Die Hölle (Dante Alighieri/Schlegel)
[122]
Die Hölle bildet eine kreiselförmige Einsenkung des Erdinneren, die durch den Sturz Luzifers aus dem Himmel entstanden ist. Ihre Spitze liegt im Mittelpunkt der Erde, und zwar so, daß die Mittellinie dieser Einstülpung nach der Erdoberfläche zu genau in deren Mittelpunkt, Jerusalem, endet, umgekehrt aber auf der Spitze des durch diese Einstülpung emporgetriebenen Läuterungsberges. Der Eingang zur Hölle liegt in der Höhe der Fläche des gedachten Kreisels bei Florenz. Sie zerfällt in drei Hauptteile, die durch steile Abhänge voneinander getrennt sind und den drei Stufen des sittlichen Niederganges (Aristoteles) entsprechen. Weiter sind die Sünder in Schwachheits- und Bosheitssünder geteilt, die ersteren noch durch eine besondere Einteilung der Trägheit nach ihrer Wirkung in der vierten, ihrer Ursache in der fünften Gruppe. Den Beginn machen – als Sünden des Unmaßes – Sinnenlust, Schlemmerei und Geiz bzw. Verschwendung. Als viertes kommt die Trägheit zum Guten, weiter die Gottlosigkeit (die Stadt Dis) und die Ketzerei. Die nächste Stufe, die Gewalt, zerfällt in die drei Untergruppen der Gewalttaten gegen den Nächsten, sich selbst und Gott bzw. seine Naturordnung. Diese wie auch der Betrug gehört zu den Bosheitssünden: die Betrüger zerfallen in zwei Gruppen: in die gegen Mißtrauische und die gegen Vertrauensselige. Die Bewohner des achten Kreises befinden sich in zehn „Bulgen“ (etwa: Klüfte) u. zw. für Verführer, Schmeichler, Simonisten, Wahrsager, Bestechliche, Heuchler, Diebe, listige Ratgeber, Zwietrachtstifter und Fälscher. In der Tiefe kommen dann die vier Gruppen der Brudermörder (Kaina), der Landesverräter (Antenora), der Freundesverräter (Ptolemäa) und der Judasse (Judecca), die in alle Ewigkeit von Luzifer (Erdmittelpunkt) zermalmt werden. So strebt im Bilde die Sünde immer mehr deren Urheber zu.
Der erste Gesang führt mit einer knappen Zeitandeutung sofort in den Beginn der visionären Handlung:
Als ich die Bahn des Lebens halb vollendet,
Fand ich in einem dunkeln Walde mich,
Weil ich vom graden Weg mich abgewendet.
Es fällt mir hart, zu sagen, wie der wilde,
Verwachsne, rauhe Wald beschaffen war,
An Bitterkeit kommt er dem Tode nah;
Doch um des Heils, das ich darin gefunden,
Will ich das andre melden, was ich sah.
Ich weiß nicht mehr, wie ich mich drein verloren;
So ganz voll Schlafes war ich um die Zeit,
Da ich zuerst den falschen Weg erkoren.
Nach diesen ersten 12 Zeilen des ersten Gesanges schildert er die Begegnung mit drei Tieren, der allegorischen Verkörperung menschlicher Leidenschaften, auf die er im Walde der Irrtümer stößt. In seiner Not gewahrt er eine Gestalt, in der er den damals mehr als Homer geschätzten Dichter des römischen Heldensanges, Virgil, erkennt (V. 79 bis 90):
„So bist du der Virgil, und bist der Bronnen,“
Erwidert’ ich ihm mit verschämter Stirn,
„Aus dem so voll der Rede Fluß geronnen?
O du! der andern Dichter Licht und Preis!
Gedenk’s mir nun, daß ich in deinem Buche
Geforscht mit großer Lieb’ und stetem Fleiß!
Als Meister muß ich dich und Vorbild loben;
Du bist’s allein, dem ich den schönen Stil
Verdanke, der zum Ruhme mich erhoben.
Du siehst das Tier, das keck mit mir zu hadern
Nicht unterläßt: steh, großer Meister, mir
Dagegen bei! Mir zittern Puls und Adern.“
Um den irdischen Gefahren zu entgehen, rät ihm Virgil, sich von ihm auf einem anderen Wege durch die Hölle und die Welt der Buße zum Himmelreich geleiten zu lassen, wo er von einer würdigeren Seele weiter begleitet würde.
Der zweite Gesang schildert den Beginn der Reise bei Anbruch der Abenddämmerung. Dantes Besorgnis, es könne ihm an Kraft fehlen, zerstreut Virgil mit dem Hinweis auf seinen himmlischen Auftrag, sich Dantes anzunehmen, der ihm durch die verklärte Beatrice übermittelt worden sei. So ermannt sich Dante wieder (V. 127–142):
So wie die Blümlein, hangend und verschlossen
Von Nachtfrost, wenn das Sonnenlicht sie färbt,
So wurd’ in mir die Kraft, die mir gebrach,
Durch Mut erfrischt, der um mein Herz sich drängte,
So daß ich nun mit tapferm Sinne sprach:
„Dank für die Güte der Erbarmungsvollen!
Dank dir, du Freundlicher! daß du so schnell
Der Wahrheit, die sie sprach, gehorchen wollen.
Du hast mein Herz durch deines Wortes Lehre
Mit solchem Trieb zu dieser Reis’ erfüllt,
Daß ich zurück zum ersten Vorsatz kehre.
Ein Wille treibt uns beide: Nun, wohlan!
Sei du mein Führer, Herr und Licht und Rat!“ –
So sagt’ ich; wir beschritten, er voran
Und ich nach ihm, den tiefen Waldespfad.
Der dritte Gesang schildert den Eintritt in das Höllentor (V. 1–33):
„Ich bin der Weg ins wehevolle Tal,
Ich bin der Weg zu den verstoßnen Seelen,
Ich bin der Weg zur Stadt der ew’gen Qual.
Mich schuf mein Meister aus gerechtem Triebe:
Ich bin das Werk der göttlichen Gewalt,
Der höchsten Weisheit und der ersten Liebe.
Vor mir war nichts Erschaffenes zu finden
Als Ew’ges nur; und ewig währ’ auch ich.
Ihr, die ihr eingeht, laßt die Hoffnung schwinden!“
So stand geschrieben über einer Pforte
In dunkler Schrift „O Meister!“ sprach ich drob,
Zu hart ist mir die Deutung dieser Worte.“
Er aber sprach nach seinem klugen Sinn:
„Hier mußt du allen Zweifelmut ertöten;
Hier ziemt sich keine Zagheit fürderhin.
Wir sind nun an dem Ort, wo ich dir sagte,
Du werdest da das Volk des Elends sehn,
Dem eigne Schuld das höchste Gut versagte.“
Dann faßt’ er heitern Blickes meine Hand
Mich ein in das geheimnisvolle Land.
Allda in unbestirnter Luft erschollen
Gewinsel, Klag’ und lauter Weheruf,
So daß zu Anfang Tränen mir entquollen.
Verschiedne Sprachen, grauenvolle Zungen,
Des Jammers Worte, Stimmen hohen Zorns,
Und heisres Schrein, wozwischen Fäuste klungen,
Erregten ein Getös’ das ohne Rast,
In diesen ewig schwarzen Lüften kreiset,
So wie der Staub vom Wirbelwind erfaßt.
Und ich, des Haupt von Irrtum war umschlungen,
Sprach: „Was vernehm’ ich, Meister? Welch ein Volk
Ist dieses da, von Qualen so bezwungen?“ –
Das klagende Volk ist die Schar der Seelen, die wegen ihrer Indifferenz vom Himmel wie von der Hölle zurückgewiesen sind und sich unter kleinlichen Leiden weiter herumquälen, so wie sie in Kleinlichkeit gelebt haben. Nun gelangen die Wanderer zum Acheron, der sie von der Hölle trennt. Charon bringt sie in seinem Boot hinüber. Aber kaum beginnt Virgil ihm diese Stätte zu erläutern, da schwindet Dante vor Erschütterung das Bewußtsein (V. 130–136):
Hierauf begann der düstre Grund zu wanken,
So heftiglich, daß mich das Graun noch jetzt
Mit kaltem Schweiß betaut bei dem Gedanken.
Ein Windstoß fuhr aus der betränten Erde,
Und blitzt’ ein rotes Licht umher ins Feld.
Ich fiel, betäubt und sinnlos, an Geberde
Gleich einem Menschen, den der Schlaf befällt.
Der vierte Gesang schildert die Vorhölle, den Aufenthalt der ungetauften Tugendhaften. (V. 1–27):
Es riß den tiefen Schlaf in meinem Haupte
Ein schwerer Donner, daß empor ich fuhr,
Wie einer, dem Gewalt den Schlummer raubte.
Und aufgerichtet wandt’ ich rings umher
Mein ruhig Aug', und schaute festen Blickes,
Wahr ist’s, ich fand nunmehr mich an dem Hange
Des qualenvollen Tals, durch dessen Schoß
Zahlloses Wehe ruft mit Donnerklange.
Umnachtet war es, tief und neblicht, so,
Daß, wie mein Blick auch durchzubohren strebte,
Doch unerkennbar alles mir entfloh.
„Laß in die blinde Welt hinab uns wandern,“
So hub der Dichter ganz erblichen an,
„Ich will zum ersten gehn; geh du zum andern!“
Ich, seine Farbe wohl gewahrend, sprach:
„Wie soll’s ergehn, wenn du dich selbst entsetzest,
Der meinen Zweifelmut zu trösten pflag? –“
Dagegen er zu mir: „Die Qual der Armen
Hier unten malt nicht, wie du wähntest, Furcht
In meinem Antlitz, aber wohl Erbarmen.
Nun komm, weil uns des Weges Länge dringt!“
So ging er fort, und hieß auch mich betreten
Den ersten Zirkel, der den Schlund umringt.
Allhier, soviel ich hören mochte, tönte
Kein Jammern, außer leise Seufzer nur,
Wovon die ew’ge Luft erbebend stöhnte.
Virgils Wehmut stammt daher, daß er selbst als guter Heide dieser Stätte zugehört, wo man nur unter dem vergeblichen Verlangen nach der ewigen Seligkeit leidet. – Lichter Schein führt sie zu einer schönen Burg mit sieben Mauern, wo Dante die Schatten derer sieht, die sich im Leben durch Taten oder Lehren ausgezeichnet haben (V. 118–120):
Nun lag vor mir das grüne Ruhmgefild;
Da wurden mir gezeigt die großen Seelen,
Ob deren Anblick stolz mein Mut erschwillt.
Im fünften Gesange führt die Fortsetzung der Reise in den zweiten Kreis, wo die Hölle im Sinne der volkstümlichen Vorstellung – als Stätte schlimmster Qualen – beginnt (V. 1–142):
So stieg ich aus dem ersten Kreise nieder,
Zum zweiten, der des Raumes minder faßt,
Mit furchtbar'm Schnauben stehet Minos dort,
Erforscht beim Eingang jede Sündenschuld.
Urteilet dann, und schickt durch Zeichen fort.
Ich sage, wenn die unglücksel’ge Seele
Vor ihm erscheint, so beichtet sie durchaus;
Dann sieht der Untersucher aller Fehle,
Was in der Höll’ ihr für ein Platz gebührt.
Sie wird, so oft er mit dem Schweif sich gürtet,
So viele Stufen niederwärts geführt.
Viel stehn da immer; eine nach der andern,
Muß ins Gericht vor seinem Antlitz gehn,
Muß reden, hören und hinunterwandern.
„O du, der in die Qualbehausung bricht!“
So rufte Minos, als er mich erblickte,
Und ließ derweil die Übung seiner Pflicht:
„Schau, wem du traust! und laß dich das nicht täuschen,
Daß sich der Eingang breit und offen zeigt!“
Mein Führer sprach zu ihm: „Was soll dein Kreischen?
Du wirst umsonst ihm diesen Gang versagen:
Er wurde dort geboten, wo man kann
Was man nur will; und fürder keine Fragen!“ –
Nun bin ich hingelangt, wo sich das Chor
Der Klagestimmen läßt von mir vernehmen,
Und viel Gewinsel schlägt nun an mein Ohr.
Hier schweigt das Licht; der dunkle Raum erbrüllt,
So wie die See im Sturme, wenn vom Hadern
Feindsel’ger Winde seine Fläche schwillt.
Die Höllenwindsbraut, welche nimmer ruht,
Durchschüttelt, wirbelt die gequälten Geister,
Und reißt sie fort mit seiner starken Wut.
Und wo sie so, dem Abgrund nahe, schweben,
Da ist Geheul, Geschrei und Weh und Ach,
Da hört man Flüche gegen Gott erheben.
Wie ich erfuhr, sind der Begierden Sklaven,
Ertötet wird, verdammt zu solchen Strafen.
Wie einen Starentrupp beim kalten Hauch
Der Herbstluft rasch die Flügel weiter tragen,
So wurden hier vom Sturm die Seelen auch
Hinum, hinan, hinauf, hinab verschlagen;
Sie hoffen, alles Trostes ledig, nie
Auf Ruhe, nicht einmal auf mindre Plagen.
Und wie die Kraniche die Luft entlang
In langen Reihen ziehn und Lieder krächzen,
So nahten in des Ungewitters Drang
Die Schatten sich mit Winseln und mit Ächzen.
„Wer sind doch jene, Meister!“ sprach ich drob,
„Die rastlos in der schwarzen Wolke lechzen?“ –
„Die erste von der Schar, wovon dein Sinn
Bericht begehrt,“ erwiderte mein Führer,
„War mannigfacher Sprachen Herrscherin.
Sie lebt’ in schnöder Wollust ohnegleichen,
Und macht’ aus ihren Lüsten ein Gesetz,
Um so erworbner Schande zu entweichen.
Das ist Semiramis, die, wie wir lesen,
Dem Nimus nachgefolgt, und deren Sitz
Die Stadt, wo jetzt der Sultan herrscht, gewesen.
Zunächst ist die, die sich aus Lieb’ erstach,
Und treulos ward an des Sichäus’ Asche;
Kleopatra, die üpp’ge, folgt ihr nach.“ –
Nun sah ich Helena, die arge Zeiten
Der Welt gebracht; ich sah den Held Achill,
Der noch zuletzt mit Liebe mußte streiten.
Ich sahe Paris, Tristan, und er wies
Mit Fingern mir wohl mehr wie tausend Schatten,
Die einst die Lieb’ aus diesem Leben stieß.
Und als Virgil die Namen mich gelehret
Der edlen Fraun und Ritter, griff ans Herz
Der Jammer mir und war ich ganz verstöret.
Die beiden, die, vom Winde leicht gehoben,
Beisammengehn? Mit ihnen spräch’ ich gern.“ –
Und er zu mir: „Schau, wann sie näher kommen!
Alsdann beschwöre bei der Liebe sie,
Die beide führt, und jene werden kommen.“
Sobald der Wind sie her zu uns gekehrt,
Erhub ich meinen Ruf: „Gequälte Seelen!
„Kommt! Sprecht mit uns, wenn es euch niemand wehrt!“
Wie Turteltauben mit gelindem Schweben
Der offnen Flügel, wann zum süßen Nest
Sie Sehnen hinruft, in die Luft sich heben:
So kamen beide durch die wüste Nacht
Aus jenem Heer, wo Dido war, herüber;
So groß war meines Liebesrufes Macht.
„O gütevolles Wesen, das mit Hulden
Uns zu besuchen kommt aus jener Welt,
Die wir mit Blut befleckt durch unsre Schulden!
Wär’ der Monarch des Weltalls unser Freund,
Wir wollten ihn durch deinen Frieden bitten,
Weil unser Elend dich zu jammern scheint.
Was dir geliebt zu hören und zu fragen,
Das wollen wir, solang der Wind, wie jetzt,
Sein Schweigen hält, vernehmen und dir sagen.
Die Stadt, die mich gebar, liegt an der Bucht,
Allwo der Po, ins Meer hinuntersteigend,
Mit seinem Flußgefolge Frieden sucht.
Die Liebe, die ein edles Herz so leise
Beschleicht, fing diesen durch den holden Leib,
Des ich beraubt ward auf verhaßte Weise.
Die Liebe, die zum Lohn stets Liebe fodert,
Ergriff für ihn mit solcher Inbrunst mich,
Daß, wie du siehst, sie stets noch in mir lodert.
Die Liebe stürzt’ uns in ein einzig Grab;
Dem, der uns schlug, ist Kaina bereitet.“
Als ich vernommen, was der Schatten klagte,
Verneigt’ ich mein Gesicht und hielt’s gebückt,
Bis mein Begleiter mich: „Was denkst du?“ fragte.
Da hub ich an und sprach: „O wehe mir!
Wie süßes Wähnen, liebliches Begehren
Trieb in die letzte Not die beiden hier!“ –
Dann wandt’ ich mich, zu reden mit den Armen,
Und sprach: „Francesca, deine Qual erregt
Mir bittres Weinen, inniges Erbarmen.
Doch sag’ mir: in der Zeit der süßen Schmerzen,
Wodurch und wie verriet euch Liebe da
Den noch geheimen Wunsch der beiden Herzen?“ –
Dagegen sie zu mir: „Im Jammerstand
Der sel’gen Zeit gedenken, kränkt am tiefsten,
Und dies hat auch dein Lehrer wohl erkannt.
Doch fühlst du ein so sehnliches Bestreben,
Zu wissen, wie die Lieb’ in uns entsproß,
So will ich dir mit Tränen Kunde geben.
Mein Trauter las einmal zur Lust mit mir
Vom Lanzelot, wie ihn die Lieb’ umstrickte.
Ohn alles Arg und einsam waren wir.
Oft irrten unsre Blick', und unsre Wangen
Verfärbten sich beim Lesen dieses Buchs;
Doch eine Stelle nur hat uns befangen,
Wir lasen, wie ein Kuß das Bündnis schloß,
Den er auf das ersehnte Lächeln drückte;
Da bot mein unzertrennlicher Genoß
Den ersten Kuß erbebend meinem Munde.
Galeotto war das Buch, und der es schrieb:
Wir lasen fürder nicht zur selben Stunde.“ –
Der andre Geist, derweil der eine dies
Erzählte, weinte so, daß meine Glieder
Vor Mitleid alle Lebenskraft verließ;
Und, wie ein Toter hinfällt, fiel ich nieder.
[131] Minos, der Totenrichter (nach mittelalterlicher Vorstellung als Teufel), kündet durch die Zahl der Ringe seines Schweifes, für welchen Kreis der Sünder bestimmt ist. Von den genannten Sündern der Wollust soll Semiramis die sündige Liebe zu ihrem Sohne durch ein Gesetz sanktioniert haben. Das in der berühmten Episode mit Francesca da Rimini erwähnte Buch, das sie lasen, ist ein Ritterroman aus dem Zyklus der Tafelrunde König Artus', Galeotto der Name des Verräters.
Der nächste Gesang führt in den dritten Kreis der Schlemmer, wo Dante auch einem Florentiner Genießer begegnet. Dann werden die Qualen des Geizes im vierten Kreise geschildert. – Die Sterne sinken, und mit dem so beginnenden zweiten Tage der Reise gelangen sie in den fünften Kreis, der Stätte der Zornmütigen. Der darauf folgende sechste Kreis liegt in gleicher Höhe mit dem fünften, dem Styx, über den sie fahren müssen, um dann, wie der neunte Gesang schildert, mit der Höllenstadt Dis die tiefe Hölle zu erreichen (V. 1–105):
Die Farb', womit mich Zagheit überdeckte,
Ward kaum bemerkt von meines Führers Blick,
Als er die eigne Blässe schnell versteckte.
Aufmerksam sah ich ihn und horchend stehn,
Weil durch die schwarze Luft, den dichten Nebel,
Sein Auge rings nur wenig konnt’ erspähn.
„Wir müssen dennoch siegen im Gefechte,“
Sagt’ er; „wo nicht – Verhieß sie uns nicht so?
O daß doch er nicht länger weilen möchte!“ –
Ich merkte deutlich, wie er den Beginn
Der Rede plötzlich abbrach und vertauschte
Mit andern Worten von verschiednem Sinn.
Und was er sagte, gab mir dennoch Sorgen:
Mir schien vielleicht in dem zerrißnen Spruch
Ein schlimmrer Sinn, als wirklich war, verborgen.
„Steigt jemals einer aus dem ersten Grade,
Wo nur Vernichtung aller Hoffnung straft,
Hinab an dieses grausere Gestade?“
So fragt’ ich ihn; er sagte: „Selten nur
Geschah’s, daß auf dem Pfade, den ich wandle,
Von uns da droben einer niederfuhr.
Wahr ist’s, ich bin hier einmal schon gewesen,
Zurück in ihre Leiber zwang, zu lösen.
Der Hüll’ entnommen war ich kurz zuvor;
Da trieb sie mich, um einen Geist herauf
Aus Judas’ Kreis zu bannen, durch dies Tor.
So tief, so dunkel ist kein andrer Ort,
So fern vom Himmel, der das All umkreiset.
Ich weiß den Weg, dies sei dein Trost und Hort.
Der Sumpf, aus dem die argen Dämpfe hauchen,
Umgibt ringsum die plagenvolle Stadt,
Wo wir Gewalt, um einzudringen, brauchen.“
Er sprach noch mehr, doch schwebt mir’s nicht im Sinne;
Mein Auge hatte ganz mich weggerückt
Zum hohen Turme mit der glühnden Zinne.
Schnell aufgerichtet sah ich dort alsbald
Drei Höllenfurien, mit Blut besudelt,
Von weiblicher Geberdung und Gestalt.
Umgürtet waren sie mit grünen Nattern,
Und Hydernbrut und Ottern statt des Haars
Sah sie um ihre wilden Schläfe flattern.
Er kannte wohl der Sklavenweiber Schar,
Die die Monarchin ew’ger Pein bedienen.
„Nimm,“ sagt’ er, „dort die grimmen Furien wahr!
Tisiphone steht in der Schwestern Mitte,
Es heult Alekto ihr zur rechten Hand,
Megära heißt zur linken dort die dritte.“ –
Die Brust zerriß sich jede mit den Klaun,
Sie schrien laut und schlugen sich mit Fäusten;
Des drängt’ ich mich dem Dichter an vor Graun.
Sie sahn herab und huben an zu sprechen:
„Medusa komm! Ersteinen soll er hier.
Wir wußten Theseus Anfall wohl zu rächen.“ –
„Steh weggewandt, und hüll’ dein Antlitz ein!
Wenn sich die Gorgo zeigt, und du sie siehest,
So wird’s geschehn um deine Rückkehr sein.“ –
Voll rascher Eil', verließ sich nicht auf mich,
Und deckte mein Gesicht mit beiden Händen. –
O Menschenkinder, die ihr Weisheit übt,
Schaut an die Lehre, der in diesen Reimen
Die seltne Dichtung ihren Schleier gibt! –
Und schon kam hallend auf den trüben Wogen,
So daß das Ufer rings erschüttert ward,
Ein furchtbar Tosen zu uns her gezogen.
So, wenn’s der schwülen Hitz entgegenstürmt,
So rauscht der Gang des ungestümen Windes,
Vor dessen Schlägen nichts die Waldung schirmt.
Die Äste splittert er, zerstäubt die Blüten;
Staubwolkig wallt er seinen stolzen Gang,
Daß Vieh und Hirten fliehn vor seinem Wüten.
Nun ließ er mir die Augen frei: „Wohlan!
Dort, wo der Dampf sich auf dem alten Schaume
Am dicksten regt, mach’ deiner Sehkraft Bahn!“
Wie Frösche plötzlich da und dorthin schlüpfen,
Wenn sich ihr Feind, die Wasserschlange, naht,
Bis sie hervor, ans Land geklammert, hüpfen:
So sah ich tausend bange Seelen fliehn
Vor einem, der mit unbenetzten Fersen
Des Styx’ Gewässer zu betreten schien.
Er trieb den feuchten Dunst, der überschattet
Sein Antlitz hielt, oft mit der Linken weg,
Und schien allein durch diese Last ermattet.
Und weil er mir ein Himmelsbote dünkte,
So wandt’ ich mich zum Meister, welcher mir
Zu schweigen und mich tief zu bücken winkte.
Ha! Wie so zürnend war sein Blick und Gang!
Er trat zum Tor und rührt’s mit seinem Stabe:
Da tat sich’s auf, und jeder Riegel sprang.
„O du vom Himmel ausgestoßne Rotte!“
So rief er von der grausen Schwell’ herab,
Was hilft’s, die Stirne gegen den empören,
Des Wille nie sein Ziel verfehlen kann,
Der dir schon oft die Plagen ließ erschweren?
Was strebst du gegen das Verhängnis doch?
Es trägt davon, wenn du dich recht besinnest,
Dein Zerberus die kahle Gurgel noch.“ –
Dann wandt’ er sich, ohn’ uns sein Wort zu sagen,
Zum Sumpf zurück, und war so anzusehn
Wie einer, welchen andre Sorgen nagen
Als um die Menschen, welche vor ihm stehn.
Und wir, nun sicher nach der heil’gen Rede,
Erhuben uns, um in die Stadt zu gehn. –
Bemerkenswert ist hier der Hinweis, der in der allegorischen Erscheinung des Engels liegt und eine der schwersten Hindernisse auf dem Wege zum Heil überwinden hilft: daß nur der Glaube die Rückkehr zum Licht sichert. Erst hat die Vernunft Dante vor Zweifeln geschützt, jetzt darf er den Geist dem göttlichen Einfluß öffnen (Virgil nimmt die Hände von seinen Augen).
Der Beginn des zehnten Gesanges schildert das Gespräch mit einem Florentiner Ghibellinen, der in glühendem Sarge schmachten muß, weil er an ein Leben nach dem Tode nicht glauben wollte: dieser, Farinata, unterbricht selbst Dantes Gespräch mit Virgil (V. 22–93):
„Toskaner! Der du durch die Stadt der Gluten
Noch lebend gehst und so gefüge redest:
Laß, etwas hier zu weilen, dir gemuten!
Denn deine Sprache macht dich offenbar
Als bürtig aus dem edlen Vaterlande,
Dem ich vielleicht einst allzu lästig war.“
Urplötzlich scholl aus einem von den Särgen
Solch eine Stimm'; ich suchte mich deshalb
Voll Furcht in meines Führers Näh zu bergen.
Er sprach: „Was säumest du, dich umzudrehn?
Schau! Dort hat Farinata sich erhoben.
Vom Gürtel aufwärts wirst du ganz ihn sehn.“ –
Ich heftete den Blick auf seine Stirne:
Als ob er trotzig aller Hölle zürne.
Und mutig stieß, mit raschem Ungestüm,
Mein Führer mich hinan durch all die Grüfte,
Und sagte: „Rede sonder Hehl zu ihm!“ –
Als ich nun stand an seines Grabes Fuß,
Und er mich stolz ein Weilchen angeschauet:
„Was hattest du für Ahnen?“ war sein Gruß.
Gern dem Gebot des Meisters untertänig,
Verschwieg ich’s nicht und tat ihm alles kund.
Darob erhob er seine Brau'n ein wenig,
Und sagte dann: „Sie waren bitter g'nug
Mir, meinen Ahnen, meinem Bund gehaß;
So daß ich zweimal in die Flucht sie schlug.“ –
„Und waren sie verbannt, sie kehrten immer“,
Erwidert’ ich, „von allen Seiten heim;
Die Euern lernten diese Kunst noch nimmer.“
Derweil enthob sich, sichtbar bis ans Kinn,
Dem Sarge neben ihm ein andrer Schatten,
Ich glaub', er lag auf seinen Knien darin.
Er blickte rings mich an, als wär’ ihm wichtig,
Zu wissen, ob noch jemand bei mir sei;
Doch bald befand er seinen Argwohn nichtig
Und jammerte: „Wenn durch dies Nachtrevier
Dir hoher Geist und Witz die Wege bahnet:
Wo ist mein Sohn? Weswegen nicht mit dir?“ –
„Ich komme nicht aus eigner Kraft und Tat,“
Sagt’ ich zu ihm: „dort wartet mein Begleiter,
Den Euer Guido wohl verachtet hat.“
Schon hatt’ ich seinen Namen mir gedeutet
Aus seiner Red’ und aus der Art der Qual;
Drum war ich so zur Antwort vorbereitet.
„Wie?“ rief er, plötzlich starr emporgericht't;
„Er hat, sagst du? So lebt er denn nicht mehr?
Sein Aug’ entbehret schon das süße Licht?“
Und zauderte, den Zweifel ihm zu lösen,
Da fiel er rücklings nieder und verschwand.
Doch jener Hochgeherzte, dem zu dienen
Ich da geblieben war, stand unbewegt,
Bog nicht den Hals, verzog auch nicht die Mienen.
„Und wußten sie so wenig diese Kunst,“
So fuhr er fort im vorigen Gespräche,
„Das quält mich mehr als dieses Lagers Brunst.
Allein es wird nicht fünfzigmal entbrennen
Das Angesicht der Frauen, die hier herrscht,
So wirst schon dieser Kunst Beschwerde kennen.
Doch sage mir, so du die schöne Welt
Noch mögest wiedersehn, warum den Meinen
Dies Volk so hart in jeder Satzung fällt?“
Drauf ich zu ihm: „Seit jenes große Morden
Die Arbia gerötet, ist bei uns
Im Tempel solche Predigt Sitte worden.“ –
Er aber, seufzend, schüttelte sein Haupt:
„Dort war ich nicht allein, und traun! Ich hätte
Mir diese Tat nicht ohne Grund erlaubt.
Doch da, wo alle willig leiden mochten,
Daß man Florenz vernichte, war’s nur ich,
Nur ich allein, der kühnlich sie verfochten.“ –
Im elften Gesange beginnt der Weg zur unteren Hölle. Es ist nach der Angabe Virgils etwa zwischen 2 und 5 Uhr morgens. Alsbald betreten sie den siebenten Kreis und stoßen dort auf den Wächter Minotaurus, das Sinnbild aller Grausamkeit und Tyrannei. Dieser Kreis zerfällt in drei Ringe (Zirkel). Den ersten bewachen die Zentauren und bewohnen die Tyrannen, den zweiten bewohnen die Selbstmörder, den dritten, eine glühende Sandwüste, die Gotteslästerer, Wucherer und niederen Lüstlinge. Um nun den tiefen Abhang zum Kreise der Gewalttätigkeit zu überwinden, bedürfen die Wanderer fremder Hilfe. Ein mystisches Ungeheuer, Geryon, schwingt sich auf Virgils Ruf zu ihnen empor. hier beginnt der 17. Gesang (V. 1–27):
„Sieh da das Scheusel und die Pest der Welt!
Das Tier mit spitzem Schweif, womit es Berge
So hub nun gegen mich mein Führer an,
Das Mißgeschöpf heran zum Ufer winkend,
Ans Ende der betretnen Marmorbahn.
Und jenes Ungebild des Truges strebte
Hinauf und landete mit Kopf und Rumpf,
Doch so, daß noch sein Schweif im Freien schwebte.
Es trug das Antlitz eines biedern Manns
Und war von vorn mit Freundlichkeit bekleidet;
Am Hinterleibe war es Schlange ganz.
Es hatte zwei behaarte Vorderpfoten
Und Rücken, Brust und Seiten überall
Bemalt mit Schnörkeln und verschlungnen Knoten.
So mannigfarbig weiß kein Morgenländer
Mit seiner Zier die Stoffe zu erhöhn.
So wirkte nie Arachne die Gewänder. –
Wie Barken dann und wann zur Winterszeit
Halb in den Fluten stehn und halb am Strande,
Und wie am Fluß, zu seinem Krieg bereit,
Der Biber sitzt, dort in der Deutschen Lande:
So liegt und hängt nunmehr das schnöde Tier
An dem mit Mauern rings umschloßnen Sande.
Wie wild der Schweif auch durch die Leere fährt,
So bleibt doch stets, mit Skorpionenstacheln
Bewaffnet, seine Zang’ emporgekehrt.
Auf dem Rücken dieses Ungeheuers gelangen sie in kreisendem Fluge in die Tiefe.
Der nächste Gesang führt in den 8. Kreis, die Malebulge (Schreckenskluft), mit ihren 10 Unterklüften, durch die der Weg auf Dämmen gleich Brückenbogen über Gräben nach rechts hin führt. Bei der fünften Bulge wird die Brücke durch Dämonen bewacht. In einem Gespräch weiß Virgil sie zu beschwichtigen. Immer spukhafter wird das Höllenbild, das sich den Wanderern enthüllt (22. Gesang), als sie, von den zehn Dämonen geleitet, ihren Weg fortsetzen (V. 16–151):
Mein ganzer Sinn war nach dem Pfuhl gewandt;
Ich hätte gerne, was das Pech verhehlte,
Wie ein Delphin mit hoch gekrümmtem Rücken
Die Flut durchspielt und so den Schiffer warnt,
Sein Fahrzeug schnell den Stürmen zu entrücken:
So ließ auch hier, zur Linderung der Qual,
Ein Sünder dann und wann den Nacken sehen,
Fuhr dann hinab gleich einem Wetterstrahl.
Und wie der Frösche Volk am Rand der Sümpfe
Zuweilen sitzt; man sieht die Schnauze nur,
Verborgen sind im Schlamm die Bein’ und Rümpfe:
So saß hier überall die Sünderbrut.
Allein, sowie sich Barbariccia nahte,
Entwich sie in die siedend heiße Flut.
Ich sah, warob noch jetzt mein Herz erschauert,
Daß ihrer einer blieb, wie’s wohl geschieht,
Daß nach der andern Flucht ein Frosch noch lauert.
Und Graffiacan, der ihm am nächsten stand,
Schlug ihm den Haken ins bepichte Haar,
Und zog, als wär’s 'ne Otter, ihn ans Land.
(Ich wußte schon den Namen eines jeden.
Bei ihrer Wahl hatt’ ich darauf gemerkt:
Auch nannten sie einander oft im Reden.)
„O Rubicante!“ die Verruchten schrien
Mit einer Stimme so: „Die Krallen setze
Ihm ins Genick! Zerfleische weidlich ihn!“ –
Und ich: „Mein Meister! Wenn du kannst, erkunde:
Wer mag wohl jener Unglücksel’ge sein,
Der sich herausgewagt zur bösen Stunde?“ –
Mein Führer trat an seine Seite hin.
„Wer bist du?“ fragt’ er ihn; und jener: „Wisse,
Daß ich gebürtig aus Navarra bin.
Die Mutter ließ mich dienen, notgedrungen;
Denn sie gebar von einem Prasser mich,
Der sich verderbet und sein Gut verschlungen.
Darauf erwarb ich meines Königs Gunst,
Und büße drum in dieser Höllenbrunst.“ –
Und Ciriatto, dem an beiden Ecken
Des Mauls hervor ein großer Hauer stand,
Ließ ihn indes des einen Hiebe schmecken.
Die Maus war in den Klauen arger Katzen;
Doch Barbariccia warf die Arm’ um ihn:
„Ich halt’ ihn,“ rief er; „fort mit euren Tatzen!“
Er kehrte dann zu meinem Meister sich
Und sagte: „Willst du mehr noch von ihm wissen,
„Eh ihn mein Volk zerrissen hat, so sprich!“ –
Mein Führer sprach: „Sag’ uns von deinen Brüdern!
Sind auch Lateiner, die du kennst, mit dir
Im heißen Pech?“ – Er eilte zu erwidern:
„Nicht weit von hier saß einer; nur so eben
Verließ ich ihn. Ha! wär’ ich, wo er ist,
So dürft’ ich nicht vor Klaun und Haken beben!“ –
„Schon allzu lang“, rief Libicocco aus,
„Sehn wir es an!“ traf zu mit der Harpune
Und riß vom Arm ein ganzes Stück heraus.
Auch Draghignazzo wollt’ am Bein ihn zwicken
Von unten her; ihr Hauptmann wandte drob
Sich rundherum mit grimmig finstern Blicken.
Ein wenig still ward nun der rohe Schwarm.
Mein Führer säumte nicht und fragte jenen,
Der noch herabsah auf den wunden Arm:
„Wer war der Mitgenoß, von dem du dort
Dich, wie du sagst, zu deinem Unglück trenntest?“ –
„Der Mönch Gomita,“ war des Sünders Wort,
„Der in Gallura sich durch Ränk’ erhoben;
Der seines Herren Feind’ in Händen hielt
Und tat an ihnen, was sie höchlich loben.
Er nahm ihr Geld und ließ sie schiedlich ziehn,
Wie er erzählt; auch sonst in Staatsgeschäften
Nennt man den Ausbund aller Gauner ihn.
Geht mit ihm um; sie schwatzen ohne Maß
Und können nie Sardiniens vergessen. –
O seht! Wie der die Zähne grinsend wetzt!
Weh mir! Ich spräche mehr, allein ich fürchte
Daß mir der Unhold einen Streich versetzt.“ –
Schon rollte Farfarello scheele Blicke,
Als lüstet’s ihn zu schlagen; doch ihn schalt
Ihr Oberhaupt: „Verfluchte Brut, zurücke!“ –
„Wollt ihr“, begann der bange Wicht nunmehr,
„Toskaner und Lombarden sehn und hören?
Was gilt’s? Ich locke sie ans Ufer her.
Laßt drübenhin die Malebranche stehn,
Weil jene sonst vor ihrer Wut sich scheuen.
Für einen, den ihr habt, verschaff’ ich zehn.
Ich brauche nur zu pfeifen, wie wir pflegen,
Wenn einer unter uns hervor sich wagt
Und wittert, daß wir frei uns kühlen mögen.“ –
Cagnazzo schüttelt seinen Kopf hierbei
Und rümpft das Maul: „Um sich hinabzuwerfen,
Ersann er das; seht mir die Büberei!“ –
Der Andre, reich an fein gelegten Schlingen,
Erwidert: „Ja! Ein rechtes Bubenstück,
Die Meinigen in größre Qual zu bringen!“ –
Voll Ungeduld fiel Alichino ein:
„Nun gut! Allein versuchst du zu entrinnen,
So komm’ ich nicht mit Rennen hinterdrein,
So schwing’ ich übers Pech die leichten Flügel.
Sollt’ er behender als wir alle sein?
Nein! Stellt mit mir euch hinter diesen Hügel!“ –
O Leser! Solch ein Spiel vernahmst du nie,
Als jetzt geschah: Weg wandten sie sich alle,
Am ersten, der zuvor dawider schrie.
Giampolo hatte kaum es wahrgenommen,
So setzt’ er an zum Sprung, entriß im Nu
Hierum erbosten all die Teufel sich;
Am meisten der, so es verschuldet hatte.
Er schoß hinzu und rief: „Ich habe dich!“ –
Umsonst! Sein Fittich war nicht schnell genug
Für des Verfolgten Angst; der fuhr zu Boden
Und er hinauf mit rasch gewandtem Flug.
So taucht die Ent’ in einem Augenblicke
Tief in die Flut sich vor des Falken Stoß;
Der aber kehrt erzürnt und matt zurücke. –
Ergrimmend über solche Narretei
Flog Calcabrina nach, um mit den Andern
Sich gleich zu balgen, käm’ der Sünder frei.
Er sah ihn nicht so bald hinabgefallen,
So packt’ er schon den Mitgesellen an
Und zaust’ ihn überm Pech mit scharfen Krallen.
Des Andern Klauen waren auch nicht stumpf,
Er wußte sie zu brauchen wie ein Geier,
Und beide stürzten in den glühnden Sumpf.
Die Hitze stillt’ alsbald der Kämpfer Wüten;
Doch klebte Pech an ihren Flügeln so,
Daß sie umsonst sich zu erstehn bemühten.
Ihr Obermann, gar tief bekümmert, ließ
Von seiner Rotte vier hinüberfliegen,
Die er in Eil’ an ihre Posten wies.
So stiegen sie mit allen Hakenstangen
Zum Rand des Pechs hinunter, hier und dort,
Um das gesottne Paar herauszulangen.
Wir aber zogen unsres Weges fort.
Die Kleidung der Heuchler in der 6. Bulge spielt auf eine Strafe an, die Friedrich II. überführten Verrätern zuerkannt haben soll: sie wurden in bleiernen Kutten verbrannt. Die 7. Bulge wimmelt von Schlangen, die den gepeinigten Räubern, deren Tat mit List und Gewalt vollbracht worden war, mit Bissen zusetzen und ihre Glieder umschlingen.
Der 25. Gesang führt die Strafe anderer Diebe vor, an deren Spitze sie Cacus sehen, der die Herden des Herkules gestohlen hatte, Nattern [142] wimmeln auf seinem Zentaurenleib. Andere Verbrecher werden durch Schlangenbisse in Asche verwandelt, aus der sie wieder auferstehen. Menschliche Formen gehen in tierische über und umgekehrt, womit die ewig wechselnden Schrecken der Hölle geschildert werden (V. 46 bis 140):
Bist du, o Leser! Auf mein Wort zu bauen
Jetzt ungeneigt, so wird’s kein Wunder sein.
Ich, der es sah, mag kaum mir selbst vertrauen.
Als so mein Aug’ auf sie erhoben war,
Da schleudert, sieh! ein Drache mit sechs Füßen
Sich vorn dem einen an und packt ihn gar.
Derweil den Leib in Mittelfüß’ umfangen,
Greift er die Arme mit den vordern ihm;
Dann schlägt er ihm die Zähn’ in beide Wangen.
Die Hinterpfoten schmiegen ausgestreckt
Sich um die Schenkel, zwischen die sich windend
Sein Schweif hinauf sich an den Nieren reckt.
Kein Efeu rankte je so drang und feste
Sich um den Baum, als dieser grimme Wurm
Des Mannes Glieder rings mit seinen preßte.
Als ob ihr Leib von heißem Wachse wär',
Verschmolzen sie und mischten ihre Farben:
Noch der, noch jener schien derselbe mehr.
So sieht man von der Glut Papier sich färben
Und vor ihr her, sowie sie weitergreift,
Eh sich’s vollkommen schwärzt, das Weiß ersterben.
„Weh! Wie verwandelt, Angelo, wirst du!
Schon bist du nicht mehr zwei und auch nicht einer!“
So rufend schauten jene beiden zu.
Die beiden Köpfe drängten sich in Einen;
In einem Antlitz sahen wir nunmehr
Zwo neue Zwitterbildungen erscheinen.
Aus vieren bildeten zween Arme sich,
Und Bauch und Brust und Bein’ und Schenkel wurden
Zu Gliedern, denen nie noch etwas glich.
Vom vor’gen Scheine wurd’ ich nichts mehr innen;
Und wandte so den trägen Schritt von hinnen.
So wie, gegeißelt von des Hundssterns Hitze,
Die Eidechs', die den dürren Zaun verläßt,
Den Weg hinüberfährt gleich einem Blitze:
So kam ein Lindwurm, heiß entglüht vor Zorn,
Dem Bauch der beiden andern angesprungen,
Verschrumpft und schwärzlich wie ein Pfefferkorn.
Die Stelle, wo zuerst in unsre Glieder
Die Nahrung dringt, bohrt er dem Einen durch;
Dann fiel er ihm gestreckt zu Füßen nieder.
Stillschweigend starrt’ auf ihn der, den er traf,
Tat weiter keinen Schritt und gähnte so,
Als überkäm’ ihn Fieber oder Schlaf.
Er sah den Drachen an, der ihn dagegen:
Dem dampfte stark die Wunde, dem der Schlund,
Und hier und dort kam sich der Dampf entgegen.
Nun schweige nur Lukan, da, wo er lehrt,
Was einst Sabellus und Nasisius litten,
Denn seine Wunder sind nicht diese wert!
Von Kadmus schweig’ Ovid und Arethusen!
Es regt sich mir, wenn er in Schlange den,
In Quelle die verkehrt, kein Neid im Busen:
Denn so verschuf er zwei Naturen nie,
Daß Bildung, gegen Bildung umgewandelt,
Den Stoff einander wechselnd nahm und lieh. –
Sie hielten Ebenmaß im Umgestalten.
Des Menschen Fersen zogen sich in eins,
Der Schweif des Drachen wurde zwiegespalten.
Die Beine samt den Schenkeln wuchsen so
Dem Sünder ineinander, daß dazwischen
Die Fuge bald dem Auge ganz entfloh.
Dem Doppelschweif ward die Gestalt gegeben,
Die dort verschwand, und rauhe Schuppenhaut
Erstarrte dort und war hier weich und eben.
Die Arme kürzten, wurd’ in gleichem Maße
Der Vorderfüße Paar dem Tier verlängt.
Die hintern Klauen wurden dann verschlungen,
Den Teil zu bilden, den der Mensch verhehlt,
Indessen dort zween Füße draus entsprungen.
Indem der Dampf in Wirbeln um sie schwimmt,
In fremde Farben den und jenen hüllend,
Hier Haare pflanzt und dort hinweg sie nimmt,
Steht dieser auf, der andre fällt zur Erden;
Der Augen Schalkheit funkelt unverwandt,
Obschon vertauscht die beiden Köpfe werden.
Die Schnauze dessen, der erstanden war,
Zog sich zum Schlaf zurück, und von dem Stoffe,
Der dort sich häuft, erwuchs ein Ohrenpaar.
Ein Teil davon ward nicht zurückgeschoben,
Wovon die Nas’ hervor ins Antlitz trat,
Und um den Mund die Lippen sich erhoben.
Gebiß und Mund des Hingefallnen reckt
Zum Drachenmaul sich aus, die Ohren werden
Wie Schneckenhörner in den Kopf versteckt.
Die Doppelzunge wird in Eins verbunden;
Die, so zuvor der Rede fähig war,
Zerspaltet sich; auch ist der Dampf verschwunden.
Der Schatten, der zum wilden Tier nunmehr
Geworden ist, flieht zischend durch die Klüfte,
Und jener speit und redet hinterher.
Dann kehrt er ihm den Rücken, spricht zum andern,
Der bei ihm steht: „Ha, nun mag Buoso auch,
Wie ich, auf seinem Bauch das Tal durchwandern.“ –
Der Anblick der vornehmen Florentiner, den er soeben erlebt hat, veranlaßt Dante zu einer spöttischen Lobrede, mit der der 26. Gesang beginnt (V. 1–6):
Freu dich, Florenz! Denn du bist hoch und hehr:
Du regst die Flügel über See und Land,
Von deinen Bürgern fand ich fünf der größten
Beim Räubervolk: des ich erröten muß,
Und deinem Ruhm gereicht es nicht zum besten. –
Er gelangt nunmehr zur 8. Bulge, wo er zunächst nur irrende Feuer erblickt, in denen die Arglistigen verborgen sind. So brennen die listigen Helden des Altertums; Diomedes und Ulysses. Diesen fragt Virgil über seinen Tod (V. 85–142):
Der Flamme größres Horn begonnte nun
Mit Murmeln sich zu neigen und zu schwingen,
So wie vom Wind geschürte Gluten tun.
Es wägte sich die Zunge hin und her,
Aus der vernehmlich diese Worte kamen,
Als ob’s die Zunge eines Menschen wär':
„Kaum, daß mich Circes Macht nicht länger bannte,
Die mich ein Jahr lang bei Gaëta hielt,
Eh noch Äneas so den Ort benannte:
So konnte nicht das Sehnen nach dem Sohn,
Des alten Vaters Gram, die stete Liebe
Penelopes und ihr verdienter Lohn
In mir die heiße Leidenschaft besiegen,
Des Menschen Tun und Dichten zu erschaun
Und alle Länder forschend zu durchfliegen;
So daß ich kühn ins weite Meer mich trieb
Mit einem Schiff und kleiner Zahl Gefährten,
Die mir, allein aus vielen, treu verblieb.
Nun fuhr ich an des Mittelmeers Gestaden
Bis Spanien und bis Marokko hin
Und wo die Fluten Sardos Insel baden.
Ich und mein Volk, wir waren alt und grau,
Eh’ wir die Enge sahn, wo Herkuls Hände
Ein Denkmal aufgestellt zu ew’ger Schau,
Daß Menschen nie sich fürder wagen möchten. –
Zur linken Hand blieb Ceuta schon zurück;
Jetzt ließen wir Sevilla uns zur Rechten.
Sich hingekämpft durch tausend Abenteuer!
Weil das Geschick so wen’ge Tag’ euch läßt,
Auf! Leidet nicht, daß sie vergebens fliehen!
Gönnt eurem Geist die Luft, der Sonne nach
Zum unbewohnten Teil der Welt zu ziehen!
Seid eingedenk, zu welchem End’ ihr lebt!
Das sondert euch von unvernünft’gen Tieren,
Wenn ihr nach Tugend und Erkenntnis strebt.‘ –
Ich spornte so zur Reise die Genossen
Durch diesen kurzen Ruf: Hätt’ ich nachher
Auch nicht gewollt, sie blieben doch entschlossen.
Das Steuer ward dem Osten zugewandt;
Dann schwangen wir zum tollen Flug die Ruder,
Doch lenkten wir ihn stets zur linken Hand.
Ich sah bei Nacht des andern Pols Gestirne
Schon ingesamt, und unser Angelstern
Enthob dem Ozean nicht mehr die Stirne.
Nun war des Mondes untre Scheib’ in Schatten
Fünfmal erloschen, fünfmal neu entglüht,
Seit wir dir große Fahrt begonnen hatten.
Da schien sich fern am blauen Rand der See
Ein dämmernd grauer Berg emporzutürmen;
Von solcher Höhe sahn wir keinen je.
Wir jubelten, doch Wehe folgte bald.
Ein Wirbelwind blies von dem neuen Lande
Und traf das Schiff mit brausender Gewalt.
Er trieb es dreimal um mit allen Wogen.
Da schlug es über sich; sein Schnabel schoß
Tief in den Grund, von höhrer Macht gezogen,
Bis über uns das Meer sich wieder schloß.“
Die Angaben zur Odyssee sind freie Erfindung Dantes.
Weiter führt der Weg zu den Zwietrachtstiftern, besonders den Schismatikern, die in Wunden zerfleischt werden, so wie sie die Eintracht zerrissen hatten. Die 9. Bulge wird dadurch zu einer Stätte blutigster [147] Szenen. Von dort geht es weiter zu den Falschmünzern und Fälschern, die in der 10. Bulge leiden wie in sumpfigen Fiebergeländen. Dantes Schilderung erinnert an Ovids Schilderung der Pest in Ägina.
So gelangen die Wanderer durch diese Stätten des Siechtums hindurch mit dem 31. Gesange zur letzten Kluft, dem senkrechten Abhange zum tiefsten Abgrunde der Hölle.
Hier war ein Zwielicht, weder Tag noch Nacht,
So daß nicht weit mein Auge tragen konnte;
Doch plötzlich scholl ein Horn mit großer Macht.
Des Klang, vor welchem Donnerwürden schweigen,
Trieb mich alsbald, den angespannten Blick
Des Weges, wo er herkam, hinzuneigen.
An jenem Schreckenstag', als Karl dem Großen
Die heil’ge Fahrt mißlang, hat Roland einst
So furchtbar laut nicht in sein Horn gestoßen.
Das Haupt emporgewendet, schritt ich fort;
Da schien mir’s bald, ich säh’ viel hoher Türme
Und sprach: „O Meister! Welche Stadt liegt dort?“
Die vermeintlichen Türme sind Giganten, deren einer, Antäus, sie unversehrt mit der Hand in die Tiefe hebt.
Der neunte Kreis (32. Gesang) ist ziemlich steil zum Mittelpunkt abfallend. Der Boden ist mit Eis bedeckt, und die Kälte erfüllt den Dichter mit Schauder. Hier weinen die Brudermörder und die Verräter des Vaterlandes. Einer will seinen Namen nicht nennen: Es ist ein Florentiner, dessen Verrat die Niederlage bei Montaperti zur Folge hatte. Dann fährt Dante fort (V. 124–139):
Wir waren schon entfernt von dieser Brut,
Da sah ich zwei zusammen eingefroren:
Der Kopf des Einen war des Andern Hut.
Und, wo der Schädel grenzet an den Nacken,
Sah ich, wie man im Hunger Brot verschlingt,
Des obern Kopfes Zahn den untern packen.
Nicht anders hat vor Wut die Schläf’ und Stirn
Des Menalippus Tydeus einst zerklaubet,
Wie der des Andern Schädel, Haut und Hirn.
„O du,“ rief ich, „des viehische Gebärden
Haß gegen den beweisen, den du nagst,
Dein Schicksal kundtun, wenn du Wahrheit sagst;
Will rächen deinen Ruf an jenen dort,
Wofern du ihn mit Fug und Recht verklagst.
Wenn die, womit ich spreche, nicht verdorrt.“
Seinen Verrat büßt auch der Ghibelline Ugolino (33. Gesang, V. 1–90):
Da hob vom angefreßnen Hinterkopfe
Der grause Sünder seinen Mund empor
Und wischt ihn ab in seines Feindes Schopfe.
Dann fing er an: „Soll ich den grimmen Schmerz
Erneuern? Eh’ ich noch davon erzähle,
Zermalmt das Angedenken schon mein Herze.
Doch sollen meine Worte diesem schnöden
Verräter eine Saat der Schande sein,
So wirst zugleich mich weinen sehn und reden.
Ich weiß nicht, wer du bist, noch wie du hier
Herabgestiegen; doch ein Florentiner,
Wenn ich dich reden höre, scheinst du mir.
Ich war Graf Ugolino, mußt du wissen,
Und Erzbischof Ruggieri dieser da.
Nun hör', warum ich so sein Hirn zerbissen.
Wie er, derweil er seine Treu’ mir bot,
Mit arger Feindestücke mich gefangen,
Dann umgebracht, ist nicht zu sagen not.
Doch das, was niemand droben dir erzählt,
Wie grimm mein Tod gewesen, höre nun:
Dann wirst du wissen, wie er mich gequält.
Ich hatt’ aus einer engen Luk’ im Erker
Des Turms, der jetzt vom Hunger wird benannt,
Und der für viele dienen wird zum Kerker,
Verschiedner Monden Wechsel schon erkannt,
Als einst im Schlaf der Zukunft Schleier rissen
Und mein Geschick vor meinen Augen stand.
Es schien mir, der da jagt’ als Herr und Haupt
Der den Pisanern Luccas Anblick raubt.
Mit magern, auf den Fang erpichten Hunden
Hetzt’ er sie fort; es liefen vor ihm her
Gualande mit Lanfranken und Sismunden.
Nach kurzem Laufe sah ich kraftlos keichen
Den Vater samt den Söhnen, sah ich bald
von scharfen Hauern bluten ihre Weichen.
Erwacht war ich vor Tages Anbruch kaum,
Da hört’ ich um mich her die Söhne weinen
Und flehn um Brot in ihrem bangen Traum.
Denk', was mein ahnend Herz begann zu wähnen!
Wohl grausam bist du, wenn dich das nicht rührt;
Und weinst du hier nicht, was entlockt dir Tränen?
Schon tagt’ es; unser Schlummer war dahin,
Die Stunde nahte, Speise zu empfangen,
Und jedem lag sein Traum noch schwer im Sinn.
Und riegeln hört’ ich unter uns die Pforte
Des grauenvollen Turms; drob schaut’ ich starr
Ins Antlitz meinen Söhnen ohne Worte.
Ich weinte nicht, also versteint’ ich mich.
Sie aber weinten; mein Anselmo sagte:
‚Du blickst so, Vater, lieb! Was hast du? Sprich!‘
Doch weint’ ich nicht und sagt’ auch nichts zu ihnen,
Den ganzen Tag, noch auch die Nacht darauf,
Bis wiederum der Welt die Sonn’ erschienen.
Den bangen Kerker hatt’ ein wenig Licht
Nunmehr erleuchtet: Vierfach wiederholt
Sah ich mein Leid auf jedem Angesicht.
Da biß ich beide Hände mir vor Wehe.
Sie glaubten, daß mich Gier nach Speise trieb,
Und fuhren schnell vom Lager in die Höhe
Und sagten: ‚Minder wird es weh uns tun,
Wenn du von uns dich nährst; du gabst uns, Vater,
Dies arme Fleisch und Bein: nimm’s wieder nun!‘
Wir blieben stumm den Tag und dann noch einen.
O Erde! Warum tatst du dich nicht auf?
Gekommen war des vierten Tages Licht,
Als Gaddo mir sich vor die Füße streckte
Und rief: ‚Mein Vater! Warum hilfst mir nicht?‘
Daselbst verschied er; von den andern allen
Sah ich je einen, wie du hier mich siehst,
Am fünften und am sechsten Tage fallen.
Ich rief die Toten noch drei Tage lang,
Und tappte, blind schon, über jede Leiche,
Dann tat der Hunger, was dem Schmerz mißlang.“ –
Mit scheelen Augen, als er so gesprochen,
Biß er den Unglücksschädel wieder an,
Zermürsend, wie ein Hund, die harten Knochen. –
O Pisa! Pisa! Schande der Bewohner
Des schönen Landes, wo das Si ertönt!
Sind deine Nachbarn nicht des Greuels Lohner,
So komme bis vor deines Arno Kehlen
Capraja und Gorgona hergerückt,
Daß du ertrinken mögst mit allen Seelen.
Denn, ward Graf Ugolino auch verklagt,
Er hab’ um deine Burgen dich verraten:
Warum hast du die Söhne totgeplagt?
Sag', neus Thebe, welche Bosheit kannte
Des Ugo und Brigata zartes Herz,
Und jener, die mein Lied schon oben nannte?
Weiter durchwandeln die beiden die Ptolemäa und gelangen endlich im 34. Gesang zur Judecca, wo „der Höllenfürst seine Fahnen entfaltet“ gegen die Ankömmlinge. Luzifer befindet sich halb diesseits, halb jenseits der Erdmitte und zermalmt in alle Ewigkeiten die Verräter an Gott und dem Cäsar – der Kirche und dem Kaisertum. Bei Anbruch der Nacht beginnt der Aufstieg zur Büßungswelt.