamenartige Netze auswerfen, die beinahe im selben Augenblicke wieder herausgezogen wurden. Binnen zehn Minuten hatten wir einen reichlichen Vorrath von leckern Fischen, deren Geschmack an die Flundern erinnerte. An diesem Ufer sind noch keine Fischer ansäßig und der Fluß wimmelt von Leben.
Heute Nachmittag treten wir die Rückreise an. Ich komme also nicht weiter südlich in Florida; aber ich sehe hier den Charakter der Natur des Landes in seinem südlichen Theile. Das Land ist überall niedrig und reich an Sumpfböden und Morästen, zwischen denen hinein Fichtenwälder emporragen; ein Theil davon, Everglades genannt, soll einen ganz erstaunlichen Reichthum an animalischem Leben verrathen. Der Naturforscher Agassiz sah diese Everglades zum ersten Mal im heurigen Frühjahr, und beim Anblick dieser bis jetzt unbekannten Naturreichthümer faltete er seine Hände in Bewunderung und Anbetung. Hier und tiefer hinab gegen den mexicanischen Meerbusen hin wird das Land immer niedriger, und die Vegetation theilt sich zwischen der halbtropischen, die ich bereits gesehen habe, und großen Wäldern von pinus australis (in der Alltagssprache Scheinholz genannt). Die Indianer des Seminolen- und des Creeksstammes leben noch in diesen wilden Gegenden; sie sind den Einwanderern gefährlich, und es ist ihnen schwer beizukommen. Im südlichsten Theile von Florida können, so wird behauptet, die Cocosbäume und der Bananasbaum cultivirt werden. Welch ein Reich, welch eine Welt ist nicht Nordamerica, das alle Arten von Clima, von Naturschönheiten und Produkten umfaßt! Es ist wahrlich ein Reich für alle Völker der Erde.
Wiederum auf dem Lande, meine Agathe, aber jetzt nicht mehr in einem Dampfboot (unsere arme kleine Magnolie soll noch immer da liegen ohne Hoffnung vor dem nächsten Vollmond loszukommen, was sehr betrübsam ist), sondern auf einer Maisplantage, welche Verwandten der Familie Mac-Intosh gehört, und wo ich bei einer liebenswürdigen Familie in einem guten und gastfreien Hause Ruhe und Erfrischung genieße. Und gut schmeckt es nach den Mühseligkeiten und Beschwerden der Reise, die dießmal nicht gering waren, ausruhen zu dürfen. Es gab Augenblicke, wo ich meinte, die ersten Entdecker dieser schönen Wildniß könnten nicht viel Schlimmeres ausgestanden haben als wir, die wir auf unserm Schiff von der brennenden Sonne wie in einem Ofen gebacken wurden und kein Trinkwasser besaßen. Mit Herrn Bellechasse verschwand all unser gutes im Eis abgekühltes Wasser, und jetzt erst entdecken wir, daß der galante Creole uns Frauenzimmern das Eis überlassen hatte, das er aus Cuba mitgenommen. Nun aber war es damit aus; Sarah Spalding hatte nicht eine einzige Flasche Trinkwasser mehr in ihrer Vorrathskammer, und wir waren auf das Flußwasser reducirt, das von der Sonnenhitze ganz lau war und aussah, als wäre es über Alligatoren destillirt worden. Ich konnte es nicht trinken. Aber später setzte auf meine Bitte der Schiffscapitän — ein ehrlicher braver Mann dieser Capitän! — mich und Compagnie an einem wilden Orangenhaine aus, wo wir alle unsere Säcke mit Orangen vollstopften, und nun braute ich Limonade, an welcher die ganze Gesellschaft sich erquickt. Ein wunderlicher Anblick dieser Orangenhain! Der Capitän und einige von der Mannschaft gingen mit Aexten woraus, um vom Ufer her eine Art von Weg zu bahnen. Der Wald war ein Dickicht von stachlichten Pflanzen, umgefallenen Bäumen, Büschen und Gewächsen aller Art. Im Orangenhain selbst regneten bei der geringsten Schüttelung der Bäume die Orangen auf uns herab, und Tausende lagen schon vorher auf dem Boden. Diese waren so groß wie kleine Kindsköpfe. Diese Orangen sind sauer, aber sehr saftig und von angenehmer Säure. Die goldenen Quellen der Wildniß gewährten uns eine reichliche Erfrischung. Des Capitäns Zuckervorrath ging bei dieser Gelegenheit nahe zusammen; aber der Ehrenmann sagte nie ein Wort darüber, und dafür bekam er auch von der Limonade, soviel er nur wollte. Von den großen hervorstechenden Zacken des Orangenbaums, die manchmal zwei Ellen lang sind, ließ ich mir vier bis fünf Stöcke abschneiden für einige Freunde in der Heimath (Schwager R. und Fabian W. gehören unter die Auserkornen). Diese Stöcke werden recht schön, wenn man sie gebeizt hat; sie sind tüchtig stark und stehen bei den amerikanischen Herrn in großem Ansehen. Unter den Erinnerungen aus dem Orangenhaine nehmen wir außer Orangen und Stöcken auch eine Menge kleiner Insecten mit von der Art, die man hier tics nennt, und die auch wir daheim als garstiges, plattes, kleines Thier kennen, das sich in die Haut einfrißt. Ich war mit diesen Bewohnern des Orangenhains ganz besonders begabt und hatte den ganzen Tag zu arbeiten, um sie wieder loszuwerden.
Zu unsern Abenteuern auf der Heimreise gehörte es, daß unser von der Sonne ausgetrocknetes Schiff auf einem der Binnenseen Feuer fing, was unserer herrschsüchtigen Dame viel Gelegenheit gab, ihre Zunge herrschen zu lassen. Sie machte die kleine Flamme zwei Ellen hoch und „wäre sie nicht gewesen, dann — dann wäre es mit uns aus gewesen.“ Der Capitän und die Mannschaft löschten inzwischen das Feuer so schnell und so still, daß ich die Gefahr erst erfuhr, als sie vorüber war.
Bei Nacht litten wir von Schnaken und Mücken, bei Tag von der heißen Sonne und von dem Dunst aus der Maschinerie des Schiffes. Dazwischen hinein kamen bessere Augenblicke, wo kühlende Lufthauche uns gestatteten das immer schöne phantastische Schauspiel, sowie den Umgang und die Unterhaltung mit Freunden wieder zu genießen.
Eines Nachmittags sahen wir eine große sogenannte Craneroost, d. h. eine Republik von weißen Kranichen. Dieß war auf einem Inselchen mit hohen buschigen Bäumen. Bei der Annäherung des Dampfbootes flog die Republik wie eine große Wolke in die Höhe; bald darauf ließ sie sich wieder herab und das Inselchen sah aus, als ob es ganz überschneit wäre.
Auf der Rückfahrt legten wir an zwei Städten, Jacksonville und St. Mary, an. Jacksonville ist eine in rascher Zunahme begriffene Stadt, da seine Lage für den Handel günstig ist; aber es liegt im Sand und war für uns ein schrecklich heißer, unangenehmer Ort. Wir übernachteten da in einem Hotel, das einer baufälligen hölzernen Baracke glich. Die Stadt St. Mary, die einige Jahre älter ist, hat eine minder günstige Lage für den Handel und ist im Abnehmen, war aber doch vermöge ihrer schönen schattenreichen Alleen in den Straßen weit angenehmer als Jacksonville. Auf einem Spaziergang allda sah ich einen wohlgekleideten Neger von ungefähr 40 Jahren, welcher tättowirt war wie die Luccomeer, die ich auf Cuba gesehen habe. Ich redete ihn an: „Sie sind aus Africa hiehergekommen?“ Er antwortete: „Ja;“ er sei schon vor mehreren Jahren von Cuba her eingeschmuggelt worden. Er war jetzt Aufseher in einer Plantage und sah aus, als ob er sich sehr gut stellte. Er war Christ und schien sich darüber zu freuen. Er sprach außerordentlich klug und freimüthig, und hatte ein gutes, offenes Gesicht.
„Sie möchten wohl nicht nach Africa zurückkehren?“ fragte ich.
„O ja, Missis, ach ja, das möchte ich,“ antwortete er. „Es war dort doch besser.“
„Aber die Leute dort schlagen ja einander häufig zu Tod.“
„Ja, aber man bekümmert sich nicht viel darum. Und es gibt auch viele gute Menschen, die im Frieden leben.”
„Aber sehen Sie, mein Freund, sagte Oberst Mac-Intosh, der ein strenger Calvinist ist, wenn Sie in Africa geblieben wären, so wären Sie kein Christ geworden, wie Sie jetzt sind, und dann hätte der Teufel Sie zuletzt in seine Gewalt bekommen.“
Der Neger lachte, blickte zur Erde, schüttelte den Kopf und zerrte an seiner Mütze, die er in der Hand hielt; endlich rief er, indem er mit einem Ausdruck voll von Humor und Schlauheit aufschaute:
„Nun, Massa, sehen Sie einmal da her. Das Evangelium wird jetzt über ganz Africa gepredigt. Hätte ich dort bleiben dürfen, warum hätte ich nicht einer von denjenigen sein sollen, die es hören durften, so gut wie hier?“
Darauf hatten wir Nichts zu antworten, und der kluge, gutmüthige Neger durfte also das letzte Wort behalten.
Zu den angenehmen Abenteuern gehörte auch, daß unsere herrschsüchtige Dame uns unterwegs verließ, um, glaube ich, in einem Kosthaus in einer der Städte von Florida zu herrschen, und die Luft in unserer kleinen Gesellschaft wurde ganz leicht von ihrem Abscheiden. Auch Miß Dix verließ uns, um nach St. Augustin, der südlichsten Stadt in den Vereinigten Staaten, zu fahren, deren Gefängnisse und Armenanstalten sie besuchen wollte. Ueberall wohin sie kommt, sucht sie Gutes zu wirken für die Kranken, Wahnsinnigen oder Verbrecher, und ist nach Kräften bemüht den Samen der geistigen Bildung auszustreuen. Miniaturbücher, genannt Thautropfen, die religiöse Denksprüche enthalten, und eine Menge kleiner Tractätchen mit schönen Holzschnitten und ditto Erzählungen und Versen für Kinder streut sie wie einen Morgenthau um sich aus. Und die Sandhügel-Polly dürfte aus diesem Manna noch Nahrung schöpfen, um ein denkendes und liebenswürdiges Weib zu werden.
St. Augustin ist von den Spaniern gegründet und die älteste Stadt in Nordamerica. Der Character der Stadt und ihre Bauart zeugt noch immer von ihrem Ursprung, aber in den letzteren Jahren ist sie sehr in Verfall gerathen, und nachdem starke Fröste die Orangenpflanzungen zerstört haben, welche den wichtigsten Handelszweig der Stadt ausmachten, ist sie immer mehr verlassen worden. Sie wird jetzt hauptsächlich von Kranken besucht, die in den Wintermonaten kommen, um ihre liebliche Luft und die stärkenden Seewinde einzuathmen. St. Augustin liegt etwas südlicher als New-Orleans, hat aber ein gesunderes Clima. Erst im Jahr 1819 kam Florida von der spanischen Herrschaft in den Besitz der Vereinigten Staaten und wurde ihnen im Jahr 1845 als selbständiger Staat einverleibt, soll aber bis jetzt nicht mehr als ungefähr 80,000 weiße Einwohner zählen. Die Indianer und die Gefahren des wasserreichen Erdbodens haben die Cultur des Landes bis jetzt zurückgehalten und thun es noch immer. Aber in dem nordwestlichen Theile des Staates ist das Land höher und besser angebaut, es hat einige in Zunahme begriffene Städte — die politische Hauptstadt heißt Tallihassee — schöne Pflanzungen, Landhäuser, Gärten und, wie man mir gesagt hat, ein heiteres Familien- und Gesellschaftsleben in der schönen, sonnenwarmen Natur. Ueberall wohin die Angloamericaner kommen, stellen sich immer auch das glückliche Familienleben, das freundliche Gesellschaftsleben und alle Comforts des Lebens ein.
Alles das genießen wir auch in dieser freundlichen Wohnung hier, obschon die Freude nicht da heimisch ist. Die älteste Tochter des Hauses, eine schöne, junge, noch nicht lange verheirathete Frau, ist kürzlich in der Blüthe des Lebens und ihrer Mutterfreude gestorben, während sie ihrem zweiten Kinde das Leben gab, und der Kummer darüber lastet schwer auf dem Gemüth ihrer Mutter. Ein prächtiger kleiner Enkel, welcher der Großmutter gleicht und voll Leben ist, kann sie nicht trösten; ihr Mann und ihre andern Kinder theilen ihren Gram. Die ganze Familie hat einen Ausdruck von solcher Gutmüthigkeit und Milde, daß man genau sieht, daß die Sklaven auf dieser Plantage keine Noth leiden können. Aber die Trockenheit ist entsetzlich, die Maispflanzen verwelken in dem Sand, womit diese Plantage über Gebühr bedacht ist, und mit der Jahresernte sieht es trübe aus. Es sind jetzt beinahe vier Monate, an denen ich nicht einen bewölkten Tag gesehen habe. Auch in dem schönen Florida machen sich der Druck und die Trockenheit des Lebens geltend bei den armen Kindern der Erde.
Aber Morgens in der Frühe, wenn ich erwache und Floridas balsamische Winde durch die weißen Vorhänge in mein Bett hereinspielen fühle, wenn ich Americas Nachtigall mit ihren tausend Sprachen auf den Bäumen vor den Fenstern ihre melodischen Eingebungen ausgießen höre, da preise ich die Heimath des Sommer und wundere mich nicht, daß Ferdinand de Soto und seine jungen Krieger davon entzückt waren, und es scheint mir beinahe unnatürlich, daß sich das Leben hier schwer oder trübe könne empfinden lassen.
Wir bleiben ein paar Tage hier in Erwartung eines guten Dampfbootes, das uns nach Mr. Coopers Plantage in Darien führen soll. Von da fahren wir nach Savannah zurück.
Diese Plantage liegt in einer sandigen Gegend und der Sand thut der Annehmlichkeit der Natur und des Landlebens bedeutend Abbruch. Aber hier ist ein Fußweg am Flusse entlang an einem wilden waldigen Ufer, das man sich nicht pittoresker denken kann, besonders wegen der Masse von Bäumen und wilden Gebüschen, die gleich einer hohen Mauer zwischen dem Ufer und dem höher liegenden Ackerlande aufsteigen. Prächtige Magnolienbäume, mit weißen Blumen bedeckt heben unter ihnen ihre buschigen Wipfel empor. Die Magnolie ist der Prachtbaum der südlichen Staaten. Ich wandere hier in den Nachmittagen allein herum und lausche zuweilen neugierig, ob ich nicht aus dem dichten Gebüsche das warnende Signal der Klapperschlange zu hören bekomme, denn diese Schlange ist von Natur so edelsinnig, daß sie eine Warnung ertheilt, bevor sie angreift oder ehe man ihr nahe kommt. Aber obschon es in Florida viele Klapperschlangen gibt, so habe ich doch noch keine lebendige zu sehen oder zu hören bekommen. Dagegen bekam ich heute Nachmittag eine solche zu sehen, welche die Neger auf der Plantage neulich getödtet hatten und ins Herrschafthaus schleppten. Sie mochte ungefähr drei Ellen lang sein und so dick wie mein Arm. Der Kopf war übel zugerichtet von den Schlägen, die er erhalten hatte, und die gefährlichen Hauzähne waren bloßgelegt. Die Klapper mit ihren vierzehn Ringen erhielt ich, um sie nach Schweden mitzunehmen. Vor einem Jahr wurde ein Neger auf der Plantage von einer Klapperschlange ins Bein gebissen. Man bemühte sich lange das Bein vor der Amputation zu bewahren, aber endlich mußte man sie doch geschehen lassen, um den großen und zunehmenden Schmerzen ein Ende zu machen.
Ein schöner kleiner Fleck hier auf der Plantage ist das Häuschen, wo die alte schwarze Amme des Hausherrn von ihren Mühseligkeiten ausruht in Umgebungen, die von der zärtlichsten Pflege zeugen. Die Alte hat ihr eigenes sauberes Häuschen auf einer Terrasse am Ufer des Flusses und dabei alle Bequemlichkeiten, die sie nur wünschen kann, darunter auch einen angenehmen Schaukelstuhl; und die Kinder und Kindeskinder der Familie, welcher sie treu gedient hat, besuchen sie mit Liebe und Geschenken. Sie hatte mehrere eigene Kinder gehabt, aber sie gestand, daß die weißen Kinder ihr lieber waren. Und diese Liebe der schwarzen Ammen oder Wärterinnen für die weißen Kinder ist eine wohl constatirte Thatsache. Eine andere Thatsache, die man in den Sklavenstaaten auch oft sieht, ist die zärtliche Pflege, welche diesen treuen schwarzen Wärterinnen in ihrem Alter im Schooße der Familien zu Theil wird, wenn nemlich diese Familien es vermögen.
Draußen vor meinen Fenster strömt breit und klar der westliche Arm des Altamahaflusses, und daneben sitzt die Unterzeichnete auf einer Insel an der Küste Georgiens zwischen dem Fluß und dem atlantischen Ocean. Ich befinde mich jetzt in der Familie des Plantagenbesitzers J. Cooper, unter den Gärten- und Olivenhainen, wo sie ihr Sommervergnügen und die schützende Seeluft sucht, wenn die Fieber auf der großen Plantage bei Darien, dem Hauptsitz der Familie, zu grassiren anfangen.
Mr. Cooper ist einer der größten Plantagenbesitzer im Süden der Vereinigten Staaten und gebietet über 2000 Negersklaven, die er auf Reis- und Baumwollenpflanzungen beschäftigt. Man hatte ihn mir als einen Reformator geschildert, der unter seinen Sklaven eine Art von Geschwornengericht und ähnliche Bildungsanstalten eingeführt habe, um sie zu einem künftigen Freiheitsleben vorzubereiten. Und dieß erregte in mir den Wunsch, ihn und seine Plantagen kennen zu lernen. Aber einen Reformator fand ich nicht in ihm, sondern bloß einen ordnenden Geist mit großem practischem Tact und auch einigem Wohlwollen in der Behandlung der Neger. Im Uebrigen erschien er mir als ein ächter Repräsentant der Gentlemen der südlichen Staaten, als ein sehr artiger Mann, kenntnißvoll wie ein Lexicon und für mich in hohen Grad interessant durch die Reichhaltigkeit und Anmuth seiner Conversation. Er ist ein ausgezeichneter Naturforscher, hat schöne Sammlungen von Naturerzeugnissen Americas, und die Vorlesung, die er mir heute mitten unter ihnen über die Geologie und die Gebirgsformationen Americas hielt, hat meinen Einblick in die Erdbildung dieses Welttheils um ein Gutes klarer gemacht.
Mr. Cooper hat ein ungewöhnliches Talent zu systematisiren und die charakteristischen Puncte der Gegenstände zu treffen. Ein Gespräch mit ihm über irgend einen beliebigen Gegenstand gewinnt Interesse, selbst wenn man in der Sache eine andere Meinung hat als er.
Aber da Mr. Cooper in der Sklavenfrage in America sich zu der guten Partei im Süden hält, welche die Colonisirung Africas durch befreite Negersklaven Americas als das Endresultat und Endziel des Sklaveninstituts betrachtet, so wurde es mir nicht schwer, mit ihm über diesen Gegenstand und was dazu gehört, in ein Gespräch zu kommen. Auch mußte ich ihm in seinen Ansichten über die Talente und die Zukunft der Negerrace vollkommen Recht geben, denn sie kamen meinen eigenen Beobachtungen ganz nahe. Unter seinen Aeußerungen, die ich adoptiren muß, erinnere ich mich an folgende.
„Tropische Völkerstämme können die intellectuelle Entwicklung der in gemäßigten Zonen gebornen weißen Bevölkerung nicht erreichen. Es fehlt ihnen an der Fähigkeit abstract zu denken, zu systematisiren, strenge Vernunftgesetze zu befolgen und sich auf den Grund von solchen zu vereinigen. Die tropischen Völkerstämme stellen die höchste Blüthe des Gefühlslebens dar. Das Naturleben fesselt sie. Von diesem erlöst durch die Religion, können sie das Thier- und Pflanzenleben in ihrer Verklärung darstellen (NB. diesen Gedanken glaube ich Mr. Cooper aus meinem eigenen Magazin zu schenken). Sie sind für Bildung empfänglich und können unter dem Druck einer mehr entwickelten Race ein gewisses ganz achtungswerthes Talent im Denken und in Kunstfertigkeit entwickeln. Sie können einen achtungswerthen Grad von Halbbildung erreichen, interessant wegen der eigenthümlichen Formen, welche sie durch die Eigenthümlichkeit des Volkes annehmen.“
Mr. Cooper betrachtete die Sklaverei in America als eine Schule für die Kinder Africas, worin sie zur Selbstregierung in Africa erzogen werden sollen. Er war geneigt diese Einrichtung als eine Wohlthat für sie zu betrachten. Und daß sie dazu gemacht werden kann, ist gewiß. Aber daß dieß das einzige Mittel gewesen sei, um Africa die Segnungen des Christenthums und der Civilisation zu bringen, das kann mit Bestimmtheit geläugnet werden. Und ich hätte Lust den klugen Neger aus Florida hier dem klugen weißen Manne vorpredigen zu lassen. Durch die Urbanität seines Wesens und die Anmuth seines Gesprächs erinnerte mich Mr. Cooper oft an Waldo Emerson. Aber im Allgemeinen haben die Herrn der südlichen Staaten zu wenig vom Organ der Idealität, wie die Herrn in den nördlichen etwas zu viel davon haben.
Mr. Cooper bestätigte die Leichtigkeit, womit die Neger Gewerbe erlernen, und ihre Geschicklichkeit als Handwerker. Man hat in Georgien mit Erfolg angefangen, sie in Fabriken zu verwenden.
Ich erinnere mich jetzt, daß ich im vorigen Jahr in der Nähe von Augusta eine Baumwollenspinnerei besuchte, die mit schwarzen Arbeitern betrieben wurde. Ich sah das nicht mit Vergnügen, denn ich konnte nicht glauben, daß die Schwarzen, die stets an das freie Feld gewöhnt waren, diese Beschäftigung mit ihrem Getöse, ihrem Lärm und ihrer staubigen ungesunden Luft aus freien Stücken wählen würden.
Ich fragte einige Weiber an den Spinnmaschinen, wie es ihnen bei dieser Arbeit gefalle. Einige von ihnen antworteten, sie sei ihnen so lieb wie jede andere, aber ein älteres Weib von gutmüthigem Gesicht sagte mit einem Ausdruck tiefer Niedergeschlagenheit und Ermüdung, nein, sie liebe diese Arbeit nicht, sie wolle weit lieber draußen auf dem Felde arbeiten. Ich wundere mich nicht darüber. Der Ort war auch keine Lowell’sche Fabrik.
Das Haus hier ist voll von fröhlichen jungen Gesichtern, sechs Knaben und zwei Mädchen, wovon das jüngste das Abbild und die Freude des Vaters ist. Mrs Cooper ist eine jugendliche, hübsche, fröhliche Mutter der schönen Kinderschaft.
Nicht weit davon ist ein Haufen kleiner schwarzer Kinder, siebenzig bis achtzig an der Zahl, die ich neulich einmal Morgens besuchte, und die keine Mütter hatten. Ein paar hexenartige Negerinnen mit Ruthen in den Händen beherrschten den Haufen mit Furcht und Schrecken. Man hatte mir gesagt, daß sie die Kinder auch im Beten unterweisen. Ich sammelte eine kleine Schaar um mich und sagte ihnen das Vaterunser vor, indem ich sie ersuchte, mir die Worte nachzusprechen. Die Kinder grinsten, lachten, zeigten ihre weißen Zähne und bewiesen deutlich, daß keines von ihnen wußte, was das wunderliche Gebet bedeuten sollte, oder daß sie einen Vater in Himmel hatten.
Die Kinder waren wohl genährt. Sie werden hier von ihren Eltern getrennt gehalten, weil auf den Pflanzungen, wo diese arbeiten, gegenwärtig die Fieber grassiren.
Wenn ich auch hier keine Reformatoren gefunden habe, wie ich erwartete, so habe ich doch von einigen solchen erzählen gehört, nemlich von zwei Plantagenbesitzern, dem einen in Florida und dem andern in Georgien, welche auch für Kinder der Negersklaven Schulen halten, um sie zu guten und freien Menschen heranzubilden. Von einem dieser Herrn wird gesagt, daß er auf die Bildsamkeit der Negerkinder die größten Hoffnungen setze und ihnen sogar den Vorzug vor den weißen Kindern gebe.
Warum habe ich nicht früher von diesen christlichen Pflanzschulen gehört? Ich würde alles Mögliche gethan haben, um sie besuchen und mit meinen eigenen Augen sehen zu können. Solche Pflanzungen in den Sklavenstaaten sind als heilige Orte zu betrachten, wohin die Pilger wallfahrten müssen, welche Erhebung der Seele und neue Kraft zu Glauben und Hoffnung suchen. Nach was habe ich denn in den südlichen Staaten so eifrig gesucht und gefragt als nach solchen Orten?
Es liegt nicht in meiner Natur Stoffe zum Tadel zu suchen. Ich nehme solche nicht auf, außer wenn sie sich aufzwingen. Ich scheue mich nicht die Nacht zu sehen; aber ich suche das Licht, welches die Nacht verklären kann, in Allem und bei Allen. In der Nacht der Sklaverei habe ich das Moment der Freiheit mit Glauben an den Genius Americas und mit Hoffnung auf denselben gesucht. Daß ich die Nacht so gewaltig und die Arbeit des Lichtes in den Sklavenstaaten noch so schwach gefunden habe, ist nicht meine Schuld.
Wiederum hier in der guten Wohnung meiner guten Mrs. Howland, in einem der friedvollsten und schönsten Häuser, die ich in den Vereinigten Staaten gefunden habe. Es thut wohl hier eine Weile ausruhen zu dürfen nach den Strapazen der letzten Woche, die mitunter nicht ganz gering waren. Aber ich habe dafür auch Florida gesehen und verstehe jetzt besser die Beschaffenheit und den Umfang des Reiches, der großen Heimath, die in Nordamerica für alle Völker geschaffen wird.
Aus der Heimath des ewigen Sommers reise ich jetzt nach der Heimath des Winters, nach den weißen Bergen in Neuenglands nördlichsten Staaten, und dann nach Hause, denn ich habe dann gesehen, was ich auf dieser Seite des Oceans zu sehen wünschte.
Unter den Denkwürdigkeiten bei unserer letzten Fahrt darf ich die Morgenfahrt nicht vergessen, die wir in großen Booten von ausgehöhlten Cypressenstämmen von der Ortegaplantage nach Jacksonville machten, wo wir das Dampfschiff nahmen. Der Morgen war herrlich und die Neger ruderten tüchtig und mit frischem Muth. Die Herren von der liebenswürdigen Familie auf Ortega begleiteten und an Bord. Diese Familie gehörte zu den guten und stillen im Lande.
Von Mr. Cooper schied ich mit wahrer Dankbarkeit für seinen interessanten Umgang und mit einer bestimmten Vorliebe für einen der jungen Söhne im Hause, dessen breite Stirne einen vorurtheilsfrei denkenden und humoristischen Geist verwahrte.
Der Ort, wo wir das Dampfboot nach Savannah nehmen sollten, war derselbe, wo einst der erste Anbauer Georgiens Oglethorpe die Stadt Fridericia angelegt hatte.
Die Lage scheint vortrefflich gewesen zu sein; aber von der Stadt selbst blieben nur noch einige mit grünen Bäumen und Gebüschen bekränzte Ruinen übrig.
Wir kamen zu guter Zeit hieher, aber das Dampfschiff ließ mehrere Stunden auf sich warten. Inzwischen erging es uns wie in den Feenmährchen. Ein allerliebstes Weibchen, vollkommen ähnlich einer guten, kleinen Fee nahm uns in ihr Haus auf, ein wahres Feenschlößchen in Bezug auf Zierlichkeit, Comfort und Behaglichkeit. Alles glänzte und schimmerte. Die kleine Frau, die alt an Jahren war, aber noch ein vollkommen jugendliches Gemüth und ein paar klare, lebhafte blaue Augen besaß, versetzte mir, indem sie eine humoristische Anspielung auf meinen Kopf machte, einen Schlag auf die Stirne, der ihre Schaale hätte sprengen können, wenn sie weniger dick gewesen wäre. Und dann deckte sie uns einen Tisch, welcher glänzte von weißem Tischzeug und Porcellan und Silber, und regalirte uns mit Thee und Butterbrod, Kartoffeln (meinem Wunsch), Eiern u. s. w. Nein, kein von Feenhand bereitetes Mahl konnte ausgesuchter und schmackhafter sein. Das fröhliche und lebhafte Weibchen und ich tranken mit einander auf Freundschaft und Kartoffeln, als nothwendige Elemente zur irdischen Glückseligkeit. Und so reisten wir nach Savannah.
In Savannah sah ich außer alten guten Freunden, die immer gleich gut und freundlich bleiben, ein Matrosenhaus, das unter der Aufsicht der Frauenzimmer der Stadt steht. Es war eine einfache, aber wohl gehaltene und mit gutem Erfolg gesegnete Einrichtung, wo die Matrosen, wenn sie nach Savannah kommen, für den geringst möglichen Preis die bestmöglichen Comforts erhalten können und in einem großen gemeinschaftlichen Saal sowohl körperliche Nahrung als Geistesspeise erhalten. Letztere bestand aus guten Büchern und Tractätchen mit Abhandlungen und Erzählungen in religiöser Richtung.
Die lebhafte hübsche Frau, die mich hieher führte, Mrs. Burrows, Tochter des Senators Richters Berrian, ist eine der Vorsteherinnen, und obschon glückliche Gattin und Mutter von sechs Knaben und einem Mädchen, findet sie dennoch Zeit und Herz, um sich dieser Häuser für die Söhne Neptuns anzunehmen, welche sonst Winden und Wogen preisgegeben sind, die ihnen in den Städten noch gefährlicher werden, als draußen auf dem Meer. Gattin, Mutter, Bürgerin, so lauten die Titel des Weibes in der neuen Welt.
Abends im Hotel Pulaskyhaus, wo ich über die kurze Zeit blieb, um mich von Mrs. Howland nicht zu trennen, machte ich Bekanntschaft mit einer jungen Dame aus einer Plantage, die jetzt mit einer Familie von sieben Knaben, welche immer nur durch ein oder zwei Jahre von einander getrennt sind, in die Stadt gekommen war. Mutter und Kinder waren voll von frischen Lebensgeistern, und die heitere junge Mutter fürchtete bloß, sie möchte die jungen Knaben, die in der Stadt umherlaufen wollten, wie sie es auf dem Lande gewohnt waren, nicht zusammenhalten können. Sie sollen hier in die Schulen gegeben werden. Die Familien in Nordamerica sind oft sehr zahlreich, doch nicht so wie in England. Die höchste Zahl, von der ich gehört habe, sind zwölf Kinder von einem Paar, und dieß war eine Seltenheit. Die Siebenzahl scheint die allgemein höchste Zahl der Kinder in einer Familie zu sein. Nicht selten findet man auch kinderlose Ehepaare.
Aber jetzt muß ich Dir ein wenig von Südcarolina sagen, denn Südcarolina will in diesem Augenblick ein Staat für sich sein, abgesondert von allen andern Staaten. Es ist nämlich höchlich erzürnt über die Ungerechtigkeiten, welche nach seiner Meinung die südlichen Staaten beim letzten Congreß durch das Compromiß zwischen den freien und den Sklavenstaaten in der Californienfrage erlitten haben, und ganz neuerdings ist von den weißen Männern des Staats ein Convent in Charleston gehalten worden, auf dem sie, nachdem sie zusammen gegessen und getrunken, den heldenmüthigen Entschluß faßten, von der Union auszuscheiden und eine feindselige Haltung gegen die nördlichen Staaten derselben anzunehmen. Der Palmettostaat scheint hiebei auf großen Beifall von andern Staaten des Südens gerechnet zu haben, aber der Erfolg zeigte, daß er sich verrechnet hatte. Georgien, Alabama, Louisiana und mehrere andere haben sich offen für die Union erklärt, und in den Zeitungen Floridas habe ich scharfen Tadel über das Benehmen des Palmettostaates gelesen. Missisippi ist jetzt der einzige Staat, der noch nicht mit sich einig zu sein scheint, ob er sich für die Union oder gegen sie und für Südcarolina erklären soll.
Inzwischen scheint es, als ob Südcarolina selbst gleich dem großen König Philipp antiken Angedenkens nach dem Rausch anders gesinnt sei als während des Rausches, und daß die guten Brüder, die in Charleston zusammen gegessen, getrunken und kriegerische Erklärungen abgefaßt, gleichwohl später vorgezogen haben in Ruhe daheim sitzen zu bleiben. Auch fehlt es nicht an klugen und guten Bürgern, welche sich offen gegen die heroischsten Erklärungen des Convents aussprechen, und man macht sich oft lustig über sie. In einer der Zeitungen der Stadt las man dieser Tage folgendes Zitat ans einer Rede, die von einem der Mitglieder des großen Congresses gehalten worden sein soll :
„Ja, meine Herrn, ich betheure, daß ich, wenn der Krieg zum Ausbruch kommt, der erste sein werde, der über meine Baumwollenfelder hinspringt und wie General Washington auf dem Schlachtfeld bei Waterloo rufen wird: Ein Pferd, ein Pferd, mein Königreich für ein Pferd!“
Aus den Bemerkungen, die ich gehört, und aus den Zeitungen, die ich hier über diesen Convent gelesen habe, sehe ich, wie gesund und klug die öffentliche Meinung ist, wenn man ihr nur die nöthige Zeit läßt. Gewiß wird die Secessionserklärung Südcarolinas bloß ein Beweis dafür sein, daß die Union innere Kraft genug besitzt, um sich trotz der Unzufriedenheit der Einzelnen zusammenzuhalten.
Mr. Poinsetts Briefe an den Convent, zu welchem er eingeladen war, aber nicht kommen konnte, werden als höchst ausgezeichnet durch den Adel ihrer Grundsätze und durch ihre staatsmännische Klugheit gerühmt. Sie rathen stark zur Union und beweisen Südcarolina, daß es mit seinen Behauptungen Unrecht hat. Der edle alte Staatsmann hat mich im diesen Tagen sehr erfreut durch einen Brief, worin er mich aufs Neue zu einem Besuch in seiner Heimath einladet, „um mich mit ihm über den Zustand und die Zukunft der Vereinigten Staaten zu besprechen.“ Ich würde eine solche Besprechung mit ihm sehr wünschen, aber die Zeit verbietet mir eine neue Fahrt nach seiner Einsiedelei.
Unter den Gegenständen des Tagesgesprächs ist ein scandalöser Streit, der in den Zeitungen Neu-Yorks zwischen Privatpersonen geführt wird. Einer der bedeutendsten Schriftsteller der Stadt ist in den Streit verwickelt, welcher auch den guten Namen und Ruf einiger angesehener Damen betrifft. Der Kampf wird mit großer Bitterkeit und Rücksichtslosigkeit geführt, die Guten und Denkenden sehen ihn mit Verdruß und Widerwillen, wie sie auch die Neigung zu persönlichen Angriffen und Grobheiten tadeln, welche noch eine der größten Sünden der americanischen Tagespresse sein dürfte. Gewöhnlich werden jedoch die Frauenzimmer dabei geschont und finden immer kräftige Vertheidiger. Ein Mann, der sich in Wort oder Schrift grobe Ausdrücke oder Ausfälle gegen ein Frauenzimmer erlauben sollte, würde von dem weitaus größeren Theil der Bevölkerung als ein Kerl von schlechter Erziehung und schlechtem Geschmack verurtheilt werden. Ein stilles Verwerfungsurtheil schließt ihn von der bessern Gesellschaft aus. So edel ritterlich ist der Geist hier zu Lande.
Ich werde jetzt ungefähr eine Woche ruhig hier bleiben, theils weil ich mich hier so wohl befinde und der Ruhe bedarf, theils um meine Toilette unter der Leitung und Mitwirkung der guten Mrs. Howland ein Bischen in Ordnung zu bringen. Ich denke an diese hier mehr als zu Haus, denn ich muß hier als Schwedin repräsentiren und will es mit Ehren thun, obschon in aller Bescheidenheit. Ich trage deßhalb immer ein schwarzes Seidenkleid nebst einer Mantille oder einem leichten Kofta, gleichfalls von Seide und mit Spitzen garnirt. Auf der Straße kannst Du mich mit weißem Seidenhut und mit weißem Schleier, und in einem Mantel oder Kleid von weißer Seidensarsche sehen. Ich suche Ernst mit einiger Eleganz zu verbinden. Von hier gedenke ich mich durch die Hochlande Nordcarolinas und ebenso Georgiens, deren Naturmerkwürdigkeit ich sehen will, nach dem Tenesseestaat, auf dem Tenesseefluß zu begeben und von da nach Virginien, dem alten Gebiet (the old dominion), wo ich einige Zeit zu verweilen und sowohl Natur als Menschen kennen zu lernen wünsche. Hier ist es jetzt abscheulich warm und man befindet sich in einer Art von Dampfbad. Ich würde eine Menge Briefe sehreiben und Verschiedenes lesen, aber ich kann Stunden lang Nichts thun, als in einem Schaukelstuhl sitzen und mich hin- und herwiegen. Das geht jetzt im Anfang des Sommers noch an, sagt Mrs. Howland, aber wenn diese Hitze vier bis fünf Monate anhält und gar kein Ende nehmen zu wollen scheint, dann …
Kein Wunder, wenn so manche junge Frauenzimmer hier bleich und schwindsüchtig aussehen.
Die Vegetation ist im höchsten Flor und die Wälder stehen in herrlicher Blüthe; der India pride (Indiens Stolz) der Franzenbaum, der Tulpenbaum, die Magnolie u. s. w. schicken ihre hübschen duftenden Blumen aus. In den Gärten duften Rosen und Orangenblüthen, die Nectarinen setzen Früchte an und der Feigenbaum hat bereits reife Früchte. Man genießt, aber mit mattem Leben. Am schönsten sind die Abende, und an diesen draußen auf der obern Piazza, beschattet von dem Rosenspalier umherzuwandeln, und mich von den Lüften, die von der Flußseite herkommen, liebkosen zu lassen, das ist mein größter Genuß.
Morgen verlasse ich dieses gute Haus, diese liebenswürdige Familie für immer. Es fällt mir schwer es zu sagen, aber es ist so. Liebliche Stunden und Tage habe ich auch diesmal hier und bei einigen andern Freunden in Charleston zugebracht. Wiederum habe ich unaussprechlichen Genuß gehabt von Mr. Holbrooks Gesellschaft, habe wiederum einen ganzen schönen Tag lang in den Myrtenhainen von Belmont gelustwandelt unter Gesprächen, welche das Leben zugleich tiefer und weiter machen. Mrs. H. besitzt mehr Phantasie als ich, und ihr poetischer Sinn, in Verbindung mit einem Gesichtskreis von unbeschränkter Weite, der aber die universellen Verhältnisse der Erde auffaßt und dabei seine Nahrung aus einem christlich religiösen Centrum schöpft, macht ihren Umgang für mich in hohem Grade belebend und wohlthätig.
Von mehreren guten Freunden habe ich erneute Beweise ihrer beständig warmen Herzlichkeit erhalten und von dem edlen unitarischen Priester Gilman einen Segen, den ich in meinem Herzen bewahre. Als ich eines Tags sein ascetisch reines Profil abzeichnete, fragte ich ihn: „In welchem Alter haben Sie sich am glücklichsten gefühlt?" Er antwortete: „Zwischen dem 50. und 60. Jahre.” Ich höre das mit Freude, denn ich nähere mich selbst dieser Zahl und hoffe auf ihre beruhigende Macht.
Der junge Missionär Miles, an dessen Namen und Buch du dich aus meinem Briefe vom vorigen Jahre erinnern dürftest, hat sich einiger Zeilen von dem edlen Neander in Berlin zu erfreuen gehabt, der ihm schreibt: „Dem jungen Missionär in Südcarolina reicht der alte Neander über den Ocean seine Hand zu brüderlichem Verein und als Zeichen herzlicher Anerkennung u. s. w.“ Solche Zeichen sind erfreuliche Zeichen der Zeit.
Unter den Denkwürdigkeiten der letzten Zeit muß ich den Markt der Sklaven am letzten Samstag Abend erwähnen, wo nämlich die auf den Plantagen wohnenden Sklaven mit ihren Waaren und kleinen Industrieprodukten von geflochtenen Körben, Teppichen u. s. w. nach Charleston kommen und sie öffentlich ausstellen, ausrufen und verkaufen. Die Scene ist heiter, währt aber bloß einen Abend. Ferner einen Besuch in etlichen Negerschulen, sowie auf dem neuangelegten großen Begräbnißplatz für Charleston, der „Magnolie“, endlich eine Nacht auf der Sullivansinsel.
Von den Negerschulen war eine für Kinder freier Neger bestimmt. Sie wurde von einem weißen Lehrer und bei offenen Thüren gehalten. Ich sah hier eine Versammlung farbiger Kinder in allen Schattirungen zwischen rabenschwarz und beinahe vollkommen weiß. Die Schulbücher, die ich zu sehen verlangte, waren dieselben, die in den americanischen Schulen für die Kinder der Weißen gebraucht werden.
Diese Schule ist eine gute Anstalt, aber offenbar ein gefährliches Element in dem Sklavenstaat, wenn sie nicht mit dem Unterricht der Negersklaven und ihren Aussichten in Harmonie gebracht wird.
Ich hatte auch von geheimen Schulen für Sklavenkinder gehört, aber es wurde mir unendlich schwer eine solche zu entdecken und, nachdem ich sie gefunden hatte, hineinzukommen, so sehr fürchtete man die Strenge des Gesetzes, das bei schwerer Strafe die Unterweisung der Sklaven im Lesen und Schreiben verbietet. Als ich endlich in das heimliche Zimmer kam, fand ich in der unfreundlichen düstern Höhle ein halb Dutzend armer Kinder, deren Gesichter von der größten Dummheit und Verthiertheit zeugten. Man hatte sie offenbar hieher gebracht, um einen Versuch zu machen, sie zu vermenschlichen.
Der Magnolienkirchhof ist eine edle und großartige neue Anlage, die Charleston Ehre bringt. Er liegt am Meere, dessen reine erfrischende Winde mit erweckendem Leben darüber hinfahren. Auf drei Seiten sieht man im Hintergrund Magnolien- und Cedernwald; vorn ist das blaue Meer. Der Platz ist niedrig, aber nicht sumpfig, und Canäle sind für das Fluß- and Meerwasser gegraben, so daß es heraufkommt und innerhalb des großen Begräbnißplatzes kleine Inseln und Halbinseln bildet. Schöne Gruppen von Bäumen des Südens standen da und dort. Die Art, wie die Bevölkerung Americas für die Ruhestätte ihrer Todten sorgt, prophezeit ihr ein langes Leben auf Erden.
Auf dem neuangelegten Begräbnißplatz sah ich bloß zwei Denkmäler; aber sie hatten jedes eine so eigenthümliche und so verschiedene Geschichte, daß ich sie Dir mit wenigen Worten erzählen muß.
Das eine gehört einem jungen Mädchen. Sie war ihrer Mutter einziges Kind. Eines Tags berührte sie ihr eines Auge mit der Hand, welche kurz zuvor eine giftige Blume, hier Nachtschatten genannt, berührt hatte (solanum nigrum, das eine schöne hellgelbe Blüthe, ähnlich unserer Kartoffelblüthe, hat), und so geschah es, daß ihr Auge vergiftet wurde. Es wuchs aus und wurde unförmlich. Das Gewächs und die damit verbundenen Schmerzen zehrten am Leben des jungen Mädchens. Sie welkte hin, aber schön und fromm. Ihr Leiden und ihre Geduld machten sie zum Gegenstand der allgemeinen Liebe. Sie und ihre Mutter verwandelten durch die Kraft der Religion die Wanderung zum Grabe in einen freundlichen Weg, und der Nachtschatten bekam keine Macht über sie. Nach zweijährigen Leiden starb sie, wie ein guter Engel sterben könnte, und ihr Grab wird von freundlichen Erinnerungen umgeben.
Die zweite Gruft gehört einem jungen Manne. Er war Offizier der americanischen Armee während des Krieges in Texas oder in Mexico, ich erinnere mich nicht recht, in welchem von beiden Ländern. Eines Tags saß er mit einem Kameraden bei Tisch, als er die Aufforderung erhielt zum commandirenden Offizier zu kommen. In jugendlichem Leichtsinn oder Uebermuth sagte er: „Der Teufel soll mich holen, wenn ich gehe,“ oder irgend einen ähnlichen Ausdruck. Aber er ging gleichwohl. Die unbesonnene Bemerkung wurde dem Chef hinterbracht. Dieser befahl, daß der junge Mann des Beispiels halber, ich weiß nicht ob auf einen oder mehrere Tage, den Knebel in den Mund bekommen solle. Der Jüngling sagte, als die Strafe an ihm vollzogen wurde: „Ich esse von jetzt an Nichts mehr. Niemand soll Gelegenheit haben mir vorzuwerfen, daß ich den Knebel im Munde gehabt habe.“ Und er verweigerte jede Nahrung. Als der Chef von dieser Aeußerung und dem Benehmen des jungen Mannes im Arrest erfuhr, da bereute er seinen barbarischen und übereilten Befehl und ging, sagt man, selbst zu ihm, um ihn von seinem Entschluß abzubringen. Vergebens. Der wackere junge Krieger starb im Verlauf einer Woche an verbittertem Herzen und Hunger, zum unendlich bitteren Kummer für seine Familie, die sich von einer Anklage gegen den unverständigen Befehlshaber nur durch die Mutter des Todten abhalten ließ, welche zu der Familie des Chefs in nahen Freundschaftsverhältnissen gestanden hatte und mit Recht sagte: „Die Rache kann mir meinen Sohn nicht zurückgeben.“
Große Leiden haben den Magnolienkirchhof bereits zu einer Ruhestätte eingeweiht.
Die Fahrt nach der Sullivansinsel machte ich mit Mrs. Howland allein. Es war mir lieb allein diesen letzten Ausflug in Südcarolina zu unternehmen und mit ihr zum letzten Mal von dem Seewind in den Palmetto- und Myrthenhainen auf der Insel mich umkosen zu lassen. Als wir mit dem Dampfschiff dort angekommen waren, nahmen wir einen Wagen, um auf dem Sandriff umherzufahren. Unser Kutscher war ein fünfzehnjähriger Yankee, gutmüthig und munter, der von Boston nach Charleston gekommen war, um sein Glück zu versuchen. Er hatte als Junge eine allgemeine Schule besucht und zeigte viel Verstand in Rede und Antwort. Wir vertrauten uns seiner Führung an und vertieften uns dermaßen in ein Gespräch, daß wir erst nach einer halben Stunde bemerkten, daß wir statt auf dem festen Sandriff beständig im Wasser fuhren und immer tiefer hinabzukommen schienen. Wir machten den Burschen darauf aufmerksam; er zeigte ein nachdenkliches Gesicht, meinte aber, wir würden schon an Ort und Stelle kommen, und so fuhren wir noch eine Weile. Aber jetzt ging das Wasser bis über das halbe Rad herauf, wir kamen in tiefe Gruben, es war klar, daß wir uns nicht auf dem rechten Weg befanden, und nach einigem weiteren Gerede mit dem jungen Kutscher stellte es sich heraus, daß er, statt mit uns auf der gewöhnlichen südlichen Seite der Insel zu fahren, die nördliche Seite gewählt hatte, weil er erforschen wollte, ob man nicht ebensogut auf dieser Seite herumkommen könnte. Er hatte einen Versuch anstellen wollen.
Mrs. Howland lachte so herzlich über das Unternehmen des Jungen mit uns ein Experiment anzustellen, das uns das Leben kosten konnte, daß ihre Scheltworte alle Kraft verloren. Der Junge war zwar etwas verlegen, lächelte aber dennoch und wollte gar zu gern sein Experiment zu Ende führen. Diesem Plan widersetzten wir uns jedoch mit Bestimmtheit, da wir den Boden gar nicht kannten und jeder neue Schritt für uns der letzte sein konnte. Wir stiegen unter dem Buschwerk am Ufer ab und überließen es dem Jungen seinen Weg über die Insel mit Pferd und Wagen so gut zu finden, als er vermochte.
Wir suchten uns durch Gebüsche und Dickicht durchzufinden, und Mrs. Howland lachte auf dem ganzen Weg mit unvergleichlicher Gutmüthigkeit über die charakteristische Tollheit des Yankeejungen. Nachdem wir eine Stunde gegangen, oder vielmehr durch Dickicht gekrochen und im Sande herumgewatet waren, fanden wir einen Fußsteig und Spuren von einem Zaun. Als wir uns von da umschauten, erblickten wir oben auf den höchsten Sandhügeln in dieser Gegend der Insel zu unserer Verwunderung einen angespannten Wagen. War es wirklich so? Ja, es war richtig unsere eigene Equipage, die aus dem Wasser auf diese Höhe hinaufgeklettert war, und auf dem Kutschenbock saß ganz ruhig der Yankeejunge und schaute sich rings um, die Geographie der Insel ausspähend.
Als wir uns nach Verlauf einiger Stunden endlich bis zu dem südlichen Theil der Insel und zu der Festung fortgelotst hatten, trafen wir dort unsere Equipage und den Yankeejungen, der so ruhig und munter, als wäre Alles aufs Beste abgelaufen, auf uns wartete.
Wir waren just nicht dieser Ansicht und bekannten uns noch weniger dazu, als wir das letzte Dampfschiff von der Insel nach der Stadt abgehen sahen, ehe wir das Ufer erreicht hatten. Wir mußten auf der Insel übernacht bleiben, aber wir hatten ein gutes Hotel, und das Meer und der schönste Mondschein und die Nacht auf der Sullivansinsel, die ich zum großen Theil durchwachte, wurde für mich eine der erinnerungsreichsten, die ich unter Südcarolinas Himmel verbracht habe.
Heute während einer Spazierfahrt außerhalb der Stadt sah ich einen Mann, der einen jungen Negerknaben führte, dessen Hände mit einem Strick zusammengebunden waren. Der Mann saß zu Pferd, der gebundene Junge (er mochte 14 bis 15 Jahre haben) ging hinter dem Pferd. Der Junge hatte wahrscheinlich zu entfliehen gesucht und wurde jetzt auf diese Art in die Stadt geführt, um gepeitscht zu werden. Das Volk sah es gleichgültig an als etwas höchst Gewöhnliches. Schöne Sitten!
Als ich mit meiner guten Mrs. Howland zu Fuß in der Stadt umherspazierte, sahen wir einen wohlgekleideten alten Neger auf einem Stein sitzen und aus der Nase bluten. Sie blieb stehen:
„Bluten Sie Daddy (Vater)?“ fragte sie.
„Ja, Missis, ja,“ antwortete er freundlich; „es will nicht aufhören.”
„Ich will Ihnen meine Schlüssel geben, Daddy, um sie auf Ihren Nacken zu legen, dann wird es bald aufhören,” sagte Mrs. H., nahm ihren Schlüsselbund, legte ihn selbst dem schwarzen Daddy auf den Nacken und blieb eine Weile stehen, bis er die beabsichtigte Wirkung hervorbrachte. Daddy dankte herzlich, aber nicht wie für einen außerordentlichen Gunstbeweis. Und ein solches Verhältniß zwischen den Weißen und Schwarzen ist in den Sklavenstaaten nichts Ungewöhnliches. Aber das Sklavereiinstitut macht, daß man den guten und den bösen Herrn in eine Classe zusammenwirft, und gleichwohl sind sie von einander verschieden wie Tag und Nacht.
Aus meiner beabsichtigten Reise durch die nördlichen Theile von Georgien sowie durch Tennessee wird es wie im vorigen Jahre Nichts. Die Hitze ist drückend, der Tennesseefluß so ausgetrocknet, daß die Dampfschiffe nicht darauf gehen können; Bequemlichkeiten gibt es ganz und gar keine auf diesem Weg, die Mühseligkeiten aber, die man in den Diligencen auf den schlechten Wegen auszustehen hat, sind vielfach und lang. Ich vertraue mich also auch dießmal dem Meere an, aber bloß auf einen Tag; ich gehe in Nordcarolina ans Land und setze die Reise durch diesen Staat nach Virginien fort. Wahrscheinlich reise ich nordwärts mit demselben Dampfboot wie Mrs. und Mr. Holbrook.
Ich bin gesund, mein Herzchen, und Freunde in Savannah und Charleston schmeicheln mir, daß ich mich verjüngt und verschönt habe (wonderfully improved), was sie dem Clima Americas zuschreiben, das aber gewiß für einen Verjüngungsproceß das schlimmste unter der Sonne ist. Ich weiß es jedoch besser und preise Cuba. Doch die guten Heimathen sowohl da als dort vor allen Dingen. Gottes Segen über sie! Aber alt bin ich äußerlich dennoch geworden, das sehe und fühle ich und muß Dich darauf vorbereiten. Die Anstrengungen der Reise und das Clima des Westens haben deutliche Spuren hinterlassen. Ich möchte Dir sagen können, daß etwas Anderes bei mir sich verjüngt habe, aber ich wage es noch nicht.
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