Die Heidenkapelle bei Belsen
Es braust der Sturm, es flammt der Blitz,
Der Mutter fehlt ihr Kind,
Da geht sie aus in finst’rer Nacht,
Im Regen und im Wind.
Sie geht von Haus zu Haus:
„Dein Kindlein ging im Sonnenschein
In’s grüne Thal hinaus!“
Sie fragt den Hirten auf dem Feld,
„Ja nach dem Berge wandelt’ es,
Nicht kam zurück dein Kind!“
Sie geht hinaus in’s dunkle Feld,
Der Donner schreckt sie nicht,
Sie hat kein and’res Licht.
„O zeiget mir den finstern Berg,
Lenkt mich in meiner Noth,
Und scheinet mir mein Kindlein an,
Der Berg steht in dem Blitzesschein
Starr, daß es ist ein Graus;
Ein Vater, der sein Kind verlor,
Sieht nicht betrübter aus.
Und wieder wird es hell;
Zu seinen Füßen ruhet grau
Die heidnische Kapell.
Sie stehet fest und hebt ihr Haupt
Ihr mißgestaltes Götzenbild,
Es grinzet ungescheut.
„O weh, mein Kind, mein armes Kind,
Wenn du dich bärgest dort!
In den verfluchten Ort!
Mein Kind muß opfern am Altar,
Es dient dem bösen Geist!
Fall’ über mich, du bleicher Berg,
Die Mutter kommt zur runden Thür,
Die stehet offen stets,
Doch tritt zu ihr kein Wand’rer ein,
Und pfleget des Gebets.
Die Donner hallen aus,
Der Sternen und des Mondes Schein,
Der wandelt keck voraus.
Ihr süßes Kind ruht am Altar
Getrost im Mondenschein.
Es lächelt mit den Lippen bleich,
Wie man im Traume thut,
Ein silbern Gröschlein ruht.
Kennt ihr der Engel Groschen nicht?
Sie geben ihn zu Pfand,
Wenn führen wollen sie ein Kind
Und mit dem Silber spielt das Kind
Bis Schlaf sein Auge deckt,
Und bis der Sterne Silberstrom
Das zugeschloss’ne weckt.
Sie weinet still und lauscht,
Wie durch das alte Heidenhaus
Des Engels Flügel rauscht.
Sie küßt ihr Kind, es athmet nicht,
Bei seinem Hirten ist’s zu Haus
Das Lamm, das irre lief.