Zum Inhalt springen

Die Gemälde-Galerie des Grafen Schack − Kapitel 8

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Adolf Friedrich von Schack
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Kapitel VIII.
Untertitel: Karl Rahl. Ludwig von Hagn. August Henneberg. Wilhelm Lindenschmit. Leopold Bode. Karl Böheim. H. Wislicenus. James Marshall. Moritz von Beckerath. Julius Naue. Anton Kraus. Karl Spitzweg
aus: Die Gemälde-Galerie des Grafen A. F. von Schack in München
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Dr. E. Albert
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel: {{{ORIGINALTITEL}}}
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[37]
VIII.


Die Bekanntschaft des sehr begabten Karl Rahl aus Wien machte ich bei Genelli, dessen glühender Bewunderer er war. Er besass eine umfassende Bildung und grosse Kenntnisse, sowohl in der Kunstgeschichte, wie in der Litteratur. Dabei glänzte er durch eine wirklich blendende Gabe der Rede, welche ihn in der Unterhaltung vielleicht noch bedeutender erscheinen liess, als in seinen Produktionen. Ich will ihn in letzterer Hinsicht jedoch keineswegs verkleinern. Rahl hatte lange Zeit, bis zu vorgerückterem Lebensalter, geringe Teilnahme für seine Arbeiten gefunden; und erst etwa seit dem Jahre 1850 war es ihm gelungen, bedeutendere Bestellungen zu erhalten. Unter allen Entwürfen, die er mir zeigte, erschien mir der einer Cimbernschlacht als der gelungenste. Seine Skizze stellte dar, wie, nach der Schilderung Plutarchs, eine Schar von Cimbern von ihrer Wagenburg herab einen verzweifelten Todeskampf gegen die Römer führt und die cimbrischen Weiber ihre Kinder zerschmettern, damit diese nicht in die Gewalt der Feinde fallen. Die Scene hatte Rahl mit höchster dramatischer Lebendigkeit aufgefasst. Es war ihm ein hohes Ziel des Ehrgeizes, ein eigenes Gemälde neben denen seines angebeteten Genelli aufgehängt zu

[38] sehen; daher übertrug ich ihm mit Freude die Ausführung jenes Schlachtstückes in grossem Massstabe. Leider hinderte ihn die Notwendigkeit, andere unternommene Arbeiten zu vollenden, lange an dem Beginne der für mich bestimmten; und als er endlich an die Zeichnung des Kartons gegangen war, überraschte ihn der Tod. Wie das frühe Hinscheiden des talentvollen Mannes, der noch Wertvolles für die Kunst hätte schaffen können, so beklagte ich es auch, meine Sammlung nicht mit einem Werke seiner Hand bereichern zu können, das seiner eigenen Meinung nach die bedeutendste aller seiner Leistungen geworden sein würde. Nur einen spärlichen Ersatz dafür boten mir einige Bildnisse Rahls, deren Erwerbung mir später gelang. Er hat in früheren Jahren sehr viel Porträts gemalt, die sich meistens in Wien, Oldenburg und Holstein befinden. Dieselben sind sehr ungleich an Wert; manche nur flüchtig hingeworfen, andere dagegen vortrefflich. Das Gleiche gilt von den in meiner Galerie befindlichen. Das Bildnis des Landschaftsmalers Willers, sowie dasjenige eines alten Mannes mit langem weissem Bart, könnten sich neben den Bildern guter alter Meister behaupten; die beiden Frauenköpfe dagegen, die nur als Studien zu betrachten sind, scheinen mir geringer.

Ein äusserst feiner und geistvoller Künstler im Fache des höheren Genre ist Ludwig von Hagn. Ich habe seine Arbeiten stets mit grosser Teilnahme verfolgt und das Entstehen, wie den Fortgang seiner Werke hier und in Rom beobachtet, wo ich den hochgebildeten Mann mehrmals getroffen. Lange Zeit wandte er mit Vorliebe das Rokokokostüm auf seinen Bildern an, und letzteres, mag man meine Abneigung gegen dasselbe auch kindisch schelten, verleidete mir einigermassen die Freude an ihnen. Für mein Gefühl klebt diesem Kostüm immer etwas Nüchternes und Prosaisches an, und ich begreife nicht, wesshalb ein Maler unter so vielen anderen, ihm zu Gebote stehenden, sich gerade dieses wählen mag, das so wenig pittoresken Reiz bietet und an Hässlichkeit nur von dem heutigen übertroffen wird. Als ich einst in Hagns Atelier trat, freute es mich daher sehr, zu bemerken, dass er selbst dieser Meinung geworden zu sein schien. Ich fand bei ihm eine fast vollendete italienische Gartenscene, Männer und Frauen in der schönen Tracht der Renaissance, im behaglichen Genusse der Gegenwart, teils mit Musiziren, teils mit gegenseitiger Unterhaltung beschäftigt. Es erschien mir als die Krone aller bisher von mir gesehenen Bilder Hagns, und ich zögerte nicht, es meiner Kollektion hinzuzufügen. Der wonnevolle Aufenthalt in den Gärten des Südens könnte nicht anmutiger geschildert sein, und lebendig sehen wir hier vor uns jene schöne Zeit, da Künstler, Gelehrte und Dichter, in Gesellschaft reizender, an geistiger Bildung mit den Männern wetteifernder Frauen, ihre allem Edlen geweihten Zusammenkünfte hielten. – Ein zweites, im gleichen Geiste konzipirtes Gemälde Hagns stellt eine Terrasse des Gartens Colonna vor und ist, gleich jenem, von holden Frauengestalten belebt.

Allzu früh musste ich den Verlust des mir innig befreundeten ungemein begabten August Henneberg beklagen. Er hatte, obgleich der Kunst von Jugend auf hold, sich doch der ausschliesslichen Beschäftigung mit derselben erst spät zugewendet und verspürte die Folgen davon bis an sein Ende. Es war ein unschätzbarer Vorteil für die Maler des 16. und 17. Jahrhundertes, dass sie schon als Knaben in die Schulen der grossen Meister kamen, und wenn sie zuerst auch nur Farbenreiberdienste thaten, doch nach und nach, ebenso leicht, wie ein Kind fremde Sprachen erlernt, sich fast spielend die Technik des Zeichnens und Malens aneigneten. Talent und Genie lassen sich nicht lernen, und wo sie fehlen, wird alle Uebung nie zur Produktion von Bedeutendem führen; doch wo sie vorhanden sind, wird ihre volle Entwickelung durch frühe Uebung sehr erleichtert, und der Künstler, der letzterer entbehrt, hat diesen Mangel noch lange, wenn nicht für immer zu empfinden. So erging es Henneberg. Ich möchte ihm mehr als Talent, ich möchte ihm Genie zuschreiben; allein er arbeitete mit grosser Anstrengung, und da er als echter Künstler sich nicht Rast gönnte, bis er Komposition, Zeichnung und Färbung zu seiner vollkommenen Zufriedenheit bewältigt hatte, rückte sein Schaffen sehr langsam vor. Mit seinem „Ritt nach dem Glücke“ war er wohl zehn Jahre lang beschäftigt; nachdem er unter vieler Mühe die Zeichnung in festen Strichen auf die Leinwand gebracht, änderte er doch beständig, und oft in nicht glücklicher Weise, daran. Es war in ihm eine gewisse Unsicherheit; jede kritische Auslassung seiner Freunde erschien ihm als wichtig; oft befolgte er den Ratschlag des Einen, bis dann ein Anderer in sein Atelier trat und er, diesem Gehör gebend, wieder zu seinem früheren Entwurfe zurückkehrte. So ist die Komposition vielmals umgeworfen und neu gestaltet worden, bis sie zuletzt in ihre endgültige Form kam, die der Maler doch nur missmutig bestehen liess, indem er daran verzweifelte, etwas ganz Genügendes schaffen zu können. Ich glaube nicht, dass diese letzte Form die glücklichste war; bei ihrem Anblick schien es mir, dass ich das Bild früher viel schöner gesehen hätte. Das erste Gemälde, durch das Henneberg verdientes Aufsehen erregte, war seine wilde Jagd, die er zweimal gemalt hat. Das eine

[39]

Exemplar war lange zu Paris in Privatbesitz geblieben und ist jetzt in die Nationalgalerie nach Berlin gelangt. Das zweite, etwas kleinere, schmückt meine Sammlung. Als ich es zum erstenmale in dem Salon zu Paris sah, wo es gemalt worden war, hörte ich einen Kunstfreund, der davor stand, zu dem andern sagen: Voilà un peintre qui a bien étudié son Delacroix, und dass es unter dem Einfluss dieses genialen Franzosen entstanden, ist unverkennbar. Das Bild schildert nach Bürgers Ballade, wie der wilde Jäger mit seinem Gefolge auf brausenden Rossen durch das Getreidefeld hinsprengt, und ein jammerndes Weib sich vor ihm niederwirft, ihn beschwörend, nicht ihren gesammten Besitz zu Grunde zu richten. Neben ihm befindet sich seine Geliebte, zu seiner Rechten sein guter, zur Linken sein böser Engel. Das Bild bezeichnet einen Höhepunkt der neueren Kunst; es ist aus einer stark anschauenden Phantasie hervorgegangen. Nur wahre Genialität konnte alle diese vom Wirbel der wildesten Bewegung fortgerissenen Gestalten in ihren verschiedenen Stellungen konzipiren; nur die höchste, wenn auch mit Anstrengung errungene Meisterschaft sie so wiedergeben. Besonders bewundernswert ist auch die Farbe, welche, in ihrer Verteilung auf die Figuren, die Illusion des Unstäten, Vorüberfliehenden hervorruft; man glaubt buchstäblich das Zittern der Aehren, den hinsausenden Galopp der Rosse und die vorwärts stürzende Hast der Reiter zu sehen.

In mannigfaltigen Vorwürfen, und fast immer mit Erfolg hat sich der talentvolle Wilhelm Lindenschmit versucht. Unter Allem, was ich von ihm kenne, zog mich sein Fischer am meisten an. Das Bild stellt nach Goethes Gedicht vor, wie der junge Fischer im Begriffe steht, den Lockungen des Flussweibes zu unterliegen: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin.“ Die Formgebung der beiden Gestalten ist höchst gelungen, die Scenerie mit feiner Naturempfindung aufgefasst, die Farbe weich und von grosser Tiefe.

Wenn andere Werke dieses Künstlers, nach meinem Gefühle, nicht auf gleich hoher Stufe stehen, so liegt Solches gewiss nicht an dem darin entfalteten Talente, sondern an den Gegenständen; welch ein ungleich günstigerer Vorwurf für die Malerei ist doch dieser „Fischer“, als z. B. die „Stiftung des Jesuitenordens“! Wie grosse Kraft der Charakteristik Lindenschmit auch auf letzterem Gemälde entfaltet hat, so drängte sich mir vor demselben doch immer die Bemerkung auf, dass die Kunst es nicht sowohl mit dem Charakteristischen, als mit dem Schönen zu thun hat.

So oft die mächtige Anziehungskraft, die von jeher Steinles Atelier auf mich übte, mich nach Frankfurt führte, pflegte ich auch dessen Lieblingsschüler, Leopold Bode, aufzusuchen. Auf ihn ist ein Teil der seelenvollen Anmut, des innigen Gefühls, das besonders den Zeichnungen und Aquarellen seines grossen Meisters so unsäglichen Reiz verleiht, übergegangen. In der Mutter mit dem Kinde hat er eine Scene aus der Chronik eines fahrenden Schülers von Clemens Brentano zum Stoff genommen. Weit lieber als die Erzählung des Dichters, deren altertümliche Einfalt an Ziererei leidet, ist mir die Darstellung Bodes, wie die junge, trauernde Witwe mit ihrem Kinde, das sie auf dem Arme trägt, umherwandelt und ihm ein Lied vorsingt. Wehmut um den Verlust des Gatten und unendliche Mutterliebe drücken sich in unübertrefflicher Weise in ihren Zügen aus, und ebenso herzgewinnend ist die Unschuld in dem holdlächelnden Gesicht des Knaben.

Einem zweiten Gemälde Bodes, die Alpenbraut, liegt eine Ballade des österreichischen Dichters J. G. Seidl zu Grunde. Ein junger Jäger, in dem Viele, aber irrtümlich, Kaiser Max an der Martinswand zu erkennen glauben, hält sich mühsam an einem Felsenabhange, der seinem Fusse kaum Platz zum Stehen bietet, fest, und eine unheimliche weibliche Gestalt, eine Personifikation des Schwindels, umklammert ihn von hinten und sucht ihn in den Abgrund zu reissen. Bei längerem Anblick dieser beiden Gestalten an der unerklimmbaren Steinwand und der riesigen Schneegipfel, die rings aufragen, erfasst uns förmlich Schrecken. Schwind rühmte dies kleine Bild ausserordentlich und sagte einmal scherzend: „Das ist ja gerade, als ob ich es gemacht hätte; nur dass ich nicht so gut malen kann.“ – Diese beiden Gemälde befriedigten mich so sehr, dass ich Bode bat, eine grössere Komposition, deren Skizze er mir vorlegte, die Geburt Karls des Grossen, für mich auszuführen, und er setzte mehrere Jahre daran, um diese Arbeit zu vollenden. Mit welcher Liebe, mit welcher Sorgfalt der Künstler sich ihr gewidmet hat, zeigt das Bild. Den Stoff dazu geliefert hat die bekannte, auch von O. F. Gruppe in einem höchst gelungenen, aber seltsamerweise wenig bekannten epischen Gedichte behandelte Sage von Pipin und Bertha, die schon in dem altfranzösischen Roman von „Bertha mit dem grossen Fusse“ erzählt ist. Die Geschichte, die später viele Umwandlungen erfahren hat und in verschiedene Lokalitäten versetzt wurde, ist folgende: König Pipin hatte seinen Marschall mit Gefolge an den Hof des Herzogs von Schwaben gesandt, um für ihn um die Hand von dessen Tochter Bertha zu werben. Nun traf es sich, dass die Prinzessin der Tochter des Marschalls sehr ähnlich war, und dieser geriet infolge davon auf den Gedanken, die erstere beiseite zu schaffen, die letztere aber, an ihrer Statt, in die Arme des Königs zu führen. Er gab daher seinen Dienern Befehl, Bertha in einem Walde umzubringen, diese aber entging wunderbar dem Tode und wurde von einem Müller im Mühlthal bei Starnberg gastlich aufgenommen. König Pipin, der sich inzwischen arglos mit der Tochter des Marschalls vermählt hatte, gelangte später auf einem Jagdzuge in die Mühle, erkannte hier die für ihn bestimmt gewesene Prinzessin an ihrem grossen Fusse und entdeckte den ganzen Betrug. Gerade als er sich anschickt, sie als die wahre Königin in sein Land heimzuführen, wird er in den Krieg abgerufen. Er lässt Bertha in der ihr liebgewordenen Reismühle bei ihren [40] Rettern, und als er, nach Verlauf eines Jahres, von dem Feldzuge zurückkehrt, tritt Bertha mit einem Knaben, den sie ihm geschenkt, dem späteren „Karl dem Grossen“, ihm entgegen. Die Hauptmomente dieser Sage hat Bode auf einem in drei Teile zerfallenden Gemälde dargestellt. Das Seitenbild links zeigt die Prinzessin, hingesunken in der Waldwildnis, wo die Diener des Marschalls sie hilflos zurückgelassen. Zu ihren Häupten steht ein Engel, der sie vor einem, ihr Leben bedrohenden Wolfe beschützt. Dieser Seitenflügel ist von ausserordentlicher Schönheit. Auf dem Nebenbilde rechts sehen wir dann Pipin, wie er dem holden, in der Mühle gefundenen Mädchen knieend die Füsse wäscht und in ihr die wahre Gemahlin erkennt. Das grössere Mittelbild endlich führt die Scene vor, wo Pipin mit seinem Heergefolge zu der Mühle wiederkehrt und Bertha ihm, den künftigen Herrscher der Welt auf den Armen tragend, entgegengeht. Das Gemälde ist in allen seinen drei Abteilungen reizend und voll naiver Anmut. Nur die Figur des knieenden Pipin möchte etwas aus dem Tone herausfallen, da sie meines Erachtens nicht ohne einen Anflug von Affektation in ihrer Bewegung ist.

Ein sehr interessantes Bildchen sind die Satyrn, welche einem Hasen in der Campagna nachsetzen, von C. Böheim, einem jungen Manne von ernstem Streben, der sich in Rom der Kunst mit enthusiastischer Liebe hingab und ihr durch einen allzu frühen Tod geraubt wurde. Die Satyrn in ihrer halb tierischen Natur sind mit wahrem Humor dargestellt; das Kolorit kann in seiner saftigen Tiefe an Rubens erinnern, und Böcklin würde nicht unzufrieden sein, das Stück gemalt zu haben.

Einen grossartigen Vorwurf wählte H. Wislicenus, als er die Phantasie, von den Träumen getragen, darzustellen unternahm. Es war gewagt, in unsrer Zeit, in welcher so vielfach der Realismus als Kunstprincip gepredigt wird, ein nur im Reiche der Einbildungskraft lebendes Idealwesen zu verkörpern. Wenn die Alten solchen Wesen, wie dem Sieg, der Hoffnung u. s. w. menschliche Gestalt liehen, so war dieses für sie viel leichter, da dieselben schon im Glauben des Volkes als Gottheiten lebten, oder doch nach Analogie der übrigen Götter und Göttinnen als wirkliche Personen betrachtet wurden. Bei uns verhält es sich hiermit wesentlich anders: wir wissen, dass wir es nur mit Abstraktionen zu thun haben, wenn die Religion, der Glaube u. s. w. uns in der Kunst als Figuren vorgeführt werden. Grosse Maler sind jedoch vor diesem Wagnisse nicht zurückgeschreckt und haben es mit Glück bestanden; ich erinnere nur an Rafaels „Gerechtigkeit“ im Vatikan, an Tizians „Geschichte“ in der Markusbibliothek und an Leonardos „Caritas“, die jetzt verschollen zu sein scheint, aber noch von Rumohr, der sie gesehen haben will, hoch gepriesen wird, so wie auch an die „Caritas“ von Andrea del Sarto. Den Genannten ist Wislicenus mit vielem Talente gefolgt; dass er jede realistische Tendenz von vornherein fern gehalten, versteht sich von selbst. Seine „Phantasie“, ein hohes, ideal geformtes Weib, die Lyra in der Rechten, die Augen begeisterungstrunken nach oben gerichtet, schwebt vor uns wie eine Traumerscheinung, und in den geflügelten Genien, welche sie geschlossenen Auges umkreisen und gen Himmel tragen, sehen wir das unbewusste, aus einer inneren Naturkraft unabhängig vom Willen hervorquellende Walten der Phantasie verbildlicht. In der Zeitung sowohl, wie im Kolorit, hat Wislicenus hier höchst Achtungswertes geleistet.

Derselbe berühmte Violinspieler, der auf dem früher erwähnten Gemälde Steinles auf der Höhe eines Turmes geigend dargestellt ist, erscheint in einem Gemälde von James Marshall: Tartinis Traum, in einer anderen Situation. Eine Anekdote aus dem Leben des Musikers, der, ein früherer Paganini, wegen der erstaunlichen Virtuosität, mit der er sein Instrument zu behandeln wusste, in ganz Europa gefeiert war, erzählt Folgendes. Als der Jüngling Tartini Klosterschüler war, hatte er im Traume eine Erscheinung des Teufels, der ihm eine unendlich schwierige Sonate vorgeigte und dabei mit grinsendem Hohngelächter zu ihm sprach: „Das vermagst du mir nicht nachzumachen!“ Der junge Tartini, der sich schon für einen vollkommenen Violinisten hielt, hatte seitdem keine Ruhe. Immer klang ihm das höllische Tonstück in das Ohr, und zuletzt gelang es ihm, nach jahrelangem Bemühen, die Teufelssonate, oder den sogenannten Trillo del Diavolo, mit gleicher Meisterschaft zu spielen, wie sein satanischer Lehrer. Den Moment, wo der Klosterschüler in unruhigem Schlummer auf dem Lager sich umherwerfend daliegt und Lucifer ihn, unter tollen Grimassen, das Bravourstück hören lässt, führt Marshalls Bild mit der höchsten Lebendigkeit vor. Es gemahnt uns in seinem, mit barockem Humor versetzten Charakter an Hoffmanns Nachtstücke.

Ein begabter Künstler, Ernst Muhr, hat zu meiner Sammlung eine Zigeunerfamilie beigesteuert, ein treffliches Bild, in welchem in hohem Grade das, was man „Stimmung“ zu nennen pflegt, waltet. Es zeigt, dass der Maler bei der Schöpfung desselben ebenso ganz von einer Empfindung ergriffen gewesen ist, wie der lyrische Dichter, wenn er ein Gefühl oder einen empfangenen Eindruck in ein Lied ausströmt. Man wird an Lenaus „Zigeunerromanze“ erinnert. An das Talent dieses Ernst Muhr knüpften sich noch schöne Hoffnungen, als er der Kunst, der er sich mit ganzer Seele hingab, und der Welt gerade in dem Moment entrissen wurde, da ein Sonnenblick des Glückes sein bis dahin trübes und sorgenvolles Leben zu erhellen begann. Lange hatte er um kargen Lohn, und ganz wider seine Neigung, an der Ausführung der Fresken Kaulbachs in Berlin arbeiten müssen – eine seines edlen Talents durchaus unwürdige Aufgabe; sodann, nach München übergesiedelt, hatte er sich selbständigen, mit verdientem Beifalle begrüssten Kompositionen zugewendet und, schwierige äussere Verhältnisse besiegend, eine Geliebte heimgeführt, die er seit Jahren im Herzen getragen; da nahm ihn der unerbittliche Tod hinweg. – Wie viele von den Malern, mit denen ich in der doch verhältnismässig nur kurzen Dauer der letzten zwanzig Jahre in Berührung gekommen, habe ich schon dahinsterben sehen! Oft, wenn ich in meiner Galerie wandere, durchschauert mich ein Gefühl, als ob ich mich auf einem Kirchhofe befände; so viele der Bilder mahnen mich an den Heimgang ihrer Urheber! Ach, und vor einigen, wie vor dieser Zigeunerfamilie Muhrs, kann ich den bitteren Gedanken nicht unterdrücken, dass so manche, von Begeisterung für das Schöne glühende Künstler in der Vollkraft ihres Schaffens in das Grab steigen mussten, ehe sie noch das Ziel ihres ernsten Ringens erreicht, während es zahllosen Alltagsmenschen vergönnt ist, ein fruchtloses Dasein bis in ein hohes Alter fortzuführen!

Platens Ballade „Das Grab im Busento“ hat Moritz von Beckerath zu seinem Gemälde Alarichs Bestattung angeregt. Die nächtliche Scene, wie der tapfere Gotenfürst von seinen Getreuen in das Bett des abgeleiteten Stromes hinabgelassen wird, um dort neben seinen Kriegsrossen bestattet zu werden, ist in Umriss wie Farbe sehr wirkungsvoll wiedergegeben, und die kühne und markige Zeichnung beweist, dass der Künstler mit Erfolg in die Schule des Cornelius gegangen ist, während er im Kolorit sich andere bessere Vorbilder gewählt hat. Ich weiss an dem ganzen Bilde nichts auszusetzen, als dass es allzu dunkel gehalten ist. Es befindet sich an dem hellsten Platze meiner Galerie, der sich auffinden liess; und doch tritt es in all seinen Details nur an sonnigen Tagen vollkommen hervor. Einen Tadel, der bisweilen über diese Bestattung Alarichs ausgesprochen wird, kann ich nicht für gerechtfertigt halten. Man sagt: die Stellung des Gotenkönigs erinnere stark an die des Christus auf der berühmten Kreuzabnahme von Rubens. Wenn dieses wirklich in auffallender Weise stattfindet – worüber sich noch streiten lässt – so stumpft sich doch der daraus abgeleitete Vorwurf ab, wenn man erwägt, dass auch die grössten Maler kein Bedenken getragen haben, Einzelnes aus den Werken [41] Anderer für sich zu verwerten. Ich habe hiervon schon oben einige Beispiele angeführt und will diesen nur noch hinzufügen, dass Rafael unverkennbar bei seinem Adam und Eva in den Loggien das erste Menschenpaar auf Masaccios Fresko in der Kirche del Carmine zu Florenz vor Augen gehabt hat. Nur die Armut, welche überall von Fremden borgt, weil sie nichts wahrhaft Selbständiges zu schaffen vermag, verdient Geringschätzung; doch wer gezeigt hat, dass er im wesentlichen auf eigenen Füssen steht, dessen Leistung wird durch Benutzung dieses oder jenes schon dagewesenen Motivs in ihrem Werte nicht beeinträchtigt.

Mit Glück in die Fussstapfen seines Lehrers Schwind, der ihn ungemein schätzte, ist Julius Naue getreten. Besonders bekannt wurden seine teils in Fresko, teils in Oel gemalten Kompositionen aus der nordischen Mythologie und aus der Völkerwanderung. Ich besitze von ihm ein ganz kleines, artiges Gemälde, eine Schwanenjungfrau, die von einem Ritter belauscht wird; sodann ein zweites, weit bedeutsameres, auch grösseres: Die Plejaden. Es ist nach den Schlussversen meines gleichnamigen erzählenden Gedichtes komponirt und stellt dar, wie der junge Kallias, nach langen Irrfahrten durch Asien und, nachdem er in der Schlacht von Salamis entscheidend mitgefochten, mit seiner geliebten Arete nach Athen zurückkehrt. Zum Verständnisse der Situation wird es am besten sein, die betreffenden Verse hier anzuführen:

„Kallias lehnt am Borde mit Arete –
Neben ihr des Vaters Aschenurne –
Und empor zum Himmel deutend, spricht er
Zu der Jungfrau: Sieh im reinen Nachtblau
Die Plejaden dort, die himmlischen Schwestern,
Die der Pilot als glückverheissende Zeichen
Preist. Schon meiner Kindheit Lieblingssterne
Waren sie; und als im fernen Lande
Von Gefahr umdroht, bedrängt von Zweifeln,
Ich ihr mildes Licht gewahrte, fleht’ ich,
Dass auf tiefumdunkeltem Pfad des Lebens
Führerinnen zum ersehnten Ziele
Sie mir seien. Bald dann, als Bethörung
Mich von Vaterland und Pflicht und Treue
Loszureissen drohte, weckt’ ihr Strahl mich
Aus dem Sinnenrausche! Sieh, durch Strudel
Und Orkane haben nun die Holden
Mich – und dich an meiner Seite, Teure –
Ins gerettete Vaterland geleitet.
Wie er’s sagte, glitt auf plätschernden Wellen
Uferwärts das Boot schon; des Piräus
Hafen nahm es auf; und vor den Beiden
Blühte in dem Rosenlicht der Frühe
Nach und nach mit all den wonnigen Plätzen
Attika empor; des Lykabettus
Gipfel warf den ersten Strahl des Morgens
In das Thal hinab, und fernher hörten
Sie die Wellen des Ilyssus rauschen.“

Der Künstler hat seine Aufgabe in vorzüglicher Weise gelöst; aus seinem Bilde weht uns echthellenische Luft entgegen; so dachte ich mir den Helden, wie er in Siegesbegeisterung aus der schönsten Schlacht der Welt zu seiner geretteten Vaterstadt heimkehrt; so die Jungfrau, in welcher Freude mit Trauer kämpft: Freude über den wiedergefundenen Freund mit Trauer um den Vater, der, in schwerem Seelenkampfe zwischen Pflicht der Dankbarkeit und Liebe zum Vaterlande, den Tod gesucht. Sehr sinnig und völlig im Geiste der Griechen, für welche die ganze Natur beseelt war, lässt uns Naue in den sieben leuchtenden Sternen der Plejaden wirklich Gestalten himmlischer Jungfrauen erblicken.

Einem anderen Schüler Schwinds, dem früh in Italien verstorbenen Anton Kraus, verdanke ich ein hübsch empfundenes und gemaltes Bild, das einen zum Sängerkrieg auf die Wartburg ziehenden ritterlichen Dichter mit seinem Knappen vorstellt.

Das Gebiet des sogenannten eigentlichen Genre ist in meiner Galerie spärlich vertreten. Ich finde nur an solchen Gemälden Gefallen, die meinem Geist und meiner Empfindung etwas sagen. Selbst Mieris und andere Niederländer lassen mich meistens völlig gleichgültig, mögen die Atlaskleider ihrer Damen auch noch so sauber der Natur nachgeahmt sein. Dienstmädchen, die ihrer Herrschaft den Kaffee präsentiren, bayerische Gebirgsbauern, an denen die nackten Kniee das Interessanteste sind, finden sich nicht in meiner Sammlung. Hoch über dieser untergeordneten Art des Genre stehen, nach meiner Meinung, die Gemälde von Karl Spitzweg, und ich habe deshalb immer eine grosse Vorliebe für sie gehabt. Sie sind ebenso voll von Humor, wie von tiefem und feinem Gefühl, und auch die malerische Ausführung lässt nichts zu wünschen übrig. Höchst gelungen ist die Serenade aus dem ersten Akt des Barbiers von Sevilla wiedergegeben. Man sieht einen Platz der alten Hauptstadt Andalusiens bei Nacht; hinten die Giralda, vorn den Grafen auf einer Terrasse und unten die Musikanten, welche die Serenade bringen. Die Letzteren in ihrem Eifer des Spiels und ihren zum Teile pathetischen Stellungen sind mit köstlichem Humor aufgefasst, und das Ganze wird von der heitersten Laune belebt, zu der sich doch ein romantischer Reiz gesellt. – Nicht minder ergötzlich ist der Hypochonder, der aus einem Dachzimmer hervorblickend am frühen Morgen die Witterung prüft, während unten in einem Stübchen noch bei Licht gearbeitet wird; dann das Liebespärchen, das bei Tagesanbruch zärtlich voneinander Abschied nimmt, indessen hinten der Kondukteur des zur Abfahrt bereit stehenden Omnibus ungeduldig den mitreisenden jungen Mann erwartet, der sich gar nicht von seiner Geliebten trennen mag. – Eine höchst charakteristische Scene orientalischen Lebens bieten die Türken im Kaffeehause dar. Die behagliche Gemütsruhe, in welcher die Mohammedaner ganze Tage lang ihren [42] Tschibuk rauchen und dabei so sorglos unbekümmert sind, dass man glaubt, sie würden sich in ihrem Genusse nicht stören lassen, wenn auch die ganze Welt um sie her unterginge, lässt sich nicht trefflicher schildern, als es hier geschehen ist. Ich gestehe, dass mir verschiedene Gemälde besonders deshalb lieb sind, weil sie mich an etwas Selbsterlebtes erinnern. Wie oft habe ich nicht in dem mohammedanischen Quartier von Algier, in Konstantinopel, Kairo, Aleppo solche Gruppen von Rauchern gesehen! So mag dies Bildchen höheren Wert für mich als für Andere haben; jedenfalls aber ist bewundernswert, dass Spitzweg, der nie im Morgenlande war, sich mit der Phantasie dahin so lebhaft hat versetzen können. Vielleicht hat er in Triest, wohin viele Türken kommen, die nötigen Studien gemacht. – Wie tiefes Naturgefühl dieser Künstler besitzt, beweisen zwei andere seiner Gemälde. Das eine zeigt die Waldklause eines Eremiten, welcher die Geige spielt, während ein Reh, den Tönen lauschend, neugierig aus dem grünen Dickicht des Waldes hervorschleicht; auf dem anderen erblicken wir eine Gruppe von Sennerinnen, die sich auf einer Alm mit Zitherspielen ergötzen. Hier ist die Gebirgsnatur ebenso vortrefflich wiedergegeben, wie Tracht und Sitte der Bewohnerinnen des bayerischen Hochlandes, und es ist dem Maler in wunderbarer Weise gelungen, uns diese Alpenwelt so zu vergegenwärtigen, dass wir die frische Luft der Höhe einzuatmen glauben.